Leitsatz (amtlich)
1. Die Besteuerung gemäß § 1 Abs. 2 GrEStG wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß schon bei der Übertragung der Verwertungsbefugnis die spätere Übereignung des Grundstücks geplant ist.
2. Die Verwertungsbefugnis i. S. von § 1 Abs. 2 GrEStG ist noch nicht übertragen, wenn ein Gesellschafter der Gesellschaft das Grundstück mit Gebäude zwar zur Fruchtziehung und Lastentragung zur Verfügung stellt, die Gesellschafter sich aber für die Fälle der Veräußerung des Grundstücks, des Ausscheidens eines Gesellschafters oder der Liquidation der Gesellschaft noch nicht über die Verteilung der stillen Reserven oder der eventuellen Wertminderungen geeinigt haben.
Normenkette
GrEStSWG ND 1966 § 1 Nr. 5
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), früher eine Kommanditgesellschaft, jetzt eine OHG, betreibt eine Metzgerei. Inhaber der Metzgerei waren ursprünglich die Brüder Josef und Franz S sen. in GbR; sie waren auch Miteigentümer des Metzgerei-Grundstücks. Bezüglich des Grundstücks und der Metzgerei setzten sich die Brüder in der Weise auseinander, daß Josef S zugunsten seines Bruders Franz aus dem Betrieb ausschied und seinen Hälfteanteil an dem Grundstück diesem aufließ; dafür verpflichtete sich Franz S sen. zu den im Vertrag näher bezeichneten Leistungen an seinen Bruder Josef bzw. dessen Ehefrau; Josef S sollte zum 30. Juni 1960 ausscheiden (Vertrag vom 9. August 1960).
An der KG waren Franz S sen. selbst und seine Ehefrau zu je 25 % und sein Sohn Franz S jun. zu 50 % beteiligt. Die Klägerin macht geltend, sie sei seit dem 1. Juli 1960 Inhaberin der Metzgerei. Ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag wurde erst am 20. Juni 1962 geschlossen; jedoch herrschte nach den Feststellungen des FG bereits bei Gründung der Gesellschaft zwischen den Gesellschaftern Einigkeit darüber, daß sie gesamthänderisch Eigentümer an dem Grundstück werden sollten, wie dies dann auch nach Erstellung der Auseinandersetzungsbilanz zum 30. Juni 1960 durch notariell beurkundeten Vertrag vom 3. Juli 1962 festgelegt worden ist.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) hatte zunächst den Vertrag vom 3. Juli 1962 nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Besteuerung unterworfen; diesen Bescheid nahm es auf Berufung hin am 10. Juni 1965 zurück und setzte gleichzeitig 6 825 DM für die Übertragung der Verwertungsbefugnis durch "Einbringung ... bei der Gründung der Firma am 1. Juli 1960" gemäß § 1 Abs. 2 GrEStG fest; dazu berechnete es die Steuer vom Wert der Gegenleistung, die es mit dem Verkehrswert des Grundstücks von 130 000 DM ansetzte, und ließ die Steuer in Höhe des 25 %igen Gesellschaftsanteils des Franz S sen. gemäß § 5 GrEStG unerhoben.
Auf die Sprungklage hob das FG den Steuerbescheid auf. Die Einbringung des Grundstücks bei Gründung der KG falle nicht unter § 1 Abs. 2 GrEStG, da von Anfang an Einigkeit darüber bestanden habe, daß das Grundstück auf die KG habe übereignet werden sollen. Die Zeitdifferenz zwischen der Gründung der KG zum 1. Juli 1960 und dem Einbringungsvertrag erkläre sich dadurch, daß das Vorliegen der Abschlußbilanz zum 30. Juni 1960 habe abgewartet werden müssen, um das Entstehen negativer Kapitalkonten bei der zahlenmäßigen Festlegung der Kommanditeinlage zu vermeiden.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 1 GrEStG; Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 GrEStG könne auch dann gegeben sein, wenn für einen späteren Zeitpunkt die notariell beurkundete Vereinbarung der Übereignung des Grundstücks vorgesehen sei.
