Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung versehentlich unterbliebene Absetzungen für Abnutzung dürfen in späteren Veranlagungszeiträumen nachgeholt werden. Nur eine bewußt unterlassene AfA darf nicht nachgeholt werden.
Bei der Nachholung sind die noch nicht abgeschriebenen Anschaffungskosten in gleichen Beträgen auf die noch verbleibende Restnutzungsdauer zu verteilen.
Normenkette
EStG § 9 Ziff. 6, §§ 7, 11
Tatbestand
Die Steuerpflichtige (Stpfl.) hat als Eigentümerin ein landwirtschaftliches Anwesen seit langem verpachtet. Bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der Jahre 1948 bis 1961 wurde auf den Gebäudebestand keine Absetzung für Abnutzung (AfA) gemacht. Wie das Finanzgericht (FG) feststellt, geschah das infolge eines Versehens aller Beteiligten. Als die Stpfl. bei der Abgabe der Steuererklärung 1962 den Irrtum bemerkte, verlangte sie, vom Gebäudewert am 21. Juni 1948 von 15 868 DM auf der Grundlage einer Restnutzungsdauer von 40 Jahren - gerechnet ab 1948 - für 1962 eine AfA von (15 868 : 26 =) 618 DM abzusetzen.
Das Finanzamt (FA) sah darin eine unzulässige Nachholung der AfA für abgelaufene Jahre. Es schätzte die Restnutzungsdauer der Gebäude am 21. Juni 1948 auf 50 Jahre und kam so für das Streitjahr zu einer AfA von (2 v. H. aus 15 868 DM =) 320 DM.
Die Klage der Stpfl. hatte keinen Erfolg. Das FG führte aus: Im Urteil IV 171/58 U vom 13. Mai 1959 (BFH 69, 25, BStBl III 1959, 270) habe der BFH für einen Fall der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG entschieden, daß die Nachholung einer unterlassenen AfA nicht möglich sei. Gleiches gelte für die AfA nach § 9 Ziff. 6 EStG bei Einkünften aus Vermietung. Die zu einem Jahr gehörende AfA könne nicht in einem späteren Jahr nachgeholt werden. Das BFH-Urteil VI 64/65 U vom 29. Oktober 1965, (BFH 84, 240, BStBl III 1966, 88) stehe dem nicht entgegen; denn es habe nur wegen früherer Schätzungsfehler bei einer Absetzung für Substanzverringerung (AfS) in einem späteren Jahr eine Korrektur über den § 7 Abs. 1 letzter Satz EStG zugelassen. Hier sei durch ein Versehen aller Beteiligten ein Veranlagungsfehler unterlaufen, der nur durch Wiederaufrollung der betreffenden Jahre beseitigt werden könne.
Entscheidungsgründe
Die Revision, mit der die Stpfl. die Verletzung der §§ 7 und 9 EStG rügt, führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Nach § 2 Abs. 4 EStG 1961 besteht bei der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung die Einkunft im Unterschied zwischen Einnahmen und Werbungskosten. Einnahmen sind nach § 11 Abs. 1 EStG in dem Kalenderjahr anzusetzen, in dem sie bezogen sind. Umgekehrt sind nach § 11 Abs. 2 EStG Werbungskosten für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind. Nach § 11 EStG sind also Einnahmen und Werbungskosten steuerlich für das Jahr anzusetzen, in dem sie zu- bzw. abfliessen. Es ist darum grundsätzlich nicht statthaft, Werbungskosten, die bei der Veranlagung eines Jahres vergessen worden sind, in einem späteren Veranlagungszeitraum abzuziehen. Solche Versehen können, wie das FG zutreffend annimmt, nur durch eine Berichtigung der fehlerhaften Veranlagung, z. B. über § 222 AO, korrigiert werden. Andererseits ist die Bedeutung des § 11 EStG aber auch nicht zu überspannen. Vor allem kann die Vorschrift nicht dazu führen, die Nachholung von AfA aus früheren Jahren allgemein auszuschließen. Wenn der Gesetzgeber in § 9 Ziff. 6 EStG Absetzungen für Abnutzung als Werbungskosten bezeichnet und dabei auf § 7 Abs. 1 EStG verweist, so