Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Unterscheidung zwischen Leibrente und dauernder Last
Leitsatz (NV)
Ruhegeldleistungen an eine ehemalige Hausangestellte auf Grund eines früheren Dienstverhältnisses sind auch bei gleichbleibender Höhe mangels eines Rentenstammrechts keine Leibrente, sondern eine dauernde Last.
Normenkette
BGB § 759; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist testamentarischer Erbe seines im Mai 1967 verstorbenen Onkels. Der Erblasser setzte in seinem Testament vom Juli 1966 Frau V als Vermächtnis eine ,,Leibrente" von 500 DM monatlich auf Lebenszeit aus, die mit einer Wertsicherungsklausel verbunden war. Der Erblasser ordnete zur Erfüllung dieses Vermächtnisses und weiterer Vermächtnisse Testamentsvollstreckung an.
Frau V hatte den Erblasser von März 1965 bis zu seinem Tode gepflegt und seinen Haushalt versorgt. Als sie ihre Tätigkeit beim Erblasser aufnahm, befand sie sich in ihrem 77. Lebensjahr. Der Erblasser gewährte ihr damals als Gegenleistung Unterhalt und monatlich 100 DM in bar.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hatte die wiederkehrenden Leistungen des Klägers an Frau V gemäß der letztwilligen Verfügung des Erblassers zunächst in seinen endgültigen Einkommensteuerbescheiden 1970 und 1971 und seinem nach § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) vollen Umfangs vorläufigen Einkommensteuerbescheid 1972 erklärungsgemäß als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt.
Nach einer Betriebsprüfung im Jahre 1975 beurteilte das FA die wiederkehrenden Leistungen als Leibrente und ließ nur den Ertragsanteil als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes 1969/1971 (EStG) zum Abzug zu. Es erließ dementsprechend am 19. Juli 1976 berichtigte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1970 bis 1972 und später erstmalige Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1973 und 1974. Das FA wies den Einspruch des Klägers wegen der Einkommensteuer für die Jahre 1970 bis 1974 durch Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 1976 zurück.
Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, bei seinen laufenden Zahlungen an Frau V handele es sich um eine dauernde Last. Sie habe als ausgebildete Krankenpflegerin den an Magen- und Darmkrebs erkrankten Erblasser, dem sie weder verwandtschaftlich noch freundschaftlich verbunden gewesen sei, aufgrund eines Arbeitsvertrages gepflegt. Dieser habe ihr nur einen geringfügigen laufenden Lohn gezahlt, dafür aber eine spätere Altersversorgung zugesagt. Sie habe ihm wiederholt erklärt, daß sie auf eine Altersversorgung Wert lege.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Der Kläger habe Frau V keine nachträglichen Ruhegeldleistungen erbracht, die sie schon vom Erblasser hätte beanspruchen können. Die testamentarische Verpflichtung des Klägers zu wiederkehrenden Leistungen sei vielmehr als Leibrente zu beurteilen. Der Erblasser habe Frau V durch sein Vermächtnis ein Rentenstammrecht unentgeltlich zugewendet.
Der Kläger rügt mit seiner Revision Verletzung des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Das FG konnte allerdings davon ausgehen, daß das FA seine Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1970 bis 1972 nach den Vorschriften der AO über die Berichtigung von Steuerbescheiden ändern durfte. Diese Vorschriften sind - wie sich aus Art. 97 § 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) entnehmen läßt - jedenfalls dann noch anwendbar, wenn das Verwaltungsverfahren mit der Einspruchsentscheidung vor dem 1. Januar 1977 abgeschlossen worden ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1982 I R 190/78, BFHE 135, 396, BStBl II 1982, 682). Das FA hatte berichtigte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1970 bis 1972 und auch seine Einspruchsentscheidung noch im Jahre 1976 erlassen. Es war zur Berichtigung seiner Einkommensteuerbescheide 1970 und 1971 gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO nach dem damals noch geltenden Grundsatz der Gesamtaufrollung aufgrund seiner vorausgegangenen Betriebsprüfung berechtigt. Den nach § 100 Abs. 2 AO vollen Umfangs vorläufigen Einkommensteuerbescheid 1972 konnte es nach § 225 AO berichtigen.
Das angefochtene Urteil war jedoch aufzuheben, weil die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht seine Entscheidung tragen, der Kläger habe seine wiederkehrenden Zahlungen an Frau V aufgrund einer ihr vom Erblasser unentgeltlich zugewendeten Leibrente geleistet; sie lassen auch die Möglichkeit offen, daß es sich dabei um als dauernde Lasten abziehbare Ruhegeldleistungen aus einem früheren Arbeitsverhältnis zwischen dem Erblasser und Frau V handelt.
