Entscheidungsstichwort (Thema)
vorzeitige Vertragsbeendigung
Leitsatz (amtlich)
Sind in einem Vertrag die eine vorzeitige Vertragsbeendigung rechtfertigenden Gründe im einzelnen benannt, hängt die Berechtigung zu einer außerordentlichen Kündigung nicht davon ab, daß zusätzlich noch besondere Umstände vorliegen, die ein Festhalten am Vertrag unzumutbar machen. Dagegen können besondere Umstände eine Ausübung des an sich gegebenen Kündigungsrechts als gegen Treu und Glauben verstoßend erscheinen lassen.
Normenkette
HGB § 89a
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 11. Februar 1987 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte beauftragte durch „Vertretervertrag” vom 20. Juli/27. September 1979 die Klägerin mit dem alleinigen und ausschließlichen Vertrieb ihrer Erzeugnisse in Israel im eigenen Namen und für eigene Rechnung. Der Klägerin war gestattet, ein in Israel ansässiges Unternehmen als Untervertreterin einzusetzen. Der zunächst bis zum 31. März 1982 geschlossene Vertrag sollte sich jeweils um ein Jahr verlängern, wenn er nicht mit einer Frist von zwölf Monaten zum Ende des Geschäftsjahres gekündigt wurde.
Die Parteien legten in § 7 des Vertrages Kündigungsgründe fest. Danach konnte bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen der Vertrag von beiden Parteien mit sofortiger Wirkung gekündigt werden; dieses Recht stand der Beklagten unter anderem dann zu, wenn die Klägerin ihren Zahlungsverpflichtungen trotz zweier Telex-Abmahnungen nicht innerhalb von 30 Tagen nachkomme (§ 7 Abs. 4 c des Vertrages). Ferner sahen die Parteien in § 7 Abs. 5 des Vertrages vor, daß dieser mit einer Frist von 30 Tagen aus wichtigem Grund gekündigt werden könne. Sie bestimmten, daß ein solcher insbesondere dann gegeben sein sollte, wenn die Klägerin gegen bestimmte vertragliche Verpflichtungen verstoße, unter anderem Konkurrenzware verkaufe oder irgendeine andere Zuwiderhandlung gegen den Vertrag trotz schriftlicher Aufforderung nicht innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt einer Abmahnung abstelle (§ 7 Abs. 5 d).
Mit Schreiben vom 22. Februar 1983 beanstandete die Beklagte das Verhalten der Klägerin in mehrfacher Hinsicht: Diese habe nicht die vereinbarten Mindestmengen abgenommen; sie habe keine ausreichende Werbung für die Erzeugnisse der Beklagten betrieben und diese auch nicht angemessen ausgestellt; die Klägerin habe durch ein in Israel ansässiges Unternehmen, das eine Schwestergesellschaft der Untervertreterin sei, Konkurrenzerzeugnisse vertrieben; ferner seien nicht genehmigte gesellschaftsrechtliche Veränderungen bei der Untervertreterin erfolgt. Sie forderte die Klägerin auf, binnen 30 Tagen diese Vertragsverstöße abzustellen. Die Beklagte forderte ferner mit Fernschreiben vom 14. Februar 1983 und 14. März 1983 die Klägerin zur Zahlung eines offenstehenden Saldos von zunächst 917.071,71 DM und dann – nach einer Teilzahlung – von 825.503,28 DM auf.
Nachdem die Klägerin Vertragsverstöße in Abrede gestellt hatte, wiederholte die Beklagte die Beanstandungen mit Schreiben vom 15. März 1983 und erinnerte auch an die Bezahlung des Restsaldos. Mit Schreiben vom 6. April 1983 sprach die Beklagte die fristlose Kündigung des Vertrages mit sofortiger Wirkung aus. Vorsorglich wiederholte die Beklagte in einem weiteren Schreiben auch wegen des weiter zur Zahlung offenstehenden Betrages von 548.853,05 DM den Ausspruch der Kündigung mit Frist von 30 Tagen zum 20. Mai 1983.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die von der Beklagten ausgesprochenen Kündigungen seien unwirksam. Mindestmengen für den Absatz seien nicht vereinbart gewesen. Sie habe im Rahmen der seit Sommer 1982 beschränkten Werbemöglichkeiten für die Erzeugnisse der Beklagten ordnungsgemäß geworben. Produkte anderer Unternehmen, die mit Erzeugnissen der Beklagten in Wettbewerb stünden, habe sie weder selbst noch durch Untervertreter vertrieben. Die Interessen der Beklagten auf dem Markt in Israel seien durch Veränderungen in den Gesellschaftsverhältnissen nicht berührt worden. Auf den ursprünglich geltend gemachten Betrag von 825.503,28 DM habe sie 256.236,23 DM fristgerecht gezahlt; weitere Forderungen hätten der Beklagten nicht mehr zugestanden.
