Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterzeichnung eines bestimmenden Schriftsatzes mit ,,i. A."
Leitsatz (NV)
1. Die Unterzeichnung eines bestimmenden Schriftsatzes mit dem Zusatz ,,i. A." genügt dann nicht dem Schriftformerfordernis des § 64 FGO, wenn der Zusatz darauf schließen läßt, daß der Unterzeichner die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes ablehnen will. Ob dies der Fall ist, kann nicht pauschal, sondern nur nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden (Abgrenzung zu BGH NJW 1988, 210).
2. Zur Unterzeichnung eines Antrags auf mündliche Verhandlung gegen einen Vorbescheid durch einen nicht geschäftsführungsbefugten Kanzleiangestellten einer Steuerberatungs-GmbH.
Normenkette
FGO § 64
Tatbestand
Das beklagte Finanzamt (FA) nahm den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) mit Bescheid vom . . . auf Duldung der Vollstreckung in Anspruch. Obwohl der Kläger die hiergegen erhobene Klage noch innerhalb der vom Finanzgericht (FG) gesetzten Frist (10. Mai . . .) begründet hatte, erließ das FG bereits am 8. Mai . . . einen Vorbescheid, mit dem es die Klage wegen fehlender Klagebegründung abwies. Hierauf kündigte der Geschäftsführer der vom Kläger bevollmächtigten Steuerberatungs-GmbH dem Berichterstatter des FG telefonisch an, gegen den Vorbescheid Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen. Der hierauf auf dem Briefpapier der GmbH und mit deren Stempel versehene Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung wurde von dem nicht geschäftsführungsbefugten Angestellten D der GmbH mit dem Zusatz ,,i. A." unterzeichnet. Das FG hat den Antrag als wirksam angesehen und der Klage nach Durchführung der mündlichen Verhandlung stattgegeben.
Hiergegen wendet sich das FA mit der vom Senat zugelassenen Revision. Es rügt die fehlerhafte Anwendung der §§ 90 Abs. 3 und 64 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der am 8. Mai . . . ergangene klageabweisende Vorbescheid habe als Urteil zu gelten, da der Antrag auf mündliche Verhandlung von dem nicht geschäftsführungsbefugten Angestellten D mit dem Zusatz ,,i. A." unterzeichnet worden sei. Wie der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden habe (Beschluß vom 5. November 1987 V ZR 139/87, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1988, 210) werde durch diesen Zusatz deutlich, daß der Angestellte keine eigene Prozeßerklärung habe abgeben wollen, sondern lediglich als Bote eine fremde Prozeßerklärung überbracht habe.
Entscheidungsgründe
Die lediglich auf einen Verfahrensmangel (§ 118 Abs. 3 FGO) gestützte Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht den Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung trotz der Unterzeichnung durch den Angestellten D mit dem Zusatz ,,i. A." als wirksam angesehen mit der Folge, daß der - für das FA günstige - Vorbescheid als nicht ergangen gilt (§ 90 Abs. 3 Satz 3 FGO) und das FG an der Aufhebung des Duldungsbescheides durch den klageabweisenden Vorbescheid nicht gehindert war.
1. Für bestimmende Schriftsätze, zu denen auch der Antrag auf mündliche Verhandlung gegen einen ergangenen Vorbescheid gehört, weil hierdurch ein neuer Verfahrensabschnitt eingeleitet wird, gilt entsprechend § 64 Abs. 1 FGO das Schriftformerfordernis (Gräber / von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 64 Anm. 4; grundlegend Beschluß des Großen Senats für Zivilsachen vom 15. Mai 1936 G. S. Z. 2/36 - V 62/35, RGZ 151, 82). Wird ein bestimmender Schriftsatz nicht vom Kläger oder seinem Prozeßbevollmächtigten eigenhändig unterzeichnet, sondern von einem Kanzleiangestellten, so ist dem Schriftformerfordernis für das erstinstanzliche Verfahren vor dem FG genügt, wenn dieser mit Untervollmacht des Bevollmächtigten gehandelt hat und keine Umstände erkennbar sind, die darauf schließen lassen, daß der Unterzeichnende mit seiner Unterschrift die Verantwortung für Inhalt und Einreichung des Schriftsatzes nicht übernehmen wollte (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Februar 1990 IV R 68/89, BFH/NV 1991, 100; vom 24. November 1971 I R 116/71, BFHE 103, 408, BStBl II 1972, 95; vom 7. August 1974 II R 169/70, BFHE 113, 490, BStBl II 1975, 194; anders für das Verfahren vor dem BFH: BFH-Beschluß vom 7. März 1989 X R 159/87, BFH/NV 1989, 534). Dem Zweck des Unterschriftserfordernisses, den Nachweis zu erbringen, daß der bestimmende Schriftsatz in eigener Verantwortung von einer Person eingereicht wurde, die nach der jeweiligen Prozeßordnung befähigt und befugt ist, Prozeßhandlungen vorzunehmen, ist dann genügt.
2. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
a) Nach den im finanzgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbaren Vorschriften der Zivilprozeßordnung (ZPO) ermächtigt die dem Bevollmächtigten erteilte Prozeßvollmacht dazu, für das gesamte Verfahren oder auch nur für einzelne Prozeßhandlungen Untervollmacht zu erteilen (§§ 155 FGO i. V. m. § 81 ZPO; Urteil des BFH vom 18. Mai 1972 V R 149/71, BFHE 106, 7, BStBl II 1972, 771). Zwar hat der Bevollmächtigte des Klägers keine ausdrückliche, auf seinen Angestellten D ausgestellte schriftliche (§ 62 Abs. 3 FGO) Untervollmacht vorgelegt. Jedoch braucht die Vollmacht nicht auf dem üblichen Vordruck erteilt zu werden. Sie kann sich auch aus einem Schriftsatz des Bevollmächtigten an das Gericht ergeben (Gräber / Koch, a. a. O., § 62 Tz. 53). Im Streitfall hat der Prozeßbevollmächtigte nach dem von seinem Angestellten gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung den Prozeß fortgeführt und Schriftsätze an das Gericht unterzeichnet. Hierin hat das FG ohne Rechtsfehler jedenfalls eine mit Rückwirkung verbundene Genehmigung der Prozeßhandlung des D gesehen, die gemäß § 62 Abs. 3 FGO auch noch nach Fristablauf (§ 90 Abs. 3 Satz 2 FGO) erteilt werden kann (Urteil des BFH in BFH/NV 1991, 100; BFHE 106, 7, BStBl II 1972, 771; vom 14. Juli 1971 I R 60/71, BFHE 103, 537, BStBl II 1972, 180; in BFHE 103, 408, BStBl II 1972, 95). Eine bis zum Ablauf der Antragsfrist nach § 90 Abs. 3 Satz 2 FGO fehlende schriftliche Vollmacht stellt keinen - unheilbaren - Mangel der Schriftform, sondern einen - heilbaren - Mangel der Vollmacht dar (BFHE 103, 537, BStBl II 1972, 180). Bei der Auslegung von Formvorschriften ist zu berücksichtigen, daß aufgrund des verfassungsrechtlichen Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) Verfahrensvorschriften so auszulegen sind, daß sie - wenn irgend vertretbar - eine Entscheidung über die materielle Rechtslage ermöglichen und nicht verhindern (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 5. November 1973 GrS 2/72, BFHE 111, 278, BStBl II 1974, 242, 245).
b) Die Übernahme der Verantwortung für das Einreichen des Antrags auf mündliche Verhandlung durch den Unterbevollmächtigten war auch nicht durch den Zusatz ,,i. A." eingeschränkt. Zwar hat der BGH in dem oben genannten Urteil (NJW 1988, 210) entschieden, daß der mit dem Zusatz ,,i. A." Unterzeichnende lediglich als Erklärungsbote auftrete und damit zum Ausdruck bringe, die Verantwortlichkeit für den bestimmenden Schriftsatz abzulehnen (kritisch Weber-Grellet, Klageerhebung i. A. - Zur Genese eines Rechtssatzes -, Deutsche Steuer-Rundschau 1989, 524). Demgegenüber hat jedoch der BFH (BFH/NV 1990, 100, und Urteil vom 16. Februar 1990 III R 81/87, BFHE 160, 387, BStBl II 1990, 746) bereits wiederholt entschieden, daß die vom BGH mit den Besonderheiten des Anwaltsprozesses begründeten Folgerungen für die Unterschriftsleistung für das erstinstanzliche Verfahren vor dem FG, das weder einen Vertretungs- noch Anwaltszwang kennt, nicht übernommen werden können. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.
Im übrigen hat auch der BGH (Urteil vom 19. Oktober 1988 IV b ZR 5/88, NJW 1989, 394) inzwischen eine Entscheidung getroffen, in der er nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles geprüft hat, ob sich aus der Beifügung eines Zusatzes zur Unterschrift ableiten lasse, daß der Unterzeichner die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes ablehne; in den Gründen hat er dabei auf eine Entscheidung des Reichsgerichts (RGZ 65, 81) hingewiesen, in der auch dieses schon seine Entscheidung unter Würdigung der Begleitumstände getroffen hat. Auch das Bundesarbeitsgericht (Beschluß vom 11. August 1987 7 AZB 17/87, NJW 1987, 3279) hat bei einem maschinenschriftlichen Zusatz ,,Dr. K. Rechtsanwalt, nach Diktat verreist" zu der mit ,,i. V. Dr. K." erfolgten Unterschrift des Dr. K. auf die Gesamtumstände abgestellt und daraus sodann gefolgert, daß hierin kein eindeutiges Indiz für die Ablehnung der inhaltlichen Verantwortung zu sehen sei. Dementsprechend hat auch das FG im Streitfall den Zusatz ,,i. A." rechtsfehlerfrei dahingehend gewürdigt, der unterzeichnende Angestellte D der Steuerberatungs-GmbH habe hierdurch lediglich zum Ausdruck bringen wollen, daß er kein geschäftsführungsbefugter Vertreter der GmbH sei, nicht aber, daß er nur als Bote eine fremde, von ihm nicht zu verantwortende Prozeßerklärung übermittle. Auch daraus, daß die im Rechtsstreit eingereichten Schriftsätze teilweise durch den Angstellten D - wie insbesondere die Klagebegründung - und teilweise vom geschäftsführungsbefugten Vertreter der GmbH gefertigt worden sind, geht hervor, daß D selbständig sachbearbeitend auf das Prozeßgeschehen Einfluß und nicht lediglich die Verantwortung für die Richtigkeit der Diktatübertragung übernehmen wollte (vgl. dazu BFHE 113, 490, BStBl II 1975, 194).
Da der vom Angestellten D gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung somit wirksam ist, gilt der ergangene Vorbescheid als nicht ergangen (§ 90 Abs. 3 Satz 3 FGO), so daß das FG an einer Aufhebung des Duldungsbescheides nicht gehindert war.
Fundstellen
Haufe-Index 417771 |
BFH/NV 1992, 180 |