Entscheidungsstichwort (Thema)
Das Prinzip von Treu und Glauben als Hinderungsgrund, einheitliche GewSt-Meßbeträge und USt-Ansprüche festzusetzen
Leitsatz (NV)
1. In der Festsetzung des einheitlichen GewSt-Meßbetrages (§ 14 Abs. 1 und 2 GewStG) liegt u.a. die Feststellung der sachlichen und persönlichen Steuerpflicht (§ 184 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Zur Feststellung der sachlichen Steuerpflicht gehört die Feststellung dessen, was Steuergegenstand ist. Dies setzt u.a. voraus, daß festgestellt wird, es liege ein Gewerbebetrieb vor.
2. Ein Ingenieurbüro stellt einen Gewerbebetrieb i.S. des § 2 GewStG dar, wenn dieses zu den gewerblichen Unternehmen i.S. des EStG gehört, weil die Inhaberin nicht Ingenieurin ist und insoweit nicht Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.S. des § 18 EStG bezieht.
3. Zur finanzbehördlichen Zusage und zur Verwirkung als Anwendungsfälle der Grundsätze von Treu und Glauben.
4. § 205 Abs. 2 AO 1977 enthält die gesetzliche Fixierung allgemeiner Grundsätze.
5. Für die Anwendung der Grundsätze über die Verwirkung werden das einen einheitlichen GewSt-Meßbetrag festsetzende FA als Anspruchsberechtigter behandelt und das Recht des FA, den einheitlichen GewSt-Meßbetrag festzusetzen, als verwirkbar angesehen.
6. Auch die in einem ESt-Bescheid zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des FA kann ein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen, daß das FA endgültig auf die Festsetzung eines einheitlichen GewSt-Meßbetrages verzichten werde; hierbei ist auf den ESt-Bescheid des jeweiligen Folgejahres abzustellen.
7. Zur Anwendung von Treu und Glauben bei der Umsatzsteuer.
Normenkette
AO 1977 § 184 Abs. 1 S. 2, § 205 Abs. 2; EStG § 18; GewStG §§ 2, 14 Abs. 1-2; UStG 1967/73 § 12
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klin.) ist gelernte Kontoristin. Ihr Ehemann ist Ingenieur. Am . . . 1963 eröffnete die Klin. ein Ingenieurbüro und meldete es bei der zuständigen Kommunalbehörde unter der Bezeichnung ,,Ingenieurbüro und technische Vertretungen" an. Daraufhin erhielt sie einen GewSt-Vorauszahlungsbescheid, gegen den sie Widerspruch einlegte. Im Widerspruchsverfahren wurde die Klin. darauf aufmerksam gemacht, daß Einwendungen gegen die GewSt-Pflicht dem Grunde nach beim Beklagten und Revisionskläger (FA) erhoben werden müßten. Danach wandte sich die Klin. an den für sie zuständigen Sachbearbeiter beim FA. In mehreren Unterredungen mit dem Sachbearbeiter gab sie an, sie sei seit 1932 als Kontoristin tätig gewesen und sei seit dem 1. März 1963 als Unternehmerin tätig. Vorerst werde in ihrem Büro nur ein Angestellter (Ingenieur) stundenweise beschäftigt. Sie selbst sei nicht Ingenieurin. Vielmehr sei ihr Ehemann graduierter Ingenieur und habe die tatsächliche Leitung des Unternehmens inne.
Bei einer dieser Unterredungen teilte der Sachbearbeiter der Klin. mit, der GewSt- Freiheit des Ingenieurbüros stehe entgegen, daß das Unternehmen sich auf eine Handelsvertretung (technische Vertretung) erstrecke. Daraufhin meldete die Klin. am . . . 1963 bei der Kommune das Gewerbe ab. In der Abmeldebescheinigung ist unter ,,Grund der Aufgabe" vermerkt: ,,Einstellung der technischen Vertretung. Das Ingenieurbüro ist freiberuflich und bleibt weiterhin bestehen."
