Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückstellung wegen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Verpflichtung zur Beseitigung einer Bodenkontamination
Leitsatz (NV)
Jede ungewisse Verbindlichkeit, gleichviel ob sie im privaten oder im öffentlichen Recht wurzelt, setzt eine Verpflichtung gegenüber einem anderen ‐ einem Gläubiger ‐ voraus. Darüber hinaus muss dieser Gläubiger grundsätzlich seinen Anspruch gegen den Schuldner (Steuerpflichtigen) kennen. Deshalb ist bei Schadensersatz- und Beseitigungsansprüchen eine Inanspruchnahme des Schuldners erst dann wahrscheinlich und passivierbar, wenn die den Anspruch begründenden Tatsachen entdeckt und dem Geschädigten bekannt geworden sind oder dies doch unmittelbar bevorsteht. Denn erst von diesem Zeitpunkt an muss der Schädiger trotz der bereits abstrakt bestehenden rechtlichen Verpflichtung ernsthaft mit einer Inanspruchnahme rechnen (Anschluss an BFH-Urteil vom 19. Oktober 1993 VIII R 14/92, BStBl II 1993, 891).
Normenkette
EStG § 5 Abs. 1 S. 1; HGB § 249 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine KG, betreibt eine chemische Reinigung mit Filialen in X und Umgebung. Der überwiegende Teil der Filialgrundstücke stand im Eigentum fremder Dritter und wurde von der Klägerin aufgrund von Miet-, Pacht- oder ähnlichen Verträgen genutzt. Der andere Teil der Filialgrundstücke gehörte einer Grundstücks-GbR, an der dieselben Gesellschafter wie an der Klägerin beteiligt waren; diese Grundstücke nutzte die Klägerin offenbar aufgrund eines Nießbrauchsvertrages mit der GbR.
In den Streitjahren 1987 bis 1989 bildete die Klägerin in ihren Steuerbilanzen Rückstellungen für Umweltschäden, die sich bis zum 31. Dezember 1993 wie folgt entwickelten:
Zuführung 1987 |
377 000 DM |
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31.12.1987 |
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377 000 DM |
Aufwand 1988 |
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./. 70 702 DM |
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Zuführung |
451 448 DM |
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31.12.1988 |
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757 746 DM |
Aufwand 1989 |
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./. 79 796 DM |
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Zuführung |
787 115 DM |
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31.12.1989 |
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1 465 065 DM |
Aufwand 1990 |
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./. 25 163 DM |
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31.12.1990 |
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1 439 902 DM |
Aufwand 1991 |
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./. 16 906 DM |
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31.12.1991 |
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1 422 996 DM |
Aufwand 1992 |
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./. 2 189 DM |
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Auflösung 1992 (Versicherungs-zusage) |
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./. 1 025 253 DM |
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31.12.1992 |
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395 554 DM |
Aufwand 1993 (Eigenleistung) |
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./. 2 664 DM |
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31.12.1993 |
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392 890 DM |
Diese Rückstellungen nahm die Klägerin vor, nachdem die Eigenschaft des von ihr verwendeten Lösungsmittels "Perchloräthylen" ("Per") bekannt geworden war, in flüssigem Zustand auch durch wasserdichten Beton in das Erdreich zu dringen. In zwei Läden (Y und Z) ließ die Klägerin Probebohrungen zur Abschätzung der Bodenbelastungen durch ein Umwelttechnik-Unternehmen (G-GmbH) durchführen. Die Messungen ergaben Schadstoffkonzentrationen, die zumindest eine Bodenluftabsaugung erforderlich machten.
