Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerberaterhaftung: Beginn der Verjährungsfrist für Schadensersatzanspruch wegen unterlassener Rechtsbehelfseinlegung
Leitsatz (redaktionell)
1. Regelmäßig entsteht der Anspruch gegen einen Steuerberater, der steuerliche Nachteile seines Mandanten verschuldet hat, nicht erst mit der Bestandskraft, sondern bereits mit Bekanntgabe des belastenden Steuerbescheids. Besteht das pflichtwidrige Verhalten des Steuerberaters aber im Unterlassen des gebotenen Rechtsbehelfs gegen den Bescheid, so entsteht der Anspruch in dem Augenblick, in dem der Steuerpflichtige von sich aus nicht mehr durch einen Rechtsbehelf die Abänderung des Steuerbescheids erwirken kann; die eng begrenzten Abänderungsmöglichkeiten nach § 173 AO reichen nicht aus, den Eintritt des Schadens erst für den Zeitpunkt anzunehmen, von dem an auch sie nicht mehr bestehen.
2. Ein Beratungsfehler liegt vor, wenn der Bundesfinanzhof durch einen für die amtliche Sammlung bestimmten Beschluss vor Ablauf der Festsetzungsfrist Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Besteuerung mit dem Gemeinschaftsrecht (hier: Umsatzsteuer auf Geldspielautomaten-Umsätze) zum Ausdruck bringt und der Steuerberater hierauf nicht reagiert.
Normenkette
BGB § 199 Abs. 1 Nr. 1; StBerG § 68; EGBGB Art. 229 § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 13 S. 2; EGBGB § 6 Abs. 1 S. 2, Abs. 3; AO § 173
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 28.09.2009; Aktenzeichen 17 U 81/09) |
LG Gießen (Entscheidung vom 12.02.2009; Aktenzeichen 4 O 330/08) |
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 28. September 2009 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 58.413,12 EUR festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde deckt keinen Zulassungsgrund auf.
Rz. 2
1. Soweit das Berufungsgericht dem Kläger die Einziehungsbefugnis zur Geltendmachung der Klageforderung zuerkannt hat, greift ein Zulassungsgrund nicht durch.
Rz. 3
a) Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte insoweit auf eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG).
Rz. 4
Für die Annahme von Willkür reicht eine nur fragwürdige oder sogar fehlerhafte Rechtsanwendung nicht aus, selbst ein offensichtlicher Rechtsfehler genügt nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass die fehlerhafte Rechtsanwendung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht; die Rechtslage muss mithin in krasser Weise verkannt sein (BVerfGE 89, 1, 14; 96, 189, 203; BVerfG WM 2008, 721; BGHZ 154, 288, 299 f; BGH, Beschl. v. 21. Januar 2010 – IX ZB 59/09, juris Rn. 2). Davon kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn sich das Gericht – wie hier – mit der Rechtslage auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (BVerfGE 87, 273, 278 f; 89, 1, 13 f; 96, 189, 203; BGH, Beschl. v. 6. Mai 2010 – IX ZB 234/07, juris Rn. 4).
Rz. 5
b) Eine Divergenz (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 Altern. 2 ZPO) ist ebenfalls nicht gegeben.
Rz. 6
Um eine Divergenz ordnungsgemäß darzulegen, ist es erforderlich, die Vorentscheidung, zu der die Divergenz geltend gemacht wird, konkret zu benennen und zu zitieren, die angeblich divergierenden entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssätze aus dieser Vorentscheidung und aus der angefochtenen Entscheidung herauszustellen sowie vorzutragen, inwiefern diese nicht übereinstimmen (BGHZ 152, 182, 186). Im Streitfall fehlt es an der gebotenen Gegenüberstellung vermeintlich divergierender Rechtssätze sowie der Darlegung, in welchen Bewertungen der Entscheidungen die Divergenz zum Ausdruck kommt.
Rz. 7
bb) Überdies kann eine Divergenz nur angenommen werden, wenn der angefochtenen Entscheidung ein Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem die Entscheidung tragenden Rechtssatz eines höherrangigen Gerichts, eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts oder eines anderen gleichgeordneten Gerichts abweicht (BGHZ 154, 288, 292; BGH, Beschl. v. 5. November 2002 – VI ZB 40/02, NJW 2003, 437). Vor diesem Hintergrund vermag eine Abweichung des Oberlandesgerichts im Verhältnis zu der von der Nichtzulassungsbeschwerde angeführten Entscheidung des im Instanzenzug nachgeordneten Landgerichts Wiesbaden eine Divergenz nicht zu begründen.
Rz. 8
2. Soweit die Beschwerde im Blick auf die Würdigung des Berufungsgerichts, dass der geltend gemachte Ersatzanspruch noch nicht verjährt ist, Zulassungsgründe geltend macht, sind diese jedenfalls nicht entscheidungserheblich. Denn die angefochtene Entscheidung ist in diesem Punkt im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGH, Urt. v. 23. September 2010 – IX ZR 26/09 z.V.b.). Verjährung ist hier gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB frühestens am 31. Dezember 2008 eingetreten. Der verfahrenseinleitende Mahnbescheid des Klägers ist dem Beklagten jedoch bereits am 14. Februar 2008 zugestellt worden.
