Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Sorgfaltspflicht des bisherigen Beraters bei Beraterwechsel
Leitsatz (NV)
Soweit steuerliche Berater befugt sind, ihre Mandanten zu vertreten, obliegt ihnen die Pflicht, nach Abschluß des Vorverfahrens die Rechtsbehelfsfrist zu beachten, auch wenn ein anderer Berufsvertreter die Prozeßvertretung übernehmen soll.
Normenkette
AO 1977 § 110 Abs. 1 S. 2; FGO § 56 Abs. 1, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger poliert als Lohnunternehmer Gold- und Silberwaren. Das Finanzamt faßte die dem Kläger verbleibenden Edelmetallabfälle als zusätzliches Entgelt auf und bezog deren Wert bei den Umsatzsteuerveranlagungen 1969 und 1970 in die Bemessungsgrenze ein. Dagegen erhob der Kläger Einspruch. Im Verfahren vor dem Finanzamt wurde der Kläger durch die Steuerberaterin A. vertreten. Das Finanzamt wies den Einspruch zurück. Die Einspruchsentscheidung gab es am 27. November 1973 mit eingeschriebenem Brief zur Post.
Nachdem der Kläger von der Einspruchsentscheidung erfahren hatte, war er zunächst unschlüssig, ob Klage erhoben werden sollte. In seinem Auftrag erkundigte sich die Steuerbevollmächtigte telefonisch an einem nicht mehr feststellbaren Tage bei Rechtsanwalt K., der - zusammen mit seinen Socien - den Kläger im Klage- und Revisionsverfahren vertritt, nach den Erfolgsaussichten einer möglichen Klage. Rechtsanwalt K. erklärte sich grundsätzlich bereit, den Fall zu übernehmen, wollte aber ohne Kenntnis der Akten, insbesondere der Einspruchsentscheidung, keine endgültige Stellungnahme zu den Erfolgsaussichten abgeben. Für den Fall einer Mandatserteilung bat er um rechtzeitige Übersendung der Unterlagen, um vor Klageerhebung die Erfolgsaussichten prüfen zu können. Die Steuerberaterin unterrichtete den Kläger über dieses Gespräch. Der Kläger beauftragte sie nunmehr, die Unterlagen an Rechtsanwalt K. zu übersenden und ihm für den Fall, daß er bei genauerer Prüfung die Sache für erfolgversprechend halte, Auftrag zur Klageerhebung zu erteilen. Demgemäß sandte die Steuerberaterin am 22. Dezember 1973 (Sonnabend) eine Durchschrift der Einspruchsbegründung und eine Ausfertigung der Einspruchsentscheidung an die nunmehrigen Prozeßbevollmächtigten mit einem Begleitschreiben. Es steht fest, daß diese Sendung in der Anwaltskanzlei erst nach dem 28. Dezember 1973, einem Freitag, eingegangen ist. Am Montag, dem 31. Dezember 1973, war das Anwaltsbüro ,,nicht ständig besetzt". Der Brief der Steuerberaterin wurde am 2. Januar 1974 in der Anwaltskanzlei geöffnet und erhielt den Eingangsstempel dieses Tages. Mit Schreiben vom 2. Januar 1974, bei dem Finanzgericht eingegangen am 3. Januar 1974, haben die Prozeßbevollmächtigten des Klägers gegen die Einspruchsentscheidung Klage erhoben und wegen Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Das Finanzgericht hat im ersten Rechtsgang die verspätet eingereichte Klage unter Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags als unzulässig abgewiesen. Der Bundesfinanzhof hat das Urteil auf Revision des Klägers aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen, weil die Feststellungen des damals angefochtenen Urteils unvollständig und für die Beurteilung der Frage eines für die Säumnis ursächlichen schuldhaften Verhaltens nicht ausreichend waren. Auch mit seiner erneuten Entscheidung hat das Finanzgericht die Klage als unzulässig abgewiesen.
Auf die Beschwerde des Klägers hat der Bundesfinanzhof die Revision gegen das im zweiten Rechtsgang erlassene Urteil des Finanzgerichts zugelassen.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 47, 56 FGO: Die Steuerberaterin A. sei bei der Beauftragung der Prozeßbevollmächtigten Botin, nicht Vertreterin des Klägers gewesen. Der Kläger und die Steuerberaterin hätten davon ausgehen dürfen, mit der Absendung der Unterlagen an die Prozeßbevollmächtigten am 22. Dezember 1973 alles Erforderliche und Zumutbare getan zu haben, um dem Risiko der Fristversäumnis zu begegnen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Finanzgerichts aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Die Klage ist wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig. Zu Recht hat das Finanzgericht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO abgelehnt, weil ein dem Kläger zuzurechnendes Verschulden seiner Bevollmächtigten im Verwaltungsverfahren an der Fristversäumnis zu bejahen ist.