In der Folgezeit ließ die Klägerin Bodenluftmessungen durch hauseigene Techniker durchführen, die in einigen Filialen "Per"-Konzentrationen im Boden nachwiesen. Anlässlich einer behördlichen Betriebsrevision in der Filiale Y im Februar 1988 hegte das zuständige Gewerbeaufsichtsamt O den Verdacht einer "Per"-Belastung des Grundstücks. Mit Bescheid vom 1. Juli 1992 forderte dieses Amt die Klägerin auf, verschiedene näher bezeichnete Untersuchungen durchzuführen. 1994 führte das Gewerbeaufsichtsamt X eine Ortsbesichtigung der Filiale "F" in X durch. Diese Ortsbesichtigung und weitere von Ordnungsämtern nach 1988 veranlasste Untersuchungen in verschiedenen Filialen der Klägerin ergaben keine signifikanten Bodenbelastungen.
Die von der G-GmbH berechneten Kosten für die Bodensanierung unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ladentypen betrugen durchschnittlich 8 978 DM je Laden. Auf dieser Grundlage bildete die Klägerin für 42 Läden auf den 31. Dezember 1987 eine Rückstellung in Höhe von 377 000 DM (8 978 DM x 42 = 377 076 DM). Nach einer weiteren Konkretisierung der voraussichtlich entstehenden Sanierungskosten durch Dipl.-Ing. D wurde die Rückstellung 1988 um weitere 451 448 DM erhöht. 1989 zeigte sich in der Filiale Z, dass eine Sanierung nur durch das gegenüber der Bodenluftabsaugung aufwendigere Abpumpen und Reinigen des Grundwassers möglich war. Die Klägerin erhöhte deshalb die Rückstellung 1989 um weitere 787 115 DM für alle mit der Filiale Z vergleichbaren Läden. Den mit der laufenden Sanierung der Läden zusammenhängenden Aufwand buchte die Klägerin gegen die Rückstellung.
Nachdem sich der Haftpflichtversicherer der Klägerin anfänglich geweigert hatte, die Sanierungskosten zu übernehmen, erklärte er sich schließlich mit einer 60- bzw. 80 %igen Kostenübernahme einverstanden. Aufgrund dieser Zusage löste die Klägerin die Rückstellung zum 31. Dezember 1992 in Höhe von 1 025 253 DM auf.
Nach einer Außenprüfung erkannte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) die Rückstellungen bis auf einen auf die Filiale Y entfallenden ―geringen― Betrag von 19 092 DM nicht (mehr) an.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, die angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide mit der Maßgabe zu ändern, dass die in ihren Jahresabschlüssen zum 31. Dezember 1987 bis 31. Dezember 1989 gebildeten Rückstellungen anzuerkennen seien.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. § 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) gebietet die Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten. Wie der erkennende Senat in seinem grundlegenden Urteil vom 19. Oktober 1993 VIII R 14/92 (BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891) ausgeführt hat, setzt die Pflicht zur Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten allgemein voraus
- das Bestehen oder die Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde und/oder der Höhe nach (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. auch Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 12. Dezember 1990 I R 153/86, BFHE 163, 146, BStBl II 1991, 479, unter II. 6., m.w.N.);
- die wirtschaftliche Verursachung der Verbindlichkeit in der Zeit vor dem Bilanzstichtag (vgl. z.B. auch Senatsurteil vom 19. Mai 1987 VIII R 327/83, BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848, m.w.N.);
- dass der Schuldner mit seiner Inanspruchnahme ernsthaft rechnen muss; die bloße Möglichkeit des Bestehens oder Entstehens einer Verbindlichkeit reicht zur Bildung einer Rückstellung nicht aus (vgl. auch z.B. Senatsurteil vom 22. November 1988 VIII R 62/85, BFHE 155, 322, BStBl II 1989, 359).
An diesen für Rückstellungen sowohl für zivilrechtliche als auch für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen gleichermaßen geltenden Grundsätzen hält der erkennende Senat fest.