Nach Einlegung der Revision setzte das FA die Steuer durch Bescheid vom 22. November 1973 auf 2 275 DM herab, da es auch in Höhe des 50 %igen Anteils von Franz S jun. keinen steuerpflichtigen Erwerb der Klägerin für gegeben hielt. Die Klägerin hat beantragt, diesen Steuerbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
Entscheidungsgründe
Die Beteiligten des Revisionsverfahrens haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Die Revision hat im Ergebnis keinen Erfolg (§ 126 Abs. 4 FGO).
1. Zwar greift die Revisionsrüge des FA durch, die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 GrEStG scheitere nicht daran, daß die Vertragsparteien sich von Anfang an darüber einig waren, der Übertragung der Verwertungsbefugnis i. S. von § 1 Abs. 2 GrEStG später die Übereignung folgen zu lassen. Nach § 1 Abs. 2 GrEStG unterliegen der Grunderwerbsteuer auch Rechtsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruchs auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten. Liegt ein derartiger Rechtsvorgang vor, löst er auch Grunderwerbsteuer aus gleichviel, ob die spätere Übereignung bereits ernstlich geplant ist oder nicht. Mit welchem Ergebnis die Aufeinanderfolge des Haupttatbestands auf den Ersatztatbestand (vgl. Boruttau-Klein, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 8. Aufl., § 1 Randnr. 230 ff.) grunderwerbsteuerlich behandelt werden muß, ist z. B. in § 1 Abs. 5 GrEStG ausgesprochen. Jedenfalls hindert die Planung bzw. das Vorhaben, den Haupttatbestand zu verwirklichen, nicht die Tatbestandsverwirklichung des Ersatztatbestands und dessen Besteuerung.
Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats. Im Falle eines Pachtvertrags mit Verkaufsangebot und nachfolgendem Verkauf des Grundstücks hat der Senat in dem Urteil vom 30. August 1961 II 15/60 U (BFHE 73, 695, BStBl III 1961, 519) einen Erwerb i. S. des § 1 Abs. 2 GrEStG und einen nachfolgenden Erwerb nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG bejaht. Auch im Fall eines privatschriftlichen Gesellschaftsvertrags, durch den ein Gesellschafter sich zur Einbringung seines Einzelunternehmens in die Gesellschaft verpflichtete und die Vertragsparteien sich über den Eigentumsübergang an den Gegenständen des Betriebsvermögens einig erklärten, nahm der Senat einen steuerpflichtigen Grunderwerb i. S. des § 1 Abs. 2 GrEStG an, obwohl ein notariell beurkundeter Übertragungsvertrag mit Auflassung nachfolgte (Urteil vom 24. Oktober 1956 II 60/56 U, BFHE 63, 433, BStBl III 1956, 364).
Die vom FG zitierten Entscheidungen des Senats und des RFH stehen dem nicht entgegen: In dem Fall des Urteils vom 9. Mai 1962 II 159/60 U (BFHE 75, 122, BStBl III 1962, 313) war der Eigentumsübergang nicht nur geplant, sondern bereits vereinbart gewesen; hierfür war Grunderwerbsteuer bezahlt worden; die Eintragung des Erwerbers im Grundbuch war allein an der durch die Militärregierung verfügten Vermögenssperre gescheitert; das Grundstück wurde auch nicht etwa später übereignet. Es war auch nicht über die Auswirkungen der Aufeinanderfolge der Tatbestände des § 1 Abs. 2 GrEStG und des § 1 Abs. 1 GrEStG zu entscheiden. In dem Urteil vom 29. Dezember 1926 II A 573/26 (Steuer und Wirtschaft 1927 Nr. 101) hat der RFH lediglich für den Fall einer nichtigen Auflassung entschieden, daß § 6 GrEStG 1919 nicht eingreife, wenn der bisherige Eigentümer irrtümlich geglaubt habe, zur Übertragung des bürgerlich-rechtlichen Eigentums verpflichtet zu sein. Eine Übereignung ist nicht nachgefolgt. Auch im Urteil vom 14. Juli 1923 II A 137/23 (RFHE 12, 301) hat der RFH lediglich ausgesprochen, daß die auf Grund eines Kaufvertrages erfolgte Auflassung und Übergabe des Grundstücks kein steuerpflichtiger Rechtsvorgang i. S. des § 6 GrEStG 1919 sei.
