Leitsatz (amtlich)
Auch in der Revisionsinstanz kann der Kläger das durch Konkurseröffnung über das Vermögen des Beklagten unterbrochene Verfahren aufnehmen und Feststellung der Klageforderung als Konkursforderung beantragen.
Einer solchen Änderung des Antrags steht § 561 ZPO auch dann nicht entgegen, wenn die Klageforderung gemäß § 69 KO in eine Geldforderung umgewandelt worden ist.
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 17.05.1949) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Düsseldorf vom 17. Mai 1949 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision einschließlich der Streithilfe an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der im Entschuldungsverfahren befindliche Kläger verkaufte durch notariellen Vertrag vom 1. Juli 1939 an die Stadt M., die Streitgehilfin des Beklagten, zu Siedlungszwecken Grundstücke zum Preise von 134.717,30 RM, wovon 84.717,30 RM bar zu zahlen waren. Der Restkaufpreis von 50.000 RM sollte von der Stadt M. durch Übereignung der etwa 17 Morgen grossen Hofstelle G. einschließlich der zugehörigen Brennerei an den Kläger getilgt werden. Die Übergabe der verkauften Grundstücke erfolgte sofort. Die Auflassung sollte nach Vermessung der Grundstücke stattfinden. Aus dem Barbetrag sollten alle diejenigen Schulden bezahlt werden, deren Begleichung von dem Entschuldungsamt zur Voraussetzung der Genehmigung des Vertrages gemacht würde. Man ging davon aus, daß aller Voraussicht nach der gesamte bar zu zahlende Kaufpreis zur Tilgung der Schulden verwendet würde.
Am 12. April 1940 wurde über das Vermögen des Klägers das Konkursverfahren eröffnet. Durch notariellen Vertrag vom 29. April 1940 verkaufte die Stadt M. die oben erwähnte Hofstelle G. zum Preise von 50.000 RM an die Kommanditgesellschaft P., Nährmittelwerk B. & Co, deren persönlich haftender Gesellschafter damals der Kaufmann Heinz B. war. Dieser Vertrag enthält folgende Bestimmungen:
"Die verkauften Grundstück sind durch Vertrag vom 1. Juli 1939 Herrn E. E. seitens der Verkäuferin zum gleichen Preise von 50.000 RM in Tausch gegeben. Mit Rücksicht darauf, daß über das Vermögen des Herrn Emil E. das Konkursverfahren eröffnet worden ist, soll die Verpflichtung der Stadt M. zur Übertragung des Grundsbesitzes aufgehoben werden. Für den Fall, daß die Aufhebung dieser Verpflichtung nicht durchgeführt wird, behält sich die Verkäuferin vor, von diesem Vertrag zurückzutreten".
Der als weiterer Streitgehilfe des Beklagten dem Rechtsstreit beigetretene Konkursverwalter K. vereinbarte mit der Stadt M. in einem weiteren notariellen Vertrag vom 22. Mai 1940, daß die Stadt anstelle der im Vertrag mit dem Kläger vom 1. Juli 1939 vorgesehenen Übereignung der Hofstelle G. den Betrag von 50.000 RM an den Konkursverwalter zahlen sollte. Das Konkursverfahren endete am 29. Januar 1943 mit einem Zwangsvergleich. Die nicht bevorrechtigten Forderungen beliefen sich auf etwa 120.000 RM, die Vergleichsquote betrug 45 v.H.
Das Anwesen G. wurde am 19. Juli 1940 der Firma P. aufgelassen, die darauf eine Nährmittelfabrik errichtete. Im Dezember 1942 trat der Kaufmann Theodor Walter T. als persönlich haftender Gesellschafter in die Kommanditgesellschaft ein, aus der der bisherige Gesellschafter B. im November 1941 ausgeschieden war. Seit der Auflösung der Kommanditgesellschaft im Februar 1943 führt er das Unternehmen für eigene Rechnung unter der Firma P., Nährmittelfabrik, Theodor Walter T., weiter.