1. Bei der Unterscheidung zwischen Leibrente und dauernder Last i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist die Rechtsprechung von dem bürgerlich-rechtlichen Begriff der Leibrente (§ 759 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) ausgegangen. Dessen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn aufgrund eines dem Berechtigten eingeräumten Rentenstammrechts regelmäßig wiederkehrende Leistungen in Geld oder vertretbaren Sachen in bestimmter Höhe erbracht werden. Die Gleichmäßigkeit der Rentenleistungen wird nach ständiger Rechtsprechung des BFH nicht schon durch die Vereinbarung einer Wertsicherungsklausel ausgeschlossen (Urteil vom 30. Oktober 1984 IX R 2/84, BFHE 143, 317, BStBl II 1985, 610). Einer dauernden Last i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG fehlt hingegen das für eine Leibrente typische einheitliche und von den sonstigen Beziehungen der Beteiligten losgelöste Rentenstammrecht, dessen Erträge aus fortlaufend wiederkehrenden, gleichmäßigen Leistungen bestehen (vgl. zu dem die Leibrente charakterisierenden Rentenstammrecht Staudinger/Amann, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl. 1982, Vorbem. zu §§ 759 bis 761 Rz. 4 ff.).
Ein einheitliches Rentenstammrecht wird bürgerlich-rechtlich dann angenommen, wenn eine Verpflichtung zu gleichmäßigen wiederkehrenden Leistungen gegen Hingabe eines bestimmten Geldbetrages (Leibrentenkauf) oder gegen eine sonstige einmalige geldwerte Leistung (z. B. Verkauf eines Grundstücks gegen eine Leibrente) oder unentgeltlich eingeräumt worden ist. Unter den Begriff der Leibrente mit einem einheitlichen Rentenstammrecht, das von den sonstigen Beziehungen zwischen den Parteien losgelöst ist, fallen hingegen solche Rechtsverhältnisse herkömmlicherweise nicht, die vornehmlich die Züge anderer im BGB geregelter Dauerschuldverhältnisse tragen (Staudinger/Amann, a. a. O., 12. Aufl. 1982, Vorbem. zu §§ 759 bis 761 Rz. 18 bis 35). Hierzu zählen insbesondere Ruhegeldleistungen aufgrund eines früheren Arbeitsverhältnisses (BFH-Urteil vom 4. Mai 1965 VI 285/64 U, BFHE 82, 543, BStBl III 1965, 444). Derartige wiederkehrende Leistungen sind - auch bei gleichbleibender Höhe - mangels eines einheitlichen Rentenstammrechts im privaten Bereich beim Empfänger in voller Höhe zu versteuernder Arbeitslohn und beim Verpflichteten als dauernde Lasten in voller Höhe nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG abziehbar. Der BFH hat dies für Ruhegeldleistungen an frühere Hausangestellte wiederholt ausgesprochen (Urteile in BFHE 82, 543, BStBl III 1965, 444; vom 20. August 1965 VI 156/64 U, BFHE 83, 565, BStBl III 1965, 706). Der erkennende Senat hält hieran fest. Wie bereits in dem Urteil in BFHE 82, 543, BStBl III 1965, 444 ausgeführt ist, sind Ruhegeldzahlungen von - beim Verpflichteten nicht als dauernde Last abziehbarem - laufendem Arbeitslohn aufgrund ihrer Rechtsnatur unterscheidbar. Denn sie haben nicht nur Entgelts-, sondern zugleich auch Versorgungscharakter (Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 5. Aufl., 1983, 420 m. w. N.).
