Entscheidungsstichwort (Thema)
Möglichkeit der gesonderten Geltendmachung von sächlichen Kosten, die dem Insolvenzverwalter infolge der Übertragung des Zustellwesens durch das Insolvenzgericht entstanden sind. Grundsätzlicher Unterschied zwischen Gebühren- und Auslagenersatz. Vergütungszuschlag nach § 3 Abs. 1 InsVV für die übertragenen Zustellungen, wenn dadurch ins Gewicht fallender Mehraufwand entstanden ist
Leitsatz (amtlich)
a) Nach Inkrafttreten der Änderungsverordnung vom 4.10.2004 können die sächlichen Kosten, die dem Insolvenzverwalter infolge der Übertragung des Zustellungswesens durch das Insolvenzgericht entstanden sind, neben der allgemeinen Auslagenpauschale geltend gemacht werden.
?4A≫b) Die durch die Besorgung der Zustellungen angefallenen Personalkosten können dem Insolvenzverwalter nicht im Wege des Auslagenersatzes erstattet werden.
Normenkette
InsO § 8 Abs. 3; InsVV § 4 Abs. 2, § 8 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1) wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Fulda vom 18.3.2005 aufgehoben und die Sache - auch zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 585,68 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[1] Der weitere Beteiligte zu 1) ist Insolvenzverwalter in dem - unter Stundung der Verfahrenskosten (§ 4a InsO) - am 15.4.2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Der Insolvenzverwalter wurde gem. § 8 Abs. 3 InsO beauftragt, die Zustellungen durchzuführen.
[2] Am 5.1.2005 hat er die Festsetzung seiner Vergütung und des Auslagenersatzes beantragt. Als Nettovergütung hat er 2.600 EUR verlangt. Als Auslagenersatz hat er pauschal 390 EUR begehrt und daneben für 187 Zustellungen zu je 2,70 EUR den Betrag von 504,90 EUR. Zusätzlich hat er die jeweilige Umsatzsteuer geltend gemacht.
[3] Das Insolvenzgericht hat die Vergütung und den pauschalen Auslagenersatz in der beantragten Höhe festgesetzt. Die Festsetzung des Auslagenersatzes für die Zustellungen hat es abgelehnt. Das LG hat die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde zurückgewiesen (sein Beschluss ist in LG Fulda v. 18.3.2005 - 5 T 104/05, Rpfleger 2005, 626 veröffentlicht). Insoweit verfolgt der Insolvenzverwalter den Antrag mit seiner Rechtsbeschwerde weiter.
II.
[4] Das statthafte (§§ 7, 64 Abs. 3 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und zulässige (§ 574 Abs. 2 ZPO) Rechtsmittel des weiteren Beteiligten zu 1) führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
[5] 1. Allerdings kann der Insolvenzverwalter nicht verlangen, dass zu seinen Gunsten weitere Auslagen für die gem. § 8 Abs. 3 InsO ausgeführten Zustellungen i.H.v. 504,90 EUR zzgl. Umsatzsteuer (80,78 EUR) festgesetzt werden.
[6] a) Auf den hier in Rede stehenden Sachverhalt findet die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung (InsVV) in ihrer nach Inkrafttreten der Änderungsverordnung vom 4.10.2004 (BGBl. I, 2569) geltenden Fassung Anwendung, weil das Insolvenzverfahren nach dem 1.1.2004 eröffnet worden ist (§ 19 InsVV).
