Leitsatz (amtlich)
Die Bildung einer Rückstellung für die mögliche Inanspruchnahme auf Haftung wegen Minderung, Wandlung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung richtet sich bei einem Ingenieur für Baustatik und konstruktiven Ingenieurbau nach den im BFH-Urteil IV 165/59 S vom 17. Januar 1963 (BFH 76, 651; BStBl III 1963, 237) entwickelten Grundsätzen für die Rückstellung auf Grund von "Garantieleistungsverpflichtungen", soweit die Inanspruchnahme seitens eines Auftraggebers zu erwarten ist. Steht die Inanspruchnahme seitens eines Dritten zu erwarten, kommen die in dem genannten Urteil entwickelten Grundsätze für die Rückstellung auf Grund von "Haftpflichtverbindlichkeiten" zur Anwendung.
Normenkette
EStG § 5; KStG § 6 Abs. 1
Streitjahr(e)
1960
Tatbestand
Streitig ist die steuerlich zutreffende Behandlung einer von der Revisionsklägerin (Steuerpflichtigen - Stpfl. -) in ihrer Bilanz zum 31. März 1960 gebildeten Rückstellung für Haftungsverpflichtungen in Höhe von 41.000 DM.
Die Stpfl., eine GmbH, ist mit Gesellschaftsvertrag vom 29. Oktober 1957 mit einem Stammkapital von 20.000 DM gegründet worden. Gegenstand ihres Unternehmens ist der Betrieb eines Büros für Statik und konstruktiven Ingenieurbau sowie die Wahrnehmung von Industrievertretungen. Die Besonderheit der von ihr zu erbringenden Leistungen (Büro für Statik und konstruktiven Ingenieurbau) birgt nach ihrer Darstellung in ganz besonders großem Maße die Gefahr der Inanspruchnahme aus Haftpflichtverbindlichkeiten in bezug auf Sach-, Vermögens- und Personenschäden in sich. Dies erhelle insbesondere daraus, daß nach der vom Bayerischen Staatsministerium des Innern erlassenen bautechnischen Prüfungsverordnung vom 2. Oktober 1962 (GVBl S. 242) die Anerkennung als Prüfingenieur für Baustatik, dessen Tätigkeitsbereich sich mit dem ihren weitgehend decke, den nachweislichen Abschluß einer Haftpflichtversicherung mit Mindestdeckungssummen von 1.000.000 DM für Personenschäden, 500.000 DM für Sachschäden und 500.000 DM für Vermögensschäden voraussetze.
Der Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) versagte der von der Stpfl. aus diesem Grunde gebildeten Rückstellung für Haftungsverpflichtungen im Steuerbescheid vom 2. Februar 1962 die steuerliche Anerkennung. Die Sprungberufung der Stpfl. gemäß § 261 AO a. F. blieb insoweit ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete seine Entscheidung wie folgt:
Im Streitfall sei von den Grundsätzen auszugehen, die der Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil IV 165/59 S vom 17. Januar 1963 (BFH 76, 651; BStBl III 1963, 237) für die Bildung von Garantierückstellungen sowie von Rückstellungen für Haftpflichtverbindlichkeiten im Falle eines Prüfingenieurs für Baustatik und eines beratenden Ingenieurs entwickelt habe. Nach diesen Grundsätzen könnten Pauschalrückstellungen für Haftpflichtverbindlichkeiten nicht zugelassen werden. Es liege in der Natur der Haftpflichtfälle, daß sie sich auch über einen längeren Zeitraum hin statistisch nicht in einer Weise erfassen ließen, die nach der Häufigkeit ihres Auftretens und ihrer finanziellen Auswirkung pauschale Wertansätze ermöglichten. Deshalb könnten Haftpflichtverbindlichkeiten durch eine Rückstellung in der Bilanz nur insoweit berücksichtigt werden, als die Inanspruchnahme wenigstens dem Grunde nach am Bilanzstichtag ernsthaft zu befürchten sei. Eine solche Befürchtung ihrer Inanspruchnahme habe die Stpfl. für den 31. März 1960 nicht dartun können. Sie habe sich vielmehr auf allgemeine Ausführungen über die besonderen Risiken ihrer Tätigkeit beschränkt.