1. Die Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid kann zulässigerweise nur binnen einer Frist von einem Monat ab Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf erhoben werden (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die Klageschrift ist erst nach Ablauf der Klagefrist, nämlich am 3. Januar 1974, bei dem Finanzgericht eingegangen. Der am 27. November 1973 abgesandte Einspruchsbescheid gilt als am 30. November 1973 (Freitag) bekanntgegeben (§ 4 Abs. 1 VwZG), so daß die Klagefrist am 31. Dezember 1973 (Montag) endete (§ 54 FGO, § 222 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, § 193 BGB).
2. Nach den tatsächlichen Feststellungen und den darauf beruhenden Würdigungen des Finanzgerichts oblag der Bevollmächtigten des Klägers im Verwaltungsverfahren, der Steuerberaterin A., die Verpflichtung zur Beachtung der Klagefrist. Die dagegen erhobenen Revisionsrügen dringen nicht durch.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist setzt voraus, daß die Frist ohne ein dem Kläger zuzurechnendes Verschulden versäumt worden ist (§ 56 Abs. 1 FGO). Dem Kläger ist das Verschulden seiner Bevollmächtigten im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zuzurechnen (vgl. § 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977; § 85 Abs. 2 ZPO, früher § 232 Abs. 2 ZPO, § 155 FGO).
Das Finanzgericht hat die Steuerberaterin A. bei der Beauftragung der Prozeßbevollmächtigten für das Klageverfahren und der Übersendung der Unterlagen als Vertreterin des Klägers angesehen, weil dies der beruflichen Stellung der Steuerberaterin und der üblichen Beurteilung entspreche und weil eine abweichende Beurteilung gebietende Umstände nicht vorlägen. Der dagegen mit der Revision erhobene Einwand, die Steuerberaterin habe nach dem Gespräch mit Rechtsanwalt K. noch mit dem Kläger gesprochen und erst aufgrund der ihr dabei erteilten Weisung die Unterlagen zur Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage und ggf. zur Klageerhebung abgesandt, kann die Würdigung des Finanzgerichts nicht erschüttern. Es ist die Aufgabe eines steuerlichen Beraters, seinen Mandanten in Steuersachen zu beraten und zu vertreten. Eine Rücksprache mit seinem Mandanten zur Herbeiführung einer Entscheidung des Mandanten über den Fortgang des Verfahrens beeinträchtigt die Stellung des Beraters als Vertreter des Mandanten daher grundsätzlich nicht. Vor allem der auch vom Finanzgericht hervorgehobene Umstand, daß die Steuerberaterin das Begleitschreiben vom 22. Dezember 1973, mit dem die Unterlagen für die Prüfung der Klageaussichten übersandt wurden, selbst abgefaßt und unter ihrem Namen abgesandt hat, sowie der Inhalt dieses Schreibens lassen den Schluß zu, daß sie weiter als Vertreterin des Klägers handelte. Diese rechtliche Würdigung des Auftretens der Steuerberaterin unter Berücksichtigung ihres Schreibens vom 22. Dezember 1973 ist rechtlich möglich und deshalb für das Revisionsgericht bindend.
Als Vertreterin des Klägers oblag der Steuerberaterin A. die Beachtung der Klagefrist. Soweit steuerliche Berater befugt sind, ihre Mandanten zu vertreten, obliegen ihnen dieselben Pflichten wie Rechtsanwälten. Diese sind nach Beendigung der Instanz zur Beachtung der Rechtsmittelfrist auch dann verpflichtet, wenn ein anderer Rechtsanwalt mit der Vertretung im weiteren Verfahren beauftragt werden soll (BGH-Beschluß vom 17. April 1979 II ZR 34/78, HFR 1979, 27; Urteil vom 18. April 1968 VII ZR 150/66, BGHZ 50, 82; vgl. ferner Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 110 AO Rdnr. 99 m.w.H.). Dementsprechend ist auch ein steuerlicher Berater nach Abschluß des außergerichtlichen Vorverfahrens verpflichtet, die Möglichkeit der Klageerhebung für seinen Mandanten zu wahren, auch wenn ein anderer Berufsvertreter die Prozeßvertretung übernehmen soll.
Die dahingehende Verpflichtung hat das Finanzgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt und dementsprechend zutreffend entschieden, daß die Steuerberaterin die ihr obliegende Aufgabe insofern schuldhaft verletzt hat, als sie nach Absendung des Schreibens vom 22. Dezember 1973 keine weiteren Erkundigungen darüber einzog, ob das Schreiben vor Ablauf der Klagefrist bei den nachmaligen Prozeßbevollmächtigten eingegangen war. Hätte sie dies getan, hätte entweder sie oder der Kläger noch fristgerecht Klage erheben können. Das Verschulden seiner Bevollmächtigten ist dem Kläger zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO, § 232 Abs. 2 ZPO a. F., § 155 FGO).
Mit seiner Entscheidung ist das Finanzgericht nicht von der dem zurückverweisenden Urteil vom 7. Oktober 1977 V R 176/74 zugrunde liegenden Auffassung entgegen § 126 Abs. 5 FGO abgewichen, da in diesem keine Beurteilung des vom Finanzgericht nunmehr festgestellten Sachverhalts enthalten ist.
Fundstellen
Haufe-Index 414146 |
BFH/NV 1986, 472 |