Leitsatz (amtlich)

Bei Versäumung von Fristen im Ausfuhrerstattungsverfahren findet § 86 AO keine Anwendung.

 

Normenkette

ErstVOSchwEiGe § 5 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2; AO § 86

 

Tatbestand

Die Einfuhr- und Vorratsstelle für Schlachtvieh, Fleisch und Fleischerzeugnisse (EVSt Fleisch) erteilte der Klägerin für die Ausfuhr von Schlachtschweinen nach der Schweiz die Erstattungszusage am 30. Oktober 1963 mit dem Hinweis, auf die an die Ausfuhrfrist … anschließende 60 Tage-Frist für den Erstattungsantrag. Die Ausfuhr von 100 Stck. lebenden Schweinen bestätigte das Zollamt (ZA) durch Ausfuhrbescheinigung vom 12. Dezember 1963, händigte jedoch der Klägerin diese nicht aus, um sie hinsichtlich des Verbrauchslandes zu überprüfen. Erst im Laufe des Rechtsstreits gelangte die Klägerin in den Besitz der Ausfuhrbescheinigung. Den am 23. März 1964 ohne Vorlage der Ausfuhrbescheinigung gestellten Erstattungsantrag wies die EVSt Fleisch wegen Überschreitung der Antragsfrist von 60 Tagen zurück.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Die Klägerin macht mit ihrer Revision geltend, sie sei der Auflassung gewesen, daß der Erstattungsantrag nur mit den erforderlichen Unterlagen vorgelegt werden könne. Erst bei dem Gespräch mit Dr. Sch am 23. März 1964 habe sie erfahren, daß nach Meinung der EVSt Fleisch die Einreichung des Antrags ohne Beifügung der Ausfuhrbescheinigung zur Fristwahrung ausreiche. Sie sei an der rechtzeitigen Einreichung des nach ihrer Meinung allein formgültigen Antrags unter Beifügung der Ausfuhrbescheinigung ohne ihr Verschulden deshalb gehindert worden, weil die Zollbehörden ihr die Ausfuhrbescheinigung vorenthielten. Man könne ihr nicht vorwerfen, daß sie den Erstattungsantrag auch unvollständig hätte stellen können, dies aber nicht getan habe. Diese Möglichkeit sei in den gesetzlichen Bestimmungen nicht vorgesehen. In der Erstattungszusage sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Antrag formgerecht und auf dem Formblatt zu stellen sei. Daran sei die Klägerin aber nicht durch eigenes Verschulden, sondern durch ein Verschulden der Zollbehörden gehindert worden.

Die EVSt Fleisch ist der Ansicht, daß § 86 AO auf dem Gebiet des Erstattungswesens nicht anwendbar sei, weil es an einer gesetzlichen Verweisung wie im Abschöpfungserhebungsgesetz (AbG) für die Abschöpfungen fehle.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision kann keinen Erfolg haben.

Eine Erstattung für die Ausfuhr von Schlachtschweinen konnte nach § 5 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 der Erstattungsverordnung Schweine/Eier/Geflügel (ErstVOSchwEiGe) vom 8. März 1963 (BGBl I, 152, BZBl 1963, 180) in der Fassung der Ersten Änderungsverordnung (1. ÄndVO) vom 29. August 1963 (BGBl I, 741, BZBl 1963, 753) nur beantragen, wer durch eine Ausfuhrbescheinigung nachwies, daß die Ausfuhr innerhalb der in der Erstattungszusage bestimmten Frist durchgeführt ist, und wenn innerhalb von 60 Tagen nach Ablauf dieser Frist der Erstattungsantrag gestellt wurde. Als Ausfuhrfrist war in der Erstattungszusage der 31. Dezember 1963 bestimmt worden. Somit war die anschließende 60-Tage-Frist bereits abgelaufen, als die EVSt Fleisch den Erstattungsantrag am 24. März 1964 erhielt.