[7] b) Die Frage, ob der Insolvenzverwalter die ihm auf Grund der Übertragung der Zustellungen nach § 8 Abs. 3 InsO entstandenen Zustellungskosten neben der Auslagenpauschale (§ 8 Abs. 3 InsVV) geltend machen kann, ist für das frühere wie auch das neuere Recht in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten (bejahend: LG Leipzig ZInsO 2003, 514; LG Chemnitz ZInsO 2004, 200; LG Bamberg ZInsO 2004, 1196, 1197; AG Göttingen ZInsO 2004, 1351, 1352; AG Marburg ZInsO 2005, 706; Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV 3. Aufl., § 4 Rz. 6; Kübler/Prütting/Eickmann/Prasser, InsO § 4 InsVV Rz. 6; FK-InsO/Lorenz, 4. Aufl., § 4 InsVV Rz. 12; HK-InsO/Irschlinger, 4. Aufl., § 4 InsVV Rz. 8; HmbKomm-InsO/Büttner, § 8 InsVV Rz. 30; Keller NZI 2004, 465, 476; Voß EWiR 2004, 1045, 1046; verneinend LG Aschaffenburg, Beschl. v. 26.4.2006 - 4 T 15/06; AG Köln NZI 2006, 47, 48; Blersch in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO § 4 InsVV Rz. 28; Graeber, Vergütung in Insolvenzverfahren von A-Z [2005] Rz. 542; Rellermeyer Rpfleger 2006, 115, 117).
[8] c) Für das seit Inkrafttreten der Änderungsverordnung vom 4.10.2004 geltende Recht (zum früheren Recht vgl. die Senatsentscheidung vom heutigen Tage IX ZB 81/06, z.V.b.) hält es der Senat für zutreffend, dass die sächlichen Kosten, die dem Insolvenzverwalter infolge der Übertragung des Zustellungswesens durch das Insolvenzgericht (§ 8 Abs. 3 InsO) entstanden sind, neben der Auslagenpauschale (§ 8 Abs. 3 InsVV) geltend gemacht werden können.
[9] aa) Sachkosten des Insolvenzverwalters, die ihm dadurch entstehen, dass er die ihm gem. § 8 Abs. 3 InsO übertragenen Zustellungen besorgt, sind Auslagen i.S.d. § 4 Abs. 2 InsVV (LG Chemnitz a.a.O.; LG Bamberg a.a.O.; LG Fulda a.a.O.; Haarmeyer/Wutzke/Förster a.a.O.; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl., § 8 Rz. 18; FK-InsO/Lorenz a.a.O.; HK-InsO/Irschlinger a.a.O.; HmbKomm-InsO/Büttner, § 4 InsVV Rz. 9; Keller a.a.O.). Es handelt sich nicht um Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (so jedoch LG Leipzig a.a.O.; MünchKomm/InsO/Nowak, § 4 InsVV Rz. 20; Voß a.a.O.). Die Kosten des Insolvenzverfahrens, zu denen insb. die Auslagen des Insolvenzverwalters gehören (§ 54 Nr. 2 InsO), sind dort ausgenommen.
[10] bb) Zustellungskosten, die auf Grund einer Anordnung gem. § 8 Abs. 3 InsO entstanden sind, stellen zusätzliche Kosten für die Erledigung einer gesondert übertragenen Aufgabe außerhalb der Regeltätigkeit des Insolvenzverwalters dar (so auch LG Chemnitz a.a.O.; Kübler/Prütting/Eickmann/Prasser, a.a.O.). Selbst wenn dafür ein Zuschlag gem. § 3 InsVV gewährt wird, hat dies auf die allgemeine Auslagenpauschale keinen Einfluss mehr. Damit ist der zum früheren Recht zu erhebende Einwand (vgl. die Senatsentscheidung vom heutigen Tage IX ZB 81/06, z.V.b.) nicht mehr berechtigt, dass sich erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten ergäben, ferner Auslagen doppelt erstattet werden könnten, wenn es möglich wäre, die Zustellungskosten neben der allgemeinen Auslagenpauschale geltend zu machen. Zustellungskosten lassen sich ohne Weiteres von den unter die allgemeine Pauschale fallenden Auslagen abgrenzen.
[11] Ließe man die gesonderte Geltendmachung der Zustellungskosten neben der Inanspruchnahme der allgemeinen Auslagenpauschale nicht zu, wäre der Insolvenzverwalter gezwungen, entweder alle Auslagen einzeln abzurechnen oder auf die Geltendmachung der Zustellungskosten zu verzichten. Beides ist ihm nicht zumutbar. Es ist nicht einzusehen, dass der Insolvenzverwalter auf den Ersatz für Auslagen verzichten soll, die ohne die Übertragung gem. § 8 Abs. 3 InsO beim Staat angefallen wären. Selbst wenn dem Insolvenzverwalter für die Erledigung der Zustellungen ein Zuschlag gewährt wird, stellt dieser eine tätigkeitsbezogene Vergütung dar (Haarmeyer/Wutzke/Förster, a.a.O. § 3 InsVV Rz. 1; HmbKomm-InsO/Büttner, § 3 InsVV Rz. 1) und umfasst keine Auslagen.