Danach setzt jede (ungewisse) Verbindlichkeit, gleichviel ob sie im privaten oder im öffentlichen Recht wurzelt, eine Verpflichtung gegenüber einem anderen ―einem Gläubiger― voraus (vgl. § 241 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ―BGB―). Darüber hinaus muss dieser Gläubiger grundsätzlich seinen Anspruch gegen den Schuldner (Steuerpflichtigen) kennen. Deshalb hat der BFH bei Schadenersatzansprüchen eine Inanspruchnahme des Schuldners erst dann für wahrscheinlich und damit für passivierbar gehalten, wenn die den Anspruch begründenden Tatsachen entdeckt und dem Geschädigten bekannt geworden sind oder dies doch unmittelbar bevorsteht (vgl. auch BFH-Urteile vom 3. Juli 1991 X R 163-164/87, BFHE 164, 556, BStBl II 1991, 802, unter 2., und vom 2. Oktober 1992 III R 54/91, BFHE 169, 423, BStBl II 1993, 153). Denn erst von diesem Zeitpunkt an muss der Schädiger trotz der bereits abstrakt bestehenden rechtlichen Verpflichtung ernsthaft mit einer Inanspruchnahme rechnen. Erst von diesem Zeitpunkt an besteht deshalb auch eine inhaltlich und zeitlich hinreichend konkretisierte wirtschaftliche Last (Senatsurteil in BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891).
2. Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung des FG, wonach die Bildung der streitigen Rückstellungen wegen öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen über den vom FA anerkannten Betrag (betreffend die Filiale Y) hinaus nicht in Betracht komme, aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
a) Das FG hat für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten verlangt, dass die künftige Inanspruchnahme des Schuldners (= Steuerpflichtigen) wahrscheinlich sein müsse. Hierfür reiche die bloße Möglichkeit einer Inanspruchnahme nicht aus; vielmehr müssten im Rahmen einer Gesamtbetrachtung mehr Gründe für als gegen die Inanspruchnahme sprechen. Erst dann sei unter Beachtung des handelsrechtlichen Vorsichtsprinzips von einer ausreichend konkretisierten ungewissen Verbindlichkeit auszugehen, die für das Unternehmen des Schuldners eine wirtschaftliche Last darstelle und deswegen in dessen Bilanz darzustellen sei. Dies gelte sowohl für privat- als auch für öffentlich-rechtliche Verbindlichkeiten. Die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme setze die Kenntnis oder doch zumindest nachweisbar unmittelbar bevorstehende Kenntnis des Gläubigers von seinem Anspruch voraus.
Diese vom FG seiner Entscheidung zugrunde gelegten Rechtsausführungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie entsprechen der ständigen Rechtsprechung des BFH und folgen den Grundsätzen, die der erkennende Senat in BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891 zu einem vergleichbaren Fall einer Altlastenrückstellung aufgestellt hat. Danach darf eine Rückstellung jedenfalls dann nicht gebildet werden, wenn im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Schaden der für die Entscheidung über die Rechtsfolgen zuständigen Behörde bekannt ist oder alsbald bekannt sein wird und der Zustands- oder Handlungsstörer deshalb mit seiner Inanspruchnahme ernsthaft rechnen muss (Senatsurteil in BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891, unter 1. b der Gründe).
