Leitsatz (amtlich)
1. Die Verpflichtung einer Kapitalgesellschaft zur Zahlung von Tantiemen an die Vorstandsmitglieder und leitenden Angestellten, die unter Würdigung der Geschäftslage und der Leistungen jährlich nach Ermessen der Gesellschafterversammlung bzw. des Vorstands gewährt werden, ist am Bewertungsstichtag, an dem der Beschluß über die Gewährung der Tantiemen noch nicht vorliegt, aufschiebend bedingt und deshalb nach § 6 Abs. 1 BewG nicht zu berücksichtigen.
2. Bei der Berechnung der Pensionsverpflichtungen nach § 62a BewG in der Fassung vor dem BewG 1965 sind die Vervielfältiger auch bei weiblichen Personen nicht nach § 62a Abs. 3 Buchst. b BewG zu kürzen, wenn diesen Personen eine Waisenrente zugesagt ist. Dabei ist es unerheblich, ob im Einzelfall nach den persönlichen Verhältnissen dieser Personen eine Waisenrente anfallen kann.
Normenkette
BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 6 Abs. 1; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 62a Abs. 3 Buchst. b
Tatbestand
Das FA (Beklagter, Revisionskläger und Revisionsbeklagter) hatte den Einheitswert des Betriebsvermögens der Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagten, einer AG, durch Bescheid vom 12. Januar 1966 auf den 1. Januar 1963 vorläufig festgestellt. Dabei hatte es eine Rückstellung für Tantiemen in Höhe von 900 000 DM nicht zum Abzug zugelassen. Die Klägerin hatte deswegen gegen diesen Bescheid Sprungklage erhoben. Auf Grund einer in den Jahren 1966 und 1967 durchgeführten Betriebsprüfung stellte das FA durch einen auf § 222 AO gestützten Berichtigungsbescheid vom 7. Mai 1969 den Einheitswert des Betriebsvermögens der AG endgültig fest. Dabei erhöhte es den Einheitswert außer um die bereits im vorläufigen Bescheid gestrichene Rückstellung für Tantiemen u. a. noch durch Kürzung der Rückstellung für Pensionszusagen wegen der Waisenanwartschaften bei einem Teil der weiblichen Betriebsangehörigen in Höhe von 433 950 DM.
Die AG beantragte, den Bescheid vom 7. Mai 1969 nach § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Sie beantragte, die obengenannten Erhöhungen des Einheitswerts in voller Höhe rückgängig zu machen und den Einheitswert entsprechend niedriger festzustellen.
Die Klage hatte nur zum Teil Erfolg. Das FG hielt die Kürzung der Rückstellungen für Pensionszusagen an weibliche Betriebsangehörige nicht für gerechtfertigt. Dagegen lehnte es die Rückstellung für Tantiemen, soweit sie über 44 700 DM hinausging, ab.
Gegen das FG-Urteil haben sowohl die AG als auch das FA Revisionen eingelegt.
Die AG beantragt mit der Revision, die Rückstellung für Tantiemeverpflichtungen gegenüber Vorstandsmitgliedern und leitenden Angestellten in Höhe von 672 000 DM zuzulassen. Es wird Verletzung des bestehenden Rechts gerügt. Die Revision wird im wesentlichen damit begründet, daß entgegen der Auffassung des FG am Bewertungsstichtag nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen bereits eine Verpflichtung zur Zahlung der Tantiemen bestanden habe. Diese Verpflichtung sei entstanden, ohne daß es irgend einer Beschlußfassung bedurft hätte. Die Höhe der Tantiemen sei in engen Ermessensgrenzen festzulegen gewesen. Ein Beschluß darüber sei ebenfalls nicht notwendig gewesen, denn die Höhe hätte auch durch Urteil festgelegt werden können. Es habe sich also nicht um eine aufschiebend bedingte Schuld gehandelt.
Das FA beantragt, die Revision der AG zurückzuweisen. Mit seiner eigenen Revision beantragt das FA, die vom FG gestrichene Kürzung der Rückstellung für Versorgungszusagen an weibliche Angehörige in Höhe von 433 950 DM zuzulassen und den Einheitswert zum 1. Januar 1963 entsprechend festzustellen. Es wird Verletzung des bestehenden Rechts gerügt. Die Revision des FA wird im wesentlichen wie folgt begründet: Die Kürzung der Rückstellung für Pensionszusagen um 30 v. H. sei gerechtfertigt, weil bei Pensionszusagen an weibliche Angehörige keine wirtschaftliche Belastung wegen einer Hinterbliebenenrente bestehe. Das sei nach vorsichtigen Schätzungen durch die Betriebsprüfung bei der Hälfte der weiblichen Arbeitnehmer der AG deswegen der Fall, weil mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststehe, daß bei ihrem Tode keine Abkömmlinge vorhanden sein würden, so daß die formelle zugesagte Waisenrente nicht zum Zuge komme. Es handele sich dabei um noch nicht verheiratete junge Mädchen, bei denen der Versorgungsfall in den meisten Fällen wegen vorzeitiger Aufgabe der meist nur vorübergehenden Tätigkeit überhaupt nicht eintreten werde, oder um ältere Frauen, bei denen normalerweise nicht mehr damit gerechnet werden könne, daß die Versorgungszusage für die Gewährung einer Waisenrente noch entstehen könnte.