Hiergegen richtet sich die Rb. (Revision) der Stpfl., zu deren Begründung sie folgendes vortragen läßt:
Das FG stütze seine Entscheidung auf das BFH-Urteil IV 165/59 S (a. a. O.), das jedoch erheblichen Bedenken begegne (vgl. Hoffmann bei Loepelmann, BFH-Besprechungen, BFH vom 17. Januar 1963 (II); Döllerer, Der Betriebsberater - BB - 1964 S. 97; Seithel, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, Anm. zu § 5, Rechtsspruch 350). Die in diesem Urteil erstmals auftretende Unterscheidung zwischen Gewährleistungsverpflichtungen (als Folge von Wandlung, Minderung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung) und sonstigen Haftpflichtverbindlichkeiten (als Folge echter Vertragsverletzung) sowie die aus ihr gefolgerte unterschiedliche steuerliche Behandlung dieser beiden Gruppen von Verbindlichkeiten sei schon von ihrer bürgerlich-rechtlichen Ausgangslage her nicht haltbar. Denn im Gegensatz zu der dort vertretenen Auffassung seien nicht nur Haftpflichtverbindlichkeiten, sondern auch Garantieleistungsverpflichtungen - wie z. B. Schadensersatz wegen Nichterfüllung - auf ein schuldhaftes Verhalten, eine schuldhafte Vertragsverletzung des in Anspruch genommenen zurückzuführen (§ 635 BGB). Ihre unterschiedliche steuerliche Beurteilung schaffe daher zweierlei Recht.
Darüber hinaus bedeute die Forderung, die Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen müsse am Bilanzstichtag wenigstens dem Grunde nach ernsthaft zu befürchten sein, als Voraussetzung für die Anerkennung einer Rückstellung eine unzulässige Einengung des Begriffs der ungewissen Schuld. Diesen Begriff habe der BFH im Urteil I 242/61 U vom 20. November 1962 (BFH 76, 307; BStBl III 1963, 113) zutreffend dahin ausgelegt, daß sich die Ungewißheit sowohl auf das Bestehen der Verbindlichkeit dem Grunde nach als auch auf die Höhe der Verbindlichkeit beziehen könne. Abgesehen davon seien aber im Streitfall ein Grund und damit eine Verpflichtung zur Bildung einer Rückstellung gegeben, wenn man das Vorsichtsprinzip (als einen der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung) beachte. Denn die Art der Tätigkeit der Stpfl. (Büro für Statik und konstruktiven Ingenieurbau) berge so viele Gefahren in sich, daß mit einer Inanspruchnahme aus Haftpflicht früher oder später (für Spätschäden) ernsthaft zu rechnen sei. Die zunehmende Verwendung neuartiger Baustoffe (auch Kunststoffe), deren Eignung noch nicht durch ausreichende Erfahrungen erhärtet sei, die zwangsläufige Beschäftigung jungen, noch wenig erfahrenen Personals und der ständige Zeitdruck, unter dem angesichts der überhitzten Konjunktur habe gearbeitet werden müssen, habe diese Gefahren für den streitigen Bilanzstichtag besonders deutlich gemacht.
Was die Bemessung der Rückstellung der Höhe nach betreffe, so könne das Fehlen von Erfahrungen und der Umstand, daß die Stpfl. bis zum streitigen Bilanzstichtag noch nicht aus Haftpflicht in Anspruch genommen worden sei, nicht zur Versagung der Rückstellung führen. Die Tatsache, daß im Rahmen der Berufshaftpflichtversicherung für Architekten, Bauingenieure, beratende Ingenieure und Prüfungsingenieure für Baustatik auf 100 Versicherungsverträge jährlich im Durchschnitt 34 Schadensanmeldungen entfielen, begründe, auch was die Höhe der Rückstellung betreffe, eine gewisse branchenmäßige Erfahrung. Der von der Stpfl. zugrunde gelegte Prozentsatz von 0,5 v. H. der Rohbausummen der von ihr bearbeiteten Bauvorhaben könne nicht als unangemessen bezeichnet werden.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
- Das Aktiengesetz (AktG) von 1937, dessen Vorschriften hier insoweit stellvertretend für die allgemeinen Grundsätze ordnungsmäßiger kaufmännischer Buchführung stehen (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs - RFH - I A 216/35 vom 28. Juli 1936, RStBl 1936 S. 989, und I 72/39 vom 14. März 1939, RStBl 1939 S. 746), verlangt in § 131 Abs. 1 Buchst. B Ziff. IV die Berücksichtigung von Rückstellungen für ungewisse Schulden. Ungewisse Schulden in diesem Sinne sind einmal ungewisse Verbindlichkeiten, zum anderen drohende Verluste aus schwebenden Geschäften und schließlich gewisse selbständig bewertungsfähige Lasten (BFH-Urteil IV 165/59 S, a. a. O.; vgl. auch § 151 Abs. 1, Passivseite IV 2, § 152 Abs. 7 AktG 1965).
