Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederholter Vorbescheid als Verfahrensmangel
Leitsatz (NV)
Der Verfahrensmangel einer Vorentscheidung durch wiederholten Vorbescheid bedarf der Rüge des Revisionsklägers.
Normenkette
FGO § 90 Abs. 3, § 120 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) beantragte in ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1980 und 1981 gemäß § 32 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1979 die Berücksichtigung ihres im Jahre 1954 geborenen Sohnes, der erwerbsunfähig war, keiner Erwerbstätigkeit nachging und eine Berufsausbildung mangels eines Ausbildungsplatzes nicht beginnen konnte. Nach dem Schwerbehindertenausweis des Versorgungsamtes vom 27. Oktober 1977 bestand eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 80 v. H., die aufgrund eines in einem sozialgerichtlichen Klageverfahren geschlossenen Vergleichs ab Oktober 1982 - dem Zeitpunkt der Antragstellung - auf 100 v. H. festgestellt wurde. Diesen Behinderungsgrad weist auch der Schwerbehindertenausweis vom 19. März 1985 aus.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte die Berücksichtigung des Kindes ab, weil die Altersvoraussetzungen des § 32 Abs 6 Nr. 1 a EStG i. V. m. § 2 Abs. 4 a des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) nicht erfüllt seien, eine Anwendung des § 32 Abs. 6 Nr. 6 EStG aber daran scheitere, daß die MdE des Sohnes nicht mindestens 90 v. H. betragen habe.
Nach erfolglosem Vorverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage zunächst durch Vorbescheid vom 27. Januar 1987 statt; es berücksichtigte die kindbedingten Entlastungen und setzte die Einkommensteuer für 1980 auf . . . DM und für 1981 auf . . . DM herab. Der dagegen gerichtete Antrag des FA auf mündliche Verhandlung führte am 4. März 1987 wiederum zu einer Entscheidung durch Vorbescheid, mit der die Einkommensteuer für 1980 auf . . . DM und für 1981 auf . . . DM festgesetzt wurde.
Zur Begründung dafür, daß wiederholt durch Vorbescheid entschieden wurde, führte das FG in seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 407 und 411 veröffentlichten Entscheidung u. a. aus, den gegenteiligen Ausführungen im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. Juni 1984 VI R 246/80 (BFHE 141, 227, BStBl II 1984, 720) könne es sich nicht anschließen. Nicht überzeugend sei die Begründung, das Gesetz sehe einen zweiten Vorbescheid nicht vor, denn verfahrensrechtlich sei jeder Vorbescheid der erste Vorbescheid; mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung falle nämlich der Vorbescheid ersatzlos weg (§ 90 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Antrag auf mündliche Verhandlung bewirke nur den Fortfall des Vorbescheides und habe sich damit erledigt; daraus könne jedenfalls nicht die Folgerung gezogen werden, der Antragsteller wolle auf jeden Fall eine mündliche Verhandlung. Entgegen der Ansicht des BFH beeinträchtige der wiederholte Vorbescheid auch nicht den Anspruch des Beteiligten auf Entscheidung durch den vollbesetzten Senat, denn es könne wiederum Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden.
Mit seiner dagegen gerichteten Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Der erkennende Senat ist an einer Entscheidung in der Sache nicht deshalb gehindert, weil das FG unzulässigerweise über die Sache durch erneuten Vorbescheid erkannt hat, nachdem das FA gegen den ersten Vorbescheid mündliche Verhandlung beantragt hatte.
1. Der VI. Senat des BFH hat in BFHE 141, 227, BStBl II 1984, 720 unter Aufgabe der älteren Rechtsprechung des BFH und des Reichsfinanzhofs - RFH - (vgl. BFH-Entscheidungen vom 28. Mai 1953 V Z 24/52 S, BFHE 57, 714, BStBl III 1953, 272, und vom 10. Mai 1962 IV 53/60, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, § 26 a, Rechtsspruch 99; RFH-Urteil vom 11. Juli 1934 VI A 1381/33, RFHE 36, 298; RStBl 1934, 993) zwar die Auffassung vertreten, daß das FG, das durch Vorbescheid entschieden habe, nach einem Antrag auf mündliche Verhandlung nicht einen erneuten Vorbescheid erlassen dürfe. Diese Auffassung hat der VII. Senat des BFH in seinem Urteil vom 9. Juni 1988 VII K 14/84 (BFHE 153, 507, BStBl II 1988, 840) dahingehend modifiziert, daß ein wiederholter Vorbescheid erlassen werden kann, wenn sich die Prozeßlage nach dem Erlaß des ersten Vorbescheides wesentlich geändert hat.
Eine abschließende Entscheidung, ob die Vorentscheidung danach auf einem Verfahrensmangel beruht, ist dem Senat jedoch nicht möglich, weil das FA diesen Mangel nicht gerügt hat (§ 120 Abs. 2 FGO).
2. Der materiellrechtliche Teil der Entscheidung ist amtlich veröffentlicht in BFHE 161, 459, BStBl II 1990, 383.
Fundstellen
Haufe-Index 417146 |
BFH/NV 1991, 248 |
BFHE 1991, 459 |