Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückstellungen wegen Übernahme von Reinigungs- und Instandhaltungsverpflichtungen
Leitsatz (NV)
Zu den Voraussetzungen der gewinnmindernden Bildung von Passivposten wegen der Übernahme von Reinigungs- und Instandhaltungsverpflichtungen im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Wirtschaftsgutes
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1; KStG 1968 § 6 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine AG, erzeugt und liefert elektrische Energie. Sie erwarb im Jahre 1949 ein Flußkraftwerk. Dabei verpflichtete sie sich u.a., ,,für alle Zeiten" die Reinigung und Instandhaltung von Be- und Entwässerungsanlagen auf fremdem Grund und Boden zu übernehmen.
Diese Verpflichtung zu künftigen Instandhaltungsarbeiten passivierte die Klägerin erstmals in ihrer am 15. Mai 1974 für das Streitjahr 1973 erstellten Bilanz, indem sie hierfür eine Rückstellung in Höhe von 235 000 DM bildete.
Im Anschluß an eine Betriebsprüfung erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) in dem geänderten Bescheid vom 25. November 1976 die Rückstellung nicht an.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung sachlichen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil des FG wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um den Rechtsstreit vom Senat entscheiden zu können. Die Bildung eines Passivpostens mit gewinnmindernder Wirkung im Streitjahr hängt davon ab, ob beim Erwerb des Flußkraftwerks im Jahre 1949 die Übernahme der Reinigungs- und Instandhaltungsverpflichtungen Bestandteil der von der Klägerin zu erbringenden Gegenleistung war und sich der Umfang der übernommenen Verpflichtungen nach dem Jahre 1949 erhöht hat. Sind die dem Streitjahr vorangehenden Veranlagungen bestandskräftig, kann in der Schlußbilanz des Streitjahres ein Passivposten eingestellt werden, der bei richtiger Bilanzierung bereits in den dem Streitjahr vorangehenden Schlußbilanzen anzusetzen gewesen wäre (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. Mai 1985 VIII R 239/ 82, BFHE 141, 312, BStBl II 1984, 695). Ob sich der durch die Aufnahme des Passivpostens ergebende Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluß des Streitjahres und dem Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) gewinnmindernd auswirkt oder erfolgsneutral behandelt werden muß, hängt davon ab, ob die Einstellung des Passivpostens bei richtiger Behandlung zu einer Gewinnminderung geführt hätte (vgl. Urteil in BFHE 141, 312, BStBl II 1984, 695). Die Verpflichtung in der Höhe, wie sie beim Erwerb bestand, hätte sich nicht gewinnmindernd ausgewirkt; es hätte sich dabei um Anschaffungskosten der erworbenen Wirtschaftsgüter gehandelt. Die Gewinnminderung aufgrund einer möglicherweise höheren Absetzung für Abnutzung (AfA) auf die erworbenen Wirtschaftsgüter bleibt bei der Bilanzberichtigung hinsichtlich des einzustellenden Passivpostens außer Betracht. Eine Gewinnminderung hätte sich ergeben, wenn sich der Umfang der eingegangenen Verpflichtungen aufgrund späterer Entwicklungen erhöht hätte; in diesem Falle wäre es nicht zu einer Aktivierung bei den erworbenen Wirtschaftsgütern gekommen (vgl. für den vergleichbaren Fall der Erhöhung der Verpflichtung aufgrund einer Wertsicherungsklausel BFH-Urteil vom 11. August 1967 VI R 80/66, BFHE 89, 443, BStBl III 1967, 699).
Das FG erhält durch die Zurückverweisung Gelegenheit, insbesondere festzustellen, ob die Übernahme der Reinigungs- und Instandhaltungsverpflichtungen Bestandteil der von der Klägerin zu erbringenden Gegenleistung war. Dies träfe dann nicht zu, wenn die Erwähnung der Verpflichtungen als bloßer deklaratorischer Hinweis auf eine Rechtsfolge aufzufassen wäre, die auch ohne Erwähnung in dem Kaufvertrag - etwa aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften - mit dem Eigentums- bzw. Besitzübergang eingetreten wäre.
2. Ist die Übernahme der Reinigungs- und Instandhaltungskosten nicht als Bestandteil der von der Klägerin zu erbringenden Gegenleistung aufzufassen, kommt eine gewinnmindernde Bildung eines Passivpostens nicht in Betracht. Die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung liegen nicht vor. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG - 1968, § 5 Abs. 1 EStG i. V. m. § 152 Abs. 7 Satz 1 des Aktiengesetzes - AktG -) dürfen und müssen gebildet werden, wenn das Bestehen oder künftige Entstehen einer betrieblichen Verbindlichkeit dem Grunde und/oder der Höhe nach sowie die Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen wahrscheinlich sind und wenn die ungewisse Verbindlichkeit zumindest wirtschaftlich bereits im abgelaufenen Wirtschaftsjahr (oder in vorausgegangenen Wirtschaftsjahren) verursacht worden ist (vgl. BFH-Urteile vom 20. Januar 1983 IV R 168/81, BFHE 137, 489, BStBl II 1983, 375; vom 19. Mai 1983 IV R 205/79, BFHE 139, 41, BStBl II 1983, 670, und vom 1. August 1984 I R 88/80, BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44). Der Ansatz einer Rückstellung scheitert an der fehlenden rechtlichen bzw. wirtschaftlichen Verursachung der künftigen ungewissen Verbindlichkeiten im Streitjahr.
Eine Forderung bzw. eine Verbindlichkeit ist nach allgemeiner Meinung rechtlich dann entstanden, wenn der zu ihrer Entstehung verlangte Tatbestand erfüllt ist. Im Streitfall hing die Entstehung der Verpflichtung, Instandhaltungsarbeiten künftig durchzuführen, davon ab, daß solche Arbeiten notwendig wurden. Die Verpflichtung, solche Arbeiten künftig vorzunehmen, war daher am Bilanzstichtag (31. Dezember 1973) nicht einmal dem Grunde nach entstanden.
Wirtschaftlich war die Verbindlichkeit zum 31. Dezember 1973 ebenfalls noch nicht verursacht. Wirtschaftlich verursacht ist eine Verbindlichkeit, wenn der Tatbestand, von dessen Verwirklichung ihre Entstehung abhängt, in dem betreffenden Wirtschaftsjahr im wesentlichen bereits verwirklicht ist und die Verbindlichkeit damit so eng mit dem betrieblichen Geschehen dieses Wirtschaftsjahres verknüpft ist, daß es gerechtfertigt ist, sie wirtschaftlich als eine bereits am Bilanzstichtag bestehende Verbindlichkeit zu behandeln (vgl. Urteil in BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Auch wirtschaftlich betrachtet bestand die Verpflichtung, die entsprechenden Instandhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten vorzunehmen, erst in dem Augenblick, in dem diese Arbeiten notwendig wurden. Diese Arbeiten hingen nicht mit dem betrieblichen Geschehen des Streitjahres zusammen, sondern mit den Verhältnissen in den Jahren, in denen diese Arbeiten erforderlich wurden und durchgeführt werden mußten.
Fundstellen
Haufe-Index 60855 |
BFH/NV 1987, 123 |