Leitsatz (amtlich)
Der im Schätzungswege zu ermittelnde Wert unbarer Altenteilsleistungen ist grundsätzlich mit den Werten der SachBezV in der für den jeweiligen Veranlagungszeitraum geltenden Fassung anzusetzen. Ein Abschlag kann nicht damit begründet werden, die Landwirte bestritten die Verpflegung teilweise aus dem eigenen Betrieb.
Orientierungssatz
Allgemeine Erfahrungssätze (Erfahrungsgesetze) sind jedermann zugängliche Sätze, die nach einer allgemeinen Erfahrung unzweifelhaft und ausnahmslos gelten; es sind aus der Beobachtung und zulässigen Verallgemeinerung von Einzelfällen gewonnene Einsichten, die bezogen auf ihren Anwendungsbereich schlechthin zwingende Folgerungen enthalten. Andere auf Erfahrung beruhende Einsichten, welche nur Wahrscheinlichkeitsaussagen ermöglichen, sind anhand weiterer Beweisanzeichen darauf zu prüfen, ob sie im konkreten Fall zur Gewißheit werden (vgl. Rechtsprechung des BVerwG und des BGH).
Normenkette
EStG 1979 § 10 Abs. 1 Nr. 1a S. 1; SachBezV 1980 § 1 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bewirtschaftet zusammen mit seiner Ehefrau, der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), im Nebenerwerb einen landwirtschaftlichen Betrieb. Die Eltern des Klägers hatten diesem mit Vertrag vom 18.November 1978 den Betrieb übertragen. Aufgrund des Übergabevertrages waren die Kläger verpflichtet, den Eltern und einer auf dem Hof lebenden Tante Altenteilsleistungen (u.a. freie Kost, Wohnung und ein Taschengeld) zu gewähren.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1980 beantragten die Kläger, die unbaren Altenteilsleistungen in Anlehnung an die Sachbezugsverordnung 1980 (SachBezV 1980) vom 14.Dezember 1979 (BGBl I 1979, 2174, BStBl I 1980, 13) mit einem Wert von 14 400 DM (400 DM x 12 x 3) und die Barleistungen zum Abzug als Sonderausgaben (dauernde Last i.S. des § 10 Abs.1 Nr.1 a Satz 1 des Einkommensteuergesetzes 1979 --EStG--) zuzulassen. Im Einkommensteuerbescheid vom 28.September 1981 berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die unbaren Altenteilsleistungen mit dem Betrage von 7 200 DM (Verpflegung Eltern 4 100 DM, Verpflegung Tante 2 300 DM, Heizung/Beleuchtung 2 x 400 DM). Er folgte damit den von der Oberfinanzdirektion (OFD) Münster festgesetzten Richtwerten über die Bewertung unbarer Altenteilsleistungen. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb insoweit ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage insoweit stattgegeben, als die Sonderausgaben auf der Grundlage des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28.Juli 1983 IV R 174/80 (BFHE 139, 367 BStBl II 1984, 97) um den Nutzungswert der den Altenteilern überlassenen Wohnräume in Höhe von 424 DM zu erhöhen seien. Im übrigen hat das FG die Klage abgewiesen. Die SachBezV 1980 sei weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden. Sonderausgaben seien nicht mit den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsorts (§ 8 Abs.2 EStG) anzusetzen, sondern mit den tatsächlichen Aufwendungen des Steuerpflichtigen. In der Landwirtschaft sei die Annahme berechtigt, daß die Aufwendungen für Verpflegung unter den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsorts lägen, da Landwirte einen Teil der notwendigen Lebensmittel selbst erzeugten. Dies gelte auch im Falle der Kläger, die ausweislich ihrer Einkommensteuererklärung keine spezialisierte Landwirtschaft betrieben.
Mit der Revision tragen die Kläger u.a. vor:
Maßgebend für die Schätzung des Wertes unbarer Altenteilsleistungen (Kost, Heizung und Beleuchtung) sei die SachBezV 1980. Die Annahme des FG, bei Landwirten lägen die Aufwendungen für Verpflegung unter den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsorts, sei unzutreffend. Die selbsterzeugten Naturalien seien mit dem Teilwert zu entnehmen. Zum anderen hätten sich landwirtschaftliche Betriebe in der Vergangenheit vielfach zu Spezialbetrieben mit einem, maximal zwei Betriebszweigen entwickelt. Daraus folge, daß wie bei anderen Verbrauchern die Lebensmittel vielfach in vollem Umfang zugekauft werden müßten.
