Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Einkünften im Sinne des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, von denen der Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgenommen worden ist, gehören auch im Ausland erzielte Einkünfte. Dies gilt auch dann, wenn das Besteuerungsrecht hinsichtlich dieser Einkünfte kraft Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Bundesrepublik Deutschland entzogen ist, diese Einkünfte aber bei der Bemessung des deutschen Steuersatzes (sogenannter Progressionsvorbehalt) zu berücksichtigen sind.
2. Der Steuerabzug vom Arbeitslohn im Sinne von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG ist nicht vorgenommen, wenn vom Arbeitgeber nur ausländische Quellensteuer einbehalten wurde.
Normenkette
EStG § 46 Abs. 2 Nr. 1; DBA SWE Art. 19 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Die Revisionsbeklagten (Steuerpflichtigen) sind Eheleute. Der Ehemann war vom 1. Januar bis 26. Juni des Streitjahres 1966 für eine schwedische Reederei im Ausland tätig. Von den daraus erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von umgerechnet 9 815 DM wurde gemäß Art. 14 Abs. 1 und 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener anderer Steuern vom 17. April 1959 - DBA-Schweden - (BStBl I 1960, 415) die schwedische Seemannssteuer einbehalten. Wegen der weiteren im Jahre 1966 vom Ehemann im Inland erzielten Lohneinkünfte von 9 231 DM beantragten die Steuerpflichtigen den gemeinsamen Lohnsteuerjahresausgleich.
Der Revisionskläger (das FA) hielt die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG für gegeben und veranlagte die Steuerpflichtigen mit den inländischen Lohneinkünften unter Berücksichtiguang des in Art. 19 Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweden vorgeschriebenen Progressionsvorbehalts zusammen zur Einkommensteuer. Der Einspruch der Steuerpflichtigen blieb erfolglos.
Auf die Klage der Steuerpflichtigen hob das FG den Einkommensteuerbescheid sowie die Einspruchsentscheidung des FA auf und verpflichtete das FA, den beantragten Lohnsteuerjahresausgleich für das Streitjahr durchzuführen. Zur Begründung dieser Entscheidung führte es aus:
Gemäß § 46 Abs. 2 EStG sei bei dem unter 24 000 DM liegenden Einkommen der Steuerpflichtigen eine Veranlagung nur unter den dort genannten Voraussetzungen durchzuführen. Der allein in Betracht kommende Tatbestand des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG sei jedoch nicht erfüllt. Die Steuerpflichtigen hätten im Streitjahr keine Einkünfte von insgesamt mehr als 800 DM erzielt, von denen der Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgenommen worden sei. Außer den dem deutschen Lohnsteuerabzug unterlegenen Inlandseinkünften habe der Ehemann zwar schwedische Lohneinkünfte von umgerechnet 9 815 DM erhalten. Diese müßten jedoch bei der Berechnung der Einkunftsgrenze von 800 DM außer Betracht bleiben, weil sie nach Art. 19 Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweden aus der Bemessungsgrundlage für die deutsche Einkommensteuer auszunehmen und damit nach § 3 Nr. 41 EStG, § 9 StAnpG steuerfrei seien.
Die in Schweden erzielten Einkünfte stellten auch keine Einkünfte dar, von denen der Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgenommen worden sei. Von diesen Lohneinkünften sei vielmehr die nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 2d DBA-Schweden als Steuer im Sinne dieses Abkommens anzusehende schwedische Seemannssteuer einbehalten worden.
Mit der Revision beantragt das FA, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Gerügt wird die Verletzung von Art. 19 Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweden sowie des § 3 Nr. 41 EStG. Richtig sei zwar, daß steuerfreie Einkünfte bei der Ermittlung der Einkunftsgrenze von 800 DM im Sinne des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG unberücksichtigt bleiben. Bei den in Schweden erzielten Einkünften handle es sich indessen nicht um solche befreiten Einkünfte, denn diese seien durch Art. 19 DBA-Schweden nur insoweit steuerbefreit, als sie aus der Bemessungsgrundlage für die deutsche Besteuerung auszuscheiden seien. Das bedeute lediglich, daß keine Steuern durch die Bundesrepublik Deutschland von den schwedischen Einkünften erhoben werden dürften. Nur insoweit habe die Bundesrepublik auf ihr eigenes Besteuerungsrecht auf diese Einkünfte verzichtet. Die Einkünfte behielten aber ihre volle tarifmäßige Wirkung und blieben Einkünfte, von denen ein Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgenommen worden ist. Unter Steuerabzug vom Arbeitslohn könne im übrigen - entgegen der Ansicht des FG - nur der deutsche Steuerabzug verstanden werden.
Die Steuerpflichtigen haben zur Revision des FA keine Erklärung abgegeben.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet. Das FA hat die Steuerpflichtigen zu Recht zur Einkommensteuer veranlagt.
Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 EStG wird ein Lohnsteuerjahresausgleich nicht durchgeführt, wenn der Arbeitnehmer zu veranlagen ist. Eine Veranlagung wird bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit u. a. dann durchgeführt, wenn die Einkünfte, von denen der Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgenommen worden ist, insgesamt mehr als 800 DM betragen (§ 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor, denn die durch die Tätigkeit bei der schwedischen Reederei erzielten Vergütungen des Ehemannes betrugen umgerechnet 9 815 DM. Diese Vergütungen sind "Einkünfte" im Sinne des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, denn sie gehören zu den in § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Bezügen. Dieser Beurteilung steht § 3 Nr. 41 EStG in Verbindung mit dem DBA-Schweden nicht entgegen. Gemäß § 3 Nr. 41 EStG sind steuerfrei die Einkünfte der Steuerpflichtigen insoweit, als ihnen ein Anspruch auf Befreiung nach den Doppelbesteuerungsabkommen zusteht. Zu Recht ist die Vorinstanz - übereinstimmend mit den Rechtsauffassungen der Beteiligten - davon ausgegangen, daß dem Ehemann hinsichtlich seiner von der schwedischen Reederei bezogenen Vergütungen aufgrund von Art. 14 Abs. 1 und 2 DBA-Schweden ein Anspruch auf Steuerbefreiung zusteht. Wäre dieser Anspruch auf Steuerbefreiung nicht an anderer Stelle des Abkommens eingeschränkt, so müßten die aus Schweden bezogenen Vergütungen bei der deutschen Besteuerung vollständig außer acht gelassen werden. Sie wären dann keine "Einkünfte" im Sinne von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG mit der Folge, daß sie auch nicht die Voraussetzung für eine nach dieser Vorschrift durchzuführende Einkommensteuerveranlagung bilden könnten. Indes handelt es sich bei der in Art. 14 Abs. 1 und 2 DBA-Schweden getroffenen Regelung, die in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 Satz 2 DBA verstanden werden muß, nur um eine modifizierte Steuerbefreiung, nämlich um die in sehr vielen jüngeren DBA vereinbarte Befreiung mit Progressionsvorbehalt.
Wie der Senat mit Urteil I 29/65 vom 9. November 1966 (BFH 87, 273, BStBl II 1967, 88) entschieden hat, löst die Tatsache der Einkunftserzielung nach deutschem Einkommensteuerrecht zwei steuerliche Rechtsfolgen aus. Einmal unterliegen die Einkünfte nach dem Grundsatz der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht der deutschen Einkommensteuer (§ 1 Abs. 1 Satz 2 EStG). Außerdem bewirken sie zusammen mit den übrigen Einkünften, daß sich der Steuersatz für alle Einkünfte erhöht, da der Einkommensteuertarif progressiv gestaltet ist (Anlage zu § 32a EStG). Das DBA beseitigt nur die erste Rechtsfolge, nicht aber auch die zweite. Das bedeutet für die hier zu entscheidende Frage, daß die vom Ehemann aus Schweden bezogenen Vergütungen ihren Charakter als "Einkünfte" im Sinne von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durch das DBA-Schweden nicht verloren haben.
Die Vergütungen, die der Ehemann aus Schweden erhalten hat, sind aber auch Einkünfte im Sinne des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, "von denen der Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgenommen worden ist". Dem steht nicht entgegen, daß für diese Einkünfte schwedische Seemannssteuer einbehalten worden ist, denn unter "Steuerabzug vom Arbeitslohn" im Sinne von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG ist nur ein nach deutschen Steuergesetzen vorgenommener Steuerabzug (§§ 38 ff. EStG) zu verstehen. Dies ergibt sich einmal daraus, daß die Worte "Steuerabzug vom Arbeitslohn" einen dem deutschen Steuerrecht eigenen Begriff darstellen, der in mehreren Vorschriften des EStG jeweils im gleichen Sinne - nämlich beschränkt auf den deutschen Steuerabzug - Verwendung findet (vgl. z. B. § 38 Abs. 1, § 38 Abs. 3, § 50 Abs. 4 EStG). Auf die Begrenzung des Begriffs "Steuerabzug vom Arbeitslohn" auf deutsche Steuerabzugsbeträge deutet auch die zusammengefaßte Regelung für die Anrechnung ausländischer Steuern in § 34c EStG hin. Schließlich folgt aber auch aus dem Sinn der Vorschrift des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, daß nur ein deutscher "Steuerabzug vom Arbeitslohn" für die Frage einer noch durchzuführenden Veranlagung entscheidend sein kann. Bei § 46 EStG handelt es sich um eine Verfahrensvorschrift, die die Art der Erhebung der nach materiellem Einkommensteuerrecht entstandenen Steueransprüche regelt. Durch sie soll sichergestellt werden, daß - abgesehen von Bagatellfällen - auch Lohnsteuerpflichtige mit ihren Einkünften, die nicht der Lohnsteuer unterworfen wurden, die aber nach materiellem Einkommensteuerrecht einen deutschen Steueranspruch ausgelöst haben, zur Einkommensteuer herangezogen werden. Da der hinsichtlich dieser Einkünfte bestehende deutsche Steueranspruch (Anspruch eines deutschen Steuergläubigers) aber nicht durch Vornahme des Steuerabzugs in einem anderen Staat (d. h. im Ergebnis durch Zahlung an einen Dritten) erlöschen konnte, kann es bei der Anwendung des § 46 EStG nur auf den deutschen Steuerabzug vom Arbeitslohn ankommen.
Die aus Schweden bezogenen Vergütungen rechtfertigen somit - unberührt durch das DBA-Schweden und ungeachtet des in Schweden vorgenommenen Steuerabzugs - die Durchführung einer deutschen Einkommensteuerveranlagung, in deren Rahmen dann freilich diese Einkünfte nur insoweit von Bedeutung sein können, als dies das DBA-Schweden zuläßt, nämlich nur hinsichtlich des Progressionsvorbehalts. Der angefochtene Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung entsprechen diesen Grundsätzen.
Fundstellen
Haufe-Index 69074 |
BStBl II 1970, 640 |
BFHE 1970, 303 |