hat er damit insoweit selbst die Anwendung des § 11 EStG gelockert. Die Eigenart der AfA besteht - jedenfalls bei der überschußrechnung - darin, daß Abzüge gemacht werden dürfen, gleichviel, ob, wann und in welcher Höhe zuvor tatsächliche Zahlungen geleistet waren. Es wird also nicht im Sinn des § 11 Abs. 2 EStG gefragt, was im Veranlagungszeitraum an Ausgaben geleistet wurde. Vielmehr werden rechnerisch die Anschaffungskosten nach der voraussichtlichen Nutzungsdauer auf die einzelnen Nutzungsjahre verteilt. Es handelt sich eben nicht um die Erfassung von Ausgaben, sondern um die Berücksichtigung des Wertverzehrs durch den Gebrauch der Sache. Dann aber muß es auch statthaft sein, eine AfA, die versehentlich unterblieben ist, in späteren Jahren auszugleichen. Im Urteil VI 64/65 U (a. a. O.) hat der Senat erklärt, er halte daran fest, daß eine bewußt unterlassene AfA nicht in späteren Jahren nachgeholt werden dürfe, weil sonst der Steuerpflichtige unzulässig die jeweilige Jahressteuer manipulieren könne. In der Besprechung dieses Urteils im Betriebs-Berater 1966 S. 235 kommt Grieger zu dem Ergebnis, "daß in der Regel nur bewußt aus Steuerersparnisgründen unterlassene AfA nicht in der Weise nachgeholt werden dürfen, daß die Lebensdauer neu und richtig geschätzt und der noch nicht abgeschriebene Restwert auf diesen Zeitraum verteilt wird". Das FG beruft sich auf das BFH-Urteil IV 171/58 U (a. a. O.), das in der Tat mit der gegenwärtigen Entscheidung nicht vereinbar ist. Das Urteil IV 171/58 U, gegen das Grieger (a. a. O.) und Littmann (Das Einkommensteuerrecht 7. Aufl. § 7 Anm. 75 a) Bedenken erhoben hatten, hält der VI Senat, wie er auf Anfrage mitgeteilt hat, nicht aufrecht.
Die AfA darf jedoch nicht in dem Jahr, in dem das frühere Versehen bemerkt wird, in einem Betrag nachgeholt werden. Es besteht kein Anlaß, in solchen Fällen das Prinzip des § 7 EStG, d. h. der gleichmäßigen Verteilung der Anschaffungskosten auf die Nutzungsdauer, aufzugeben. Die in der Vergangenheit versehentlich unterbliebene AfA ist deshalb in der Weise nachzuholen, daß der nicht verbrauchte Teil der Anschaffungskosten in gleichen Beträgen auf die Jahre der noch verbleibenden Restnutzungsdauer des Gebäudes verteilt wird.
In der Entscheidung VI 64/65 U (a. a. O.) hat allerdings der Senat zugelassen, die AfA in Form einer außergewöhnlichen Absetzung nach § 7 Abs. 1 letzter Satz EStG in einem Jahr nachzuholen. Der damalige Streitfall lag jedoch in mehreren Beziehungen besonders. Es ging nicht um eine AfA, sondern eine AfS, bei der das entnommene Material (Sand) der Menge nach auch für die Vergangenheit ziffernmäßig genau festgestellt werden konnte. Tatsächlich war damals in den Vorjahren eine AfS gemacht, diese aber unter dem Einfluß des FA zu gering berechnet worden. Der Senat sprach deshalb in seiner Entscheidung von einer "Korrektur der früheren AfS". Vor allem aber entfiel damals der weitaus größte Teil der streitigen AfS auf eine Sandgrube, deren Nutzung im Streitfall ausgelaufen war und für die infolgedessen eine Verteilung auf spätere Jahre nicht mehr möglich war.
Die angefochtene Entscheidung, die auf anderer Rechtsauffassung beruht, ist aufzuheben. Der Senat vermag nicht durchzuentscheiden, weil zwischen den Beteiligten die Restnutzungsdauer der Gebäude streitig ist. Die Sache wird an das FG zurückverwiesen, damit es die Restnutzungsdauer feststellt.
Fundstellen
Haufe-Index 412481 |
BStBl III 1967, 386 |
BFHE 1967, 316 |
BFHE 88, 316 |
BB 1967, 744 |
DB 1967, 1248 |
DStR 1967, 419 |