Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Ist gemäß §§ 210 b, 211 und 212 a AO ein schriftlicher Steuerbescheid oder Steuermeßbescheid zu erteilen, so ist für die Rechtswirksamkeit des Steuerbescheids nicht erforderlich, daß ein zuständiger Beamter den Steuerbescheid unterzeichnet oder beglaubigt. Es genügt, wenn der Steuerbescheid einwandfrei erkennen läßt, daß er vom Finanzamt erlassen ist.
Normenkette
AO §§ 210b, 211, 212a
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.), eine OHG, ist als Versicherungsmakler tätig. Sie hat Renten, die sie an zwei Witwen früherer Gesellschafter gezahlt hat, als Betriebsausgaben abgesetzt, und zwar für II/1948 1.635 DM und für 1949 3.879 DM. Das Finanzamt rechnete unter Berufung auf § 8 Ziff. 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) diese Beträge zur Ermittlung des Gewerbeertrags dem Gewinn wieder zu. Die Bfin. hält die Zurechnung für unzulässig. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Es führte aus: Die früheren Gesellschafter, an deren Witwen die streitigen Beträge gezahlt wurden, seien in den Jahren 1928 bzw. 1942 verstorben. Die Renten seien auf Grund betrieblicher Vereinbarungen gezahlt worden, die die damaligen Gesellschafter untereinander getroffen hätten und die die jetzigen Gesellschafter bei Eintritt in die Gesellschaft nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrags pro rata hätten übernehmen müssen. Die Zurechnung der Renten entspreche dem Urteil des Reichsfinanzhofs VI 140/39 vom 7. Februar 1940 (Reichssteuerblatt - RStBl - S. 461) und sei bei dem Wesen der Gewerbesteuer als Realsteuer auch gerechtfertigt.
Mit der Rechtsbeschwerde rügt die Bfin. einen Verfahrensmangel und unrichtige Anwendung des § 8 Ziff. 2 GewStG. Den Verfahrensmangel erblickt sie darin, daß der Gewerbesteuer-Meßbescheid, der dem Rechtsmittelverfahren zugrunde liegt, nur die eingedruckte Bezeichnung "Finanzamt", nicht aber eine Unterschrift, ein Dienstsiegel oder das Zeichen eines verantwortlichen Beamten trage. § 210 b der Reichsabgabenordnung (AO) sehe für Steuerbescheide Schriftform vor. Dieser Vorschrift sei nicht genügt, wenn nur ein Vordruck benutzt werde, aus dem nicht ersichtlich sei, ob ein verantwortlicher Beamter ihn decke. Wenn auch die frühere Rechtsprechung dieses Verfahren gebilligt haben möge, so entspreche es jedenfalls nicht mehr den heutigen rechtsstaatlichen Grundsätzen. Das Oberverwaltungsgericht Münster habe in einem Urteil ("Industrie-Kurier" vom 12. März 1955) eine Berufung als unzulässig verworfen, weil die Berufungsschrift nur mit "Stadtverwaltung ... Rechtsamt" unterzeichnet gewesen sei. Auch im Besteuerungsverfahren müßten, wie in anderen Verwaltungsverfahren, Bescheide grundsätzlich beglaubigt werden. Die Praxis der Finanzverwaltung verletze den Grundsatz der Gleichordnung der Parteien. Denn Erklärungen eines Steuerpflichtigen oder dessen Vertreters, die nur mit eingedruckten oder gestempeltem Namen versehen seien, würden nicht als rechtswirksam anerkannt. Der Formmangel des Steuermeßbescheids führe zur Nichtigkeit, so daß das ganze Verfahren in der Luft hänge.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
Während Verfügungen der Finanzbehörden im allgemeinen nicht formgebunden sind und einem Anwesenden auch mündlich bekannt gegeben werden können (ß 91 AO), müssen Steuerbescheide, die die Steuern vom Einkommen, vom Ertrag, vom Vermögen und vom Umsatz betreffen, bestimmten Formansprüchen genügen (§§ 210 b, 211 AO). Das gilt auch für Steuermeßbescheide (ß 212 a AO). Nicht alle Steuerbescheide sind formgebunden; denn in den Fällen des § 212 AO gilt als Steuerbescheid jede Willenskundgebung des Finanzamts, mit der ein bestimmter Betrag erstmalig als Steuer beansprucht wird. über Inhalt und Form förmlicher Steuerbescheide im Sinne des § 210 b AO enthält die AO nur wenige Bestimmungen. So ist in § 211 AO zwingend vorgeschrieben, daß die Steuerbescheide die Höhe der Steuer enthalten müssen und verschlossen zuzustellen sind. Sie sollen ferner enthalten eine Rechtsmittelbelehrung, die maßgebenden Besteuerungsgrundlagen, eine Anweisung, wo, wann und wie die Steuer zu entrichten ist sowie die Punkte, in denen das Finanzamt von der Steuererklärung abgewichen ist. In anderen Punkten sind die Verwaltungsbehörden in der Ausgestaltung der Steuerbescheide gesetzlich nicht gebunden.