Mit der zunächst gegen T. gerichteten Klage verlangte der Kläger Auflassung und Übergabe des Anwesens G. gegen Zahlung von 50.000 RM und Feststellung der Verpflichtung T. zum Ersatz allen Schadens, der ihm dadurch entstanden sei und noch entstehe, daß der Beklagte das vorgenannte Grundstück bösgläubig zu Unrecht auf Kosten des Klägers erworben habe.
Er hat behauptet, die früheren Gesellschafter der Firma P. hätten zusammen mit der Stadt M. und den ihm feindlich gesinnten örtlichen Dienststellen der NSDSP mit unlauteren Mitteln versucht, ihn zur Übertragung des Grundstucks G. an die Firma P. zu veranlassen. Als er sich geweigert habe, habe die Stadt M. in planmässigem Zusammenwirken mit den Gesellschaftern der P. die Eröffnung des Konkursverfahrens über sein Vermögen veranlaßt, damit er die Verfügungsberechtigung über seine Forderung auf Übereignung des G. verliere. Der Konkursverwalter K. habe sich ebenfalls an diesem Treiben beteiligt und zu seinem Nachteil in die Freigabe des Grundstücks gegen Zahlung von 50.000 RM eingewilligt, obwohl er, der Kläger, gebeten habe, das Grundstück an seine Ehefrau zu verkaufen, die ebenfalls bereit und in der Lage gewesen wäre, 50.000 RM dafür zu zahlen, so daß die Konkursgläubiger keinen Schaden erlitten haben würden. Der Wert des Anwesens G. habe den Kaufpreis von 50.000 RM erheblich überstiegen. Wenn er dieses Grundstück erhalten hätte, so würde er gegen seine Verpfändung ein Darlehen von 100.000 RM erhalten haben, mit dem er alle seine sonstigen Gläubiger hätte befriedigen können. Das Vorgehen der Stadt M. und der Gesellschafter der Firma P. stelle eine unerlaubte Handlung im Sinne des § 826 BGB dar, für die auch T. hafte.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist zurückgewiesen worden. Hiergegen hat der Kläger unter Wiederholung seines früheren Antrags Revision eingelegt. Während des Revisionsverfahrens ist über das Vermögen des ursprünglichen Beklagten T. das Konkursverfahren eröffnet worden. Der Kläger hat das durch die Konkurseröffnung unterbrochene Verfahren gegen den Konkursverwalter als nunmehrigen Beklagten auf genommen, nachdem dieser die angemeldeten Forderungen des Klägers im Prüfungstermin bestritten hatte.
Unter Überreichung eines Auszugs aus der Konkurstabelle beantragt der Kläger, festzustellen, daß ihm im Konkursverfahren über das Vermögen des Kaufmanns Theodor Walter T. in M. 3 N 54/51 des Amtsgerichts in Mettmann eine Konkursforderung von 254.305 DM zustehe.
Der Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision. Die Stadt M. hat sich als Streitgehilfin diesem Antrag angeschlossen.
Entscheidungsgründe
I.