[12] d) Eine besondere Auslagenpauschale von 2,70 EUR für die Zustellungen kann der weitere Beteiligte zu 1) gleichwohl nicht verlangen, weil damit auch der Bearbeitungsaufwand, also der Personaleinsatz, abgegolten werden soll. Der Aufwand durch die Beschäftigung eigenen Personals kann jedoch nicht im Wege des Auslagenersatzes geltend gemacht werden.
[13] aa) Allerdings ist der personelle Bearbeitungsaufwand, der durch die Zustellungen entsteht, nicht bereits durch die Vergütung gem. § 2 InsVV abgegolten. Die Einführung einer von der Zahl der Gläubiger abhängigen Staffelvergütung in § 2 Abs. 2 InsVV durch die Änderungsverordnung vom 4.10.2004 hat daran nichts geändert. Die Vergütungssätze des § 2 Abs. 2 InsVV n.F. sind lediglich dazu bestimmt, den regelmäßig durch ein Insolvenzverfahren verursachten Aufwand des Insolvenzverwalters abzudecken. Mit der Übertragung der Zustellungen gem. § 8 Abs. 3 InsO entsteht diesem hingegen ein zusätzlicher, von der gewöhnlichen Geschäftsführung nicht umfasster Aufwand. Schon in der Insolvenzordnung ist indes der grundsätzliche Unterschied zwischen Vergütung und Auslagenersatz angelegt (vgl. §§ 63, 65 InsO). Die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung nimmt diesen Unterschied auf (vgl. § 8 Abs. 1 InsVV). Zwar fallen auch Aufwendungen, die aus der gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV möglichen Beauftragung Dritter zur Erledigung besonderer Aufgaben für die Masse entstanden sind, unter den Begriff der Auslagen (BGHZ 160, 176, 180; vgl. ferner Haarmeyer/Wutzke/Förster, a.a.O. § 4 InsVV Rz. 6: "Aufwendungen für Sach- oder Personaleinsatz"). Der Insolvenzverwalter, der sein vorhandenes Büropersonal einsetzt, um für ein bestimmtes Insolvenzverfahren eine besondere Aufgabe mit zu erledigen, kann die Bürokosten jedoch nicht als Auslagen geltend machen. Dies gilt selbst dann, wenn die dem Personal übertragene Aufgabe der Erfüllung hoheitlich auferlegter Pflichten dient und der Insolvenzverwalter ansonsten auch einen Dritten damit hätte beauftragen dürfen (BGHZ 160, 176, 181; BGH, Beschl. v. 13.7.2006 - IX ZB 198/05, BGHReport 2006, 1262 = MDR 2006, 1368 = ZIP 2006, 1501, 1502 f.). Für den vorliegenden Fall kann nichts anderes gelten. Hier wie dort ist entscheidend, dass die Verhältnisse weniger durchschaubar würden, wenn die Kosten des eigenen Personals im Wege des Auslagenersatzes abgewälzt werden könnten.
[14] bb) Welcher Teil des für jede Zustellung geltend gemachten Betrages von 2,70 EUR auf den personellen und welcher auf den sächlichen Bearbeitungsaufwand entfällt, hat der Antragsteller nicht angegeben. Er hat sich lediglich auf Berechnungen bezogen, die in der Rechtsprechung praktiziert worden sind (LG Chemnitz ZInsO 2004, 200; AG Göttingen ZInsO 2004, 1351). Dort ist der betreffende Anteil jedoch ebenso wenig beziffert worden (vgl. ferner LG Bamberg ZInsO 2004, 1196, 1197; AG Marburg ZInsO 2005, 706, 707).
