Leitsatz (amtlich)
1. Für die Anerkennung der Organschaft im Bereich des Rechts der Gewerbesteuer ist es nicht erforderlich, daß die eingegliederte Kapitalgesellschaft gewerblich tätig ist.
2. Das in § 3 GewStDV geforderte Merkmal der wirtschaftlichen Eingliederung in ein gewerbliches Unternehmen ist erfüllt, wenn die Obergesellschaft und das Organ wirtschaftlich eine Einheit bilden, die Organgesellschaft im Gefüge des übergeordneten Organträgers als dessen Bestandteil erscheint.
Normenkette
GewStG 1962 § 2 Abs. 2 Nr. 2; GewStDV 1961 § 3
Tatbestand
Die E-AG war mit 75 v. H. an einer KG als einziger persönlich haftender Gesellschafter beteiligt; alleiniger Kommanditist war eine andere AG. Die KG ist alleiniger Gesellschafter mehrerer Kapitalgesellschaften, die durch Ergebnisabführungsverträge mit ihr verbunden sind. Die KG und die von ihr beherrschten Kapitalgesellschaften stellen u. a. technische Erzeugnisse her und vertreiben diese. Zwischen der KG und den von ihr beherrschten Kapitalgesellschaften einerseits und der E-AG andererseits besteht in verschiedenen Geschäftsbereichen Arbeitsteilung und Spezialisierung in der Herstellung, die zu gegenseitigem Warenverkehr führen. Die KG ist u. a. ein wesentlicher Abnehmer der von der E-AG hergestellten Bauelemente.
Die Klägerin - eine GmbH - wurde anläßlich ihrer Gründung im Jahre 1961 an Stelle der E-AG persönlich haftender Gesellschafter der KG; sämtliche Geschäftsanteile an der Klägerin stehen der E-AG zu. Geschäftsführer der Klägerin sind leitende Angestellte der E-AG. Außer der ihr zukommenden Funktion als persönlich haftender Gesellschafter erfüllt die Klägerin auch Finanzierungsaufgaben; sie unterhält zu diesem Zweck eigene Bankverbindungen und hat der KG im Streitjahr ein Darlehen in Höhe von 20 Mio DM gewährt.
Die KG hat außer der Klägerin als Geschäftsführer einen aus vier Mitgliedern bestehenden Verwaltungsrat. Die Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung entsprechen dem Maßstab der Beteiligung des persönlich haftenden Gesellschafters und des Kommanditisten.
Eine Reihe bestimmt bezeichneter Geschäftsvorfälle bedarf der einstimmigen Zustimmung der Gesellschafterversammlung.
Die Klägerin ist der Ansicht, daß sie aufgrund § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG nicht der Gewerbesteuer unterliege. Die Sprungklage gegen den Gewerbesteuermeßbescheid für den Erhebungszeitraum 1964, durch den der Beklagte den einheitlichen Steuermeßbetrag auf Null DM festsetzte, blieb erfolglos. Hiergegen richtet sich die - vom FG zugelassene - Revision, mit der die Klägerin beantragt, das Urteil des FG (EFG 1969, 90) und den Gewerbesteuermeßbescheid aufzuheben.
Der BdF ist dem Revisionsverfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 FGO). Er stimmt dem beklagten FA, das die Existenz eines Organverhältnisses aufgrund des Erlasses des Finanzministeriums Baden-Württemberg S 2526 A - 2/60 vom 25. März 1965 verneint hatte, darin zu, daß die Klägerin in das Unternehmen der E-AG nicht nach Art einer bloßen Geschäftsabteilung eingegliedert sei. Die Untergesellschaft (das Organ) müsse eine gewerbliche Tätigkeit gleichsam als Betriebstätte des herrschenden Unternehmens ausüben. Hieran fehle es, wenn sich - wie im Streitfall - die Tätigkeit des Organs darauf beschränke, eine Beteiligung für die Obergesellschaft zu halten. Als persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführer der KG sei die Klägerin verpflichtet, dieser Dienste zu leisten; hierbei sei es unerheblich, daß sie die mit der Stellung des Komplementärs verbundenen Rechte und Pflichten im Interesse der E-AG ausübe. In dieser Eigenschaft sei sie zum Teil in das Unternehmen der KG, also nicht ausschließlich in das der E-AG eingegliedert.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil und der durch dieses bestätigte Gewerbesteuermeßbescheid werden aufgehoben.
I. Die Klägerin, deren Tätigkeit als GmbH an sich als Gewerbebetrieb gilt, der der Gewerbesteuer unterliegt (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 GewStG), gilt gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG in der auf den Streitfall anzuwendenden Fassung vor Inkrafttreten des Art. 3 Nr. 1a des Gesetzes zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 15. August 1969 (BGBl I, 1182) als Betriebstätte des Unternehmens der E-AG, wenn ihr Unternehmen dem Willen des Unternehmens der AG derart untergeordnet ist, daß es keinen eigenen Willen hat. § 3 GewStDV in der für den Streitfall maßgebenden Fassung der GewStDV 1961 (BGBl I 1962, 372), der auf § 3 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Gewerbesteuergesetzes vom 26. Februar 1937 (RGBl I, 257; vgl. noch RGBl I 1938, 209, und RGBl I 1940, 284) zurückgeht, bestimmt, daß eine Kapitalgesellschaft dem Willen eines gewerblichen Unternehmens dann derart untergeordnet ist, daß sie keinen eigenen Willen hat (Organgesellschaft), wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in dieses Unternehmen eingegliedert ist.