Diese Aussage des erkennenden Senats darf allerdings nicht dahin (miss-)verstanden werden, dass die (mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bevorstehende) Kenntnis der Fachbehörde zu den rechtlichen Voraussetzungen der Verbindlichkeitsrückstellung i.S. von § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB (i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) gehöre. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB verlangt lediglich, dass eine ernsthafte Gefahr ―d.h. eine (überwiegende) Wahrscheinlichkeit― der Inanspruchnahme des Schuldners gegeben sein muss. Ob dies zutrifft, kann nur mit Hilfe einer Prognose anhand der am Bilanzstichtag erkennbaren und bis zur Bilanzaufstellung nach den Grundsätzen der Wertaufhellung zu berücksichtigenden tatsächlichen Verhältnisse beurteilt werden (Senatsurteil in BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891, unter 1. b, cc der Gründe). So gesehen stellt die vom Senat für die Bildung von Altlastenrückstellungen grundsätzlich geforderte Kenntnis der zuständigen Fachbehörde nichts anderes als eine ―wenn auch gewichtige und daher nur schwer zu widerlegende― tatsächliche Vermutung dafür dar, dass eine ernsthafte (überwiegend wahrscheinliche) Inanspruchnahme des Schuldners solange nicht droht, als der Gläubiger sie nicht kennt (vgl. auch Gschwendtner, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 1994, 257, 258, rechte Spalte, unten f.; vgl. auch Groh, Der Betrieb ―DB― 1993, 1833, 1836, linke Spalte, 3. Absatz a.E.).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das FG aufgrund der von ihm vorgenommenen Würdigung der objektiven, an den streitigen Bilanzstichtagen vorliegenden Umstände des Streitfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin mit einer Inanspruchnahme wegen Umweltschäden aufgrund öffentlich-rechtlicher Verpflichtung für andere "Läden" als die Filiale Y nicht ernsthaft zu rechnen brauchte.
aa) Das FG hat diese Tatsachenwürdigung maßgebend auf die Erkenntnis gestützt, dass die zuständigen Ordnungsbehörden in den maßgeblichen Zeitpunkten der Bildung und Erhöhung der Rückstellungen weder von den konkreten Bodenbelastungen Kenntnis gehabt hätten noch eine solche Kenntnis unmittelbar bevor gestanden habe. Dafür habe es entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht genügt, dass den Ordnungsbehörden die Verwendung von "Per" in den Filialen der Klägerin bekannt gewesen sei und ihnen eine Liste sämtlicher Filialen vorgelegen habe. Hieraus habe zwar der Schluss auf eine mögliche Bodenbelastung gezogen werden können. Jedoch hätte es zur Kenntnis konkreter ("signifikanter") Belastungen in den einzelnen Filialen noch der Durchführung und Anordnung von Bodenuntersuchungen durch die Behörden bedurft. Erst dann wäre mit einer alsbaldigen Kenntnisnahme der konkreten Bodenbelastungen durch die Behörden mit der Folge einer der Klägerin drohenden baldigen Sanierungsverbindlichkeit zu rechnen gewesen. Eine allgemeine Untersuchung der Filialen durch die Behörden sei aber zu keinem Zeitpunkt zu gewärtigen gewesen. Dies folge nicht zuletzt bereits aus der bekannten Personalknappheit der Umweltbehörden. Da nahezu jedes industriell genutzte Grundstück eine potentielle Bodenbelastung aufweise, reiche die Personalausstattung der Behörden in der Regel nicht aus, auch nur einen kleinen Teil dieser Grundstücke zu überwachen. Untersuchungen fänden daher nur aufgrund konkreter Anhaltspunkte statt, die bei den Läden der Klägerin in den Streitjahren nicht vorhanden gewesen seien. So habe für die Filiale Y die zuständige Ordnungsbehörde eine Bodenuntersuchung erst nach einer Betriebsinspektion angeordnet, bei der Mängel an der Lagerstätte CKW-haltiger Chemikalien festgestellt worden seien. Dies habe bei der Behörde aber offenbar keinen Verdacht der Belastung sämtlicher Filialen begründet, weil ansonsten eine Untersuchung aller "Läden" durchgeführt worden wäre. Auch später seien erfolgte Ortsbesichtigungen erst aufgrund konkreter Hinweise, wie z.B. der Anfrage eines Anwohners im Falle der Filiale K, erfolgt. Im Streitzeitraum (1987 bis 1989) habe damit kein Anhaltspunkt für die Annahme einer alsbaldigen Inanspruchnahme der Klägerin durch die Ordnungsbehörden zur Sanierung aller Filialen bestanden.