Für den Fall der Nichteinhaltung dieser Frist hat das Finanzgericht (FG) § 86 AO für anwendbar gehalten. Dieser Ansicht kann der erkennende Senat nicht folgen. Zwar finden für die Abschöpfungen als Instrument zur Ordnung des Agrarmarktes in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gemäß § 2 AbG vom 25. Juli 1962 (BGBl I, 453, BZBl 1962, 650) die für Zölle und Zollvergehen geltenden Vorschriften, also auch die AO, Anwendung. Für die Erstattung fehlt jedoch eine entsprechende gesetzliche Verweisung. Der enge rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang aber, in dem die Institute der Abschöpfungen und der Erstattungen stehen, rechtfertigt auch keine analoge Anwendung des Abgabenrechts auf die Erstattungen. Denn die Abschöpfungen sind ihrer Rechtsnatur nach Steuern im Sinne von § 1 AO (s. Entscheidung des Bundesfinanzhofs – BFH – VII R 40/68 vom 13. Oktober 1970, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 100 S. 279 – BFH 100, 279 –). Bei den Erstattungen handelt es sich dagegen nicht etwa um die Rückgewähr erhobener Abgaben wie in §§ 150 ff. AO, sondern um Subventionen für die Ausfuhr von Agrarwaren. Diese sind aber dem Wirtschaftsverwaltungsrecht zuzuordnen (vgl. Götz, Das Recht der Wirtschaftssubventionen 1966 S. 144). Deshalb kann auch nicht § 181 FGO in Verbindung mit § 5 a des Gesetzes zur Durchführung der Verordnungen Nr. 20 (Schweinefleisch), Nr. 21 (Eier) und Nr. 22 (Geflügelfleisch) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sowie zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft vom 26. Juli 1962 (BGBl I, 465) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 6. August 1963 (BGBl I, 591), wonach in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Erstattungen der Finanzrechtsweg gegeben ist und für das außergerichtliche Vorverfahren die Vorschriften der §§ 228 ff. AO sinngemäß gelten, es rechtfertigen, die anderen die Besteuerung betreffenden Vorschriften der AO auf Erstattungen anzuwenden. Somit kann auch für die Versäumung von Fristen im Erstattungsverfahren nicht § 86 AO angewendet werden (vgl. auch BFH-Entscheidung VII R 52/67 vom 8. Mai 1970, BFH 99, 281).

Ob aufgrund dessen, daß sich in einzelnen Gesetzen besondere Bestimmungen über die Nachsichtgewährung bzw. über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand finden, wie z. B. in § 233 ZPO, § 44 StPO, § 43 des Patentgesetzes, §§ 22 und 92 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG), § 15 Abs. 3 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZuSEG), ein allgemeiner Grundsatz angenommen werden kann, daß bei unverschuldeter Versäumung einer Frist Nachsicht zu gewähren sei, kann im Streitfall dahinstehen. Denn auch wenn ein solcher Grundsatz bestünde, käme eine Nachsichtgewährung deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin nicht ohne eigenes Verschulden verhindert war, die Antragsfrist einzuhalten. Der Klägerin war in der Erstattungszusage diese Frist vorgeschrieben worden. Wollte sie daher in den Genuß der Erstattung gelangen, so lag es an ihr, die ihr bekannte Frist einzuhalten. Daran war sie nicht dadurch gehindert, daß ihr die Ausfuhrbescheinigung von den Zollbehörden vorenthalten wurde. Denn sie konnte bei der Einreichung des Erstattungsantrags darauf hinweisen, daß sich die Unterlagen bei der Zollbehörde befanden, und ggf. deren Beiziehung beantragen. Mindestens hätte sie sich aufgrund ihrer allgemeinen kaufmännischen Sorgfaltspflicht schon vor Ablauf der Antragsfrist bei der Erstattungsbehörde erkundigen müssen, ob sie die Ausfuhrbescheinigung nachreichen könne, sobald sie diese von den Zollbehörden erhalten habe. Deshalb kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, daß ihr die Möglichkeit, den Erstattungsantrag zur Fristwahrung auch ohne die Beifügung der Ausfuhrbescheinigung zu stellen, nicht bekannt gewesen sei.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514716

BFHE 1972, 432

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