1. Die Rechtsfolge des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG ist nicht davon abhängig, daß die untergeordnete Kapitalgesellschaft gewerblich tätig ist. Die Rechtsprechung hat zwar für die Anerkennung einer Organschaft im Bereich des Rechts der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer stets verlangt, daß die Obergesellschaft selbst eine gewerbliche Tätigkeit entfalte (Urteile des BFH I 119/56 U vom 25. Juni 1957, BFH 65, 181, BStBl III 1957, 303; I 252/64 vom 17. Dezember 1969, BFH 98, 152, BStBl II 1970, 257; I R 122/66 vom 15. April 1970, BFH 99, 123, BStBl II 1970, 554). Diese Rechtsauffassung kann für die Gewerbesteuer unmittelbar aus dem Gesetz (§ 2 Abs. 1 AO) abgeleitet werden. § 3 GewStDV in der auf den Streitfall anzuwendenden Fassung spricht ausdrücklich von der Unterordnung einer Kapitalgesellschaft unter den Willen eines gewerblichen Unternehmens.
Aus dem Umstand, daß für das herrschende Unternehmen die Eigenschaft eines Gewerbebetriebs kraft Rechtsform (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 GewStG) in diesem Sinne nicht genügt, folgt jedoch nicht, daß sich auch die eingegliederte Kapitalgesellschaft gewerblich betätigen muß. Das Gesetz, nach dem die den eigenen Willen ausschließende Unterordnung unter den Willen eines anderen inländischen Unternehmens zur Behandlung als Betriebstätte dieses Unternehmens führt, gebietet dies nicht.
2. Der Ausdruck "ein solches Unternehmen" (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG) bezieht sich auf das in § 2 Abs. 2 GewStG enthaltene Wort "Tätigkeit" und die in Nr. 1 und 2 dieses Absatzes bezeichneten Personengesellschaften und juristischen Personen; die Tätigkeit einer GmbH ist "ein solches Unternehmen". Die Betriebstätteneigenschaft eines "solchen Unternehmens" ist daran gekünpft, daß es dem Willen eines anderen inländischen Unternehmens nach Maßgabe des Gesetzes untergeordnet ist. Das Gesetz schreibt jedoch nur vor, daß das eingegliederte Unternehmen als Betriebstätte (des herrschenden Unternehmens) gilt, enthält also eine Fiktion.
Zur Anerkennung der Eigenschaft der nach Art einer unselbständigen Geschäftsabteilung eingegliederten Untergesellschaft als Betriebstätte genügt es, daß ihre Tätigkeit der gewerblichen Betätigung der Obergesellschaft dient (Urteil des Niedersächsischen FG VI Kö 39/65 vom 27. August 1965, EFG 1966, 27, zur Gewerbesteuer; Urteil des BFH I R 90/67 vom 21. Januar 1970, BFH 98, 168, BStBl II 1970, 348, zur Körperschaftsteuer). Das GewStG schreibt nicht vor, daß die Rechtsfolge des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 nur dann eintrete, wenn die eingegliederte Kapitalgesellschaft (für sich allein gesehen) eine gewerbliche Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG; § 1 GewStDV) ausübe. Das Gesetz ordnet nur an, Kapitalgesellschaften, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit - die an sich allein aufgrund ihrer Rechtsform Objekte der Gewerbesteuer sind - trotz ihrer rechtlichen Selbständigkeit unter bestimmten Voraussetzungen als Betriebstätten eines anderen inländischen Unternehmens zu behandeln.
Auch aus ihrer Fingierung als Betriebstätte - als einer festen örtlichen Anlage oder Einrichtung, die der Ausübung eines stehenden Gewerbes dient (§ 16 StAnpG) - kann nichts anderes abgeleitet werden. Der Ausübung des Gewerbebetriebes der Obergesellschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 GewStG) können auch solche Tätigkeiten dienen, die für sich allein gesehen nicht gewerblich im Sinne von § 1 GewStDV sind. Für die Bejahung der Betriebstätteneigenschaft genügt es, daß die zu verrichtenden Tätigkeiten der Ausübung eines stehenden Gewerbes dienen; dies ist auch dann der Fall, wenn in der Betriebstätte nur nebensächliche, unwesentliche oder Hilfstätigkeiten entfaltet werden (Beschluß des BFH I B 148/59 U vom 30. August 1960, BFH 71, 585 [588], BStBl III 1960, 468; Urteil des BFH IV 155/60 U vom 10. Mai 1961, BFH 73, 134 [138], BStBl III 1961, 317).
