Leitsatz (amtlich)
Die Frist von 12 Monaten in § 60 BewG in der Fassung vor dem BewG 1965 gilt auch bei der Neugründung von Kapitalgesellschaften. Sie beginnt frühestens in dem Zeitpunkt, in dem im Gesellschaftsvertrag die Entstehung der Kapitalgesellschaft festgelegt ist und die Beteiligungsverhältnisse geregelt sind.
Normenkette
BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 60
Gründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
1. ... Eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft liegt genau genommen erst ab dem Zeitpunkt vor, in dem die Kapitalgesellschaft rechtlich existent ist, d. h. also im Zeitpunkt ihrer Eintragung in das Handelsregister. Nach der Rechtsprechung kann allerdings steuerlich die vorher bestehende Gründergesellschaft als mit der später entstehenden Kapitalgesellschaft identisch angesehen werden. Dafür ist nach der älteren Rechtsprechung (vgl. BFH-Entscheidung III 214/51 S vom 16. Mai 1952, BFH 56, 465, BStBl III 1952, 180 und die dort zitierten Entscheidungen des RFH) zumindest der Abschluß des notariellen Gesellschaftsvertrages und die Übertragung von Vermögen auf die Gründergesellschaft, nach dem Urteil des Senats III 129/57 U vom 8. April 1960 (BFH 71, 190 BStBl III 1960, 319) darüber hinaus noch die Aufnahme einer nach außen in Erscheinung tretenden geschäftlichen Tätigkeit erforderlich. Eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft im Sinne des § 60 BewG ist auch steuerlich gesehen frühestens von dem Zeitpunkt an denkbar, an dem in dem Gesellschaftsvertrag die Entstehung dieser Kapitalgesellschaft erst einmal festgelegt und die Beteiligungsverhältnisse geregelt sind. Deshalb kann die Zeit vom Abschluß eines sogenannten Vorvertrages oder sonstiger vorgesellschaftlicher Verhältnisse bis zum Abschluß des eigentlichen Gesellschaftsvertrages nicht in die 12-Monatsfrist einbezogen werden. Es ist dem FG auch darin zuzustimmen, daß eine vertragliche Zurückverlegung des Gründungszeitpunkts, der im übrigen von der Klägerin gar nicht behauptet wird, steuerlich nicht anerkannt werden könnte. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, daß nach dem Erlaß des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen vom 2. Juli 1964 (vgl. DB 1964, 971) eine Rückbeziehung auf den Beginn des Kalenderjahres möglich ist. Es handelt sich dabei um eine Billigkeitsmaßnahme für besonders gelagerte Fälle, deren Voraussetzungen im Streitfall nicht vorliegen. Das gleiche gilt für die Regelungen in Abschn. 25 Abs. 1 VStR 1960, deren Voraussetzungen im Streitfall ebenfalls nicht vorliegen.
2. Auch mit ihren Einwendungen, das Erfordernis der 12-Monatsfrist stehe im Widerspruch zu dem Sinn und Zweck des § 60 BewG, kann die Klägerin nicht durchdringen. Der vom Gesetzgeber bei Erlaß einer Vorschrift verfolgte Zweck kann nur insoweit für die Auslegung dieser Vorschrift entscheidend sein, als er im Wortlaut des Gesetzes und im Sinnzusammenhang seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 11 S. 126 [130] und BStBl I 1962, 486 [487]). Ist der Wortlaut eindeutig, so ist eine Auslegung gegen diesen Wortlaut nur ausnahmsweise möglich, nämlich nur dann, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem so unverständlichen Ergebnis führt, daß ein verständiger Steuerpflichtiger das Gesetz nicht so auffassen konnte (BFH-Urteil III 193/60 S vom 11. Dezember 1964, BFH 81, 222, BStBl III 1965, 82 und die dort zitierten Entscheidungen). Davon kann hier keine Rede sein. Das FG weist mit Recht darauf hin, daß es im Rahmen der von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BFH als zulässig angesehenen gesetzlichen Typisierung liegt, durch die gesetzlichen Voraussetzungen der Mindestbeteiligung von 25 v. H. und der Mindestbesitzdauer von 12 Monaten Zweifelsfälle auszuschließen und eine einfache und praktikable Besteuerung sicherzustellen. Es kann jedenfalls nicht als völlig sinnwidrig bezeichnet werden, daß bei der Neugründung einer Kapitalgesellschaft, wenn sie nicht auf den Beginn des 1. Januar erfolgt, die Schachtelvergünstigung am darauf folgenden 1. Januar nicht gewährt werden kann.
3. Dem FG ist schließlich auch darin zuzustimmen, daß kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG darin zu erblicken ist, daß die 12-Monatsfrist nicht nur für neuerworbene Beteiligungen an bereits bestehenden Kapitalgesellschaften, sondern auch für den Erwerb bei Neugründung von Kapitalgesellschaften gilt. Der Gleichheitssatz verpflichtet den Gesetzgeber nicht, unter allen Umständen Ungleiches auch ungleich zu behandeln. Entscheidend ist vielmehr, ob für eine am Gerechtigkeitsdenken orientierte Betrachtungsweise die tatsächlichen Ungleichheiten in dem jeweils in Betracht kommenden Zusammenhang so bedeutsam sind, daß der Gesetzgeber sie bei seiner Regelung beachten muß (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 1 S. 264). Der Unterschied zwischen dem Erwerb der Beteiligung an einer bereits bestehenden Kapitalgesellschaft und der Übernahme einer Beteiligung an einer neugegründeten Tochtergesellschaft besteht nach Auffassung der Klägerin darin, daß im zweiten Fall nach der Lebenserfahrung von vornherein damit zu rechnen ist, daß der Erwerber die Beteiligung längere Zeit behalten will. Es ist schon fraglich, ob nicht auch beim Erwerb einer wesentlichen Beteiligung an einer bereits bestehenden Kapitalgesellschaft in der Regel davon ausgegangen werden kann, daß der Erwerber diese Beteiligung nicht nur vorübergehend behalten will. Selbst wenn aber diese Ungleichheit bestehen sollte, ist sie nach Auffassung des Senats nicht so bedeutsam, daß der Gesetzgeber sie bei der Regelung der Schachtelvergünstigung, bei der es ihm auf einen praktikablen Nachweis längerer ununterbrochener Besitzdauer ankommen mußte, zu beachten hatte.
Fundstellen
Haufe-Index 68664 |
BStBl II 1969, 677 |
BFHE 1969, 422 |