Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Begriff "Stiefkind"
Leitsatz (amtlich)
Das von der Ehefrau an Kindes Statt angenommene Kind ist im Verhältnis zu ihrem Ehemann Stiefkind im Sinne des § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. d ErbStG.
Normenkette
ErbStG § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. D; BGB § 1763 S. 2; GG Art. 6 Abs. 5
Tatbestand
1. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde im Jahre 1945 von der Ehefrau des Herrn X adoptiert. Die Adoption durch Herrn X selbst scheiterte daran, daß dieser zunächst keine Erbverzichtserklärung seines - nicht leiblichen Kindes aus erster Ehe beibringen konnte. Als diese Erklärung im Jahre 1955 vorlag, willigte die Ehefrau des Herrn X nicht mehr in die gemeinschaftliche Adoption ein.
2. Im April 1962 gründeten Herr X und der Kläger eine OHG. Herr X brachte in diese Gesellschaft sein bisheriges Einzelunternehmen ein. Er schenkte dem Kläger einen Gesellschaftsanteil im Nennwert von 10.000DM. Der Beklagte (Finanzamt - FA -) berechnete den Wert der Schenkung mit 10.909DM (§ 23 Abs. 2 ErbStG). Die danach festgesetzte Steuer betrug 1.744DM; sie wurde vom FA nach Steuerklasse (StKl) V berechnet (§ 10 Abs. 1 ErbStG). Die Sprungberufung des Klägers hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Der Kläger ist das Stiefkind des Schenkers gemäß § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. d ErbStG. Die unentgeltliche Zuwendung ist nach Steuerklasse I zu besteuern.
1. a) Der Begriff "Stiefkind" wird im BGB nicht verwendet. Er ist in einigen Steuergesetzen zu finden, ohne daß diese eine Erläuterung erkennen lassen (vgl. außer § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. d ErbStG zum Beispiel § 32 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG, § 5 Abs. 1 Nr. 3 VStG und § 3 Nr. 6 Satz 2 GrEStG). Demnach ist er nach dem Sinn und Zweck des betreffenden jeweiligen Gesetzes auszulegen (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. August 1963 VI 121/63 S, BFHE 77, 460, BStBl III 1963, 488). Die Vorschrift des § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. d ErbStG hat ihren Grund darin, daß ein Ehepartner auch zu solchen Kindern gewisse tatsächliche (persönliche) Bindungen haben kann, die nur mit dem anderen Teil verwandt sind; diese Beziehungen sollen in gleicher Weise wie diejenigen zwischen Eltern und ihren leiblichen oder von ihnen gemeinschaftlich adoptierten Kindern erbschaftsteuerrechtlich begünstigt werden. Stiefkinder im Sinne der genannten Vorschrift sind daher die Kinder des anderen Ehegatten. Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Regelung lassen erkennen, daß hier die Adoptivkinder des anderen Ehepartners ausgeschlossen werden sollen. Auch ein Vergleich mit § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. a und b ErbStG spricht für das Gegenteil. In diesen beiden Vorschriften werden im Verhältnis zum Erblasser oder Schenker dessen leibliche und die von ihm adoptierten Kinder gleichgestellt. Diesem System entspricht es, daß auch als Stiefkinder die leiblichen und die adoptierten Kinder des anderen Ehegatten die gleiche Stellung haben.
b) Auf die Entscheidung des vorliegenden Falles hat die Regelung des § 1763 Satz 2 BGB, auf welche sich das Finanzgericht (FG) in dem angefochtenen Urteil bezieht, keinen Einfluß. Danach ist der Kläger nicht mit dem Schenker verschwägert. Die Schwägerschaft ist aber nicht Voraussetzung eines Stiefkindschaftsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. b ErbStG. Auch sonst bestehen für den vorliegenden Fall keine Verknüpfungen zwischen den beiden genannten Vorschriften. Es mag Gründe dafür geben, die zahlreichen mit der Schwägerschaft verbundenen gesetzlichen Folgen (z.B. im Familienrecht, Eherecht und Verfahrensrecht) nicht auf das Verhältnis zwischen dem Adoptivkind und dem Ehepartner des Annehmenden auszudehnen. Dieser Gesichtspunkt hat jedoch für die hier zu beurteilende erbschaftsteuerrechtliche Frage keine Bedeutung. Der Wirkungskreis des § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. d ErbStG ist begrenzter als derjenige des § 1763 Satz 2 BGB. Bei der erstgenannten Vorschrift geht es nur um die steuerliche Vergünstigung in Form der Steuerklasse I, nicht um weiterreichende und für das Stiefkind etwa nachteilige Rechtsfolgen.
c) Der Senat hatte in dem Urteil vom 24. Juni 1964 II 116/62 U (BFHE 80, 22, 27 BStBl III 1964, 483) zur Auslegung des Begriffs "Abkömmlinge" im Sinne des § 10 Abs. 1 StKl II ErbStG die Ansicht vertreten, daß - abgesehen von dem unehelichen Kind im Verhältnis zu seinem Vater - alle in Beziehung auf die Steuerklasse I bis IV bezeichneten Personen durch Ehe, Verwandtschaft oder Schwägerschaft mit dem Erblasser verbunden seien. An dieser Auffassung hält der Senat für den hier zu entscheidenden Fall insoweit nicht fest, als es sich um die Steuerklasse I handelt. Zwar mag dem Gesetzgeber ursprünglich eine solche Bindung dieser Steuerklasse an die genannten bürgerlich-rechtlichen Begriffe vorgeschwebt haben. Darauf läßt die Regelung der Steuerklasse II schließen; danach erhalten die Abkömmlinge einer an Kindes Statt angenommenen Person nur dann diese Steuervergünstigung, wenn sich die Wirkungen der Annahme an Kindes Statt auch auf sie (die Abkömmlinge) erstrecken (§ 1762 BGB). Etwaige Verknüpfungen des Begriffes der Stiefkindschaft mit demjenigen der Schwägerschaft sind aber spätestens durch Art. 6 Abs. 5 GG gelöst worden. Diese Vorschrift enthält nicht nur ein Gebot an den Gesetzgeber, sondern darüber hinaus eine Wertentscheidung, welche die Gerichte auch schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (BGBl I 1969 S 1243) bei der Auslegung geltender Gesetze band (vgl. Leibholz/Rinck, Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 1968, Art. 6 Tz. 8). Das anerkannte nichteheliche Kind des Ehemannes war daher im Verhältnis zu dessen Ehefrau ebenso Stiefkind nach § 10 Ab. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. d ErbStG wie das (aus einer anderen Ehe stammende) eheliche Kind des Ehemannes. Die Tatsache, daß die beiden Personen nach § 1589 Abs. 2 BGB a.F. und § 1590 Abs. 1 BGB nicht miteinander verschwägert waren, hatte demnach zum mindesten seit der Geltung des Grundgesetzes keine Bedeutung mehr. Damit war der Begriff des Stiefkindes nach § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. d ErbStG ohne Rücksicht auf bürgerlich-rechtliche Begriffe auszulegen.
2. Nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist ein Erwerb steuerfrei, soweit er 30.000 DM nicht übersteigt. Dem Kläger wurde eine Beteiligung an der OHG im Wert von 10.909DM zugewendet. Er braucht hierfür keine Erbschaftsteuer zu zahlen. Das Urteil des FG und der Steuerbescheid waren daher aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 70401 |
BStBl II 1973, 453 |
BFHE 109, 73 |
BFHE 1973, 73 |