Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Festsetzungsfrist für Aussetzungszinsen bei übereinstimmender Erledigungserklärung
Leitsatz (NV)
Die Frist für die Festsetzung der Aussetzungszinsen beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
Normenkette
FGO § 138 Abs. 1; AO 1977 § 237 Abs. 1 S. 1, § 239 Abs. 1 S. 2 Nr. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Rechtsnachfolger des verstorbenen A. Das von ihnen beim Finanzgericht (FG) wegen Einkommensteuer 1952 bis 1954, 1956 bis 1957 und Notopfer Berlin 1952 bis 1954 geführte Klageverfahren wurde am 20. November 1990 in einem Beweis- und Erörterungstermin dadurch beendet, daß die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärten, nachdem der Vertreter des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt -- FA --) sich verpflichtet hatte, Teilabhilfebescheide entsprechend der im Erörterungstermin getroffenen Vereinbarungen zu erlassen. Die geänderten Einkommensteuerbescheide 1952 bis 1954 und die Bescheide über Notopfer Berlin 1952 bis 1954 wurden vom FA am 12. August 1991 zur Post gegeben. Mit Bescheiden vom 26. Februar 1992 setzte das FA Aussetzungszinsen fest (für Einkommensteuer 1952 bis 1954 insgesamt 156 294 DM und Notopfer Berlin 5 439 DM).
Mit dem Einspruch machten die Kläger erfolglos geltend, Aussetzungszinsen dürften wegen zwischenzeitlich eingetretener Festsetzungsverjährung nicht festgesetzt werden. Das FA vertrat die Auffassung, "endgültig keinen Erfolg gehabt" habe die Anfechtungsklage nicht bereits durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen vom 20. November 1990, sondern erst mit Erlaß der Teilabhilfebescheide.
Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, der Zinsanspruch sei verjährt. Bereits im Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigungserklärungen habe die Klage insoweit, als die Kläger die Klage nicht weiterverfolgt hätten, endgültig keinen Erfolg gehabt.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. § 237 Abs. 1 Satz 1 AO 1977.
Das FA beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, daß die Frist für die Festsetzung der Aussetzungszinsen mit Ablauf des Jahres begann, in dem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, und daß deshalb im Zeitpunkt des Erlasses der Zinsbescheide die Frist für die Festsetzung der Aussetzungszinsen gemäß § 239 Abs. 1 Nr. 5 AO 1977 bereits abgelaufen war.
1. Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß § 237 AO 1977 anzuwenden ist.
Nach § 237 Abs. 1 AO 1977 i. d. F. des Art. 1 Nr. 41 des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19. Dezember 1985 -- StBereinG 1986 -- (BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735) ist der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ausgesetzt wurde, zu verzinsen, soweit ein förmlicher außergerichtlicher Rechtsbehelf oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg gehabt hat. Der Anspruch entsteht nicht schon, wenn der außergerichtliche Rechtsbehelf eingelegt wird, sondern erst mit der endgültigen Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs; erst dann ist der Tatbestand verwirklicht, an den das Gesetz den Anspruch auf Aussetzungszinsen knüpft (§ 38 i. V. m. § 3 Abs. 3 AO 1977; Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. November 1991 X R 103/89, BFHE 166, 311, BStBl II 1992, 319, m. w. N.). Liegt der Zeitpunkt, zu dem das Rechtsbehelfsverfahren -- wie im Streitfall -- endgültig ohne Erfolg bleibt, nach dem 31. Dezember 1976, ist die Zinsfrage grundsätzlich nach § 237 AO 1977 zu beurteilen (Art. 97 § 15 Abs. 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 14. Dezember 1976, BStBl I 1976, 694; BFH-Urteil in BFHE 166, 311, BStBl II 1992, 319, m. w. N.; vgl. auch BFH-Urteil vom 20. September 1995 I R 176/94, BFHE 179, 198, BStBl II 1996, 212 zur vergleichbaren -- im Streitfall nicht entscheidungserheblichen -- Frage der Anwendbarkeit des § 237 Abs. 1 AO 1977 i. d. F. nach Inkrafttreten des StBereinG 1986).
Auf die Festsetzung von Zinsen sind die für Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, jedoch beträgt die Festsetzungsfrist ein Jahr (§ 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Sie beginnt für Aussetzungszinsen mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem ein außergerichtlicher Rechtsbehelf oder eine Anfechtungsklage endgültig erfolglos geblieben ist (§ 239 Abs. 1 Nr. 5 AO 1977 i. d. F. des Art. 15 Nr. 7 des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988, BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224).