nachdem der Rechtsstreit durch den Konkurs über das Vermögen des ursprünglichen Beklagten T. gemäß § 240 ZPO unterbrochen war, konnten die eingeklagten Schadensersatzforderungen nur gemäß den §§ 138 ff KO als Konkursforderungen durch Anmeldung zur Konkurstabelle weiterverfolgt werden. Wie sich aus dem von dem Kläger vorgelegten Tabellenauszug ergibt, hat der Kläger zwei Schadensersatzforderungen angemeldet und zwar eine von 79.305 DM "aus Vorenthaltung des Besitzes" und eine von 175.000 DM "aus § 826 BGB", die beide vom Konkursverwalter bestritten worden sind. Diese beiden Konkursforderungen von zusammen 254.305 DM entsprechen den in dem vorliegenden Rechtsstreit ursprünglich geltend gemachten Ansprüchen, die gemäß § 69 KO bei der Anmeldung nach ihrem Geldwert zu schätzen waren. Da der Konkursverwalter die beiden Forderungen nach Grund und Höhe bestritten hatte, war es Aufgabe des Klägers, die Feststellung seiner Forderungen im Prozeßwege zu betreiben. Gemäß §§ 12 und 146 Abs. 3 KO mußte dies durch Aufnahme des anhängigen Rechtsstreites gegen den Konkursverwalter geschehen, wobei der Antrag dahin zu ändern war, die Forderungen als Konkursforderungen festzustellen. Diese Anpassung der Anträge an die veränderte. Sachlage ist auch in der Revision zulässig (RGZ 65, 133; Jaeger KO 6. bis 7. Aufl. § 146 Anm. 19; Böhle-Stamschräder KO 3. Aufl. § 146 Anm. 2 d). Sie findet in der Revision allerdings ihre Grenze in der Bestimmung des § 561 Abs. 1 ZPO, wonach materiell-rechtlich nur dasjenige Parteivorbringen der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt, welches aus dem Tatbestand des Berufungsurteils oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Es ist daher im Revisionsverfahren ein Antrag unzulässig, der eine Klageänderung darstellt, wie z.B. ein Antrag auf Feststellung eines im Konkursverfahren geltend gemachten Vorrechts oder eines Aussonderungsrechts anstelle einer Konkursforderung (RG JW 1932, 168; RGZ 86, 240; RG LZ 1912, 400; Urteil des erkennenden Senats vom 21. November 1953 VI ZR 203/52). Eine derartige im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung liegt aber nicht vor, wenn, wie im vorliegenden Rechtsstreit, anstelle eines als Schadensersatzforderung geltend gemachten Sachleistungsanspruchs oder anstelle eines unbezifferten Feststellungsanspruchs bezifferte Konkursforderungen geltend gemacht werden, denn diese Änderung ist lediglich die Folge der Umwandlung unbezifferter und unbestimmter Forderungen im Konkursverfahren, wie sie § 69 KO vorschreibt (RGZ 65, 133; RAG JW 1933, 1551 Nr. 8; Jaeger LZ 1915, 1274). Die rechtliche Identität der Ansprüche wird dadurch nicht berührt.
II.
Die somit zulässige Revision ist auch begründet.
1.
Das Berufungsgericht ist der Meinung, der dem Kläger obliegende Beweis, daß die Stadt M. und die Gesellschafter der Kommanditgesellschaft P. in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise den Kläger um seinen Anspruch auf das Grundstück G. gebracht hätten, sei nicht geführt und könne durch die angetretenen Beweise nicht erbracht werden. Die im Jahre 1937 gegen den Kläger im Zusammenhang mit seinem Ausschluß aus der NSDAP von Parteistellen getroffenen Maßnahmen hätten den Abschluß des dem Kläger günstigen Kaufvertrags vom 1. Juli 1939 nicht gehindert. Beide Vertragschließende hätten zunächst auch die Absicht gehabt, den Vertrag durchzuführen. Wenn die Stadt M. sich gleichwohl einige Monate später entschlossen hätte, das Anwesen G. nunmehr der Firma P. zuzuwenden, so könnten hierfür rein wirtschaftliche Gesichtspunkte maßgebend gewesen sein. Die P. habe der Stadt durch ihr gewerbliches Unternehmen nicht nur Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeiter geboten, sondern auch neue Steuerquellen erschlossen. Es liege näher, anzunehmen, daß sich die Stadt von dem Bestreben habe leiten lassen, entwicklungsfähige Unternehmen im allgemeinen Interesse zu fördern, als von der Absicht, dem Kläger zu schaden. Die Behauptung des Klägers, daß die Gründe für das Vorgehen der Stadt in seiner Unbeliebtheit bei der Partei und in einer auf politischen Gründen beruhenden Begünstigung des Kaufmanns B. zu suchen seien, sei daher nicht geeignet, die Bestrebungen der Stadt, den Vertrag vom 1. Juli 1939 zu ändern