Die AG beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revisionen der AG und des FA sind insoweit unbegründet.
1. Zur Revision der AG.
Der Abzug einer Schuld als Betriebsschuld nach § 62 Abs. 1 des BewG in der vor dem BewG 1965 geltenden Fassung (im folgenden BewG) setzt nach ständiger Rechtsprechung des Senats voraus, daß die Schuld am maßgebenden Stichtag bereits entstanden und noch nicht getilgt und daß sie für den Schuldner eine ernsthafte wirtschaftliche Belastung war. Das FG hat zu Recht schon die erste Voraussetzung, nämlich die Entstehung einer Schuld, d. h. das Vorhandensein einer bürgerlichrechtlichen Verpflichtung, am Stichtag verneint. Der Senat hat in letzter Zeit zur Frage des Ansatzes gewinnabhängiger Tantiemeansprüche bei der Vermögensteuer in zwei Urteilen Stellung genommen. Er hat in dem Urteil III R 98/69 vom 26. Juni 1970 (BFH 99, 547, BStBl II 1970, 735) entschieden, daß gewinnabhängige Ansprüche auf Tantieme dem Grunde nach nicht erst im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung, sondern schon am Ende des Geschäftsjahres des Unternehmens entstehen und daß dies in der Regel auch für den Anspruch eines Vorstandsmitglieds einer AG auf Gratifikationen gelte, deren Höhe der Aufsichtsrat unter Beachtung des § 77 AktG 1937 nach eigenem Ermessen jährlich neu festsetze. In dem Urteil III R 112/67 vom 10. Mai 1968 (BFH 93, 11, BStBl II 1968, 703) hat der Senat entschieden, daß ein Tantiemeanspruch, der nicht nur gewinnabhängig ist, sondern auch davon abhängt, daß der Gewinn ganz oder teilweise oder in bestimmter Mindesthöhe ausgeschüttet wird, am Bewertungsstichtag, an dem der Beschluß der Hauptversammlung über die Gewinnverteilung noch nicht vorliegt, aufschiebend bedingt und deshalb nach § 4 BewG nicht anzusetzen ist. Die in diesen beiden Urteilen entwickelten Grundsätze sind auch auf die Frage des Abzugs einer entsprechenden Verbindlichkeit bei dem Unternehmen, das die Tantieme zugesagt hat, anzuwenden. Der Streitfall unterscheidet sich von den beiden damals entschiedenen Fällen. Nach dem eigenen Vorbringen der AG war hinsichtlich der Tantieme in den einzelnen Arbeitsverträgen mit den Vorstandsmitgliedern bestimmt: "Daneben kann von der Gesellschafterversammlung unter Würdigung der Geschäftslage und der Leistungen jährlich nach Ermessen der Gesellschafterversammlung eine Tantieme gewährt werden." In den einzelnen Arbeitsverträgen mit den Prokuristen lautete die entsprechende Bestimmung: "Daneben ist es in das Ermessen des Vorstands gestellt, unter Würdigung der Geschäftslage und seiner Leistungen eine Tantieme zu gewähren." In beiden Fällen ist also die Gewährung der Tantieme jedes Jahr von neuem in das Ermessen des Organs der Klägerin gestellt. Der Anspruch der Vorstandsmitglieder und der übrigen leitenden Angestellten auf Tantieme ist danach nicht nur wie im Falle des Urteils III R 98/69 (a. a. O.), gewinnabhängig. Es ist auch nicht so, daß er jedes Jahr nur der Höhe nach vom Aufsichtsrat unter Beachtung des § 77 AktG 1937 festgesetzt würde. Andererseits ist er aber auch nicht wie im Fall des Urteils III R 112/67 (a. a. O.) außer von der Erzielung von Gewinnen auch noch von einer Gewinnausschüttung abhängig. Der Senat ist jedoch der Auffassung, daß auf diesen Fall die in diesem Urteil entwickelten Grundsätze anzuwenden sind, weil nach den getroffenen Vereinbarungen das Ermessen des Organs der AG nicht so stark eingeschränkt ist wie im Fall des Urteils III R 98/69 (a. a. O.). Der Senat braucht dabei nicht abschließend dazu Stellung zu nehmen, ob es sich um freies Ermessen dieses Organs oder nach der Auslegungsregel des § 315 Abs. 1 BGB um billiges Ermessen handelt. Denn auf jeden Fall ist die Gewährung der Tantieme schon dem Grunde, nicht nur der Höhe nach jedes Jahr wieder von einem Beschluß des dafür bestimmten Organs und nach § 315 Abs. 2 BGB von der Bekanntgabe dieses Beschlusses an den Vertragspartner abhängig. Der Unterschied liegt nur darin, daß dieser Beschluß für den betroffenen Angestellten verbindlich wäre, wenn er in das freie Ermessen des Organs gestellt wäre, während er im Rahmen des § 315 Abs. 3 BGB gerichtlich nachprüfbar wäre, wenn er von dem zuständigen Organ nach billigem Ermessen zu treffen wäre. Ein Anspruch des leitenden Angestellten und damit auch eine rechtliche Verpflichtung der AG entsteht auf jeden Fall, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, erst mit der Bewilligung