2. Tatbestandliche Voraussetzung für das Entstehen des Zinsanspruchs und den Beginn der Verjährungsfrist für die Festsetzung der Zinsen sind
-- die Anhängigkeit eines außergerichtlichen bzw. finanzgerichtlichen, auf die Überprüfung eines angefochtenen Verwaltungsakts gerichteten Rechtsbehelfsverfahrens,
-- die Gewährung der Vollziehungsaussetzung und
-- die endgültige Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs.
a) "Endgültig keinen Erfolg gehabt" hat der Rechtsbehelf nicht nur dann, wenn er durch unanfechtbare Entscheidung abgewiesen oder vom Rechtsbehelfsführer zurückgenommen worden ist; § 237 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 meint jede Art der Erledigung (BFH-Urteil in BFHE 166, 311, BStBl II 1992, 319; BFH-Beschluß vom 22. Januar 1988 III B 134/86, BFHE 152, 212, 216, BStBl II 1988, 484). Endgültig erfolglos ist eine Anfechtungsklage auch dann, wenn die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären (BFH-Beschluß in BFHE 152, 212, 216, BStBl II 1988, 484; von Wallis in Hübsch mann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 237 AO 1977 Rz. 6; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rz. 4432; Baum in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 237 Rz. 8; Hundt-Eßwein in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, Kommentar, § 237 AO 1977 Rz. 13).
aa) Mit dem Eingang beider übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten bei Gericht findet das Klageverfahren in der Hauptsache sein Ende. Die Erledigungserklärungen sind konstitutiv, d. h., sie führen unmittelbar zur Beendigung des Rechtsstreits; ein gerichtlicher Ausspruch hierüber ist nicht erforderlich (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 138 Rz. 11, m. w. N.). Das Gericht darf nicht prüfen, ob die Hauptsache tatsächlich erledigt ist (ständige Rechtsprechung z. B. BFH-Urteil vom 29. Oktober 1987 X R 1/80, BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121, m. w. N.); es hat nur noch durch Beschluß über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.
bb) Die Kostenentscheidung des Gerichts ist entgegen der Auffassung des FA weder für das Entstehen des Zinsanspruchs und die Frist für dessen Festsetzung noch hinsichtlich der Bemessungsgrundlage für die Aussetzungszinsen von Bedeutung. Dies schon deshalb, weil das Gericht bei der Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zwar auch den bisherigen Sach- und Streitstand, daneben aber auch andere, nicht den Erfolg der Klage betreffende, sondern kostenrechtliche Erwägungen zu berücksichtigen hat (z. B. den Rechtsgedanken der §§ 136 Abs. 1 Satz 3 und 137 FGO, das Veranlassungsprinzip), während sich die Aussetzungszinsen allein danach bemessen, inwieweit der Rechtsbehelf tatsächlich keinen Erfolg gehabt hat. In welchem Umfang der durch übereinstimmende Erledigung beendete Rechtsstreit tatsächlich ohne Erfolg geblieben ist, ist vom FA im Rahmen der Zinsfestsetzung zu prüfen (BFH in BFHE 152, 212, 216, BStBl II 1988, 484).
b) Im Streitfall war mit der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Beteiligten im Erörterungstermin am 20. November 1990 der Rechtsstreit endgültig erledigt. Damit waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Entstehen des Zinsanspruchs erfüllt.
aa) Entgegen der Auffassung des FA ist eine andere Beurteilung nicht deshalb geboten, weil im Zeitpunkt der Erledigungserklärungen das FA sich lediglich zum Erlaß von Änderungsbescheiden entsprechend dem Ergebnis des Erörterungstermins verpflichtet hatte. Zwar kann im Einzelfall zutreffen, daß die Erklärungen der Beteiligten unter der aufschiebenden Bedingung der späteren tatsächlichen Erledigung stehen, mit der Folge, daß wegen der Bedingungsfeindlichkeit prozessualer Erklärungen die Erledigungserklärungen unwirksam wären (BFH- Urteil vom 14. Juli 1972 VI R 264/70, BFHE 106, 284). Die Annahme, Erledigungserklärungen stünden stets unter einer aufschiebenden Bedingung, wenn der Rechtsstreit nur deshalb tatsächlich noch nicht erledigt ist, weil -- wie im Streitfall -- die vom FA zugesagten Änderungsbescheide noch nicht ergangen sind, hätte jedoch zur Folge, daß die Erledigungserklärungen in solchen Fällen stets unwirksam wären; das wäre nicht interessengerecht. Ergeben sich -- wie im Streitfall -- aus der Erklärung keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme einer aufschiebend bedingten Erledigungserklärung, ist davon auszugehen, daß die Beteiligten auch in solchen Fällen mit der übereinstimmenden Erledigungserklärung den Rechtsstreit endgültig beilegen wollen (BFH-Urteil in BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121).