Den während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheid vom 26.August 1985 haben die Kläger zum Gegenstand des Verfahrens gemacht (§ 68 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid vom 26.August 1985 in der Weise abzuändern, daß die Einkommensteuer auf null DM herabgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Der erkennende Senat hat durch Urteil vom 23.Mai 1989 X R 34/86 (BFHE 157, 161) entschieden:
Als Sonderausgaben (§ 10 Abs.1 Nr.1 a Satz 1 EStG 1979) abziehbare unbare Altenteilsleistungen sind mit ihrem tatsächlichen Wert zu bewerten. Für den Nachweis ihrer Höhe gelten die allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätze. Wird ein Einzelnachweis nicht geführt, so ist die Höhe der Aufwendungen in der Regel zu schätzen. Die Leitwerte der SachBezV 1978 ff. sind ein geeigneter Schätzungsmaßstab, wobei Ausnahmen mit Rücksicht auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nur zuzulassen sind, wenn die Anwendung der SachBezV aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalls zu einer offensichtlich unrichtigen Besteuerung führt.
Wegen der Begründung im einzelnen wird auf das genannte Urteil Bezug genommen.
2. Diese Grundsätze gelten auch im Streitfall. Anhaltspunkte dafür, daß die Anwendung der amtlichen Sachbezugswerte als Schätzungsmaßstab hier zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen würde, sind nicht ersichtlich.
Ein solcher Anhaltspunkt ergibt sich auch nicht aus der Erwägung des FG, Landwirte erzeugten zumindest einen Teil der von ihnen verbrauchten Lebensmittel im eigenen Betrieb. Einen allgemeinen Erfahrungssatz dieses Inhalts gibt es nicht. Allgemeine Erfahrungssätze (Erfahrungsgesetze) sind jedermann zugängliche Sätze, die nach einer allgemeinen Erfahrung unzweifelhaft und ausnahmslos gelten (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3.Mai 1974 IV C 31/72, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung, § 96, Rechtsspruch 54, m.w.N.). Es sind (nur) solche aus der Beobachtung und zulässigen Verallgemeinerung von Einzelfällen gewonnene Einsichten, die bezogen auf ihren Anwendungsbereich schlechthin zwingende Folgerungen enthalten; andere auf Erfahrung beruhende Einsichten, welche nur Wahrscheinlichkeitsaussagen ermöglichen, sind anhand weiterer Beweisanzeichen darauf zu prüfen, ob sie im konkreten Fall zur Gewißheit werden (Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 7.Juni 1982 4 StR 60/82, BGHSt 31, 86). Die letzteren sog. Erfahrungstatsachen können nicht unabhängig von den Umständen des Einzelfalles allgemein Gültigkeit beanspruchen. Das Tatsachengericht muß die Quelle seiner Erfahrung in einer der Nachprüfung zugänglichen Weise darlegen. Das angefochtene Urteil enthält keine solche Darlegung.
3. Die Vorentscheidung war daher --soweit die Klage abgewiesen wurde-- aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Es ist nichts dafür vorgetragen worden oder anderweitig ersichtlich, daß das Verbrauchsverhalten der Kläger offensichtlich außerhalb des von der SachBezV 1980 vorausgesetzten Normalbereichs läge. Auf der Grundlage der somit maßgeblichen Leitwerte der SachBezV 1980 sind die unbaren Altenteilsleistungen (Kost, Heizung und Beleuchtung) wie folgt zu bewerten:
Altenteilerehepaar
405,00 DM x 66 v.H. = 267,30 DM
267,30 DM x 80 v.H. = 213,84 DM
---------
481,14 DM x 12 = 5 773,68 DM
Tante 267,30 DM x 12 = 3 207,60 DM
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Summe 8 981,28 DM.
Das zu versteuernde Einkommen lt. Bescheid vom 26.August 1985 mindert sich von 8 289 DM um 1 782 DM (8 982 DM ./. 7 200 DM) auf 6 507 DM. Die Einkommensteuer hierauf beträgt nach der anzuwendenden Splitting-Tabelle null DM.
Fundstellen
Haufe-Index 62838 |
BFH/NV 1989, 38 |
BStBl II 1989, 786 |
BFHE 157, 165 |
BFHE 1990, 165 |
BB 1989, 1749-1749 (L1) |
DB 1989, 1905 (ST) |
DStR 1989, 711 (KT) |
HFR 1989, 667 (LT) |