bb) Diese weder den Denkgesetzen noch allgemeinen Erfahrungssätzen widersprechende Tatsachenwürdigung durch das FG bindet den Senat, da zulässige und begründete Verfahrensrügen von der Klägerin nicht erhoben wurden (vgl. § 118 Abs. 2 FGO; vgl. ―betreffend Rückstellungen wegen öffentlich-rechtlicher oder zivilrechtlicher Verpflichtungen― auch z.B. BFH-Urteile vom 17. Juli 1980 IV R 10/76, BFHE 133, 363, BStBl II 1981, 669, unter 1. c der Gründe; vom 1. August 1984 I R 88/80, BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44, unter II. 2. a, bb der Gründe; vom 12. Dezember 1991 IV R 28/91, BFHE 167, 334, BStBl II 1992, 600, unter II. 2. c der Gründe).
Jedenfalls für die hier zu beurteilenden Zeiträume lässt sich auch nicht etwa ein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts aufstellen, dass der "hohe Stellenwert des Rechtsguts saubere Umwelt, das gestiegene Umweltbewusstsein und die Stärkung der Rechtsstellung der Öffentlichkeit hinsichtlich der Information" auch ohne Kenntnis der zuständigen Behörden von "signifikanten" Kontaminierungen zu einem Eingreifen der Behörden innerhalb eines vorhersehbaren Zeitraums führen werde (so aber z.B. Eilers, Rückstellungen für Altlasten und Umweltschutzverpflichtungen, 1993, S. 38; a.A. zutreffend Gschwendtner, DStZ 1994, 257, 260). Mit Recht weist auch Groh (DB 1993, 1833, 1836, linke Spalte) darauf hin, dass ein Einschreiten der Behörden "angesichts der Vielzahl der Altstandorte und Verdachtsflächen sehr fraglich" sei, solange sie von "signifikanten" Untersuchungsergebnissen keine Kenntnis besäßen.
cc) Entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht vermag an diesem Ergebnis auch nichts der Umstand zu ändern, dass sie nach eigenem Bekunden an den maßgeblichen Zeitpunkten fest entschlossen war, die (nach ihrer Auffassung) gebotenen Schritte zur Beseitigung bestehender oder künftig entstehender Kontaminationen aus eigenem Antrieb ―ohne dies von der etwaigen künftigen Erteilung behördlicher Auflagen oder gar dem Erlass von Ordnungsverfügungen abhängig zu machen― zu unternehmen. Bereits in seinem ebenfalls zu Altlastenrückstellungen ergangenen Urteil in BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891 (unter 1. b, ee der Gründe) hat der erkennende Senat darauf hingewiesen, dass bis zum Zeitpunkt der (unmittelbar bevorstehenden) Kenntnisnahme der Behörde die noch nicht hinreichend als Fremdverbindlichkeit erkennbare Sanierungsverpflichtung allenfalls Gegenstand einer Aufwandsrückstellung sein könne, hinsichtlich derer zwar handelsrechtlich ein Passivierungswahlrecht, steuerrechtlich jedoch ein Passivierungsverbot bestehe (vgl. z.B. auch BFH-Urteil in BFHE 167, 334, BStBl II 1992, 600). Daran ist festzuhalten (vgl. auch Gschwendtner, DStZ 1994, 257, 262 ff.). Zu Unrecht meint die Klägerin, der Umstand, dass sie sich durch ihre intern gebliebenen Maßnahmen zu ihren Verpflichtungen zur Beseitigung der Schäden bekannt habe, habe zu der erforderlichen Konkretisierung ihrer Verpflichtung geführt. Mit Recht hat das FA hiergegen eingewendet, es reiche für eine Rückstellungsbildung nicht aus, dass sich der Schuldner "nur sich selbst gegenüber zu der Verbindlichkeit bekennt". Solange die zuständigen Ordnungsbehörden über die Schäden nicht unterrichtet waren und ―wie hier― eine solche alsbaldige Unterrichtung nach den konkreten Umständen auch nicht wahrscheinlich war, fehlte es an dem für das Bestehen einer wirtschaftlichen Last gebotenen Druck auf die Klägerin, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Es lag allein in ihrem Ermessen, die ―im Übrigen nur von ihr für nötig befundenen― Maßnahmen ohne Außenkontrolle durch die zuständigen Behörden durchzuführen, zu unterbrechen oder einzustellen (vgl. auch Luig, Betriebs-Berater ―BB― 1993, 2051, 2053). Unter diesen Umständen konnte die Klägerin neben der Geltendmachung der im betreffenden Streitjahr tatsächlich angefallenen Aufwendungen als Betriebsausgaben Verbindlichkeitsrückstellungen für künftige Aufwendungen allenfalls insoweit bilden, als bereits konkrete und verbindliche Aufträge an Drittunternehmen zwecks Feststellung und Beseitigung der Schäden vergeben waren. Dass dies an den streitigen Bilanzstichtagen der Fall war, hat das FG nicht festgestellt und auch die Klägerin nicht geltend gemacht.