und für das Grundstück einen anderen Käufer zu finden, als unsittlich erscheinen zu lassen. Zur Beurteilung der Handlungsweise der Stadt müsse auch berücksichtigt werden, daß die Einrichtung des Unternehmens der P. dringlich, die Abwicklung des mit dem Kläger geschlossenen Vertrages dagegen langwierig gewesen sei; außerdem habe noch nicht festgestanden, ob die Entschuldigung des Klägers gelingen werde. Selbst wenn die Stadt den Konkursantrag veranlaßt und damit gerechnet habe, daß der Konkurs die Möglichkeit bieten werde, den mit dem Kläger geschlossenen Vertrag zu lösen und das Grundstück G. an die Firma P. zu verkaufen, könne ihr Vorgehen nicht als sittenwidrig bezeichnet werden, weil tatsächlich alle Voraussetzungen für den Konkurs gegeben gewesen seien. Die Stadt habe sich bei dieser läge sagen können, daß es überhaupt zweifelhaft sei, ob der Vertrag in absehbarer Zeit durchgeführt werden könne, denn hierzu habe die lastenfreie Übertragung der Siedlungsparzellen auf die Stadt gehört. Zu diesem Zwecke sei es erforderlich gewesen, daß der Kläger vergleichswürdig und vergleichsfähig gewesen sei. Dies sei deshalb zweifelhaft gewesen, weil er wegen Schwarzbrennens bestraft gewesen sei und bei dem Amtsgericht, wie sich aus dem Beschluß vom 30. Juni 1941 ergebe, keinen guten Ruf genossen habe. Durch den beabsichtigten Verkauf des Hauses der Ehefrau des Klägers hätte die schwierige Lage des Klägers keine wesentliche Änderung erfahren können, weil der Erlös infolge der Belastung des Grundstücks zur Bezahlung des Grundstücks G. nicht ausreichend gewesen sei. Die Durchführung des Entschuldungsverfahrens sei aber für die Abwicklung des Vertrages vom 1. Juli 1939 von entscheidender Bedeutung gewesen. Da der Ausgang des Entschuldungsverfahrens zweifelhaft gewesen sei, habe man mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß der Vertrag schließlich doch noch scheitern würde. Inzwischen würde aber die Aussicht, in M. eine erwünschte Industrie ansässig zu machen, wahrscheinlich hingeschwunden sein, weil sich die P. in dieser Zeit nach einem anderen Grundstück umgesehen haben würde. Wenn sich die Stadt bei Abwägung dieser Möglichkeiten für die Stellung des Konkursantrages entschieden habe, so liege darin noch kein Verstoß gegen die guten Sitten. Vor dem Konkursantrag seien allerdings sittlich bedenkliche Drohungen angewandt worden, um den Kläger zu einem Verzicht auf den G. zu bewegen. Diese Drohungen seien aber für den Verlust des Grundstücks nicht ursächlich gewesen. Es sprächen so viele wirtschaftlich vertretbare Erwägungen für die Stadt, daß die Mißgriffe in der Wahl der Mittel vor der Konkurseröffnung nicht genügten, um eine Entwicklung rückgängig zu machen, die dazu geführt habe, daß die Firma P im Vertrauen auf die ordnungsmässige Durchführung des Konkurses auf dem G. ein grosses Werk errichtet habe. Damals habe der Kläger mit keinem Wort den Versuch unternommen, den Konkurs durch einen Hinweis auf die ihm zur Verfügung stehenden Kreditmöglichkeiten abzuwenden. Seine jetzt aufgestellte Behauptung, ein Geldgeber hätte ihm damals gegen Verpfändung des G. ein Darlehen von 100.000 RM geben wollen, würde nur dann erheblich sein, wenn diese Kreditmöglichkeit der Stadt M., der P. und dem Konkursverwalter bekannt gewesen wäre. Die allgemeine Behauptung des Klägers, es würde ohne das Dazwischentreten der Stadt nicht zu einem Konkurs gekommen sein, weil die übrigen Gläubiger stillgehalten hätten, genüge als Klagegrund nicht. Ein Konkursantrag sei auch nicht deshalb unsittlich, weil er den Schuldner schädigen könne. Auch in dem Abschluß des Kaufvertrages mit der Firma P. sei keine unerlaubte Handlung zu erblicken, denn in diesem Vertrage sei ausdrücklich die vorherige Aufhebung des ersten Vertrages zur Bedingung für die Durchführung gemacht worden. Der Beklagte könne sich darauf berufen, daß die Firma P. das Eigentum an dem Grundstück in einem Verfahren erworben habe, gegen dessen Rechtsgültigkeit der Kläger damals keine Einwendungen erhoben habe. Da die Firma P. ihr Nahrungsmittelwerk im Vertrauen auf die Rechtsgültigkeit der Konkursabwicklung errichtet habe, würde der Kläger gegen sie überhaupt nur dann Ansprüche erheben können, wenn er sie von Anfang an geltend gemacht hätte.
