Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Der Steuerpflichtige hat im Sinne des § 32 Abs. 2 Ziff. 2a zu aa) EStG 1958 "im wesentlichen" die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung getragen, wenn er sie zu etwa 75 v. H. mindestens während eines Zeitraums von vier Monaten im Kalenderjahr getragen hat. Die Verwaltungsanweisung in Abschn. 179 Abs. 5 Satz 1 EStR 1958 enthält insoweit eine zutreffende Auslegung des Gesetzes.
Zum Begriff "Kosten" in § 32 Abs. 2 Ziff. 2a zu aa) EStG 1958. Auch insoweit enthält die Verwaltungsanweisung in Abschn. 179 Abs. 3 eine zutreffende Auslegung des Gesetzes.
Inwieweit sind bei der Prüfung, ob der Steuerpflichtige im wesentlichen die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung eines Kindes getragen hat, eigene Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen?
GG Art. 6 Abs. 1; EStG 1958 § 32 Abs. 2 Ziff. 2 Buchst. a zu aa); EStG 1961 § 32 Abs. 2 Ziff. 2
Normenkette
EStG § 32/2/2/a/aa
Tatbestand
Die Bfin. ist die Witwe eines im Kriege gefallenen Reichsrichters. Sie bezog im Streitjahr 1959 ein Witwengeld von brutto 10.877 DM und als Sprechstunden-Assistentin ein Gehalt von 5.100 DM. Der ältere, im Jahre 1931 geborene Sohn hatte sein Hochschulstudium im Streitjahr bereits abgeschlossen. Der jüngere, im Jahre 1937 geborene Sohn studierte Rechtswissenschaft. Die Bfin. beantragte für diesen Sohn einen Kinderfreibetrag gemäß § 32 Abs. 2 Ziff. 2 Buchst. a zu aa) EStG 1958, weil sie im Jahre 1959 die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung dieses Sohnes im wesentlichen getragen habe. Das Finanzamt versagte den Kinderfreibetrag.
Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Es führte aus, der Sohn habe im Jahre 1959 eigene Einkünfte von brutto 3.353 DM = rd. 280 DM monatlich gehabt. Setze man davon pauschal Werbungskosten von 47 DM monatlich ab, so ergäben sich monatliche Einkünfte von rund 233 DM. Mit diesen Einkünften habe der Sohn erheblich mehr als 25 v. H. der Kosten seines Unterhalts und seiner Berufsausbildung bestreiten können. Man könne wohl sogar annehmen, daß er, da er am Wohnort der Mutter studiere, die Kosten überwiegend selbst getragen habe. Die Bfin. gebe die monatlichen Ausbildungs- und Unterhaltskosten für den von ihr gewählten Zeitraum vom 1. Juni 1959 bis 30. September 1959 mit monatlich 866 DM an. Dieser Betrag sei aber überhöht. Es könnten nur die üblichen Ausbildungskosten berücksichtigt werden.
Entscheidungsgründe
Die Rb., mit der die Bfin. unrichtige Anwendung von § 32 Abs. 2 Ziff. 2 Buchst. a zu aa) EStG 1958 rügt, führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Der Senat hat zur Anrechnung eigener Einkünfte eines Kindes in der Entscheidung VI 277/61 U vom 13. Juli 1962 (BStBl 1962 III S. 417) ausgeführt, daß es genüge, wenn der Steuerpflichtige die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung für ein Kind im wesentlichen mindestens vier Monate im Kalenderjahr bestritten habe. In dem maßgeblichen Zeitraum von vier Monaten sind nur solche eigenen Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen, die dem Kind während dieser Zeit zugeflossen sind. Es ist nach der Rechtsprechung des Senats nicht zulässig, die eigenen Einkünfte eines Kindes für das ganze Kalenderjahr zu ermitteln und daraus einen monatlichen Durchschnittsbetrag zu berechnen.
Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, muß deshalb aufgehoben werden. Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzgericht zurückverwiesen, das bei der erneuten Entscheidung für die Auslegung der streitigen Vorschrift von den folgenden Grundsätzen auszugehen hat:
Die Bundesregierung hat in Abschnitt 179 Abs. 5 Satz 1 EStR 1958 den in § 32 Abs. 2 Ziff. 2 Buchst. a zu aa) EStG 1958 verwandten Begriff "im wesentlichen" dahin ausgelegt, daß der Steuerpflichtige die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung des Kindes während einer Zeit von vier Monaten im Kalenderjahr zu etwa 75 v. H. getragen haben müsse. Der Begriff "im wesentlichen" ist mehrdeutig. Einige Finanzgerichte haben ihn so ausgelegt, daß der Steuerpflichtige mehr als 60 v. H. der Kosten getragen haben müsse (vgl. z. B. Urteil des Finanzgerichts Schleswig-Holstein in "Entscheidungen der Finanzgerichte" - EFG - 1960 S. 468; Urteil des Finanzgerichts Stuttgart in EFG 1961 S. 61). Der Senat tritt aber der Rechtsauslegung der Bundesregierung bei, mit der offenbar den Ausführungen im Urteil des Bundesfinanzhofs IV 503/52 U vom 25. Juni 1953 (BStBl 1953 III S. 281, Slg. Bd. 57 S. 737) Rechnung getragen werden sollte. Für diese Auslegung spricht auch, daß der Gesetzgeber die Voraussetzungen der Vorschrift dadurch mildern wollte, daß er durch Art. 1 Ziff. 8 Buchst. a des Ersten Abschnitts des Steueränderungsgesetzes (StändG) 1961 vom 13. Juli 1961 (BGBl 1961 I S. 981, BStBl 1961 I S. 444) das Wort "im wesentlichen" durch "überwiegend" ersetzte. Darin kann man nicht etwa eine authentische Interpretation des früheren Begriffs "im wesentlichen" sehen. Denn wie sich aus Art. 3 Abs. 3 StändG 1951 (ß 52 Abs. 4 EStG 1951) ergibt, soll die mildere Gesetzesfassung erst ab dem Veranlagungszeitraum 1962 angewendet werden. Allerdings fügt die Bundesregierung dem in den EStR festgelegten Satz von 75 v. H. mit Recht den Zusatz "etwa" hinzu, um anzudeuten, daß der Satz in erster Linie nur ein Anhalt sei. Eine kleinliche Rechnerei würde dem Willen des Steuergesetzgebers, der auch entsprechend dem Grundrecht des Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes die Familie zu fördern hat, nicht gerecht.
Zu den Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung eines Kindes zählt die Bundesregierung in Abschn. 179 Abs. 3 EStR 1958 die Kosten für
Nahrung, Kleidung und Wohnung einschließlich Heizung und Beleuchtung,
Pflege, ärztliche Behandlung und sonstige Gesundheitszwecke,
Schulgelder, Studiengelder, Bücher, Lehrmaterial, Fahrten zwischen Wohnung und Schule (Ausbildungsstätte),
übliche Geschenke, Taschengeld usw. Damit ist auch der Begriff "Kosten" im Sinne des § 32 Abs. 2 Ziff. 2 Buchst. a zu aa) EStG 1958 rechtlich zutreffend bestimmt. Mit Recht weist aber die Bundesregierung in Abschn. 179 Abs. 4 EStR 1958 darauf hin, daß sich allgemeine Richtlinien für die Höhe der Kosten nicht aufstellen ließen, sondern daß die Kosten in den verschiedenen Fällen verschieden seien und vor allem von den Bedürfnissen des Kindes und von der Lebensstellung der Eltern, besonders von deren Einkommen und Vermögen, abhingen. Es ist zweifelhaft, ob das Finanzgericht dem Rechnung getragen hat, wenn es nur die "üblichen Kosten" berücksichtigen will, ohne zu sagen, wie es die "üblichkeit" bestimmt. Allgemein ist jedenfalls darauf hinzuweisen, daß auch bei der Auslegung des Begriffs "Kosten" im Sinne der Vorschrift aus dem Gedanken der Familienförderung heraus eine kleinliche Nachprüfung zu vermeiden ist. Vor allem ist es nicht angebracht, von den Eltern nachträglich Einzelnachweise über ihre Aufwendungen zu verlangen. Die von den Steuerpflichtigen geltend gemachten Aufwendungen sind in der Regel vielmehr im Rahmen der allgemeinen Lebenserfahrung mit geschätzten Beträgen anzusetzen. Nur wenn ein Steuerpflichtiger ganz aus dem Rahmen fallende Aufwendungen gemacht zu haben behauptet, sind an den Nachweis strengere Anforderungen zu stellen.