der Tantieme durch den jedes Jahr wieder neu zu fassenden Beschluß des Organs und seine Bekanntgabe an die Vertragspartner. Denn auch wenn man davon ausgeht, daß dieser Beschluß nach billigem Ermessen zu treffen ist und deshalb unter Umständen auch durch ein gerichtliches Urteil erzwungen werden kann, entsteht der Anspruch des Angestellten und die Verpflichtung der AG nicht vor der Beschlußfassung des Organs. Etwas anderes läßt sich auch nicht aus der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung herleiten. Dabei ist zu beachten, daß es sich hier um eine Gewinnbeteiligung handelt, die einzelnen Arbeitnehmern wegen ihrer für das Unternehmen besonders wichtigen Tätigkeit als Teil des Gehalts in Form einer Tantieme gezahlt wird, für die in erster Linie die getroffenen Vereinbarungen maßgebend sind. Die von der Klägerin erwähnte arbeitsrechtliche Rechtsprechung beschäftigt sich dagegen mit Gewinnbeteiligungen, die allen Mitgliedern der Belegschaft oder doch einem erheblichen Teil derselben aus sozialpolitischen Erwägungen zusätzlich zum sonstigen Lohn gewährt werden (vgl. dazu die Ausführungen bei Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., 1. Band, S. 302). Die von der Klägerin weiter angeführte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu § 612 BGB behandelt Fälle, in denen aus irgendwelchen besonderen Gründen keine oder eine unzulängliche Vergütung vereinbart worden ist. Sie ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.
2. Zur Revision des FA.
Das FA kann mit seiner Revision insoweit keinen Erfolg haben, als es sich dagegen wendet, daß das FG die Kürzung der Rückstellungen für Versorgungszusagen an weibliche Arbeitnehmer nicht anerkannt hat. Nach den vom FG getroffenen Feststellungen, die von den Beteiligten nicht angegriffen werden, hat die Klägerin im Streitfall auch an die weiblichen Betriebsangehörigen eine Waisenrente zugesagt. Waisenrenten sind Hinterbliebenenrenten. Damit ist eine Kürzung der Rückstellungen für Pensionsanwartschaften eines Teils der weiblichen Betriebsangehörigen ausgeschlossen. Denn die Vervielfältiger des für den hier maßgebenden Stichtag anzuwendenden § 62a Abs. 2 BewG können nur dann nach § 62a Abs. 3 Buchst. b BewG um 30 v. H. gekürzt werden, wenn eine Hinterbliebenenrente nicht zugesagt ist. Es kommt also nur darauf an, ob eine Hinterbliebenenrente zugesagt worden ist oder nicht. Dagegen ist es unerheblich, ob im Einzelfall nach den persönlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers eine Hinterbliebenenrente anfallen kann. Deshalb bestimmt der Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 21. Juli 1966 (BStBl II 1966, 187) in Abschn. III unter Abs. 9 Nr. 1 mit Recht, daß nicht geprüft zu werden brauche, ob der Anwärter am maßgebenden Stichtag ledig, verwitwet oder verheiratet ist. Das FG weist zutreffend darauf hin, daß diese Anweisung schon deswegen gerechtfertigt ist, weil es sich bei der Berechnung der Pensionsrückstellungen nach § 62a BewG um ein globales Verfahren handelt, das die Verhältnisse des Einzelfalles weitgehend unberücksichtigt läßt. Es kann einem Unternehmer nicht verwehrt werden, eine Waisenrente auch dann zuzusagen, ohne im einzelnen zu prüfen, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit daraus später eine wirtschaftliche Belastung für ihn entstehen wird. Es ist auch entgegen der Auffassung des FA keine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG darin zu erblicken, daß ein solcher Unternehmer im Ergebnis steuerlich besser gestellt ist als ein anderer Unternehmer, der nur solchen Arbeitnehmern eine Waisenrente zusagt, bei denen die Voraussetzungen für eine spätere Inanspruchnahme zur Zeit der Zusage schon vorliegt. Denn diese beiden Fälle unterscheiden sich gerade dadurch, daß in dem einen Fall Zusagen gemacht werden und das Risiko einer späteren Inanspruchnahme eingegangen wird, im anderen Falle nicht. Es wird also nicht Gleiches willkürlich ungleich behandelt. Der Senat braucht im Streitfall nicht zu der Anweisung in Abschn. III Abs. 9 Nr. 1, 2. Abs. des Erlasses vom 21. Juli 1966 (a. a. O.) Stellung zu nehmen, daß bei zugesagten Witwerrenten an weibliche Arbeitnehmer eine Prüfung in der Richtung vorzunehmen ist, ob der Ehemann des weiblichen Arbeitnehmers bei Eintritt des Versorgungsfalles gegenüber seiner Ehefrau Unterhaltsansprüche hat.
Fundstellen
Haufe-Index 413306 |
BStBl II 1972, 872 |
BFHE 1972, 551 |