In den ESt-Akten befindet sich auf dem Berechnungsbogen für die ESt 1963 eine mit einem Namenszeichen versehene Anweisung an die Adrema: ,,Gw ab 1963 löschen, da selbst. Tätigkeit." Das gleiche Namenszeichen steht auf dem Berechnungsbogen in dem für den Sachbearbeiter vorgesehenen Feld. Die abschließende Zeichnung der Veranlagung durch den Sachgebietsleiter ist mit dem Datum vom 20. Januar 1965 versehen.
Die Einkünfte der Klin. aus dem Ingenieurbüro wurden 1963 und in den folgenden Jahren vom FA als Einkünfte aus selbständiger Arbeit behandelt. GewSt- Meßbescheide ergingen nicht. Bei der Veranlagung zur USt sah das FA die Tätigkeit der Klin. als freiberuflich an.
1973 meldete der für die Klin. zuständige Teilbezirk des FA das Unternehmen der Klin. zur Vormerkung für eine Betriebsprüfung mit der Begründung an: ,,Die Ehefrau war bis zum Jahre 1963 Kontoristin/Stenotypistin. Im Jahr 1963 eröffnete sie ein Ingenieurbüro, der Ehemann war und ist als Ingenieur Arbeitnehmer. Es ist fraglich, ob die Ehefrau als Unternehmerin Angehörige eines freien Berufs ist."
Bei der 1974 durchgeführten Betriebsprüfung wurde die Klin. darauf hingewiesen, daß ihre Tätigkeit nicht als freiberuflich, sondern als gewerblich angesehen werden müsse. Im Anschluß an die Schlußbesprechung stellte die Klin. mit Ablauf des . . . 1974 ihre unternehmerische Tätigkeit ein. Das Unternehmen wurde danach durch den Ehemann der Klin. fortgeführt.
Aufgrund der Feststellungen der Betriebsprüfung erließ das FA für die Jahre 1971 bis 1974, derentwegen Veranlagungen teils vorläufig vorgenommen, teils überhaupt nicht durchgeführt worden waren, USt-Bescheide, in denen die Steuer nach dem Regelsteuersatz, nicht nach dem ermäßigten Steuersatz, berechnet ist. Hinsichtlich der GewSt sah das FA den Steueranspruch für die Jahre bis einschließlich 1969 als verwirkt an. Bezüglich der Jahre 1970 bis 1972 erließ das FA GewSt-Meßbescheide gegen die Klin.
Mit der Klage beantragt die Klin., die USt-Bescheide 1971 bis 1974 dahin zu ändern, daß den Steuerfestsetzungen der ermäßigte Steuersatz zugrunde gelegt wird, und die GewSt-Meßbescheide aufzuheben.
Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, im Umfange des Klagebegehrens seien die Bescheide rechtswidrig, weil das FA insoweit gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen habe. Diese geböten, daß im Rechtsverkehr jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nehme und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten, auf das der andere vertraut habe, nicht in Widerspruch setze. Das FA sei von seinen, der Klin. gegenüber im Frühjahr 1963 abgegebenen Erklärungen, daß die Einkünfte der Klin. als Einkünfte aus selbständiger Arbeit und nicht als gewerbliche Einkünfte anzusehen seien, abgewichen, obwohl die Klin. auf diese Beurteilung auch zukünftig vertraut habe, habe vertrauen können und entsprechende Dispositionen getroffen habe. Die Erklärung des Sachbearbeiters allein hätte zwar wegen dessen fehlender Zuständigkeit keine Bindung des FA herbeiführen können. Eine solche Bindung sei jedoch dadurch entstanden, daß der Sachbearbeiter die der Klin. gegenüber vertretene Auffassung auf dem Berechnungsbogen der ESt-Veranlagung 1963 durch die Anweisung an die Adrema, das ,,Gw"-Signal zu löschen, zum Ausdruck gebracht habe, was durch den Sachgebietsleiter mit der abschließenden Zeichnung ,,sanktioniert" worden sei. Diese Anweisung habe insoweit Außenwirkung gehabt, als die Klin. vom FA bezüglich der GewSt nicht mehr angesprochen worden sei, insbesondere nicht zur Abgabe entsprechender Steuererklärungen aufgefordert worden sei. Dieser Beurteilung stehe der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung nicht entgegen. Denn