2. Die Entscheidung des FG erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig. Zum 1. Juli 1960 ist nämlich - ausgehend von den Feststellungen des FG, die vom FA nicht angegriffen worden sind - die Verwertungsbefugnis an dem Grundstück nicht gemäß § 1 Abs. 2 GrEStG auf die KG übertragen worden, mag die Klägerin auch anderer Ansicht sein und eine solche Übertragung behauptet haben. Denn eine Einigung über die Beteiligung an den Wertsteigerungen und Wertminderungen des Grundstücks hat nach dem übereinstimmenden Vorbringen vor Vorliegen der Bilanz auf den 30. Juni 1960 nicht stattgefunden. Für die Übertragung der Verwertungsbefugnis gemäß § 1 Abs. 2 GrEStG reicht nicht aus, daß ein Gesellschafter der Gesellschaft das Gebäude zur Fruchtziehung und Lastentragung zur Verfügung stellt, vielmehr müssen alle Wertsteigerungen und Wertminderungen des Grundstücks der Gesellschaft und nur vermittels des Gesellschaftsverhältnisses den einzelnen Gesellschaftern zugute kommen, das Grundstück muß also im Innenverhältnis wie Eigentum der Gesellschaft behandelt werden (BFH-Urteile vom 24. Juli 1974 II R 32/67, BFHE 113, 315, BStBl II 1974, 773, und vom 10. März 1970 II R 135/68, BFHE 99, 68, BStBl II 1970, 522). Die Verwertungsbefugnis i. S. von § 1 Abs. 2 GrEStG ist noch nicht übertragen, wenn sich die Gesellschafter für den Fall der Veräußerung des Grundstücks, des Ausscheidens eines Gesellschafters oder der Liquidation der Gesellschaft noch nicht über die Verteilung der stillen Reserven oder möglicher Wertminderungen geeinigt haben. Im Streitfall war dies erst nach Erstellung der Abschlußbilanz der Gesellschaft Josef und Franz S sen. zum 30. Juni 1960, an die die Eröffnungsbilanz der Klägerin anknüpfte, der Fall; wie sich aus den Feststellungen des FG ergibt, war dies der Grund, weshalb die Gesellschafter mit dem schriftlichen Abschluß des Gesellschaftsvertrages und der Übereignung des Grundstücks bis zum 20. Juni 1962 warteten. Demnach ist es im Streitfall - insoweit in Übereinstimmung mit den Behauptungen der Klägerin in tatsächlicher Hinsicht, aber im Widerspruch zu ihrer rechtlichen Wertung - ausgeschlossen, daß das Grundstück schon vor der Übereignung dem Werte nach durch einen Rechtsvorgang i. S. des § 1 Abs. 2 GrEStG eingebracht worden sei.
Für die Besteuerung des Grundstückserwerbs durch die KG kam es also auf den Inhalt des Vertrages vom 3. Juli 1962 an. Ausweislich des Steuerbescheides vom 22. November 1973, der an die Stelle des Steuerbescheides vom 10. Juni 1965 getreten ist und antragsgemäß Gegenstand des Revisionsverfahrens wurde (§ 68 FGO), ist Streitgegenstand der Grunderwerbsteuerbescheid geworden, der den angeblichen Erwerbsvorgang vom 1. Juli 1960 betrifft. Nur mit der Rechtmäßigkeit des diesen Vorgang betreffenden Steuerbescheides konnten sich das FG und der Senat befassen. Der Bescheid war aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 71668 |
BStBl II 1976, 30 |
BFHE 1976, 96 |