Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Kindergeld für aus dem früheren Jugoslawien stammende ausländerrechtlich lediglich geduldete geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer
Leitsatz (amtlich)
Aus dem früheren Jugoslawien stammende, geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer, für die der Arbeitgeber pauschale Sozialversicherungsbeiträge abführt, haben keinen Anspruch auf Kindergeld nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, 1438) i.d.F. des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 (BGBl II 1975, 390).
Normenkette
AufenthG § 60a; AuslG 1990 §§ 55-56; EStG § 52 Abs. 61a S. 2, § 62 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1; SGB III § 27 Abs. 2 S. 1; SGB IV § 8 Abs. 1 Nr. 1; SGB V § 7 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, § 249b; SGB VI § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2, § 52 Abs. 2, §§ 63, 76b, 172 Abs. 3; SozSichAbk YUG Art. 2 Abs. 1 Buchst. d, Art. 28 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die aus dem früheren Jugoslawien stammende Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hielt sich seit 1991 aufgrund einer ausländerrechtlichen Duldung (§ 55 Abs. 2 des Ausländergesetzes --AuslG-- 1990) in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) auf. Vom 1. Oktober 1998 bis zum 30. April 2001 war sie für einen Monatslohn von 200 DM geringfügig beschäftigt. Ab April 1999 führte ihr Arbeitgeber für sie pauschale Rentenversicherungsbeiträge ab.
Im November 2001 beantragte die Klägerin Kindergeld für ihren im Jahr 1997 geborenen Sohn. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte dies ab, der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
Im anschließenden Klageverfahren verpflichtete das Finanzgericht (FG) die Familienkasse zur Leistung von Kindergeld für die Zeit von April 1999 bis April 2001 (Urteil vom 26. November 2002 1 K 3/02, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2003, 786). Das FG war der Ansicht, die Klägerin habe einen Anspruch auf Kindergeld aufgrund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, 1438) i.d.F. des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 (BGBl II 1975, 390) --SozSichAbk YUG--. Die Klägerin sei Arbeitnehmerin im Sinne des Abkommens. Maßgebliches Kriterium für die Abgrenzung der Arbeitnehmereigenschaft sei, ob durch eine nichtselbständige Tätigkeit Ansprüche gegen die sozialen Sicherungssysteme des jeweiligen Vertragsstaates begründet worden seien. Dies sei seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 388) zum 1. April 1999 der Fall. Seither habe der Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge abzuführen.
Zur Begründung der Revision trägt die Familienkasse u.a. vor, das SozSichAbk YUG beziehe sich nur auf solche Arbeitnehmer, die einer voll sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung unterlägen, wie sich aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. April 2000 B 14 KG 3/99 R (BSGE 86, 115) ergebe. Aus der Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse zum 1. April 1999 könne keine Veränderung des SozSichABk YUG und des darin enthaltenen historisch vorgeprägten Arbeitnehmerbegriffs hergeleitet werden. Nach Art. 28 des Abkommens erhielten Arbeitslose nur dann Kindergeld, wenn sie Arbeitslosengeld bezögen. Voraussetzung hierfür sei eine vorherige arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung gewesen, d.h. eine solche mit Beitragspflicht zur Bundesagentur für Arbeit. Dies treffe jedoch auf die Klägerin nicht zu. Ein Kindergeldanspruch sei nur dann gegeben, wenn Versicherungspflicht in allen Zweigen der deutschen Sozialversicherung bestehe.
Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht einen Anspruch auf Kindergeld für die Zeit von April 1999 bis April 2001 bejaht.
1. Der Klägerin, die im streitigen Zeitraum lediglich ausländerrechtlich geduldet war, steht kein Kindergeld nach § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) n.F. zu. Die Neuregelung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten und erfasst gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG alle Sachverhalte, bei denen --wie im Streitfall-- das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006, BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62). Ausländer, die nach §§ 55, 56 AuslG 1990 bzw. nach § 60a des ab 1. Januar 2005 geltenden Aufenthaltsgesetzes geduldet sind, haben auch nach der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG keinen Anspruch auf Kindergeld. Der Senat hat mit Urteilen vom 15. März 2007 III R 93/03 (BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234) sowie vom 22. November 2007 III R 54/02 (BFH/NV 2008, 457, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt) zur Kindergeldberechtigung geduldeter Ausländer entschieden, dass die vom Gesetzgeber getroffene Differenzierung sachlich gerechtfertigt und mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar ist, da keine langfristige Integration geduldeter Ausländer und ihrer Familien in der Bundesrepublik beabsichtigt ist. An diesen Grundsätzen hält der Senat fest. Der Senat teilt auch nicht die im Vorlagebeschluss des FG Köln vom 9. Mai 2007 10 K 1690/07 (EFG 2007, 1247) geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Neufassung. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf das Urteil in BFH/NV 2008, 457.