In Abschn. 179 Abs. 5 Satz 4 ff. EStR 1958 hat die Bundesregierung ferner einige Anweisungen über die Behandlung eigener Einkünfte des Kindes gegeben. Insbesondere ist klargestellt, daß als "Einkünfte" die Einnahmen nach Abzug der Werbungskosten anzusetzen sind, und daß eine Prüfung des einzelnen Falles nur angebracht ist, wenn die eigenen Einkünfte des Kindes während der maßgeblichen vier Monate des Kalenderjahrs mehr als 75 DM betragen haben. Auch diese Verwaltungsanweisung hält sich im Rahmen des Gesetzes. Sie ist aber von der Bundesregierung ausdrücklich als eine elastische und dem Einzelfall anzupassende Richtlinie bezeichnet worden, die nicht etwa dahin verstanden werden darf, daß bei eigenen Einkünften des Kindes von mehr als 75 DM monatlich, gleichviel ob das Kind nun z. B. kaufmännischer Lehrling oder Universitätsstudent ist, der Kinderfreibetrag zu versagen ist.
Bei der Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall hat das Finanzgericht das Folgende in Betracht zu ziehen:
Die Bfin. behauptet, daß sie in den vier Monaten Juni bis September 1959 im wesentlichen die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung für ihren Sohn getragen habe. Trifft diese Behauptung zu, so steht ihr der Kinderfreibetrag zu, ohne daß das Finanzgericht auf die übrigen acht Monate des Kalenderjahrs einzugehen braucht. Denn das Vermögen oder die eigenen Einkünfte des Sohnes haben im Jahre 1959 offensichtlich nicht eine solche Höhe gehabt, daß möglicherweise deswegen die Versagung eines Kinderfreibetrags überhaupt in Erwägung gezogen werden müßte (Urteile des Senats VI 118/61 U vom 13. Oktober 1961, BStBl 1962 III S. 48, Slg. Bd. 74 S. 124; VI 277/61 U, a. a. O.).
Die Bfin. behauptet, die folgenden Aufwendungen für den Sohn gemacht zu haben:
Beköstigung monatlich -------------------------- 150 DM Kleidung und Reinigung monatlich --------------- 120 DM Anteilige Wohnungsmiete, Strom, Gas, Tele= fon und Aufwartung monatlich ---------- 176 DM Medikamente, Arztkosten, Brillen monatlich ------ 35 DM Studiengelder und Studienreisen monatlich ------ 154 DM Lehrbücher, Fahrgelder, Schreibmaterial mo= natlich -------------------------------- 39 DM Ausgaben für kulturelle Zwecke, Geschenke usw. monatlich ----------------------------------- 138 DM Reisen nach Rotterdam und Hamburg -------------- 52 DM Besonderer Prüfung bedürfen wohl die in der Aufstellung enthaltenen Kosten für Reisen des Sohnes in die USA, die einmal anscheinend nicht in den von der Bfin. benannten Viermonatszeitraum gefallen sind und auch wohl nicht der "Berufsausbildung" gedient, sondern mit der Nebentätigkeit des Sohnes für eine amerikanische Dienststelle in Zusammenhang gestanden haben. Auch sonst muß die Bfin. ihre Ansätze, die zum Teil der Höhe nach aus dem Rahmen fallen, vor allem die Beträge für anteilige Wohnungsmiete sowie für kulturelle Zwecke usw. näher substantiieren. Das Finanzgericht kann prüfen, ob es die Kosten für die Wohnung nicht mit dem Wert eines möblierten Zimmers in einer gleichartigen Wohnung schätzungsweise ansetzen will. Auch die eigenen Einkünfte des Sohnes während des von der Bfin. bezeichneten Viermonatszeitraums bedürfen noch der Prüfung. Der Sohn hat als Sohn eines verstorbenen Beamten eine Waisenrente bezogen, die als seine eigene Einkunft gilt. Das Waisengeld hat in den maßgebenden vier Monaten etwa 170 DM monatlich betragen; davon sind die Werbungskosten mit mindestens pauschal 47 DM monatlich abzusetzen. Ferner hat der Sohn im Jahre 1959 an Lohn von einer amerikanischen Dienststelle 1.195 DM bezogen. Das Finanzgericht muß prüfen, welche Teile dieses Lohns in den von der Bfin. bezeichneten Viermonatszeitraum fallen und welche Werbungskosten den Einnahmen gegenüberstehen, insbesondere ob die Kosten für die Reise in die USA und für die Gestellung eines Vertreters als Werbungskosten abgezogen werden können.
Auf diesen Grundlagen hat das Finanzgericht den Sachverhalt festzustellen und dann in vollem Umfang erneut zu beurteilen, ob die Bfin. in einem Viermonatszeitraum des Jahres 1959 im wesentlichen die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung ihres Sohnes getragen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 410697 |
BStBl III 1963, 136 |
BFHE 1963, 369 |
BFHE 76, 369 |