2.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Revision rügt mit Recht, daß das Berufungsgericht das Klagevorbringen nicht vollständig gewürdigt, den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt und den Begriff des Verstosses gegen die guten Sitten verkannt habe.
a)
Da der Gemeinschuldner T. erst im Jahre 1942 in die Kommanditgesellschaft P. als Gesellschafter eingetreten ist und an den Maßnahmen, die zum zweiten Verkauf des G. und zur Aufhebung des Vertrages vom 1. Juli 1939 führten, nicht beteiligt war, kann der Kläger einen Schadensersatzanspruch gegen ihn nur dann geltend machen, wenn der Anspruch schon bestand, als T. in die Kommanditgesellschaft eintrat und deren Vermögen übernahm. Nach § 130 in Verbindung mit § 161 Abs. 2 HGB haftet er dann für die Verbindlichkeiten der Kommanditgesellschaft ohne Rücksicht darauf, ob er die Vorgänge, in denen der Kläger eine unerlaubte Handlung nach § 826 BGB erblickt, gekannt hat oder nicht. Das Berufungsgericht hat die Frage, ob die früheren Gesellschafter der Kommanditgesellschaft sich einer unerlaubten Handlung gegen den Kläger schuldig gemacht haben, nicht näher untersucht und sich mit der Prüfung begnügt, ob die Stadt M. eine solche unerlaubte Handlung begangen habe. Da der Kläger den Sittenverstoß der Gesellschafter der P. in der planmässigen Zusammenwirkung mit der Stadt M. erblickt, ist dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, daß eine unerlaubte Handlung der Gesellschafter der Provita zu verneinen wäre, wenn auch die Stadt M. kein derartiger Vorwurf treffen würde.
b)
Die rechtliche Beurteilung des Verhaltens der Organe der Stadt M. durch das Berufungsgericht gibt aber zu durchgreifenden rechtlichen Bedenken Anlaß:
α) Das Berufungsgericht hat die auch von ihm als sittlich bedenklich bezeichneten rechtswidrigen Drohungen gegenüber dem Kläger von der Beurteilung des weiteren Vorgehens der Stadt M. ausgeschieden, weil nicht sie, sondern nur der spätere Konkursantrag als Ursache für den dem Kläger schädlichen Erfolg in Betracht käme. Schon dieser Ausgangspunkt seiner Erwägungen ist nicht frei von Rechtsirrtum, denn die Prüfung des Tatbestandes, des § 826 BGB erfordert eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles insbesondere der angewandten Mittel, des Zwecks und der Beweggründe des Täters, sowie der sich hieraus ergebenden Gesamthaltung (RG in Recht 1916 Nr. 1297). Gerade für diese Gesamthaltung sind aber die nach der Behauptung des Klägers mit Wissen und Wollen der städtischen Organe an ihn gerichteten Drohungen, das Entschuldungsverfahren zu hintertreiben, den Gewerbebetrieb der Ehefrau des Klägers zu schliessen und die Amnestierung seiner früheren Straftaten zu verhindern, wenn er der Übertragung des Großkaldenberg an die Firma P. nicht zustimme, von wesentlicher Bedeutung.