der Umstand, daß die Klin. aufgrund des Gesprächs mit dem Sachbearbeiter darauf verzichtet habe, das Unternehmen auf den Bereich der technischen Vertretung zu erstrecken, zeige, daß aus der Sicht beider an dem Gespräch Beteiligten es um die Beantwortung grundlegender, auch auf die Zukunft gerichteter Fragen gegangen sei. Angesichts der fast ein Jahrzehnt andauernden Behandlung des Steuerfalles stelle sich die rückwirkende Korrektur als treuwidrig dar. Dabei sei zu berücksichtigen, daß die vom FA zu entscheidende Rechtsfrage einfach gelagert sei und daß seitens der Klin. und ihres Ehemannes bei einwandfreiem Verhalten des FA die Voraussetzungen für die GewSt-Freiheit und die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes bei der USt ohne weiteres hätten erfüllt werden können. Es könne nämlich davon ausgegangen werden, daß die Klin. und ihr Ehemann diejenige Gestaltung, die nach der Schlußbesprechung gewählt worden sei, auch schon im Jahre 1963 gewählt haben würden, d.h., daß der Ehemann der Klin. bereits 1963 formal nach außen als Unternehmer aufgetreten wäre. Im Ergebnis wären den Steuergläubigern keine höheren Steuerbeträge zugeflossen. Dies unterscheide den vorliegenden Fall von dem, mit dem sich der BFH im Urteil vom 22. Juni 1971 VIII 23/65 (BFHE 103, 77, BStBl II 1971, 749 f., 750) beschäftigt habe. Dispositionen der Klin. als Folge des vom FA gesetzten Vertrauenstatbestandes lägen darin, daß die Klin. die höhere USt und die GewSt nicht in ihre Kalkulation einbezogen und keine höheren Honorare erhoben habe, was beides möglich gewesen wäre.
Mit der Revision beantragt das FA, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Das FA rügt die Verletzung der Grundsätze von Treu und Glauben und macht geltend, der vorliegende Sachverhalt sei dem des BFH-Urteils vom 5. März 1970 IV 213/65 (BFHE 100, 1, BStBl II 1970, 793) vergleichbar. Auch in diesem Fall habe ein FA auf das Vorstelligwerden des Steuerpflichtigen hin eine gewerbesteuerrechtliche Entscheidung getroffen und die streitigen Einkünfte über Jahre hinweg als solche aus freier Berufstätigkeit eingeordnet. Wegen dieser Umstände habe der BFH zwar die Berechtigung eines Vertrauensschutzes bejaht, der zu einer Verwirkung führen könne. Hinsichtlich des Zeitmoments der Verwirkung habe der BFH aber entschieden, daß der Steuerpflichtige erst von dem Zeitpunkt an auf das Unterbleiben von GewSt-Veranlagungen habe vertrauen dürfen, in dem er den ESt-Bescheid für das nächste Jahr erhalten habe. Erst zu diesem Zeitpunkt habe er sicher sein können, daß das FA nunmehr für das vorhergehende Jahr eine GewSt-Veranlagung nicht mehr durchführen würde.
Die Grundsätze dieser Entscheidung habe der BFH im Urteil in BFHE 103, 77, BStBl II 1971, 749 bestätigt.
Dem Zeitmoment sei bei den aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Veranlagungen Rechnung getragen worden. Die USt-Bescheide 1971 bis 1974 sowie die GewSt-Meßbescheide 1970 und 1972 seien ergangen, bevor die Klin. die ESt-Bescheide für die Folgejahre erhalten habe.Der im FG-Urteil eingenommene Standpunkt, wegen der jederzeit möglichen Umgestaltung des Sachverhalts sei die BFH-Rechtsprechung nicht anwendbar, könne nicht geteilt werden. Im Urteil in BFHE 100, 1, BStBl II 1970, 793, auf das im Urteil in BFHE 103, 77, BStBl II 1971, 749 Bezug genommen worden sei, habe der BFH sich mit der Frage der Verwirkung auseinandergesetzt. Dem Urteil sei nicht zu entnehmen, daß irgendwelche Einschränkungen hinsichtlich seiner Anwendbarkeit in Betracht kommen könnten. Der zu entscheidende Sachverhalt - Einordnung der Einkünfte eines Steuerpflichtigen als solche aus freier Berufstätigkeit - sei vielmehr insoweit identisch mit dem vorliegenden.
