Leitsatz (amtlich)
1. Hat der einen Billigkeitserlaß beantragende Steuerpflichtige im Vertrauen auf die Richtigkeit ihm erteilter Auskünfte gegen eine unrichtige Zollbehandlung nicht rechtzeitig einen Rechtsbehelf eingelegt, so kann ihm nicht entgegengehalten werden, daß er die Unrichtigkeit mit einem Rechtsbehelf hätte geltend machen müssen.
2. Wird nach der Abwicklung eines bewilligten Umwandlungsverkehrs die Abfertigung der umgewandelten Teile beantragt, so ist der Normalpreis auf der Handels- bzw. Bearbeitungsstufe des Zollbeteiligten so festzustellen, als ob die umgewandelten Teile unmittelbar von dem Umwandlungsbetrieb eingeführt worden wären. Der Zollbeteiligte hat nicht die Wahl, die Zollwertangaben in der Zollanmeldung selbst oder im Auftrag des Vorerwerbers zu machen noch den Zollwert nach dem Rechnungspreis oder nach dem Normalpreis feststellen zu lassen.
Normenkette
RAO §§ 94, 131; ZWVO Art. 1 Abs. 1, 2 Buchst. b, Art. 5; EWGV 1581/74 Art. 1 Buchst. a; ZG § 31 Abs. 3 a. F, § 35 Abs. 1, § 54 Abs. 1; AZO § 21 Abs. 3; WertZO § 4 Abs. 1-2, 4
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) – über das Vermögen des Inhabers der Klägerin ist der Konkurs eröffnet, der Konkursverwalter hat die streitigen Ansprüche aus der Konkursmasse entlassen – ließ ab Dezember 1968 bis 1970 Rindergefrierfleisch (Hinterviertel) bei den Zollämtern (ZÄ) A und B zu dem ihr bewilligten Umwandlungsverkehr mit Fleisch von Hausrindern zum Auftauen, Entbeinen und Zerlegen abfertigen. Nach Abwicklung des Umwandlungsverkehrs ließ sie das gewonnene knochenlose Fleisch zur bleibenden Abschöpfungsgutverwendung, die Filets und angefallenen Nebenprodukte zum freien Verkehr abfertigen, wobei sie die Zollwertanmeldung im eigenen Namen abgab. Da die umgewandelte Ware nicht Gegenstand eines Kaufgeschäfts war, schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt – HZA –) die Zollwerte in der Weise, daß es den Rechnungspreisen ihrer inländischen Lieferfirmen (Importeure) und Umwandlungskosten hinzurechnete. Auf die Einsprüche der Klägerin hin berichtigte die Verwaltung die ergangenen nicht bestandskräftigen Bescheide im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens, indem sie die von der Klägerin abgegebenen Zollwertanmeldungen aufgrund des von ihr eingelegten Einspruchs als im Namen der Importeure abgegeben behandelte und deren Einkaufspreise der Zollwertbemessung zugrunde legte.
Soweit die Bescheide unanfechtbar waren, begehrte die Klägerin die Erstattung von 84 271,12 DM aus Billigkeitsgründen. Mit der Beschwerde gegen den ablehnenden Bescheid des HZA begehrte die Klägerin die Erstattung von nur noch 59 594,04 DM. Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beschwerde als unbegründet zurück, weil grundsätzlich die Rechtmäßigkeit von Steuerbescheiden im Billigkeitsverfahren nicht nachgeprüft werde und eine Ausnahme in diesem Fall nicht geboten sei. Die Steuerfestsetzung sei nicht eindeutig fehlerhaft gewesen. Welcher Rechnungspreis der Zollwertbemessung zugrunde zu legen sei, hänge vom tatsächlichen Verhalten des Zollbeteiligten und eines etwa vorhandenen Vorerwerbers ab. Die Klägerin habe aus den ihr bekannten Unterlagen, nämlich den Anmeldungen zum Umwandlungsverkehr, erkennen können, daß auch der jeweilige Importeur seine Einkaufspreise als Zollwertanmelder anmelden könne. Bediene sie sich eines unkundigen Beraters, so habe sie diesen Umstand zu vertreten. Auch wenn die von ihr befragten Beamten einen Vertrauenstatbestand geschaffen hätten, fehle es „an behördlichen Maßnahmen, die sich dazu in einem unerträglichen Widerspruch befänden”. Eine Erstattung komme auch deshalb nicht in Betracht, weil davon auszugehen sei, daß die Klägerin die erhobenen Abgaben über ihre Verkaufspreise auf die Abnehmer abgewälzt habe.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Das FG führte aus, es sei davon auszugehen, daß es Sache des Steuerpflichtigen sei, sich über die für ihn bestehenden Möglichkeiten zu unterrichten, ggf. durch Anfrage bei der jeweiligen Behörde. Ob es bei der Schätzung der Zollwerte darauf ankomme, ob die Klägerin oder die Importeure als Zollwertanmelder aufträten, sei rechtlich zweifelhaft; denn § 21 Abs. 3 Satz 1 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) setze ein Kaufgeschäft voraus, woran es bei den umgewandelten Waren fehle. Es könne deshalb keine Rede davon sein, daß die Beamten dem Inhaber der Klägerin eine klar zutage tretende Antragsmöglichkeit verschwiegen hätten.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, daß sie über die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen im Zollrecht nicht verfügt habe, wie sich aus der Aussage des Zeugen S ergebe; dasselbe gelte für ihren damaligen Steuerbevollmächtigten.