Bei der Abgrenzung einer unentgeltlichen Zuwendung eines Rentenstammrechts von der Begründung nachträglicher Ruhegeldleistungen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ist davon auszugehen, daß wiederkehrende Leistungen, die in einer letztwilligen Verfügung angeordnet sind, dann nicht auf einem Erwerb von Todes wegen beruhen, wenn der Berechtigte bereits zuvor hierauf einen Anspruch hatte. Ein solcher schon in dem Arbeitsverhältnis begründeter Anspruch auf Ruhegeldleistungen wird durch seine Regelung in der letztwilligen Verfügung lediglich bestätigt (so der BFH im Urteil in BFHE 83, 565, BStBl III 1965, 706, und im Urteil vom 24. Oktober 1984 II R 103/83, BFHE 142, 312, BStBl II 1985, 137). Ein schon zu Lebzeiten des Erblassers entstandener Anspruch auf Ruhegeldleistungen ist nicht nur dann zu bejahen, wenn der Erblasser seinem Arbeitnehmer solche ausdrücklich zugesagt hatte. Der erkennende Senat beurteilt spätere wiederkehrende Leistungen in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 14. Juli 1966 5 AZR 2/66, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts - Arbeitsrechtliche Praxis, § 612 BGB Nr. 24) vielmehr auch schon dann als nachträgliche Vergütungen aus einem Arbeitsverhältnis, wenn folgende drei Merkmale sämtlich erfüllt sind:
a) Aufgrund arbeitsrechtlicher Beziehungen bestand die Erwartung, daß in der Vergangenheit geleistete Dienste durch Vermögenswerte wie etwa Ruhegeldleistungen später abgegolten werden. Dabei kann es sich um eine beiderseitige Erwartung oder auch eine einseitige des Arbeitnehmers handeln, die der Arbeitgeber erkannt hatte oder hätte erkennen müssen.
b) Die geleisteten Dienste sind entweder gar nicht oder deutlich unterwertig vergütet worden.
c) Es muß ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der fehlenden oder unterwertigen Bezahlung und der Erwartung auf eine nachträgliche Vergütung bestehen.
Der BFH hat mit entsprechenden Erwägungen eine unentgeltliche Zuwendung eines Rentenstammrechts von nachträglichen Ruhegeldleistungen abgegrenzt. Er hat in seinem eine Hausangestellte betreffenden Urteil in BFHE 83, 565, BStBl III 1965, 706 maßgeblich darauf abgestellt, ob die Hausangestellte nach den Gesamtumständen des Einzelfalles ein angemessenes Ruhegeld erwarten konnte. Keine belohnende Schenkung, sondern ein entgeltliches Geschäft ist nämlich anzunehmen, wenn jemand Dienste in der Erwartung einer nachträglichen Vergütung leistet und der Empfänger sie in dem Gefühl einer Schuld annimmt (Staudinger/Reuß, a. a. O., § 516 Rz. 15).
2. Nach den vorstehenden Grundsätzen kann es sich bei den wiederkehrenden Zahlungen des Klägers an Frau V - anstelle der vom FG angenommenen Leistungen aufgrund eines unentgeltlich zugewendeten Rentenstammrechts - um Ruhegeldleistungen aufgrund eines Arbeitsverhältnisses handeln.
Für eine Leistung von Diensten im Rahmen eines Gefälligkeitsverhältnisses auf familienrechtlicher oder ähnlicher Grundlage bestehen keine Anhaltspunkte. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, zwischen Frau V und dem Erblasser hätten keine verwandtschaftlichen oder freundschaftlichen Beziehungen bestanden.
Nach Ansicht des Senats sprechen im vorliegenden Fall mehrere Umstände für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Erblasser und Frau V. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG leistete Frau V in seinem Hause Dienste, indem sie ihm den Haushalt führte und ihn pflegte. In diesem Zusammenhang ist auch der Vortrag des Klägers erheblich, Frau V sei ausgebildete Krankenpflegerin gewesen; der Erblasser sei infolge Magen- und Darmkrebses pflegebedürftig gewesen. Als Vergütung für ihre Dienste erhielt Frau V von ihm freien Unterhalt und nach Art eines Taschengeldes einen Barlohn von 100 DM.
Nach den bisher vom FG getroffenen Feststellungen ist weiter offen, ob - wie der Kläger behauptet - der Erblasser schon zu Lebzeiten Frau V zugesagt hatte, sie für ihre Dienste in seinem Testament zu bedenken, oder ob Frau V zumindest erwartete und auch für den Erblasser erkennbar erwarten konnte, für ihre Dienstleistungen abgegolten zu werden. In diesem Zusammenhang fehlen auch tatsächliche Feststellungen des FG zu der Frage, ob der Erblasser Frau V mit freiem Unterhalt und einem Barlohn von 100 DM monatlich zu seinen Lebzeiten deutlich unterwertig für die von ihr geleisteten Dienste entlohnt hatte und ob ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einer Unterbezahlung und einer Erwartung von Frau V auf eine spätere zusätzliche Abgeltung für die von ihr geleisteten Dienste bestand.
3. Die Sache geht an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, damit es die fehlenden tatsächlichen Feststellungen nachholt.
Fundstellen
Haufe-Index 414415 |
BFH/NV 1986, 654 |