Entscheidungsstichwort (Thema)
Mangelnde Urteilsbegründung; Auskunftsersuchen an Banken
Leitsatz (NV)
1. Die Zustellung des Urteils 101/2 Monate nach der mündlichen Verhandlung ist für sich gesehen noch kein Mangel i. S. des § 119 Nr. 6 FGO.
2. Weigert sich der Steuerpflichtige, Unterlagen betreffend sein Depot bei einer Bank vorzulegen, kann sich das Finanzamt unmittelbar an die Bank wenden.
Normenkette
FGO § 119; AO 1977 § 93 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (Urteil vom 20.07.1984; Aktenzeichen VIII 286/82) |
Nachgehend
Tatbestand
Bei der Bearbeitung des Lohnsteuerermäßigungsantrags für das Jahr 1981, in dem der Kläger und Revisionskläger (Kläger) Zinsen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend machte, kamen dem Bearbeiter beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) Zweifel, ob die Kläger in den Jahren 1976 bis 1980 Zinseinkünfte in zutreffender Höhe erklärt hätten.
Mit Schreiben vom 9. Oktober 1981 bat das FA den Kläger nachzuweisen, wie das Vermögen von . . . DM, das die Klägerin 1976 von ihrem Vater geerbt hatte, verwendet worden sei.
Weil es die Antwort des Klägers vom 10. Oktober 1981 nicht als ausreichend ansah, forderte das FA den Kläger am 15. Oktober 1981 auf, zur Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen in den Jahren 1976 bis 1980 alle Depotauszüge, alle Kauf- und Verkaufsaufträge über Wertpapiere, alle Zins- und Dividendengutschriften, Bescheinigungen über die Übertragung von Wertpapieren und Guthaben auf andere Konten sowie den Nachweis der Übertragung von Wertpapieren auf den Sohn der Kläger vorzulegen.
Am 1. November 1981 nahm der Kläger zu den behaupteten Widersprüchen seiner Auskunft vom 10. Oktober 1981 Stellung und legte . . . Originalbelege vor.
Das FA war der Ansicht (Schreiben vom 17. November 1981), der Kläger habe für einige Wertpapiere keine Unterlagen eingereicht und ein Depot bei der Kreissparkasse verschwiegen. Es forderte den Kläger auf, sämtliche Unterlagen über dieses Depot einzureichen und die in den Steuererklärungen 1976 bis 1980 angegebenen Kapitaleinkünfte aufzugliedern.
Am 29. November 1981 sandte der Kläger den Beleg über ein weiteres Wertpapier an das FA. Im übrigen weigerte er sich, der Forderung des FA nachzukommen, solange dieses nicht die Rechtsgrundlage dafür angebe.
Am 16. Dezember 1981 teilte das FA dem Kläger mit, es stütze seine Nachforschungen auf die §§ 88, 90, 92, 93 und 97 der Abgabenordnung (AO 1977), und wiederholte seine Forderung vom 17. November 1981. Der Kläger kam der Aufforderung nur zum Teil nach. Am 26. April 1982 bat das FA die Kreissparkasse B um Beantwortung verschiedener Fragen, zunächst betreffend die Jahre 1976 bis 1982, später (Schreiben vom 3. Mai 1982) betreffend die Jahre 1976 bis 1981.
Gegen das Auskunftsersuchen sowie die Schreiben vom 9. und 15. Oktober, 17. November, 16. Dezember 1981 sowie 26. April und 3. Mai 1982 legten die Kläger vergeblich Beschwerde ein. Nach Erlaß der Beschwerdeentscheidung erteilte die Kreissparkasse B die erbetene Auskunft. Die Angaben werden von den Klägern bestritten. Das FA änderte den Einkommensteuerbescheid 1976 und erhöhte die Einkünfte aus Kapitalvermögen um 6 421 DM auf 9 257 DM. Die Einkommensteuerbescheide 1977 bis 1980 änderte das FA bisher nicht.
Die Kläger erhoben Klage und beantragten, festzustellen, daß
a) Die Verwaltungsakte des FA vom 9. und 15. Oktober (je ab Abschn. 2), vom 17. November und vom 16. Dezember 1981 auf Erteilung von Auskünften und Vorlage von Unterlagen,
b) das Auskunftsersuchen des FA an die Kreissparkasse B vom 26. April 1982 und
c) die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) vom 1. Juni 1982 rechtswidrig sind.
Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage für zulässig. Insbesondere hätten die Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung u. a. deshalb, weil die Frage der Auswertung der durch die angegriffenen Verwaltungsakte erlangten Kenntnisse im Raume stehe.
Es stellte fest, daß die Verfügung des FA vom 17. November 1981, sämtliche in den Einkommensteuererklärungen 1976 bis 1980 angegebenen Kapitaleinkünfte aufzugliedern, rechtswidrig sei. Im übrigen wies das FG die Klage als unbegründet zurück.
Einem Antrag der Kläger, den Tatbestand des Urteils zu berichtigen, gab das FG durch Beschluß vom 26. November 1985 zum Teil statt. Einen Antrag auf Ergänzung des Urteils lehnte das FG durch Urteil vom 10. September 1985 ab.
Die Kläger legten gegen das Urteil Revision und gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde ein. Der Senat hat die Revision durch Beschluß vom 29. April 1987 wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als es auf Klageabweisung lautet, und festzustellen, daß die Verwaltungsakte des FA vom 9. und 15. Oktober (je ab Abschn. 2) sowie vom 17. November (soweit dieser nicht bereits durch das erstinstanzliche Urteil aufgehoben ist) und vom 16. Dezember 1981, das Auskunftsersuchen des FA an die Kreissparkasse B vom 26. April 1982 und die Beschwerdeentscheidung der OFD vom 1. Juni 1982 rechtswidrig sind.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Das Urteil des FG ist i. S. der §§ 116 Abs. 1 Nr. 5 und 119 Nr. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Gründen versehen.
a) Die Zustellung des Urteils 101/2 Monate nach der mündlichen Verhandlung ist für sich gesehen noch kein Mangel i. S. des § 119 Nr. 6 FGO (vgl. die Nachweise der Rechtsprechung bei Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 116 FGO Rdnr. 22). Es sind darüber hinaus keine Umstände erkennbar, aus denen sich ergibt, daß der Zusammenhang mit der mündlichen Verhandlung bei der Absetzung des Urteils verlorengegangen wäre (vgl. dazu Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 119 Rdnr. 26). Die Urteilsbegründung ist sehr ausführlich, befaßt sich mit vielen rechtlichen Gesichtspunkten und nimmt wiederholt auf konkretes Vorbringen in der mündlichen Verhandlung Bezug.
b) Das FG hat sich auch mit dem Antrag, soweit er die Verfügungen vom 9. und 15. Oktober 1981 betrifft, befaßt. Es ist richtig, daß ein Mangel i. S. des § 119 Nr. 6 FGO auch vorliegen kann, wenn Gründe zum Teil fehlen (vgl. Gräber / Ruban, a.a.O., § 119 Rdnr. 24). Das ist aber erst dann der Fall, wenn nicht mehr erkennbar ist, auf welche rechtlichen Grundlagen das Gericht seine Entscheidung stützt. Davon kann im Streitfall nicht die Rede sein. Das FG nennt in seiner Begründung auch die angegebenen Verfügungen neben anderen und gibt damit zum Ausdruck, daß es sie sämtlich als vergleichbar ansieht. Die gegebenen Begründungen beziehen sich mithin auf die Verfügungen vom 9. und 15. Oktober 1981.
c) Die weitere Rüge, das FG habe einzelne Behauptungen und Rechtsansichten nicht oder nicht hinreichend begründet, legt keinen Mangel i. S. der §§ 116 Abs. 1 Nr. 5, 119 Nr. 6 FGO dar. Auch wenn darin ein Mangel des Urteils zu sehen wäre, fehlte dem Urteil deshalb nicht die Begründung.
2. Mit der Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO) können die Kläger nicht gehört werden. Sie haben nicht die Tatsachen bezeichnet, die die Mängel ergeben (§ 120 Abs. 2 FGO). Sie haben nicht die Beweismittel angegeben, deren sich das FG angeblich nicht bedient haben soll, oder die Beweise, die es von sich aus hätte erheben müssen. Insbesondere haben sie nicht dargelegt, inwiefern das FG-Urteil auf den Mängeln beruhen kann.