Kein Beamter des ZA habe sie auf die von ihm für gegeben erachtete Möglichkeit aufmerksam gemacht, daß die Importeure die Angaben über den Zollwert machen könnten. Das FG habe die Grenzen der Hinweispflicht der Verwaltung zu eng gezogen und auf die Fälle beschränkt, in denen ein Antrag sozusagen in der Luft liege. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Hessischen FG bestehe eine weitgehende Hinweis-, Belehrungs- und Aufklärungspflicht vor allem dann, wenn der Steuerpflichtige auf dem betreffenden Gebiet erkennbar unerfahren und über für ihn günstige Möglichkeiten offensichtlich nicht im Bilde sei.
Das FG habe die Rechtsfrage, ob § 21 Abs. 3 AZO anwendbar sei, nicht offenlassen, jedenfalls aber nicht bei der Würdigung des Verhaltens der die Anwendbarkeit bejahenden Beamten berücksichtigen dürfen. § 21 Abs. 3 AZO sei nicht auf die Rechnungspreisverzollung beschränkt, sondern gestatte allgemein einem anderen im Zollgebiet ansässigen Käufer, anstelle des Zollbeteiligten Angaben über den Zollwert zu machen. Darüber hinaus solle die Möglichkeit der beiden hintereinander geschalteten besonderen Zollverkehre deren Inhaber begünstigen. § 21 Abs. 3 AZO lasse sich aus wirtschaftlicher Betrachtungsweise entsprechend auf die umgewandelte Ware anwenden. Denn die Importeure hätten bei der Abfertigung der von ihnen bezogenen Hinterviertel zum Umwandlungsverkehr mitgewirkt, wobei zwischen den Hintervierteln und der umgewandelten Ware durch deren völlige Umwandlung Identität bestehe.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG.
Das FG hat lediglich geprüft, ob die Entscheidung der OFD im Hinblick auf § 131 AO ermessensfehlerfrei war. Auch das HZA und die OFD hatten ihre Entscheidungen nur unter dem Gesichtswinkel des § 131 AO getroffen, wobei sich die OFD allerdings auf die zu § 94 Abs. 1 Satz 1 AO entwickelte Rechtsprechung, die auch für das Verfahren nach § 131 AO gelte, bezogen hatte, daß nämlich die Ablehnung der Berichtigung eines bestandskräftigen Abgabenbescheids in der Regel dann nicht ermessensfehlerhaft sei, wenn der Steuerpflichtige die Berichtigung aus Gründen verlange, die er in dem dafür vorgesehenen Rechtsbehelfsverfahren hätte vorbringen können. Die gleichliegenden, noch nicht bestandskräftigen Abgabenbescheide hatte das HZA entsprechend dem Begehren der Klägerin nach § 94 Abs. 1 Satz 1 AO berichtigt, indem es den Einspruch der Klägerin als Erklärung der Umstellung der im eigenen Namen abgegebenen Zollwertanmeldung auf den Namen der Importeure behandelte. Es hätte daher nahegelegen, auch die vorliegenden Fälle nach § 94 Abs. 1 Satz 1 AO zu beurteilen. Dafür sprach schon der Zweck dieser Vorschrift, einen der materiellen Rechtslage nicht entsprechenden Bescheid zu berichtigen, auch wenn er schon bestandskräftig ist, während mit einem Billigkeitsantrag der Erlaß oder die Erstattung von Abgaben eines an sich richtigen Abgabenbescheids aus Billigkeitsgründen begehrt wird. Deshalb hat der erkennende Senat im Urteil vom 4. Juli 1972 VII R 103/69 (BFHE 106, 268, BStBl II 1972, 806) die Zollbehörde für verpflichtet gehalten, Anträge auf Erstattung der Abgaben aus Gründen, die eine Berichtigung nach § 94 Abs. 1 Satz 1 AO rechtfertigen könnten, zu prüfen, auch wenn der Antrag auf Erstattung der Abgaben aus Billigkeitsgründen lautet.