Rz. 9
a) Für Beginn und Dauer der Verjährung sind im Streitfall gemäß Art. 229 § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 13, Satz 2, § 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 EGBGB anstelle der mit Wirkung vom 15. Dezember 2004 durch Art. 16 Nr. 2 des Gesetzes zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I, S. 3214) aufgehobenen Vorschrift des § 68 StBerG nunmehr die Vorschriften der §§ 195 ff BGB anwendbar. Denn der geltend gemachte Anspruch ist mit Ablauf des 31. Dezember 2004 und damit nach dem 15. Dezember 2004 entstanden (vgl. BGH, Urt. v. 17. Dezember 2009 – IX ZR 4/08, WM 2010, 629 Rn. 6).
Rz. 10
aa) Regelmäßig entsteht der Anspruch gegen einen Steuerberater, der steuerliche Nachteile seines Mandanten verschuldet hat, nicht erst mit der Bestandskraft, sondern bereits mit Bekanntgabe des belastenden Steuerbescheids (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Das kann aber nicht gelten, wenn das pflichtwidrige Verhalten des Steuerberaters erst nach Erlass des Steuerbescheids einsetzt. Besteht die Pflichtwidrigkeit darin, dass der gebotene Rechtsbehelf gegen den Bescheid nicht eingelegt wird, so entsteht der Anspruch in dem Augenblick, in dem der Steuerpflichtige von sich aus nicht mehr durch einen Rechtsbehelf die Abänderung des Steuerbescheids erwirken kann; die eng begrenzten Abänderungsmöglichkeiten nach § 173 AO reichen nicht aus, den Eintritt des Schadens erst für den Zeitpunkt anzunehmen, von dem an auch sie nicht mehr bestehen (BGH, Urt. v. 20. Juni 1996 – IX ZR 100/95, WM 1996, 2066, 2067; v. 12. Februar 1998 – IX ZR 190/97, WM 1998, 786, 787; v. 23. September 2010 – IX ZR 26/09 z.V.b.).
Rz. 11
bb) In der Abgabe der Umsatzsteueranmeldung durch den Beklagten am 20. Juli 2000 kann ein Beratungsfehler nicht erkannt werden, weil Rechtsprechung, die Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Besteuerung mit dem Gemeinschaftsrecht zum Ausdruck brachte, erst danach ergangen ist. Der Beklagte hat indessen versäumt, bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2004 (§§ 164 Abs. 4, § 169 Abs. 2 Satz 1 AO) eine Neufestsetzung der Umsatzsteuer zu beantragen. Insoweit liegt ein Beratungsfehler vor, weil der Bundesfinanzhof durch den für die amtliche Sammlung bestimmten Beschluss vom 6. November 2002 (V R 7/02, BFHE 200, 149) vor Ablauf der Festsetzungsfrist Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Besteuerung mit dem Gemeinschaftsrecht zum Ausdruck gebracht hat. Auf diesen Beschluss hätte der Beklagte bis zum 31. Dezember 2004 durch einen Antrag auf Neufestsetzung reagieren müssen.
Rz. 12
b) Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB war bis zu der am 14. Februar 2008 an den Beklagten bewirkten Zustellung des Mahnbescheids noch nicht abgelaufen.
Rz. 13
Wird ein bestimmter Tag als Endtermin genannt, endet eine Frist erst mit dem Ablauf dieses Tages (RGZ 105, 417, 419 f). Da der Beklagte den 31. Dezember 2004 zur Vermeidung einer Schadensersatzpflicht durch die Stellung eines Änderungsantrags noch voll ausnutzen durfte, wurde der gegen ihn gerichtete Ersatzanspruch erst am 1. Januar 2005 begründet (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Bei dieser Sachlage kommt es nicht darauf an, wann der Kläger als zweite Voraussetzung für den Verjährungsbeginn von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt bzw. infolge grober Fahrlässigkeit nicht erlangt hat (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die dreijährige Frist des § 195 BGB ist, weil der Anspruch im Jahr 2005 begründet wurde, gemäß § 199 Abs. 1 BGB erst mit dem Schluss dieses Jahres in Lauf gesetzt worden (sog. „Ultimo-Verjährung”, vgl. MünchKomm-BGB/Grothe, 5. Aufl. § 199 Rn. 41). Folglich ist die Verjährungsfrist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2008 verstrichen (juris-PK-BGB/Lakkis, 5. Aufl. § 199 Rn. 72). Der Mahnbescheid wurde dem Beklagten jedoch bereits am 14. Februar 2008 zugestellt.
Unterschriften
Ganter, Kayser, Gehrlein, Fischer, Grupp
Fundstellen
Haufe-Index 2595798 |
BFH/NV 2011, 559 |
HFR 2011, 481 |
BRAK-Mitt. 2011, 32 |