Im übrigen entziehe es sich seiner, des FA, Kenntnis, warum die Klin. und ihr Ehemann nicht bereits im Jahre 1963 die Gestaltung gewählt hätten, bei der die Einordnung der Einkünfte als freiberuflich zutreffend gewesen wäre. Hierbei könnten Umstände eine Rolle gespielt haben, die im Jahre 1963 eine Gestaltung des Unternehmens in der Form, wie sie 1974 gewählt worden sei, nicht erlaubt hätten. Es könne nicht, wie das FG folgere, davon ausgegangen werden, daß die Klin. und ihr Ehemann ,,ohne weiteres" die angestrebte freiberufliche Qualifikation hätten erfüllen können. Nicht ohne Grund werde die Klin. nach außen als Unternehmerin aufgetreten sein, während in Wirklichkeit ihr Ehemann die Leitung des Unternehmens innegehabt habe.
Die Klin. hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Unter Aufhebung des angefochtenen Urteils wird die Klage abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Das FG hat zu Unrecht angenommen, daß die Grundsätze von Treu und Glauben es nicht erlaubt hätten, die angefochtenen GewSt-Meßbescheide 1970 bis 1972 zu erlassen und in den angefochtenen USt-Bescheiden 1971 bis 1974 statt des ermäßigten Steuersatzes den Regelsteuersatz anzuwenden.
1. Die Vorentscheidung war aufzuheben, weil die Revisionsrügen des FA begründet sind und die Vorentscheidung selbst sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 126 Abs. 4 FGO).
a) Das FA hat die angefochtenen GewSt- Meßbescheide 1970 bis 1972 auch unter Berücksichtigung von Treu und Glauben erlassen dürfen.
aa) Nach § 14 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GewStG wird der einheitliche GewSt- Meßbetrag (§ 14 Abs. 1 GewStG) für den Erhebungszeitraum (regelmäßig: Kalenderjahr) nach dessen Ablauf festgesetzt. In einer solchen Festsetzung liegt u.a. die Feststellung der sachlichen und der persönlichen Steuerpflicht (§ 212a Abs. 2 AO; siehe jetzt § 184 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Zur Feststellung der sachlichen Steuerpflicht gehört die Feststellung dessen, was Steuergegenstand ist (siehe hierzu § 2 GewStG) - vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 184 Tz. 2 -. Dies setzt u.a. voraus, daß festgestellt wird, es liege ein Gewerbebetrieb vor (vgl. § 2 GewStG). Das FG ist zutreffend - insoweit in Übereinstimmung mit beiden Beteiligten - davon ausgegangen, daß das von der Klin. in den Streitjahren betriebene Ingenieurbüro einen Gewerbebetrieb im Sinne des § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GewStG darstellt, weil es zu den gewerblichen Unternehmen im Sinne des EStG gehört und weil die Klin., die nicht Ingenieurin ist, insoweit nicht Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Sinne des § 18 EStG erzielte (vgl. Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, § 2 Anm. 88 ff., 98, Stichwort: Ingenieur).
bb) Das FG hat weiter angenommen, daß die Grundsätze von Treu und Glauben dem Erlaß der angefochtenen GewSt- Meßbescheide entgegenständen. Hierin vermag der erkennende Senat dem FG weder in Beziehung auf die Grundsätze zur finanzamtlichen Zusage noch hinsichtlich des Rechtsinstituts der Verwirkung zu folgen.
