Leitsatz (amtlich)
Die Revision ist gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO auch dann innerhalb des an die Revisionsfrist anschließenden weiteren Monats zu begründen, wenn wegen Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt ist.
Normenkette
FGO § 120 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Die Klägerin führte ein Pferd aus den Niederlanden ein, ohne es den Zollbehörden zu gestellen. Durch Bescheid vom 14. April 1966 forderte das HZA von der Klägerin 414 DM Zoll und 44,20 DM Ausgleichsteuer an. Auf den Einspruch der Klägerin hin setzte das HZA den Zoll auf 232 DM und die Ausgleichsteuer auf 24,80 DM herab. Auch die Klage hatte Erfolg. Durch Urteil vom 21. Juli 1969 setzte das FG den Zoll auf 70,63 DM und die Ausgleichsteuer auf 21,60 DM fest. Gegen dieses Urteil ließ das FG die Revision zu.
Das Urteil wurde dem HZA am 25. August 1969 zugestellt. Am 10. Oktober 1969 legte das HZA gegen das Urteil Revision ein. Gleichzeitig beantragte es, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Die Revisionsbegründungsschrift ging am 5. Januar 1970 beim BFH ein. Das HZA vertritt die Auffassung, daß die Frist zur Begründung der Revision erst mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, durch die die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.
Die Klägerin beantragt, die Revision wegen Versäumung der Revisionsfrist und der Revisionsbegründungsfrist als unzulässig zu verwerfen.
Die Revisionsbegründungsfrist laufe grundsätzlich zwei Monate nach Zustellung des angefochtenen Urteils ab. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe keine Wirkungen für die Revisionsbegründungsfrist.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unzulässig.
Hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gewährt der Senat dem HZA gemäß § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das HZA war ohne Verschulden verhindert, die Frist zur Einlegung der Revision einzuhalten. Wie sich aus den Ausführungen des HZA und den Erklärungen der zuständigen Bediensteten glaubhaft ergibt, beruht die Versäumung dieser Frist auf dem Versehen einer Angestellten des HZA in der Absendestelle. Unter diesen Umständen ist dem HZA nach den gleichen Grundsätzen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wie es bei einer Fristversäumnis durch den Steuerpflichtigen geschieht (vgl. Urteil des BFH III R 2/67 vom 28. März 1969, BFH 96, 85 [87 f.], BStBl II 1969, 548). Danach ist dem HZA bereits deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil die Revisionsschrift infolge einer Verwechslung in der Absendestelle an die OFD, nicht aber fristgerecht an das FG gelangt ist und der Sachbearbeiter des HZA sich darauf verlassen durfte, daß die Revisionsschrift ordnungsgemäß an das FG abgesandt worden war. Er war nicht verpflichtet, die Absendung besonders zu prüfen (vgl. Beschluß des BFH III R 2/67, a. a. O., [88]).
Die Revision ist aber wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Revision unzulässig. Diese Frist war bei Eingang der Revisionsbegründungsschrift abgelaufen. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO hätte die Revisionsbegründung innerhalb "eines weiteren Monats" eingereicht werden müssen. Im Schrifttum wird zwar die Auffassung vertreten, daß diese Frist, sofern die Revisionsfrist versäumt worden ist, erst mit der Einlegung der Revision (vgl. Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., Bd. III, FGO § 120 Anm. 2 Abs. 4; Gräber, Die Revisionsbegründung im finanzgerichtlichen Verfahren, DStZ A 1967, 309 [312]) oder mit der Zustellung der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist (v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, V 1.-6. Aufl., § 120 FGO Anm. 23; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2.-4. Aufl., FGO § 120 A 10; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 120 Tz. 22) zu laufen beginnt. Entsprechende Auffassungen werden auch zur Auslegung der Regelung der Revisionsbegründungsfrist in § 139 VwGO, die mit derjenigen in § 120 FGO übereinstimmt, vertreten (vgl. Beschluß des BVerwG Gr. Sen. 1.69 vom 30. November 1970, BVerwGE 36, 340; Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 5. Aufl., § 139, Randnr. 13; Klinger, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 2. Aufl., S. 632; Redeckervon Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl., § 139 Anm. 12; Schunck-de Clerck, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 2. Aufl., § 139, Erläuterungen 3 a). Diesen Auffassungen kann jedoch nicht gefolgt werden. Sie werden der Regelung in § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht gerecht. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, weshalb die Revisionsbegründungsfrist in den Fällen, in denen die Revisionsfrist versäumt worden ist, abweichend von der Regelung in § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO laufen soll. Wenn die Revisionsbegründungsfrist infolge des Hinderungsgrundes versäumt worden ist, der zur Versäumung der Revisionsfrist geführt hat, so kann mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist auch wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung begehrt werden. Wenn dagegen die Revisionsbegründungsfrist in dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Revisionsfrist gestellt wird, noch nicht abgelaufen ist, so kann der Säumige sein Bestreben, einen hinreichend langen Zeitraum für die Begründung der Revision zu erlangen, durch einen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 FGO verfolgen.
Auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist vermag nicht die Auffassung zu rechtfertigen, daß die Revisionsbegründungsfrist im vorliegenden Fall abweichend von der Regelung in § 120 FGO läuft. Die Wirkung der Wiedereinsetzung erschöpft sich darin, daß die Revision so behandelt wird, als sei sie fristgerecht eingelegt worden (vgl. Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 30. Aufl., § 233 Anm. 1). Für den Lauf der Revisionsbegründungsfrist ist die Wiedereinsetzung ohne Bedeutung.
Das BVerwG hat zwar entschieden, daß die Frist zur Begründung der Revision gemäß § 139 Abs. 1 VwGO nicht in Lauf gesetzt werde, wenn innerhalb der Revisionsfrist keine Revision eingelegt werde (Beschluß des BVerwG vom 30. November 1970, a. a. O.). Eine Anrufung des Gemeinsamen Senats gemäß § 2 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (RsprEinhG) vom 19. Juni 1968 (BGBl I, 661) ist deshalb aber nicht erforderlich. Der erkennende Senat folgt insoweit der Auffassung des BVerwG in der genannten Entscheidung vom 30. November 1970, daß eine "Abweichung" im Sinne des § 2 RsprEinhG nicht gegeben ist, wenn die abweichende Entscheidung zu einem anderen Gesetz ergangen ist.
Hinsichtlich der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist dem HZA Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren. Insoweit hat sich das HZA in einem Irrtum über die Auslegung des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO befunden. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein solcher Irrtum überhaupt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu rechtfertigen vermag. Im vorliegenden Fall kann dem HZA die Wiedereinsetzung deshalb nicht gewährt werden, weil es aufgrund seines Irrtums nicht ohne Verschulden daran gehindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). Zumindest aufgrund der Entscheidung des BFH, daß die Revisionsbegründungsfrist zwei Monate nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung endet (Beschluß VI R 201/66 vom 20. September 1966, BFH 86, 813 [814], BStBl III 1967, 4), durfte das HZA nicht damit rechnen, daß der BFH wegen des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO im vorliegenden Fall deshalb einen anderen Standpunkt einnehmen werde, weil die Revisionsfrist versäumt worden war.
Fundstellen
Haufe-Index 413069 |
BStBl II 1972, 224 |
BFHE 1972, 184 |