Leitsatz (amtlich)
Der gemeine Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften läßt sich nicht aus Verkäufen ableiten, wenn Anteilsveräußerer und Erwerber mit dem Beteiligungswechsel in erster Linie eine Neuordnung ihrer Unternehmen mit dem Ziel einer gegenseitigen engen wirtschaftlichen und technischen Zusammenarbeit erstreben.
Normenkette
BewG §§ 9, 11 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war an dem hier streitigen Stichtag (31. Dezember 1971) am Grundkapital der X-AG (5 100 000 DM) zu rd. 25 v. H. beteiligt. Außerdem hielt er Beteiligungen an der X-GmbH, der VX-GmbH & Co. KG sowie an der X-GmbH .& Co. KG. Die Gesellschafter an diesen vier Gesellschaften, die zu der sogenannten X-Gruppe gehören, sind im wesentlichen identisch.
Im November 1971 schlossen Vertreter der Y-Gruppe, Z (Schweiz), und der X-Gruppe sowie deren Gesellschafter eine "Grundsatzvereinbarung" (GV). In dieser wurde eine Beteiligung der Y-Gruppe an der X-Gruppe mit dem Ziel vereinbart, die Zusammenarbeit beider Unternehmensgruppen zu intensivieren und deren Fertigungsprogramm wesentlich zu erweitern. Nach der GV sollte die Y-Gruppe 51 v. H. des Grundkapitals der Y-AG, 49 v. H. des Stammkapitals der X-GmbH und jeweils 51 v. H. der Kommanditbeteiligungen an den X- und VX-Kommanditgesellschaften erwerben. Eine Aufstockung der an der X-GmbH erworbenen Beteiligung von 49 v. H. auf 51 v. H. war zum 2. Januar 1974 vorgesehen. Für die Aktien der X-AG wurde der Kaufpreis auf 210 v. H. des Nennwerts festgelegt. Die Altgesellschafter der X-AG garantierten zum 31. Dezember 1971 einen Vermögensstand (Buchwert) der X-AG in Höhe von 7 272 000 DM. Außerdem wurde unter anderem vereinbart,
daß die Zahlung des Kaufpreises (5 462 000 DM) für die Aktien nach Ausstellung der Schlußnoten am 3. Januar 1972 in bar erfolgt und die Altaktionäre einen Betrag von 4 000 000 DM auf die Dauer von drei Jahren der X-AG als Darlehen zur Verfügung stellen;
daß die Y-Gruppe verpflichtet ist, Aktien (Anteile, Beteiligungen) an der X Gruppe, welche die vertragschließenden Altgesellschafter in der Zeit vom 3. Januar 1972 bis zum 2. Januar 1977anbieten, zu dem in der GV vereinbarten Kurs zu übernehmen;
daß die Altgesellschafter der X-Gruppe sich bei einem Verkauf durch den Leiter des Pools der X- Gruppe vertreten lassen;
daß die Mehrheitsposition der Y-Gruppe im Aufsichtsrat der X-AG anerkannt wird, insbesondere Vertreter der X-Gruppe im Aufsichtsrat verpflichtet sind nicht gegen die Interessen der Y-Gruppe zu stimmen und diese nicht zusammen mit den Arbeitnehmervertretern zu majorisieren;
bei der Bestellung des Vorstands der AG die Aktionärsvertreter der X-Gruppe den Vorschlag der Y-Gruppe unterstützen;
sämtliche Gesellschaftsverträge neu gefaßt werden.
Die X-AG erwirtschaftete in 1971 einen Verlust von 1 691 713 DM. Wegen der Verpflichtung der Altaktionäre, den Vermögensstand der X-AG vom 31. Dezember 1970 zum 31. Dezember 1971 zu garantieren, stellte die AG in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1971 eine Ausgleichsforderung gegen die Altaktionäre in Höhe von 1 691 713 DM ein. Diese Forderung wurde von den Altaktionären der X- Gruppe mit den Erlösen aus dem Aktienverkauf beglichen.
In dem Verfahren zur einheitlichen und gesonderten Feststellung des gemeinen Werts der Aktien zum 31. Dezember 1971 beantragte die X-AG, den gemeinen Wert der Aktien nach dem sogenannten Stuttgarter Verfahren auf 62 DM für 100 DM zu ermitteln. Diesen Antrag begründete sie damit, daß ein einziger Verkaufsfall keine ausreichende Grundlage für die Ableitung des gemeinen Werts bilde. Außerdem liege dieser Verkauf erst nach dem hier streitigen Stichtag. Im übrigen handle es sich nicht um einen Verkauf im gewöhnlichen Geschäftsverkehr. Es sei zu beachten, daß nicht allein Aktien der X-AG, sondern die Mehrheit der Anteile an allen Gesellschaften der X-Gruppe übertragen worden sei. Bei der Vereinbarung des Kaufpreises seien die Beteiligten von einem Gesamtpreis für die Beteiligung an allen vier Gesellschaften der X-Gruppe ausgegangen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) stellte den gemeinen Wert der Aktien auf 210 DM je 100 DM Nennwert fest.