Als allgemeines, auch im Steuerrecht geltendes Rechtsprinzip gebietet die Verpflichtung zur Beachtung von Treu und Glauben, daß im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem früheren Verhalten, auf das der andere vertraut und aufgrund dessen er in einer irreparablen Weise disponiert hat, nicht in Widerspruch setzt. Als Anwendungsfälle der Verpflichtung auf Treu und Glauben werden im Steuerrecht u.a. angesehen: die Grundsätze über die finanzbehördliche Zusage, soweit es für sie an einer gesetzlichen Regelung fehlt, sowie die über die Verwirkung (Tipke, Steuerrecht, 11. Aufl., § 17 Abschn. 4 = S. 598 ff.).
Die Festsetzung der einheitlichen GewSt- Meßbeträge für die Streitjahre (1970 bis 1972) war dem FA nicht im Hinblick auf die aus Treu und Glauben abgeleiteten Grundsätze über die Beachtung finanzamtlicher Zusagen verwehrt (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 16. März 1983 IV R 36/79, BFHE 138, 223, BStBl II 1983, 459 mit weiteren Nachweisen, unter 4c). Finanzbehörden sind verpflichtet, u.a. die für die Entstehung und den Umfang des Steueranspruchs maßgebenden Feststellungen der Besteuerungsgrundlagen durchzuführen. Nur ausnahmsweise können sie nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehindert sein, Besteuerungsgrundlagen in der dem Gesetz entsprechenden Höhe festzustellen. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn ein FA einem Steuerpflichtigen zugesagt hat, einen Sachverhalt bei der Feststellung von Besteuerungsgrundlagen in einem bestimmten Sinne zu beurteilen (wegen der Voraussetzungen für bindende Wirkung einer finanzbehördlichen Zusage siehe BFH- Urteil vom 4. August 1961 VI 269/60 S, BFHE 73, 813, BStBl III 1961, 562).
Für die Frage, ob durch Zusage eine finanzbehördliche Bindung eingetreten ist und gegebenenfalls in welchem Umfang diese Bindung besteht, kommt es auf den durch Auslegung zu ermittelnden Sinngehalt des betreffenden finanzbehördlichen Verhaltens an. Dabei ist auf die Sicht desjenigen abzustellen, dem die Zusage erteilt worden sein soll, wobei allerdings sämtliche den Beteiligten bekannten und erkennbaren Umstände zu berücksichtigen sind (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., vor § 204 Tz. 16). Herangezogen werden kann ferner die Regelung durch § 205 Abs. 2 AO 1977 der inhaltlichen Voraussetzungen einer verbindlichen Zusage im Anschluß an eine Außenprüfung, weil insoweit allgemeine Grundsätze gesetzlich fixiert sind (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., vor § 204 Tz. 12).
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß dahingestellt bleiben kann, ob im übrigen die Voraussetzungen einer das FA bindenden Zusage vorliegen; denn das FA hat der Klin. jedenfalls nicht zugesagt, ihr gegenüber für die Streitjahre (1970 bis 1972) keine einheitlichen GewSt-Meßbeträge festzusetzen. Daß die Klin. das Verhalten des FA in einem solchen Sinne hätte verstehen dürfen, ist weder vom FG in einer den Senat bindenden Weise ausdrücklich festgestellt worden, noch gibt es in den übrigen Feststellungen des FG hierfür hinreichende Anhaltspunkte.
In dem die Entscheidunsgründe enthaltenden Teil der Vorentscheidung (S. 6. 1. Absatz) ist der Inhalt der Erklärung des FA, die das FG dem Verhalten des FA entnommen hat und die es als Zusage betrachtet, wie folgt umschrieben: Die Einkünfte der Klin. seien als Einkünfte aus selbständiger Arbeit und nicht als gewerbliche Einkünfte anzusehen. Das FG hat hierbei keine Feststellungen wiedergegeben, denen sich entnehmen ließe, die den Gegenstand der Erklärung darstellende gewerbesteuerrechtliche Würdigung seitens des FA solle auch für künftige Erhebungszeiträume gelten. Mithin wird hierdurch, was künftige Erhebungszeiträume anbelangt, die vom FG daran geknüpfte Subsumption, die Klin. habe auf diese Art der Beurteilung auch zukünftig vertraut und vertrauen können, nicht gerechtfertigt.