Bei einer Prüfung nach § 94 Abs. 1 Satz 1 AO hätte das HZA insbesondere prüfen müssen, ob nicht eine Ausnahme von der erwähnten Rechtsprechung des BFH im Sinne der Urteile vom 15. Oktober 1968 VII 40/65 (BFHE 94, 41), vom 3. Dezember 1968 VII R 36/66 (BFHE 94, 312) und vom 6. Juli 1976 VII R 98/73 (BFHE 120, 2) vorlag und deshalb die etwa gleichzeitig für die nicht bestandskräftigen und für die bestandskräftigen Bescheide begehrte Erstattung der Abgaben in einem Zug hätte gewährt werden können. Jedenfalls lag in der unterlassenen Prüfung bereits eine Ermessensverletzung des HZA, die das FG nicht bemerkt hatte. Das FG kann zwar nicht an Stelle der Verwaltungsbehörde die sowohl nach § 94 AO als auch nach § 131 AO zu treffende Ermessensentscheidung selbst treffen, es sei denn, es ist nur eine einzige Entscheidung möglich. Es hätte aber zunächst prüfen müssen, ob die betreffenden Bescheide der materiellen Rechtslage entsprachen. Nur wenn das der Fall war, wäre eine Entscheidung nach § 131 AO in Betracht gekommen. Eine solche Prüfung hat das FG jedoch unterlassen, so daß auch dem erkennenden Senat eine Nachprüfung mangels der hierzu erforderlichen Feststellungen nicht möglich ist. Die Vorentscheidung war daher schon aus diesem Grund aufzuheben.
Die materielle Rechtslage ist wie folgt zu beurteilen: Für die umgewandelten Teile, für die bei der Abfertigung zum freien Verkehr und zur Abschöpfungsgutverwendung ein Zoll zu erheben war, mußte der Zollwert so ermittelt werden, als ob sie unmittelbar von der Klägerin eingeführt worden wäre (s. Bail-Schädel-Hutter, Zollgesetz vom 14. Juni 1961, Kommentar, § 54 Anm. 3; Schwarz-Wockenfoth-Rahn, Zollgesetz vom 14. Juni 1961 mit Nebengesetzen einschließlich EWG-Zollrecht und -Marktordnungsrecht, Kommentar, § 54 ZG Anm. 13). Maßgebend war daher die Beschaffenheit der umgewandelten Waren im Zeitpunkt der Abfertigung (§ 35 Abs. 1 ZG, Art. 5 der Verordnung (EWG) Nr. 803/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über den Zollwert der Waren – ZWVO–). Weder der Rechnungspreis der Klägerin (Einkaufspreis beim Kauf von den Importeuren der Hinterviertel) noch der Einkaufspreis der Importeuere konnte der Bewertung zugrunde gelegt werden, weil die umgewandelten Teile als solche weder von der Klägerin noch von den Importeuren gekauft worden waren. Daher schied sowohl ein Wahlrecht des Zollbeteiligten nach § 21 Abs. 3 AZO, die Zollwertangaben in der Zollanmeldung selbst oder im Auftrag der Importeure als Vorerwerber zu machen, als auch nach § 31 Abs. 3 ZG a. F., anstelle des Rechnungspreises den Zollwert nach dem Normalpreis feststellen zu lassen (s. BFH-Urteil vom 22. Oktober 1974 VII R 21/72, BFHE 114, 126), von vornherein aus. Insofern trifft die Begründung der angefochtenen ablehnenden Verfügung des HZA, die Einkaufsrechnungen der Klägerin seien der Zollwertfeststellung zu Recht zugrunde gelegt worden, weil der Zollbeteiligte durch seinen Antrag insoweit diese selbst bestimme, nicht zu. Die OFD hat zwar erkannt, daß in diesem Sonderfall der Zollwert geschätzt werden müsse, hat aber gleichwohl § 21 Abs. 3 AZO rechtsirrig für anwendbar gehalten. Richtigerweise wäre der Normalpreis auf der Handels- bzw. Bearbeitungsstufe des Zollbeteiligten festzustellen gewesen (vgl. Verordnung (EWG) Nr. 1581/74 – VO (EWG) 1581/74 – der Kommission über die Anerkennung von