Der Einspruch der X-AG, dem sich der Kläger innerhalb der Rechtsbehelfsfrist angeschlossen hatte, blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte zur Begründung seiner Entscheidung aus: Verkauf im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) sei das schuldrechtliche Geschäft, bei dem der für die Bewertung wesentliche Preis vereinbart sei. Im Streitfall sei der Kaufpreis für die Aktien in der GV vom November 1971 festgelegt worden. Es sei unerheblich, daß die GV möglicherweise an einem Formmangel leide. Denn der Vertrag sei vereinbarungsgemäß erfüllt worden. Der Verkauf von insgesamt 51 v. H. des Grundkapitals an der X-AG sei eine geeignete Grundlage zur Ableitung des gemeinen Werts der Aktien. Der Vertrag sei unter einander fremden kaufmännisch allgemein und speziell in der betreffenden Branche erfahrenen Partnern geschlossen worden. Es sei nicht ersichtlich, daß die Y-Gruppe im Hinblick auf den Erwerb der Anteilsmehrheit an insgesamt vier Gesellschaften bereit gewesen sei, einen überhöhten Preis zu zahlen. Der Kläger selbst habe vorgetragen, es seien keine Paketzuschläge vereinbart und nur die Substanzwerte vergütet worden.
Der Kläger rügt mit der Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen setze gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG voraus, daß wenigstens zwei Verkäufe - und zwar vor dem Stichtag - vorlägen, die als Veräußerungen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr angesehen werden könnten. An diesen Voraussetzungen fehle es im Streitfall.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den gemeinen Wert der Aktien unter Abänderung der Einspruchsentscheidung auf 62 DM je 100 DM festzustellen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht an einer deutschen Börse zum amtlichen Handel zugelassen und auch nicht in den geregelten Freiverkehr einbezogen sind, sind mit dem gemeinen Wert zu bewerten (§ 11 Abs. 2 BewG). Dieser ist in erster Linie aus Verkäufen abzuleiten. Liegen keine geeigneten Verkäufe vor, ist der gemeine Wert der Anteile nach dem Vermögen und den Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats hat die Bewertung nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften aufgrund von Verkäufen den Vorrang vor der Schätzung des gemeinen Werts unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten nach dem sogenannten Stuttgarter Verfahren (zuletzt Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Dezember 1979 III R 45/77, BFHE 129, 394, BStBl II 1980, 234).
2. Voraussetzung für die Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen ist, daß es sich um stichtagsnahe Veräußerungen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr handelt. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Der Preis, den die Y-Gruppe für die Aktien an der X-AG anläßlich des Erwerbs der Beteiligungen an der X-Gruppe gezahlt hat, ist daher keine geeignete Grundlage für die Ableitung des gemeinen Werts der Aktien.
a) Nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG ist der gemeine Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften aus "Verkäufen", d. h. grundsätzlich aus einer Mehrzahl von Veräußerungsgeschäften abzuleiten (BFH-Urteil vom 14. Oktober 1966 III 281/63, BFHE 87, 218, BStBl III 1967, 82). Ob im Streitfall - wie das FG meint - eine Mehrzahl von Veräußerungsgeschäften schon deshalb bejaht werden kann, weil an dem - hier einzigen - Verkaufsgeschäft auf der Veräußererseite mehrere Gesellschafter beteiligt waren, erscheint insbesondere deshalb zweifelhaft, weil die Gesellschafter bei Vertragsschluß als eine einheitliche Gruppe in Erscheinung getreten sind. Der Senat braucht jedoch hierüber nicht abschließend zu entscheiden, weil der vereinbarte Preis nicht als im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen angesehen werden kann.
b) Gemäß § 9 Abs. 2 BewG wird der gemeine Wert durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit der Anteile an der Kapitalgesellschaft zu erzielen wäre. Nach der Rechtsprechung des Senats ist unter gewöhnlichem Geschäftsverkehr der Handel zu verstehen, der sich nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage vollzieht und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang und nicht aus Not, sondern freiwillig und in Wahrung seiner eigenen Interessen zu handeln in der Lage ist (Urteile in BFHE 129, 394, 396, BStBl II 1980, 234, und vom 14. Februar 1969 III 88/65, BFHE 95, 334, 337, BStBl II 1969, 395). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, entscheidet sich nach den Gesamtumständen des Einzelfalles unter Heranziehung objektivierter Maßstäbe.