Das Landgericht hat auf die Hilfsanträge der Klägerin festgestellt, daß das Vertragsverhältnis der Parteien bis zum 31. März 1984 fortbestanden habe und daß die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin jenen Schaden zu ersetzen, der dadurch entstanden sei und noch entstehen werde, daß sie vom 6. April 1983 bis 31. März 1984 nicht mehr mit den Erzeugnissen der Beklagten beliefert worden sei. Den Hauptantrag der Klägerin, festzustellen, daß das Vertragsverhältnis fortbestehe und die Beklagte zur Belieferung im bisherigen Umfang verpflichtet sei, hat es abgewiesen.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Mit der Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, begehrt die Beklagte weiterhin Abweisung der Klage insgesamt.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Beurteilung des Landgerichts gefolgt, der Vertrag zwischen den Parteien sei durch ordentliche Kündigung zum 31. März 1984 beendet worden. Zur Begründung dafür, daß der Vertrag nicht durch eine fristlose oder außerordentliche Kündigung mit Frist von 30 Tagen geendet habe, hat es ausgeführt, die von der Beklagten hierfür vorgebrachten Gründe seien für eine vorzeitige Beendigung nicht ausreichend gewesen. Bei Berücksichtigung aller Umstände und der Abwägung der Interessen beider Parteien sei der Beklagten zumutbar gewesen, an dem Vertrag bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist festzuhalten, lege man die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zugrunde. Dieses habe zu Recht angenommen, daß ein Zahlungsverzug der Klägerin die fristlose Kündigung nicht rechtfertigen könne, weil die Beklagte in den Kündigungsschreiben die geforderte Summe nicht in nachprüfbarer Weise dargestellt habe. Die Klägerin habe dadurch keine Möglichkeit gehabt, die als solche unstreitigen Zahlungsrückstände zu rechtfertigen; zudem sei bei einem Rückstand nicht ohne weiteres ein die Kündigung rechtfertigender Verzug gegeben gewesen. Auch die weiteren Vertragsverstöße hätten die außerordentliche Kündigung nicht gerechtfertigt. Zwar habe die Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Erzeugnisse der Beklagten in den Ausstellungsräumen nicht mehr ausreichend berücksichtigt. Dies und die weiteren von der Beklagten geltend gemachten Kündigungsgründe (allgemeine Vertragsverstöße, insbesondere Schwierigkeiten bei der Abwicklung der Zahlungen, Verstöße gegen das Wettbewerbsverbot, gegen die Mindestabnahmepflicht, die Gefährdung der Interessen der Beklagten durch betriebliche Veränderung bei der Untervertreterin) seien angesichts der besonderen Verhältnisse auf dem israelischen Markt nicht als schwerwiegende Vertragsverletzungen zu werten. Hohe Einfuhrzölle, nach Vertragsschluß in Kraft getretene freiwillige Preiskontrollen, hohe Finanzierungskosten, die hohe Inflationsrate und die besondere geopolitische Lage Israels, die einen freien Warenverkehr mit den Nachbarländern erschwert und den Markt für illegale Lieferungen besonders anfällig gemacht habe, hätten die wirtschaftlichen Entwicklungen der Klägerin erheblich beeinflußt. Trotz der einzelnen Vertragsverletzungen der Klägerin sei der Beklagten daher das Abwarten des Vertragsablaufs bei einer fristgerechten Kündigung zumutbar gewesen. Die Beklagte sei daher auch verpflichtet, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der ihr daraus entstanden sei, daß sie bis zum 31. März 1984 keine Ware mehr von der Beklagten habe beziehen können.
Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
II.