Preisermäßigungen bei der Ermittlung des Zollwerts vom 24. Juni 1974, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 168, vom 25. Juni 1974, 15, Bundeszollblatt 1974 S. 822 – BZBl 1974, 822 –, Art. 1 Buchst. a; vorher § 4 Abs. 1, 2, 4 der Wertzollordnung – WertZO–). Es war also der Preis festzustellen, den jedes beliebige Unternehmen auf der Handelsstufe der Klägerin im Zeitpunkt der Abfertigung zum freien Verkehr bzw. zur Abschöpfungsgutverwendung im freien Wettbewerb für den Erwerb der umgewandelten Teile von einem argentinischen oder anderen ausländischen Verkäufer (der die argentinischen Hinterviertel gekauft hätte) hätte aufwenden müssen (Art. 1 Abs. 1 ZWVO). Sofern Vergleichspreise nicht feststellbar waren, konnte dieser Preis ggf. retrograd von den tatsächlich erzielten Verkaufspreisen der Klägerin (abzüglich der Eingangsabgaben, der inländischen Beförderungskosten und einer Gewinnspanne) oder auch ausgehend von den Einkaufspreisen der Importeure zuzüglich der Umwandlungskosten einschließlich der Gewinnspanne eines ausländischen Umwandlungsbetriebs und der Lieferungskosten bis zum Verbringungsort (Art. 1 Abs. 2 Buchst. b ZWVO) ermittelt werden.
Zu welchem Ergebnis die Ermittlung des Zollwerts führt, kann der Senat als Revisionsgericht nicht beurteilen. Diese Feststellungen müssen vielmehr dem FG überlassen bleiben. Erst diese Ermittlung kann ergeben, ob das HZA im Ergebnis zu Recht von der Richtigkeit der Bescheide ausgehen und sie daher nur unter dem Gesichtswinkel des § 131 AO prüfen durfte:
Sollte sich herausstellen, daß die betreffenden Abgabenbescheide im Ergebnis falsch waren, so hätte das HZA vorerst prüfen müssen, ob ihre Berichtigung in Frage kam. Da das FG diese bisher nicht getroffene Ermessensentscheidung nicht selbst treffen könnte, könnte es nur den angefochtenen Bescheid aufheben und das HZA verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der im gerichtlichen Verfahren für maßgeblich gehaltenen Grundsätze zu bescheiden. Bei dieser Entscheidung des HZA könnte es sich nicht darauf berufen, daß die Klägerin nicht jeweils innerhalb der Rechtsbehelfsfrist Rechtsbehelfe eingelegt habe. Denn in Anbetracht der auch für die Beamten des ZA erkennbaren Unerfahrenheit ihres Inhabers in Zollsachen, dessen deshalb vor Beginn der Abfertigung erfolgten Vorsprache beim ZA und den dort erhaltenen Auskünften – das HZA hat noch in seinem den Billigkeitsantrag der Klägerin ablehnenden Bescheid die Rechtslage nicht erkannt – konnte der Klägerin, die auf die Richtigkeit der Zollbehandlung vertraute, nicht zugemutet werden, von Anfang an gegen die im Verfolg der gegebenen Auskünfte erteilten Abgabenbescheide Rechtsbehelfe einzulegen (vgl. BFH-Urteil VII R 98/73; Urteil des Niedersächsischen FG vom 26. Februar 1958 VII (VI) 409/55, Entscheidungen der Finanzgerichte 1958 S. 184; Mattern, Treu und Glauben im Steuerrecht, 1958, S. 44).
Sollte sich dagegen herausstellen, daß die Abgabenbescheide im Ergebnis richtig waren, so hätte das HZA mit Recht nur die Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses geprüft und das FG mit Recht nur die ablehnende Entscheidung des HZA überprüft. Diese Überprüfung müßte das FG allerdings unter Berücksichtigung der oben dargestellten Rechtslage erneut vornehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 510620 |
BFHE 1977, 246 |