Nichts Gegenteiliges ergibt sich aus den Feststellungen des FG, derentwegen das FG gemeint hat, die Abgabe einer Erklärung des erörterten Inhalts dem FA zurechnen zu können. Die vom Sachbearbeiter auf dem Berechnungsbogen für die ESt 1963 verfügte und nach Ansicht des FG durch die abschließende Zeichnung des Sachgebietsleiters sanktionierte Anweisung an die Adrema, das Signal ,,Gw" zu löschen, war zwar eine auf die Zukunft bezogene Maßnahme, die zur Folge hatte, daß die Klin. fortan gewerbesteuerlich nicht mehr geführt wurde und dementsprechend keine Vordrucke zur Abgabe diesbezüglicher Steuererklärungen mehr erhielt. Aber weder das erstmalige Absehen von der Festsetzung eines einheitlichen GewSt-Meßbetrages (1963) noch das Unterbleiben entsprechender Maßnahmen für jeden der folgenden Erhebungszeiträume konnte bei der Klin. vernünftigerweise zu der Annahme führen, fortan für alle Zukunft oder mindestens bis zu einer entsprechenden vorherigen Ankündigung von der Festsetzung einheitlicher GewSt-Meßbeträge, insbesondere für die Streitjahre (1970 bis 1972), verschont zu bleiben. Hierfür hätte es anderer - d.h. einen entsprechenden Bindungswillen des FA erkennbar machender - Anhaltspunkte bedurft als der in tatsächlicher Hinsicht jederzeit auch für zurückliegende Erhebungszeiträume änderbaren Löschung des ,,Gw"-Signals oder des Unterlassens der Übersendung von Steuererklärungsvordrucken.
Die Feststellung des FG des Inhalts, daß durch die Unterredung zwischen der Klin. und dem Sachbearbeiter für das FA klar gewesen sei, die Frage der Gewerbesteuerpflicht sei für die Klin. von grundlegender Bedeutung auch für die Zukunft und die Klin. habe den Willen gehabt, etwaige die GewSt-Pflicht herbeiführende Umstände auszuräumen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Hieraus ergibt sich nicht, daß die Klin. in dem erörterten Verhalten des FA, statt jederzeit änderbare Maßnahmen, eine Zusicherung habe sehen dürfen, von der das FA allenfalls nach vorheriger Ankündigung für die Zukunft hätte abrücken können. Die Vorentscheidung läßt sich ferner nicht aufgrund der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Grundsätze zur Verwirkung aufrechterhalten.
Verwirkung als Anwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Verhaltens greift ein, wenn ein Anspruchsberechtigter beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen hat, daß nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung des Anspruchs als illoyale Rechtsausübung empfunden werden muß (BFH-Urteile vom 14. September 1978 IV R 89/74, BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121 unter II.3; vom 7. Juni 1984 IV R 180/81, BFHE 141, 451, BStBl II 1984, 780 unter 2b).
Für die Anwendung der Verwirkung wird ein einen einheitlichen GewSt-Meßbetrag festsetzendes FA als Anspruchsberechtigter (siehe oben) behandelt und das Recht dieses FA, den einheitlichen GewSt-Meßbetrag festzusetzen, als verwirkbar angesehen (vgl. Urteil in BFHE 141, 451, BStBl II 1984, 780); siehe auch Glanegger/Güroff, a.a.O., § 1 Anm. 32).
Verwirkung setzt neben dem bloßen Zeitmoment (zeitweilige Untätigkeit des Anspruchsberechtigten) ein bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten voraus, demzufolge der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung darauf vertrauen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Vertrauenstatbestand), sowie weiter voraus, daß der Anspruchsverpflichtete tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich hierauf eingerichtet hat. Durch das Rechtsinstitut der Verwirkung soll der Steuerpflichtige davor geschützt werden, daß ihm erhebliche Nachteile entstehen, die ihm nicht entstanden wären, wenn das FA den Steueranspruch rechtzeitig geltend gemacht hätte (vgl. Urteil in BFHE 141, 451, BStBl II 1984, 780).