1. Das Berufungsgericht ist bei seiner Annahme, die Beklagte habe den Vertrag nicht fristlos kündigen können, von rechtlich nicht zutreffenden Erwägungen ausgegangen. Es hat nicht beachtet, daß die Beklagte die außerordentliche Kündigung nicht, wozu sie nach dem Vertrag der Parteien auch berechtigt gewesen wäre, auf das Vorliegen eines im Vertrag nicht ausdrücklich angeführten wichtigen Grundes gestützt hatte. Nur für diesen Fall hätte es darauf abstellen dürfen, daß die Beklagte nur zu einer Kündigung berechtigt gewesen wäre, wenn ihr die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unter Berücksichtigung aller Umstände nicht hätte zugemutet werden können (BGH, Urt. v. 7.12.1977 – VIII ZR 214/75, BB 1978, 982, 983; ferner zum Handelsvertreterrecht: BGH, Urt. v. 30.1.1986 – I ZR 185/83, NJW 1986, 1931). Im Streitfall dagegen haben die Parteien, was das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet hat, die Frage, wann ein Grund vorliegt, der eine Partei zur vorzeitigen Beendigung des Vertrags berechtigen soll, konkret festgelegt. Sie haben in § 7 Abs. 3 des Vertrages Gründe bestimmt, die für beide Parteien eine Kündigung mit sofortiger Wirkung rechtfertigen sollten. Sie haben in § 7 Abs. 4 Gründe festgelegt, die die Beklagte allein zur Kündigung mit sofortiger Wirkung berechtigen sollten; dazu gehörte insbesondere, daß die Klägerin ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkomme. Sie haben weiter in § 7 Abs. 5 Gründe vereinbart, die eine Kündigung mit einer Frist von 30 Tagen rechtfertigen sollten.
Indem die Parteien diese Gründe im einzelnen in den Vertrag aufgenommen haben, haben sie für sich verbindlich festgelegt, wann beide oder eine von ihnen berechtigt sein sollte, den Vertrag mit sofortiger oder zeitlich kurzer Frist zu beenden. Sie haben damit die Entscheidung darüber, welche Tatsachen dafür maßgeblich sein sollten, daß dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unter Berücksichtigung aller Umstände nicht zugemutet werden könne, mithin also ein wichtiger Grund vorliege, nicht mehr einer erst im Einzelfall vorzunehmenden Abwägung der Interessen überlassen. Sie haben vielmehr durch die konkrete Benennung der Kündigungsgründe zum Ausdruck gebracht, daß bei deren Vorliegen eine kurzfristige Vertragsbeendigung zulässig sein solle, ohne daß dabei weitere Interessenabwägungen stattfinden müßten. Das begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. dazu BGH, Urt. v. 20.10.1955 – II ZR 75/54, BB 1956, 95). Auch die Revisionserwiderung zeigt solche nicht auf. Deshalb mußte das Berufungsgericht diese von den Parteien getroffene Entscheidung über die Maßgeblichkeit der Vertragsauflösungsgründe berücksichtigen und durfte nicht auf die Grundsätze abstellen, die für Fälle gelten, in denen eine solche Bewertung der Gründe für eine fristlose Kündigung noch nicht stattgefunden hat. Den Ausführungen des Berufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, daß es der Beklagten ein Recht zu einer vorzeitigen Beendigung des Vertrages auch versagt hätte, wenn es die Bedeutung der vertraglichen Festlegung der Kündigung beachtet hätte.
2. Das Berufungsgericht durfte auch nicht ein Recht zur fristlosen Kündigung wegen der von der Beklagten behaupteten Verletzungen der Zahlungsverpflichtungen durch die Klägerin mit der vom Landgericht übernommenen Erwägung verneinen, die Beklagte hätte bereits bei der außerordentlichen Kündigung den Saldo der offenstehenden Zahlungen aufschlüsseln müssen.