bb) Aus dem vom FA zur Begründung seiner Auffassung herangezogenen BFH-Beschluß vom 7. Juli 1994 XI B 3/94 (BFHE 174, 486, BStBl II 1994, 785) ergibt sich nichts anderes. Der XI. Senat hat dort entschieden, daß der Einspruch gegen einen Einkommensteuerbescheid nicht bereits dann endgültig keinen Erfolg i. S. des § 237 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 hat, wenn der Einspruchsführer sein Einspruchsbegehren zwar einschränkt, seinen Einspruch aber dennoch "vorsorglich" aufrechterhält. Die Entscheidung berücksichtigt, daß im Einspruchsverfahren das FA -- ohne an die Angaben des Rechtsbehelfsführers, inwieweit der Verwaltungsakt angefochten wird, gebunden zu sein (vgl. § 357 Abs. 3 AO 1977) -- die Sache in vollem Umfang zu prüfen hat (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Anders verhält es sich -- worauf der XI. Senat ausdrücklich hinweist -- im Klageverfahren, weil das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen darf (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) und im übrigen auch im Einspruchsverfahren in dem Fall, in dem der Rechtsbehelfsführer einer Änderung des Verwaltungsakts nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 132 AO 1977 zustimmt, bei der dem Rechtsbehelfsantrag nicht in vollem Umfang stattgegeben wird.
cc) Entgegen der Auffassung des FA ist für den Beginn der Festsetzungsfrist unerheblich, daß das rechnerische Ergebnis seiner im Erörterungstermin abgegebenen Änderungszusage in Form der Änderungsbescheide noch ausstand.
Mit dem Ende der Rechtshängigkeit der Hauptsache durch übereinstimmende Erledigungserklärungen wurden die angefochtenen Steuerbescheide unanfechtbar (BFH- Urteil vom 22. Mai 1984 VIII R 60/79, BFHE 141, 211, BStBl II 1984, 697; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 138 FGO Rz. 30). Das FA war allerdings aufgrund der Zusage seines Vertreters im Erörterungstermin verpflichtet, die nunmehr bestandskräftigen Steuerbescheide im versprochenen Umfang zugunsten der Kläger zu ändern (zur Verbindlichkeit der Zusage z. B. BFH-Urteile in BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121; vom 11. Januar 1991 III R 104/87, BFHE 163, 295, BStBl II 1991, 501). Der Zeitpunkt für das Entstehen des Zinsanspruchs nach § 239 Abs. 1 Nr. 5 AO 1977 wird dadurch jedoch nicht berührt. Zwar hätten die Kläger die Änderungsbescheide in beschränktem Umfang (vgl. § 351 Abs. 1 AO 1977, § 42 FGO) noch anfechten können; allein maßgebend für die Aussetzungszinsen ist jedoch die Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfsverfahrens über die Steuerbescheide, deren Vollziehung ausgesetzt worden war, mithin im Streitfall der Ausgang des Klageverfahrens, das durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen beendet worden ist.
Wird der Steuerbetrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung ausgesetzt worden war, nach Abschluß des Rechtsbehelfs- oder Klageverfahrens herabgesetzt, führt die Akzessorität des Zinsanspruchs (vgl. § 3 Abs. 3, § 233 AO 1977) dazu, daß sich dementsprechend die Bemessungsgrundlage der Aussetzungszinsen mindert: Wird der Steuerbescheid vor Erlaß des Zinsbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen geändert, ist dies bereits bei der Zinsfestsetzung zu berücksichtigen, andernfalls ist der Zinsbescheid entsprechend zu ändern (BFH-Urteil vom 25. März 1992 I R 159/90, BFHE 168, 13, BStBl II 1992, 997).
dd) Unerheblich ist auch, daß das FA das Protokoll über den Erörterungstermin erst zusammen mit der Kostenentscheidung am 22. Februar 1991 erhalten hat. Abgesehen davon, daß das FA anschließend noch hinreichend Zeit hatte, bis zum Ablauf des Jahres 1991 und damit zum Ablauf der Festsetzungsfrist die zugesagten Änderungsbescheide zu erlassen, hätte es das Protokoll auch zu einem früheren Zeitpunkt beim FG anfordern können. Im übrigen hätte, da mit den übereinstimmenden Erledigungserklärungen die angefochtenen Bescheide bestandskräftig wurden, das FA die Aussetzungszinsen zunächst auf dieser Grundlage festsetzen können, dann allerdings nach Erlaß der zugesagten Änderungsbescheide die Änderung der Bemessungsgrundlage berücksichtigen müssen.
c) Die Festsetzungsfrist begann hiernach im Streitfall mit Ablauf des Jahres 1990 zu laufen; sie endete mit Ablauf des 31. Dezember 1991. Im Zeitpunkt des Ergehens der Zinsbescheide vom 26. Februar 1992 war die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen.
Fundstellen
Haufe-Index 421990 |
BFH/NV 1997, 275 |