3. Bildung von Rückstellungen aufgrund privatrechtlicher Verpflichtung zur Beseitigung der Kontaminationen
a) Soweit die streitigen Rückstellungen "Läden" betreffen, welche die Klägerin von fremden Dritten gemietet oder gepachtet hatte oder hinsichtlich derer die Klägerin aufgrund eines sonstigen Rechtsverhältnisses zu fremden Dritten (z.B. aufgrund eines Nießbrauchs) zur Nutzung berechtigt war, ist die Entscheidung des FG ebenfalls im Ergebnis zu bestätigen. Dabei kann dahinstehen, ob insoweit die von der Klägerin gebildeten Rückstellungen schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil an den streitigen Bilanzstichtagen von einem Bestehen oder wahrscheinlichen künftigen Entstehen einer Verbindlichkeit nicht ausgegangen werden kann. Selbst wenn man insoweit zugunsten der Klägerin Gegenteiliges annimmt, fehlt es jedenfalls an dem weiteren Erfordernis, dass die Klägerin an den streitigen Bilanzstichtagen mit einer Inanspruchnahme aus diesen Verbindlichkeiten ernsthaft rechnen musste.
Solange die (potentiellen) privaten Gläubiger von "signifikanten" Kontaminierungen ihrer Grundstücke nichts wussten und eine dahin gehende alsbaldige Kenntnis auch nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, kann auch für eine privatrechtliche Schadensersatz- oder Beseitigungsverpflichtung von einer wahrscheinlichen künftigen Inanspruchnahme nicht die Rede sein und deshalb eine Rückstellung nicht gebildet werden (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891, unter 1. b, aa und cc der Gründe; in BFHE 169, 423, BStBl II 1993, 153, unter 2.; in BFHE 164, 556, BStBl II 1991, 802, unter 2.). Insoweit gilt im Grundsatz nichts anderes als für die unter II. 2. behandelten öffentlich-rechtlichen Ansprüche (vgl. auch schon unter II. 1.).
Dabei spielt keine Rolle, ob die möglichen Ansprüche der Gläubiger gegen die Klägerin deren schuldhaftes Verhalten voraussetzten oder verschuldensunabhängig waren und ob sie auf vertraglicher (z.B. positiver Vertragsverletzung in Bezug auf die Miet-, Pacht- oder sonstigen Nutzungsüberlassungsverträge), deliktischer (z.B. § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB) oder auf einer sonstigen Rechtsgrundlage (z.B. auf einem verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB) beruhten.
Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die privaten Gläubiger an den maßgeblichen Zeitpunkten Kenntnis von rechtserheblichen Kontaminationen der von ihnen an die Klägerin zur Nutzung überlassenen Ladengrundstücke besaßen oder eine solche Kenntnis unmittelbar bevorstand. Solche Anhaltspunkte ergeben sich weder aus den Feststellungen des FG noch aus den Akten oder aus dem Vortrag der Klägerin.
b) Eine andere Beurteilung ist jedoch in Bezug auf diejenigen Ladengrundstücke geboten, die der Klägerin von ihren zu einer Grundstücks-GbR verbundenen Gesellschaftern zur Nutzung überlassen wurden; denn insoweit hatten die Gesellschafter der Klägerin in ihrer Eigenschaft als (in gesamthänderischer Verbundenheit handelnde) Grundstückseigentümer und Nutzungsüberlasser (Nießbrauchsbesteller) zwangsläufig denselben Wissensstand über etwaige "signifikante" Bodenbelastungen wie die Klägerin selbst. Die von der Klägerin für diese Ladengrundstücke vorgenommenen Rückstellungen können deshalb jedenfalls nicht mit der Erwägung versagt werden, dass die potentiellen privatrechtlichen Gläubiger von ihren etwaigen Ansprüchen nichts gewusst hätten.
Auch kann nicht per se angenommen werden, dass die Klägerin im Hinblick auf die personelle Verflechtung zwischen ihr und der Grundstücks-GbR voraussichtlich von der Geltendmachung etwaiger zivilrechtlicher Ansprüche der GbR auf Beseitigung rechtserheblicher Bodenverunreinigungen verschont bleiben werde. Gleichwohl wird das FG im zweiten Rechtsgang untersuchen müssen, ob die GbR bereits an den streitigen Bilanzstichtagen auf etwaige Ansprüche gegen die Klägerin auf Beseitigung der in Rede stehenden Kontaminationen (ausdrücklich oder konkludent) verzichtet hatte (vgl. § 397 BGB). Bejahendenfalls wäre die Bildung von entsprechenden Rückstellungen von vorneherein ausgeschlossen.
Hingegen stünden die Grundsätze der sog. korrespondierenden Bilanzierung der Bildung von den Gesamtgewinn mindernden Rückstellungen durch die Klägerin nicht entgegen. Eine solche korrespondierende Bilanzierung wäre allenfalls ―was im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung bedarf― dann zu erwägen, wenn die Grundstücke der GbR zum Sonderbetriebsvermögen der Klägerin gehört hätten. Letzteres ist jedoch zu verneinen. Nach Lage des Falles geht der Senat vielmehr davon aus, dass zwischen der GbR und der Klägerin eine mitunternehmerische Betriebsaufspaltung bestand. In diesem Fall gehörten aber die etwaigen Ansprüche der GbR gegen die Klägerin auf Beseitigung der Grundstücksbelastungen zum eigenen Betriebsvermögen der gewerblich tätigen GbR und nicht zum Sonderbetriebsvermögen bei der Klägerin (vgl. hierzu die Nachweise aus der neueren Rechtsprechung des BFH bei Schmidt, Einkommensteuergesetz, 20. Aufl., § 15 Rz. 604).
Ob die Klägerin in Bezug auf die hier in Rede stehenden Ladengeschäfte an den streitigen Stichtagen Rückstellungen bilden konnte (und musste), hängt im Übrigen von der Beantwortung der Frage ab, ob von dem Bestehen oder von der Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens entsprechender Verbindlichkeiten auszugehen war (vgl. oben II. 1.). Die hierzu vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen zur abschließenden Entscheidung dieser Frage nicht aus. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Die Beantwortung der Frage, ob die Klägerin bei Nichtvorliegen eines Verzichts der GbR (s. oben) in den maßgebenden Zeitpunkten mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen musste, von ihren Gesellschaftern für von ihr verursachte Bodenkontaminationen in Anspruch genommen zu werden, hängt zunächst davon ab, ob die Klägerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit damit rechnen musste, dass die hier in Rede stehenden Ladengrundstücke eine "signifikante", durch ihren Betrieb verursachte Bodenbelastung aufwiesen. Dies wird das FG für jeden streitigen Stichtag und für jedes einzelne in Betracht kommende Grundstück getrennt untersuchen müssen. Dabei werden sich von der Klägerin bis zu den maßgeblichen Zeitpunkten in Bezug auf einzelne Grundstücke aufgrund dort vorgenommener detaillierter Messungen gewonnene Erkenntnisse über "signifikante" Belastungen nur mit Vorbedacht auf andere, noch nicht näher untersuchte Grundstücke übertragen lassen.