Im vorliegenden Fall ist ein vom FA begründeter Vertrauenstatbestand nicht etwa darin zu sehen, daß das FA die GewSt-Pflicht für die zurückliegenden Jahre verneint hatte. Denn das FA war verpflichtet, für jeden Erhebungszeitraum die Voraussetzungen der Festsetzung eines einheitlichen GewSt-Meßbetrages erneut zu prüfen. Dabei ist das FA an frühere Rechtsauffassungen selbst dann nicht gebunden gewesen, wenn die Klin. im Vertrauen auf diese disponiert hat, wie vom FG angenommen worden ist (vgl. Urteil in BFHE 141, 451, BStBl II 1984, 780 unter Hinweis auf das Urteil in BFHE 103, 77, BStBl II 1971, 749).
Einen Vertrauenstatbestand in dem erörterten Sinne kann die Klin. für das Streitjahr 1970 nicht daraus herleiten, daß das FA bei der Veranlagung zur ESt 1971 der Klin. den Freibetrag für freie Berufe gewährt hat. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß auch eine im ESt- Bescheid zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des FA ein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen kann, daß das FA endgültig auf die Festsetzung eines einheitlichen GewSt-Meßbetrags verzichtet habe. Hierbei wird auf den ESt-Bescheid des jeweiligen Folgejahres abgestellt, weil erst von dessen Erlaß an das Unterbleiben der GewSt-Veranlagung als sicher angesehen werden könne. Schutzwürdig ist das Vertrauen auf die Maßgeblichkeit der einkommensteuerlichen Behandlung jedoch dann nicht, wenn - wie im vorliegenden Falle - der Bescheid für das Folgejahr gemäß § 100 Abs. 2 AO vorläufig ergangen ist, weil unter solchen Umständen damit gerechnet werden muß, daß das FA der Besteuerung zunächst die Angaben in der ESt-Erklärung weitgehend ungeprüft zugrunde gelegt hat (vgl. Urteil in BFHE 141, 451, BStBl II 1984, 780 unter 2. b am Ende).
b) Unter Berücksichtigung von Treu und Glauben war das FA entgegen der Annahme des FG ferner nicht gehindert, die USt für die Streitjahre (1971 bis 1974) unter Anwendung des Regelsteuersatzes zu berechnen. Beide Beteiligten gehen mit dem FG zutreffend davon aus, daß auf die von der Klin. in den Streitjahren bewirkten Umsätze nach dem Gesetz der Regelsteuersatz (§ 12 Abs. 1 UStG 1967/73) zur Anwendung kommt. Der Senat vermag dem FG nicht darin zu folgen, daß die Grundsätze von Treu und Glauben entsprechenden Veranlagungen der Klin. entgegengestanden hätten. Hierfür wird auf die Ausführungen zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit diese die GewSt- Meßbescheide 1970 bis 1972 betrifft, verwiesen. Da das FG zur USt von einer anderen Rechtslage ausgegangen ist, liegt auch insoweit ein Aufhebungsgrund vor. Auf die Fragen, ob aufgrund eines die einheitlichen GewSt-Meßbeträge betreffenden Verhaltens USt-Ansprüche - teilweise - verwirkt sein könnten und ob eine nicht gerechtfertigte Gewährung der umsatzsteuerlichen Vergünstigung aufgrund des § 7a Abs. 2 UStG 1951 Verwirkung hinsichtlich der Höhe des Steuersatzes (§ 12 UStG 1967/73) auszulösen vermag, braucht nicht eingegangen zu werden.
2. Der Senat kann durcherkennen. Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich zugleich, daß durch die Festsetzung einheitlicher GewSt-Meßbeträge 1970 bis 1972 und durch die Ermittlung der USt 1972 bis 1974 nach dem Regelsteuersatz nicht Rechte der Klin. verletzt sind. Die auf Aufhebung bzw. Änderung der angefochtenen Bescheide gerichtete Klage der Klin. war daher abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 415904 |
BFH/NV 1989, 356 |