[15] 2. Nicht ausgeschlossen erscheint, dass der sächliche Aufwand der Zustellungen - insb. Kopier- und Portokosten sowie die Kosten der Umschläge - geschätzt werden kann. Dazu hat wohl auch das Beschwerdegericht tendiert. Es hat von einer Schätzung abgesehen, weil es - rechtsirrig - gemeint hat, eine Auslagenerstattung komme insoweit überhaupt nicht in Betracht, nachdem der Insolvenzverwalter den Pauschsatz nach § 8 Abs. 3 InsVV gewählt habe. Deshalb ist die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
[16] 3. Im vorliegenden Fall hat der weitere Beteiligte zu 1) einen Zuschlag entsprechend § 3 Abs. 1 InsVV nicht beantragt, weil er davon ausgegangen ist, im Wege des Auslagenersatzes sein Ziel zu erreichen. Das Beschwerdegericht hat ihn auf die Möglichkeit eines Zuschlags nicht hingewiesen, weil es gemeint hat, ein erheblicher Mehraufwand i.S.v. § 3 Abs. 1 InsVV könne "bei nur 76 Gläubigern" nicht angenommen werden. Dies erscheint verfahrensfehlerhaft und nötigt ebenfalls zur Zurückverweisung.
[17] a) Die Erledigung der dem Insolvenzverwalter gem. § 8 Abs. 3 InsO aufgetragenen Zustellungen kann einen Zuschlag entsprechend § 3 Abs. 1 InsVV rechtfertigen (BGH, Beschl. v. 22.7.2004 - IX ZB 222/03, NZI 2004, 591, 592; Haarmeyer/Wutzke/Förster a.a.O. § 3 Rz. 68, 72; MünchKomm/InsO/Ganter, § 8 Rz. 36; Uhlenbruck, a.a.O. § 8 Rz. 16, 18; HK-InsO/Kirchhof, a.a.O. § 8 Rz. 13; Nerlich/Römermann/Becker § 8 Rz. 20; Keller NZI 2002, 581, 587; Graeber ZInsO 2005, 752, 753 ff.). Denn das Insolvenzgericht hat ihm zur eigenen Entlastung zusätzliche, dem Verwalter kraft Gesetzes nicht obliegende Aufgaben übertragen. Deren Erledigung darf jedenfalls dann, wenn sie einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert, nicht unvergütet bleiben. Mit dem Zuschlag ist dann auch der personelle Bearbeitungsaufwand vergütet. Damit ist der Grundsatz gewahrt, dass der Staat für die Erledigung von im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben Staatsbürger im Rahmen ihrer Berufstätigkeit nicht ohne angemessene Vergütung in Anspruch nehmen darf (BGHZ 157, 282, 288).
[18] b) Im Unterschied zur Erstattung der durch die Zustellungen verursachten sächlichen Auslagen, die grundsätzlich vollen Umfangs - ohne dass ein bestimmter Schwellenwert erreicht sein müsste - stattzufinden hat, ist für die Gewährung eines Vergütungszuschlags allerdings zu verlangen, dass durch die Übertragung der Zustellungen ein ins Gewicht fallender Mehraufwand bewirkt worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 22.7.2004a.a.O.). Im Allgemeinen ist dies dann der Fall, wenn der Insolvenzverwalter mindestens 100 Zustellungen hat besorgen müssen (vgl. Haarmeyer/Wutzke/Förster, a.a.O. § 3 Rz. 72). Da der weitere Beteiligte zu 1) geltend macht, er habe 187 Zustellungen erledigt, ist dieser Schwellenwert überschritten.
Fundstellen
Haufe-Index 1696542 |
BGHR 2007, 528 |
EBE/BGH 2007 |
NJW-RR 2007, 622 |
WM 2007, 506 |
WuB 2007, 357 |
ZIP 2007, 440 |
DZWir 2007, 372 |
InVo 2007, 272 |
MDR 2007, 682 |
NZI 2007, 244 |
NZI 2008, 14 |
ZInsO 2007, 202 |
RVGreport 2007, 320 |
ZVI 2007, 213 |