β) Das Berufungsgericht unterstellt, daß die Stadt M. die Eröffnung des Konkursverfahrens unmittelbar oder mittelbar veranlagt habe, um den Anspruch auf Übereignung des G. der Verfügung des Gemeinschuldners zu entziehen und auf diese Weise die Übertragung des Anwesens auf die Firma P. durchführen zu können. Es sieht hierin aber keinen Verstoß gegen die guten Sitten, weil die Stadt M. nicht in der Absicht, dem Gemeinschuldner Schaden zuzuführen, sondern aus berechtigten wirtschaftlichen Gründen gehandelt habe. Auch diese Ausführungen sind von Rechtsirrtum beeinflußt.
Zum Tatbestand der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung gehört eine Schädigungsabsicht nicht. Es genügt vielmehr das Bewußtsein, daß der andere durch die Tat einen bestimmten Schaden erleidet, und die Billigung dieses Erfolges durch den Täter (RGZ 123, 278). Der Schädigungsvorsatz wird dadurch nicht ausgeräumt, daß der Täter aus anderen Beweggründen handelt (RG JW 1926, 986). Das Tatbestandsmerkmal der vorsätzlichen Schädigung war mithin schon dann gegeben, wenn die Vertreter der Stadt M. wußten, daß die Entziehung des Anwesens G. für den Kläger einen Schaden bedeutete, weil der Wert des Grundstücks erheblich höher war als der eingesetzte Kaufpreis von 50.000 RM.
γ) Die Beweggründe des Handelnden sind aber in der Hegel von Bedeutung für die Frage, ob die Handlung gegen die guten Sitten verstößt. Insofern kommt die innere Gesinnung des Handelnden allerdings nur als Teil des sachlichen Tatbestandes in Betracht. Die Handlung kann mithin sittenwidrig sein, auch wenn der Täter sich der Sittenwidrigkeit nicht bewußt ist. Andererseits wird aber regelmässig ein Verstoß gegen die guten Sitten nicht angenommen werden können, wenn der Täter der redlichen Überzeugung ist, daß er in Verfolg eines berechtigten Interesses gehandelt habe (RG JW 1915, 913 Nr. 3). Das Berufungsgericht glaubt, daß die Stadt M. nicht gegen die guten Sitten verstossen habe, weil sie ihrem dem Wohl der Allgemeinheit dienenden Interesse den Vorzug gegeben habe vor den Belangen des Klägers, die wegen seiner wenig aussichtsreichen wirtschaftlichen Lage nicht förderungswürdig gewesen seien.
Auch hierin kann dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden.
Zwar ist niemand sittlich verpflichtet, die eigenen Interessen denjenigen eines anderen unterzuordnen und die Ausübung eines Rechts, im vorliegenden Fall die Stellung eines Konkursantrags, zu unterlassen, weil sie einem anderen zum Nachteil gereicht. Andererseits schließt aber die Ausübung eines formalen Rechts die Anwendung des § 826 BGB nicht aus, wenn die sonstigen Umstände des Falles das Verhalten als einen Verstoß gegen die guten Sitten kennzeichnen. Wie das Berufungsgericht festgestellt hat, hat die Stadt M. zunächst versucht, den Kläger durch unlautere Mittel zum freiwilligen Verzicht auf den G. zu Bewegen. Das Berufungsgericht hat ferner unterstellt, daß die Stadt die Konkurseröffnung veranlaßt hat, um dem Kläger die Verfügungsmacht über seinen Anspruch zu entziehen und mit Hilfe des Konkursverwalters eine Änderung des mit dem Kläger geschlossenen Vertrages zu erreichen. Diese Gesamthaltung der Vertreter der Stadt ist mit der sittlichen Auffassung aller billig und gerecht Denkenden nicht vereinbar. Das Berufungsgericht hat nicht genügend beachtet, daß dem Bürgermeister der Stadt die schlechte wirtschaftliche Lage des Klägers und das zu seinen Gunsten laufende Entschuldungsverfahren schon zur Zeit des Vertragsschlusses bekannt und daß der Vertrag vom 1. Juli 1939 gerade dazu dienen sollte, die