3. Das FG hat die finanzielle und organisatorische Eingliederung rechtsfehlerfrei bejaht. Die E-AG ist alleiniger Gesellschafter der Klägerin. Aus der Tatsache, daß sämtliche Geschäftsführer der Klägerin leitende Angestellte der E-AG sind, hat das FG den angesichts der vorliegenden Umstände möglichen Schluß gezogen, daß die Klägerin eng mit der E-AG verbunden ist.
a) Der Vorinstanz kann jedoch nicht darin gefolgt werden, daß die Klägerin nicht auch wirtschaftlich in das Unternehmen der E-AG eingegliedert, "keine bloße willenlose Geschäftsabteilung der AG" sei, weil sie als Komplementär und Geschäftsführer der KG in einer Reihe wichtiger Entscheidungen auf die Mitwirkung des Kommanditisten angewiesen ist und daher die Willensbildung der Klägerin nicht ausschließlich von der Obergesellschaft bestimmt werden kann. Die Einflußmöglichkeit des Kommanditisten auf die Willensbildung der Klägerin als Geschäftsführer der KG schließt die Eingliederung der Komplementär-GmbH nach Art einer bloßen Geschäftsabteilung in das Unternehmen der E-AG nicht aus.
Das FG hat verkannt, daß die Eigenschaft als Organgesellschaft (Betriebstätte, § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG) an die Unselbständigkeit im Verhältnis zur Obergesellschaft, die Eingliederung in deren Unternehmen nach Art einer bloßen Geschäftsabteilung geknüpft ist. Bindungen, denen die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter und Geschäftsführer der KG unterworfen ist, stehen einer Eingliederung in das Unternehmen der E-AG ebensowenig entgegen wie andere vertragliche oder gesetzliche Bindungen, denen die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Rechtsperson - von der möglichen Unterwerfung unter den Willen einer Obergesellschaft abgesehen - unterliegt. Aus dem Recht der offenen Handelsgesellschaft und der Kommanditgesellschaft (§§ 105 ff., §§ 161 ff. HGB) können keine Bedenken dagegen abgeleitet werden, daß der Komplementär einer KG organschaftlich mit einer Kapitalgesellschaft verbunden ist; dies gilt jedenfalls dann, wenn man mit der durchaus herrschenden Meinung eine Kapitalgesellschaft für fähig hält, persönlich haftender Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft zu sein (seit Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 105 S. 101 ständige Rechtsprechung). Denn die Willensbildung einer Kapitalgesellschaft wird mittelbar oder unmittelbar durch deren Gesellschafter bestimmt; diese sind im Verhältnis zu der Personengesellschaft, deren Komplementär die Kapitalgesellschaft ist, gesellschaftsrechtlich nicht gebunden.
b) Da die wirtschaftliche Eingliederung aus den Gründen des FG nicht verneint werden kann, muß die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden. Die Sache ist spruchreif (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Die vorliegenden tatsächlichen Feststellungen reichen aus, um die wirtschaftliche Eingliederung der Klägerin in das Unternehmen der E-AG zu bejahen.
Das in § 3 GewStDV 1961 geforderte Merkmal der wirtschaftlichen Eingliederung in ein gewerbliches Unternehmen ist erfüllt, wenn die Obergesellschaft und das Organ wirtschaftlich eine Einheit bilden, die Organgesellschaft im Gefüge des übergeordneten Organträgers als dessen Bestandteil erscheint (vgl. Urteil des RFH V A 867/32 vom 3. November 1933, RFH 34, 320, RStBl 1934, 524, und BFH-Urteil I 22/55 U vom 25. Juni 1957, BFH 66, 449, BStBl III 1958, 174); die Untergesellschaft muß - ungeachtet ihrer rechtlichen Selbständigkeit - wirtschaftlich betrachtet die ihr von der Obergesellschaft gestellten Aufgaben nach Art einer bloßen Geschäftsabteilung erfüllen, ein Organ der Obergesellschaft sein (BFH-Urteil I 119/56 U, a. a. O.).
Für eine solche Eingliederung spricht im Streitfall nicht zuletzt der Umstand, daß die Klägerin im Zuge ihrer Gründung an Stelle der E-AG - also mit deren und des verbleibenden Kommanditisten Zustimmung - persönlich haftender Gesellschafter der KG geworden ist. Das FG hat aus dem Umstand, daß "die AG und die KG nach Produktion und Absatz weitgehend aufeinander abgestimmt sind", den Schluß gezogen, daß ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Klägerin und der AG bestehe, diese über die Klägerin "ihre Interessen in der Geschäftsführung, dem Verwaltungsrat und der Gesellschafterversammlung der KG unmittelbar wahrnehmen" könne. Dies kann aber angesichts der sonst festgestellten Tatsachen nur bedeuten, daß die Klägerin errichtet wurde, um bisher von der AG verrichtete Tätigkeiten in deren Interesse auszuüben, und daß die Klägerin diese Tätigkeiten im Zustande völliger Abhängigkeit von der AG als persönlich haftender Gesellschafter der KG ausübt, daß also die Tätigkeit der Klägerin Teil der gewerblichen Tätigkeit der E-AG ist, die Unternehmen der E-AG und der Klägerin wirtschaftlich als eine Einheit anzusehen sind.
II. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 413074 |
BStBl II 1972, 289 |
BFHE 1972, 174 |