Ungewisse Schulden können ihrem Rechtsgrund nach unterschiedlicher Natur sein. Dabei kann sich das Moment der Ungewißheit sowohl auf das gegenwärtige Bestehen wie auf das zukünftige Entstehen der Schuld als auch auf die Höhe der ihrem Grunde nach bereits feststehenden Schuld beziehen. Voraussetzung ihrer steuerlichen Berücksichtigung durch Anerkennung einer für sie gebildeten Rückstellung in der Bilanz ist jedoch, daß sie ihre Grundlage in Geschäftsvorfällen des abzuschließenden Geschäftsjahres haben. Allgemeine Risiken, die dem Betrieb eines Unternehmens eigentümlich und deshalb generell mit ihm verbunden sind, können weder unter dem Gesichtspunkt der Wertberichtigung (BFH-Urteil I 99/56 U vom 4. Dezember 1956, BFH 64, 43; BStBl III 1957, 16) noch unter dem Gesichtspunkt der Rückstellung für ungewisse Schulden berücksichtigt werden (BFH-Urteil IV 115/59 U vom 4. Juni 1959, BFH 69, 167; BStBl III 1959, 325, und IV 114/58 vom 2. Juni 1960, StRK, Einkommensteuergesetz, § 5, Rechtsspruch 265). Sie sind einer selbständigen Bewertung bei einzelnen Wirtschaftsgütern oder einzelnen Geschäftsvorfällen nicht fähig.
Soweit der BFH im Urteil IV 165/59 S in Übereinstimmung mit der Stpfl. zwischen Rückstellungen auf Grund von Garantieleistungsverpflichtungen und solchen auf Grund von Haftpflichtverbindlichkeiten unterschieden hat, umfassen - wie das Urteil deutlich macht und auch die Stpfl. offensichtlich nicht verkennt (siehe Schriftsatz vom 31. März 1964 S. 9 und 10) - die Garantie- oder Gewährleistungsverpflichtungen sowohl kostenlose Nacharbeiten und Ersatzlieferungen auf Grund von Wandlung als auch Verluste aus Minderung und Schadensersatz wegen Nichterfüllung, die Haftpflichtverbindlichkeiten dagegen die typischen, aus Berufshaftung und unerlaubter Handlung resultierenden Haftpflichtverbindlichkeiten gegenüber Dritten, die nicht Auftraggeber des Steuerpflichtigen sind. Nur soweit es sich um die Haftung gegenüber Auftraggebern des Steuerpflichtigen handelt, können die gleichen Grundsätze zur Anwendung kommen, die für die Behandlung von Garantieleistungsverpflichtungen gelten (hier insbesondere die BFH-Urteile IV 67/57 vom 14. November 1957, StRK, Einkommensteuergesetz, § 4, Rechtsspruch 219, für Steuerbevollmächtigte - Frage der Aktivierungspflicht des Versicherungsanspruchs gegenüber der Rückstellung -; IV 470/55 U vom 22. Mai 1958, BFH 67, 192; BStBl III 1958, 345, für Notare).
- Im Streitfall handelt es sich nach den Feststellungen des FG um die Berücksichtigung von Haftpflichtverbindlichkeiten gegenüber Dritten, die nicht Auftraggeber der Stpfl. sind. Das FG hat deshalb mangels Vorliegens besonderer Umstände, die die steuerliche Anerkennung einer Rückstellung auf den 31. März 1960 begründet erscheinen lassen könnten, die steuerliche Anerkennung der von der Stpfl. gebildeten Rückstellung insoweit zu Recht versagt. Die von der Stpfl. hiergegen vorgetragenen Überlegungen gehen insofern fehl, als sie nur auf den Fall der Haftpflichtverbindlichkeit gegenüber Auftraggebern der Stpfl. zutreffen.
Dem Senat erscheint es indes nach dem Inhalt der Akten zweifelhaft, ob das FG zu der von ihm getroffenen Feststellung gelangen konnte. Die Stpfl. hat wiederholt vorgetragen - und ihren Vortrag auch in der Revisionsinstanz wiederholt -, daß die von ihr gebildete Rückstellung auch solche Ansprüche betreffen solle, die von ihren Auftraggebern gegen sie erhoben werden. Das Urteil des FG hat diesen Sachverhalt auch richtig wiedergegeben, sich in den Gründen aber nur mit der Frage der Rückstellung für Haftpflichtverbindlichkeiten befaßt. Es steht dadurch mit seinem eigenen Inhalt in Widerspruch. Hierin liegt ein Mangel der Urteilsfindung, der nicht nur ein - rügebedürftiger - Verfahrensmangel ist (vgl. Urteil des Reichsgerichts I 59/35 vom 16. November 1935. Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 149 S. 321 (325)).
Die Sache war deshalb zur weiteren Aufklärung an das FG zurückzuverweisen. Sollte dieses zu der Feststellung gelangen, daß die Rückstellung insoweit allgemeine Risiken betrifft, die dem Betrieb der Stpfl. als solchem eigentümlich und deshalb generell verbunden sind, wäre für eine Rückstellung kein Raum; betrifft die Rückstellung dagegen Risiken, die im Rahmen der Garantieleistungsverpflichtungen auftreten, käme es für die Bildung einer Rückstellung und die Bemessung ihrer Höhe auf das Ausmaß der Wahrscheinlichkeit ihres regelmäßigen Auftretens an.
Fundstellen
Haufe-Index 425789 |
BFHE 1966, 114 |
BFHE 86, 114 |