Soweit danach bei den einzelnen Grundstücken an den jeweiligen Stichtagen aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit von einer rechtserheblichen Kontamination ausgegangen werden konnte, scheidet die Bildung einer Rückstellung von vorneherein aus. Anderenfalls wird das FG weiter zu prüfen haben, welche ―mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegenden― Rechtsansprüche der Grundstückseigentümer sich aus den "signifikanten" Kontaminierungen herleiten ließen.
Insoweit hat das FG bislang lediglich vertragliche Ansprüche, insbesondere solche aus schuldhafter Vertragsverletzung ("pVV") geprüft und diese verneint. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht gerügt. Für eine schuldhafte Vertragsverletzung durch die Klägerin fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten. Von einer schuldhaften Vertragsverletzung durch die Klägerin kann in Bezug auf die hier allein zu beurteilenden, im Eigentum der Gesellschafter-GbR stehenden Ladengrundstücke umso weniger die Rede sein, als im Hinblick auf die bei der Klägerin und bei der Grundstücks-GbR bestehende Gesellschafteridentität davon ausgegangen werden muss, dass die Grundstücks-GbR in die Verwendung der potentiell gefährlichen Stoffe auf ihren Grundstücken eingewilligt hatte.
Mangels Verschuldens entfallen auch die vom FG nicht (ausdrücklich) geprüften deliktischen Ansprüche (z.B. aus § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB).
Nicht auszuschließen ist es aber, dass die Klägerin Ansprüchen der Grundstücks-GbR auf Beseitigung der Kontaminationen aus der verschuldensunabhängigen Anspruchsgrundlage des § 1004 Abs. 1 BGB ausgesetzt gewesen sein könnte. Solche Ansprüche hat das FG bislang nicht geprüft. Dies wird ggf. nachzuholen sein. Insoweit verweist der Senat auf die von der Zivilrechtsprechung entwickelten Grundsätze (vgl. insbesondere Urteil des Bundesgerichtshofs vom 1. Dezember 1995 V ZR 9/94, Neue Juristische Wochenschrift 1996, 845). Ergänzend ist zu bemerken, dass der Umstand, dass die Grundstücks-GbR die Benutzung der sich später als kontaminierend erweisenden CKW-haltigen Chemikalien kannte und billigte, nicht zwingend dazu führen musste, dass die GbR i.S. von § 1004 Abs. 2 BGB zur Duldung der eingetretenen Grundstücksbeeinträchtigungen verpflichtet war und damit deren Rechtswidrigkeit entfiel. Gleichwohl wird das FG bei der Beantwortung der Frage, ob die GbR zur Duldung der in Rede stehenden Grundstücksbeeinträchtigungen verpflichtet war, auch das zwischen der GbR und der Klägerin bestehende Rechtsverhältnis (Nießbrauch) einschließlich der in diesem Zusammenhang getroffenen besonderen Vereinbarungen der Vertragspartner zu untersuchen haben.
Schließlich wird das FG ggf. prüfen müssen, ob und inwieweit der Bildung von Rückstellungen wegen zivilrechtlicher Beseitigungspflichten gegenüber der GbR Ersatzansprüche gegen den Versicherer entgegenstanden. Solche Ersatzansprüche gegen den Versicherer wären dann rückstellungsmindernd zu berücksichtigen, wenn ihr Be- oder Entstehen bereits an den jeweiligen Bilanzstichtagen mit (überwiegender) Wahrscheinlichkeit zu erwarten war.
Fundstellen
Haufe-Index 682572 |
BFH/NV 2002, 486 |
DStRE 2002, 541 |