Das folgt schon daraus, daß die Gründe für eine fristlose Kündigung nach allgemeiner Ansicht beim Ausspruch der Kündigung nicht genannt zu werden brauchen, wie insbesondere auch § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB zeigt. In der Rechtsprechung (BGHZ 27, 220, 225; 40, 13, 16) und in der Literatur (MünchKomm/Schwerdtner, BGB, § 626 Rdnr. 233; Brüggemann in GroßKomm zum HGB, 3. Aufl., § 89 a HGB Rdnr. 2 jeweils m. w. N.) ist deshalb anerkannt, daß die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung nicht davon abhängt, daß der Grund, auf den die Kündigung gestützt wird, im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits mitgeteilt worden ist. Die Parteien haben auch in dem Vertrag für den Inhalt der Kündigungserklärung keine abweichenden Vereinbarungen getroffen. Die Beklagte hatte zudem im Fernschreiben vom 2. März 1983 die Klägerin darauf verwiesen, daß sie den Saldo bereits mehrfach erläutert habe. Hierauf ist die Klägerin nicht mehr zurückgekommen.
Auch der vom Landgericht erörterte und vom Berufungsgericht übernommene Gedanke, allein ein Zahlungsrückstand ohne Verschulden sei kein die Kündigung rechtfertigender Verzug, so daß dieser die fristlose Beendigung des Vertrages nicht habe rechtfertigen können, ist im Streitfall nicht anzuwenden. Hierbei ist übersehen, daß die Parteien das Recht zur fristlosen Kündigung nicht auf einen Zahlungsverzug, sondern darauf gestützt haben, daß die Klägerin ihren „Zahlungsverpflichtungen” nicht nachgekommen sei. Aber selbst wenn die Parteien den Verzugseintritt als Voraussetzung für eine fristlose Kündigung vereinbart hätten, wäre erforderlich gewesen, daß die Klägerin, die für ihre finanzielle Leistungsfähigkeit grundsätzlich einzustehen hat (§ 279 BGB), im einzelnen dargetan hätte, weshalb sie zur Leistung nicht imstande gewesen sei (vgl. BGHZ 83, 293, 300).
III.
Danach war das Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
1. Das Berufungsgericht hat bisher zu der Frage, ob die Klägerin im Zeitpunkt der Kündigung mit Zahlungsverpflichtungen im Rückstand war, noch keine Feststellungen getroffen. Auch aus dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Urteil des Landgerichts lassen sich solche Feststellungen nicht entnehmen; denn auch für das Landgericht kam es nicht darauf an, ob tatsächlich ein Zahlungsrückstand vorhanden war. Diese Frage war zwischen den Parteien streitig.
Sollte das Berufungsgericht die Voraussetzungen für die Anwendung des § 7 Abs. 4 c des Vertrages – fristlose Kündigung wegen Verletzung der Zahlungsverpflichtungen – bejahen, wird es weiter prüfen müssen, ob die Kündigung der Beklagten aus diesem Grunde mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu vereinbaren ist. Dabei wird es beachten müssen, daß bei der Prüfung, ob eine Partei unter Verstoß gegen Treu und Glauben handelt, wenn sie sich auf eine vertraglich vereinbarte Kündigungsmöglichkeit beruft, ein weit schärferer Maßstab anzulegen ist, als wenn es nur um die Frage geht, ob ein wichtiger Kündigungsgrund im Sinn des Gesetzes vorliegt (BGH a.a.O., BB 1956, 95).
2. Sollte die weitere Verhandlung des Berufungsgerichts ergeben, daß die Beklagte den Vertrag nicht mit sofortiger Wirkung kündigen durfte, wird zu prüfen sein, ob die Voraussetzungen der weiter in dem Vertrag (§ 7 Abs. 5 d) benannten Gründe für eine außerordentliche Kündigung mit einer Frist von 30 Tagen gegeben sind. Auch dabei wird das Berufungsgericht aber beachten müssen, daß die Parteien die Voraussetzungen für eine vorzeitige Vertragsbeendigung schon konkret festgelegt haben. Deshalb wird es bei Vorliegen einer oder mehrerer der im Vertrag bezeichneten Voraussetzungen ein Recht zur Kündigung nicht deshalb verneinen dürfen, weil der Beklagten eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar gewesen wäre; es wird vielmehr nach den vorstehenden Ausführungen näher zu prüfen haben, ob das Vorgehen der Beklagten mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) vereinbar war.
3. Auf der Grundlage der danach neu zu treffenden Feststellungen wird das Berufungsgericht über den weiteren Antrag, eine Schadensersatzpflicht der Beklagten festzustellen, zu entscheiden haben.
Dem Berufungsgericht war auch die Entscheidung über die Kosten der Revision zu übertragen.
Fundstellen