Der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu erzielende Preis für Anteile an Kapitalgesellschaften wird nach der ständigen Rechtsprechung des Senats vor allem durch das Vermögen und die Ertragsaussichten der Gesellschaft, um deren Anteile es sich handelt, bestimmt (vgl. BFHE 95, 334, 338, BStBl II 1969, 395). Im Hinblick auf den für die Preisbildung maßgeblichen gewöhnlichen Geschäftsverkehr scheiden insbesondere solche Preise aus, die unter ungewöhnlichen Verhältnissen zustande gekommen, bei denen die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten von entscheidender Bedeutung gewesen sind oder wertbildende Faktoren in den Preis Eingang gefunden haben, die mit der Beschaffenheit der Anteile selbst nichts zu tun haben.
aa) Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG bezweckten die Vertragspartner mit dem Beteiligungswechsel im Streitfall vor allem eine Umstrukturierung beider Unternehmensgruppen mit dem Ziel einer engen Zusammenarbeit auf technischem und wirtschaftlichen Gebiet sowie einer Erweiterung des Fertigungsprogramms. Darüber hinaus beabsichtigte die Y-Gruppe, sich durch den Erwerb der Beteiligungen an der X-Gruppe unmittelbar Zugang zum Markt der Europäischen Gemeinschaft (EG) zu verschaffen. Ging es mithin der Anteilserwerberin neben der kapitalmäßigen Beteiligung an der X-Gruppe vor allem um eine gegenseitige enge technische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dieser Gruppe sowie um die Überwindung wirtschaftspolitischer Hemmnisse, die dem Absatz der eigenen Erzeugnisse im EG-Markt entgegenstanden, so ist der Preis für die Beteiligungen im Streitfall in erheblichem Maße durch persönliche Verhältnisse im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG beeinflußt. Denn bei einem solchen Sachverhalt wirken sich bei der Preisbildung in der Person des Erwerbers liegende besondere Umstände aus, die nicht als beim Erwerb von Anteilen oder Beteiligungen an Kapitalgesellschaften üblich angesehen werden können. Hierin unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt wesentlich von dem der Entscheidung vom 23. Februar 1979 III R 44/77 (BFHE 128, 254, BStBl II 1979, 618) zugrunde liegenden, wo es der Erwerberin um die Beteiligung an einem branchenfremden Unternehmen, und zwar ausschließlich um eine Kapitalanlage, ging, weil eine Marktausdehnung in der eigenen Branche nicht mehr möglich war.
bb) Es kommt hinzu, daß die GV für Verträge dieser Art nicht übliche Abreden über zusätzliche von den Beteiligten zu erbringende Leistungen enthält. Eine solche zusätzliche Leistung sieht der Senat in der Verpflichtung der Altgesellschafter der X-Gruppe, in Aufsichtsrat und Vorstand die Interessen der Y-Gruppe zu vertreten und diese insbesondere nicht zusammen mit den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat zu majorisieren. Unter dem gleichen Gesichtspunkt ist es zu werten, daß die Altgesellschafter vereinbarungsgemäß den von der X-AG in 1971 erlittenen Verlust im Betrag von 1 691 713 DM an die Gesellschaft entrichteten. Mit Rücksicht auf diese zusätzlichen Verpflichtungen (Leistungen) kann der für die Anteile vereinbarte nicht als der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielbare Preis angesehen werden., Dies ergibt sich auch schon daraus, daß der von der Y-Gruppe für die Aktien im wirtschaftlichen Ergebnis tatsächlich bezahlte Preis ganz erheblich unter dem mit 5 462 000 DM vereinbarten und in dieser Höhe von der Vorinstanz als für die Bewertung der Anteile maßgebend angesehenen Verkaufspreis lag.
c) Da es im Streitfall bereits an einem Verkauf von Aktien im gewöhnlichen Geschäftsverkehr fehlt, braucht der Senat nicht darüber zu entscheiden, ob der Ableitung des gemeinen Werts aus dem Veräußerungspreis der Umstand entgegenstände, daß das Veräußerungsgeschäft erst einige Tage nach dem streitbefangenen Stichtag vollzogen worden ist.
3. Die Vorentscheidung war aufzuheben, da sie auf einer anderen Rechtsauffassung beruht. Da sich der gemeine Wert der Aktien im Streitfall nicht aus Verkäufen ableiten läßt, ist er unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten zu schätzen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Die Sache ist nicht entscheidungsreif, da das FG - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - zu Vermögen und Ertragsaussichten der X-AG (Abschn. 77 ff. der Vermögensteuer-Richtlinien) keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat. Der Rechtsstreit war daher gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 413506 |
BStBl II 1981, 353 |
BFHE 1981, 482 |