2. Entgegen der Ansicht des FG begründet auch das SozSichAbk YUG keinen Anspruch auf Kindergeld, da die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stand.
a) Nach Art. 28 Abs. 1 SozSichAbk YUG erhalten Personen Kindergeld, die in der Bundesrepublik beschäftigt sind und den in der Bundesrepublik geltenden Rechtsvorschriften unterliegen oder nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses Geldleistungen aus der Krankenversicherung wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder Leistungen der Arbeitslosenversicherung erhalten. Art. 2 Abs. 1 Buchst. d SozSichAbk YUG bezieht sich auf die deutschen Vorschriften über das Kindergeld für Arbeitnehmer. Abkommensrechtlich sind dies Personen, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen (s. BSG-Urteil in BSGE 86, 115, sowie FG Düsseldorf vom 20. März 2007 10 K 805/05 Kg, EFG 2007, 1531).
b) Dies trifft auf die Klägerin nicht zu. Sie war lediglich geringfügig beschäftigt (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch --SGB IV-- a.F.) und damit in der Kranken- und Arbeitslosenversicherung versicherungsfrei (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V bzw. § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB III), ebenso in der Rentenversicherung (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI), da sie nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB VI auf die Versicherungsfreiheit verzichtet hat.
c) An der Versicherungsfreiheit ändert auch der Umstand nichts, dass der Arbeitgeber der Klägerin ab April 1999 nach § 172 Abs. 3 SGB VI i.d.F. des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 388) pauschale Beiträge zur Rentenversicherung abzuführen hatte. Dies hatte lediglich zur Folge, dass für die Monate, für die die Beiträge entrichtet wurden, Zuschläge an Entgeltpunkten ermittelt werden (vgl. § 63, § 76b SGB VI) und diese Monate nach Maßgabe des § 52 Abs. 2 SGB VI auf die für den Bezug einer Rente erforderliche Wartezeit angerechnet werden. Hat ein Arbeitgeber für einen geringfügig Beschäftigten pauschale Beiträge zur Krankenversicherung abzuführen, weil dieser bereits anderweitig gesetzlich krankenversichert ist (§ 249b SGB V), so führt dies zu keinen zusätzlichen Leistungsansprüchen des Arbeitnehmers. Für ein Sozialversicherungsverhältnis, das einen Kindergeldanspruch nach dem SozSichAbk YUG begründet, genügt die Abführung pauschaler Arbeitgeberbeiträge nicht.
d) Ob ein Kindergeldanspruch nach dem SozSichAbk YUG grundsätzlich ein Versicherungsverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit (früher Bundesanstalt für Arbeit) voraussetzt (so Rz 26 ff. der Anlage 2 zum Rundbrief der Bundesanstalt für Arbeit vom 3. Dezember 2002, abgedruckt bei Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach D III Nr. 3, sowie Fach D II Kommentierung SozSichAbk YUG Rz 7), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Ebenso wenig braucht er auf die Frage der Fortgeltung des Abkommens einzugehen (vgl. den Vorlagebeschluss des BSG an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 2 GG vom 23. Mai 2006 B 13 RJ 17/05 R, Die Sozialgerichtsbarkeit 2007, 227, betreffend das Verhältnis zu Bosnien und Herzegowina).
Fundstellen
Haufe-Index 1982122 |
BFH/NV 2008, 1036 |
BFH/PR 2008, 349 |
BStBl II 2009, 916 |
BFHE 2008, 439 |
BFHE 220, 439 |
DB 2008, 1249 |
DStRE 2008, 814 |
HFR 2008, 709 |