Entschuldung zu ermöglichen. Der Bürgermeister verstieß daher nicht nur gegen die Verpflichtung der Stadt aus dem Kaufvertrage, sondern auch gegen die guten Sitten, wenn er wahllos alle Mittel benutzte, eine Durchführung des Vertrages zu hintertreiben. Hierbei ist es nicht von entscheidender Bedeutung, daß er dieses Ziel formal auf einem gesetzlichen Wege erreicht hat, nämlich durch die Änderung des Kaufvertrages mittels einer Vereinbarung mit dem hierfür zuständigen Konkursverwalter. Es ist auch unerheblich, ob der Konkursverwalter sich hierbei ebenfalls einer Pflichtverletzung gegenüber dem Kläger schuldig gemacht hat. Bei diesem Verhalten können dem Bürgermeister von M. keinesfalls redliche Gesinnung und guter Glauben an die Rechtmässigkeit seines Tuns zugebilligt werden. Das Bestreben allein, durch die Überlassung des G. an die Firma P. die Interessen der Stadt zu fördern, konnte die Wahl der benutzten Mittel nicht rechtfertigen. Ebensowenig wie ein einzelner darf ein Gemeinwesen sich über die durch das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden gezogenen Grenzen hinwegsetzen um zum Schaden anderer seine Ziele zu erreichen. Auch das gemeinschaftliche Interesse aller zu einer Stadtgemeinschaft gehörigen Bürger darf nicht dazu führen, dieses Ziel in unlauterer Weise zum Schaden eines anderen zu verwirklichen.
δ) Für die Frage, ob dem Kläger hierdurch ein Schaden entstanden ist, würde es unerheblich sein, daß er das Grundstück ohnehin in dem Konkursverfahren verloren haben würde, solange nicht feststeht, daß es auf jeden Fall zum Konkurs gekommen wäre. Es ist daher zunächst von der Behauptung des Klägers auszugehen, daß die anderen Gläubiger still gehalten haben würden, wenn nicht die Stadt M. den Konkursantrag veranlaßt hätte.
c)
Wenn der gegen die Stadt M. erhobene Vorwurf gerechtfertigt ist, so fällt auch den Gesellschaftern der Firma P. ein Verstoß gegen die guten Sitten zur Last, falls sie das Vorgehen der Stadt kannten und billigten, um auf diese Weise das Anwesen G. zu erwerben.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts, der sich der erkennende Senat anschließt, ist in dem planmässigen Zusammenwirken zwischen einem Verkäufer und dem Erwerber eines Grundstücks zur Vereitelung der älteren Rechte des ersten Käufers, regelmässig eine gegen die guten Sitten verstossende Handlungsweise zu erblicken (RGZ 88, 365; RG JW 1922, 1390 und 1926, 986). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, wird nötigenfalls durch Erhebung der von dem Kläger angetretenen Beweise zu klären sein.
Das angefochtene Urteil war daher gemäß § 564 ZPO aufzuheben. Da der Rechtsstreit noch nicht zur Entscheidung reif ist, mußte die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung gemäß § 565 ZPO an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. In der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht unter Anwendung des § 287 ZPO (RGZ 168, 48; BGHZ 7, 287 [295]; BGH NJW 1951, 405) auch zu prüfen haben, ob zwischen der den ehemaligen Gesellschaftern der P. und der Stadt M. zur Last gelegten unerlaubten Handlung und dem eingetretenen Schaden des Klägers ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Für den Fall, daß sich ein Schadensersatzanspruch des Klägers ergibt, wird schließlich die Höhe der zur Konkurstabelle festzustellenden Forderung zu ermitteln sein. Insofern wird der Kläger Gelegenheit haben, sein Vorbringen nötigenfalls zu ergänzen.
Fundstellen
Haufe-Index 3018513 |
DB 1954, 173 (amtl. Leitsatz) |
JZ 1954, 297 |
ZZP 1954, 300 |
ZZP 1954, 300-301 |