3. Auch mit der Rüge des Verstoßes gegen den Inhalt der Akten (§ 96 FGO) können die Kläger nicht gehört werden. Sie beanstanden zwar in vielen Fällen, daß das (FA und das) FG nicht oder nicht genügend auf ihr Vorbringen eingegangen sei. Sie bezeichnen aber in keinem Fall die übergegangenen Aktenteile. Deshalb ist zum Teil nicht erkennbar, ob es sich um früheres oder - nicht mehr zu berücksichtigendes (§ 118 Abs. 3 FGO) - neues Vorbringen handelt. Die Kläger rügen ferner eine unzutreffende Würdigung des FA und des FG von Äußerungen des Klägers. Darin kann eine Rüge der Verletzung des § 96 FGO nicht gesehen werden.
4. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) zulässig ist. Die Kläger haben ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der streitigen Verfügungen. Sollten sie rechtswidrig sein, hätten sie aufgehoben werden müssen und das FA dürfte die erlangten Kenntnisse nicht auswerten (vgl. Tipke / Kruse, a.a.O., § 88 AO 1977 Rdnr. 7 am Ende, mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung).
5. Das FG hat auch zu Recht beide Kläger als Adressaten der streitigen Verfügungen angesehen. Es ist zwar richtig, daß die Verfügungen vom 9. und 15. Oktober, 17. November sowie 14. und 16. Dezember 1981 sowie das Schreiben vom 1. April 1982 nur an den Kläger gerichtet sind. Die Anfrage an die Kreissparkasse B vom 26. April 1982 betrifft aber die Kapitalerträge beider Kläger. Beide Kläger haben dagegen Dienstaufsichtsbeschwerde (5. Mai 1982) und beide Kläger haben gegen sämtliche Verfügungen Beschwerde zur OFD eingelegt. Die Beschwerdeentscheidung der OFD ist beiden Klägern gegenüber ergangen.
Hinsichtlich der Verfügungen an den Kläger gibt es Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger persönlich und zugleich als Vertreter der Klägerin angesprochen war und auch für die Klägerin reagiert hat. Die Verfügungen bezogen sich von vornherein auch auf eventuelle Kapitalerträge der Klägerin (Erbschaft!), die in den Verfügungen auch genannt werden.
6. Die Verfügungen des FA sind nicht deswegen rechtswidrig, weil die Besteuerung der Kapitalerträge verfassungswidrig wäre. Letzteres ist auch dann nicht der Fall, wenn ein überwiegender Teil der Steuerpflichtigen - sei es auch durch Versäumnisse der Finanzverwaltung - seine Kapitalerträge nicht erklärt (zur weiteren Begründung vgl. Urteil des Senats vom 20. Juni 1989 VIII R 82/86, BFHE 156, 543, Der Betrieb 1989, 1648).
7. Die Verfügungen waren ferner nicht deshalb fehlerhaft, weil die Festsetzungsfrist (§§ 169 ff. AO 1977) für die Einkommensteuer der Jahre 1976 und 1977 abgelaufen gewesen wäre. Letzteres war schon deshalb nicht der Fall, weil diese Bescheide mit Einsprüchen und Klagen angegriffen sind; über die Klagen ist noch nicht entschieden (§ 171 Abs. 3 AO 1977). Im übrigen beträgt die Festsetzungsfrist bei hinterzogenen Steuern 10 Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).
8. Das FG hat ohne Rechtsverstoß festgestellt, daß das FA die Grenzen seines Ermessens (§ 5 AO 1977) bei Erlaß der streitigen Verfügungen nicht verletzt hat. Das FA war aufgrund der §§ 88, 90, 92, 93 und 97 AO 1977 zu Nachforschungen dieser Art befugt. Daß ein sachlicher Anlaß dazu bestand, zeigt nicht zuletzt das Ergebnis, besonders aber auch die sehr zögerlichen Antworten des Klägers und die - angesichts der Erbschaft der Klägerin - niedrigen Kapitalerträge. Nachdem sich der Kläger geweigert hatte, entsprechend dem Schreiben des FA vom 17. November 1981 die Unterlagen betreffend sein Depot bei der Kreissparkasse B vorzulegen, durfte das FA sich auch unmittelbar an diese wenden (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Der Darlegung über die steuerliche Behandlung der (dem FA noch unbekannten) Stückzinsen bedurfte es dafür nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 416598 |
BFH/NV 1990, 210 |