Die weiteren Anordnungen über Form und Inhalt der Steuerbescheide sind in der Buchungsordnung für die Finanzämter vom 15. Dezember 1932 enthalten, die vom früheren Reichsfinanzministerium als Vollzugsbestimmung für die Finanzämter auf Grund von § 102 der Reichskassenordnung erlassen worden ist (vgl. Froschauer, Buchungsordnung der Finanzverwaltung S. 3). Sie enthält Vorschriften über das Verfahren und die Buchführung bei der Festsetzung und Erhebung der von den Finanzämtern verwalteten Steuern sowie der Strafen und Kosten, die im Ermittlungs-, Rechtsmittel- und Steuerstrafverfahren zu erheben sind. Weitere Bestimmungen enthält auch die "Geschäftsordnung für die Finanzämter" die den Geschäftsgang bei den Finanzämtern im Anschluß an das Gesetz über die Finanzverwaltung vom 6. September 1950 (Bundesgesetzblatt - BGBl - S. 448) regelt. Diese Vorschriften sind nicht Rechtsnormen, sondern Verwaltungsanweisungen, nach denen die Verwaltungsbehörden verfahren können, solange die Anweisungen mit dem objektiven Recht nicht in Widerspruch stehen.
In § 18 Abs. 2 Sätze 2 und 3 der Buchungsordnung für die Finanzämter ist vorgesehen, daß Steuerbescheide mit dem Abdruck des Dienststempels des Finanzamts oder mit dem Namen des Vorstehers des Finanzamts oder des zuständigen Sachbearbeiters unterdrückt oder unterstempelt werden können, sofern sie nicht vom Vorsteher des Finanzamts oder vom zuständigen Sachbearbeiter unterschriftlich vollzogen werden. Unter den Bescheid hat der Bezirksbearbeiter sein Namenszeichen zu setzen und dadurch zu bestätigen, daß der Inhalt des Steuerbescheids mit dem des Berechnungsbogens übereinstimmt. Entsprechend sieht § 16 Abs. 7 der Geschäftsordnung für die Finanzämter vor, daß es u. a. für Steuerbescheide zulässig ist, das Dienstsiegel auf den Vordruck zu drucken. Seit Jahrzehnten werden die meisten Steuerbescheide nur mit dem eingedruckten Dienststempel des Finanzamts versehen.
Dieses Verfahren widerspricht, wie oben ausgeführt, nicht den Vorschriften der AO. Es widerstreitet auch nicht allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Nach § 126 BGB ist zwar, wenn Schriftform vorgeschrieben ist, die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift zu unterzeichnen. Aus dieser Vorschrift kann aber nicht etwa ein allgemeiner Rechtsgrundsatz abgeleitet werden, der auch für das Besteuerungsverfahren gilt. Die Schriftform für Steuerbescheide ist im Gesetz vorgeschrieben worden, damit bei den wichtigsten Steuern eine eindeutige Grundlage für die Steueransprüche geschaffen wird. Zur Erreichung dieses Zwecks ist aber die Unterschrift oder die Beglaubigung eines verantwortlichen Beamten auf dem Steuerbescheid selbst nicht erforderlich. Entscheidend ist vielmehr, daß dem Steuerbescheid eine ordnungsmäßig zustande gekommene Steuerfestsetzung in den Steuerakten zugrunde liegt (vgl. Becker, 7. Aufl., Bem. 1 a zu § 211 AO). Die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs hat deshalb auch angenommen, daß die im Gesetz vorgeschriebene Schriftlichkeit nicht die unterschriftliche Vollziehung oder die Beglaubigung erfordere, sondern daß es darauf ankomme, ob der Steuerbescheid sich äußerlich als Kundgebung des Finanzamts darstelle. (Vgl. die Urteile des Reichsfinanzhofs VI a A 12/22 vom 31. Januar 1923, Steuer und Wirtschaft Nr. 372, Spalte 387; V A 216/25 vom 16. Oktober 1925, Steuer und Wirtschaft 1926 Nr. 1 Spalte 123 sowie das Urteil des Reichsgerichts III D 679/26 vom 28. Oktober 1926, Steuer und Wirtschaft 1926 Nr. 547 Spalte 1939.)
Der Senat verbleibt bei dieser Auffassung. Die bisherige Praxis bedeutet für die Verwaltungsbehörden eine erhebliche Vereinfachung und hat sich bewährt. Müßten alle Steuerbescheide unterschrieben oder beglaubigt werden, so würde das zu einer Komplizierung des Besteuerungsverfahrens führen, ohne daß auf der anderen Seite berechtigte Belange der Steuerpflichtigen gefördert würden. Der Formalismus würde Selbstzweck. Unter diesen Umständen kann nicht zugegeben werden, daß die bisherige übung rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspricht.
Zutreffend ist, daß auch im Besteuerungsverfahren zuweilen Erklärungen unterschriftlich vollzogen werden müssen. So sind z. B. Steuererklärungen von den Steuerpflichtigen handschriftlich zu unterschreiben (vgl. z. B. § 166 Abs. 1 Satz 2 AO in Verbindung mit § 42 Abs. 1 der Einkommensteuer - Durchführungsverordnung - EStDV - 1953). Hier wird mit der verlangten Unterschrift offenbar der Zweck verfolgt, dem Steuerpflichtigen eindringlich die Bedeutung einer Steuererklärung und die möglichen Folgen bei falschen Erklärungen vor Augen zu stellen. Es besteht aber kein allgemeiner Grundsatz, daß nicht unterschriebene Erklärungen unwirksam sind. Der Reichsfinanzhof hat z. B. im Urteil III A 363/30 vom 30. Mai 1930 (Steuer und Wirtschaft Nr. 1045) in dem Bestreben, das Besteuerungsverfahren von sachlich nicht erforderlichem Formalismus freizuhalten, entschieden, daß eine nicht unterschriebene Rechtsmittelschrift wirksam sei, sofern sich aus anderen Umständen, z. B. aus der Angabe der Steuernummer, zweifelsfrei ergebe, daß der Steuerpflichtige oder sein Bevollmächtigter das Rechtsmittel eingelegt habe. Auf das von der Bfin. angezogene Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster geht der Senat nicht ein, da der genaue Tatbestand nicht bekannt und das Urteil wahrscheinlich nicht zur AO ergangen ist.
Die sachlich - rechtliche Rüge ist ebenfalls nicht begründet. Die Rechtsauslegung des Finanzgerichts entspricht den Rechtsgrundsätzen des Urteils des Reichsfinanzhofs VI 140/39 vom 7. Februar 1940 (RStBl S. 461), an denen der Senat festhält.
Fundstellen
Haufe-Index 408413 |
BStBl III 1956, 97 |
BFHE 1956, 263 |
BFHE 62, 263 |