Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Kinder der Klägerin familienversichert sind.
Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Ihr Ehemann ist als Rechtsanwalt selbständig tätig und nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung. Die gemeinsamen Kinder R E., B , M , L und G waren zunächst über die Klägerin bei der Beklagten familienversichert. Als die Klägerin anläßlich einer Überprüfung der Voraussetzungen hierfür auf einem Vordruck angab, ihr Ehemann erziele monatliche "Bruttoeinkünfte" von 6.500 DM, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Oktober 1990 gegenüber der Klägerin fest, daß die Familienversicherung der Kinder am 30. September 1990 geendet habe, weil der Ehemann nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sei und sein "Verdienst" über einem Zwölftel der Jahresarbeitsentgeltgrenze von monatlich 4.725 DM liege. Nachdem die Klägerin Widerspruch eingelegt hatte, teilte die Beklagte ihr in einem weiteren Bescheid vom 5. Dezember 1990 ergänzend mit, die Familienversicherung sei gemäß § 10 Abs. 3 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) ausgeschlossen; denn das "Einkommen" ihres Ehemannes liege über der genannten Grenze; die Familienversicherung habe am 30. September 1990 geendet. Die Klägerin begründete ihren Widerspruch damit, § 10 Abs. 3 SGB V sei verfassungswidrig, und beantragte hilfsweise, ihre Kinder freiwillig zu versichern. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 1991 zurück. Das Gesamteinkommen des nicht bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Ehemannes übersteige regelmäßig im Monat ein Zwölftel der Jahresarbeitsentgeltgrenze und sei zudem höher als das Gesamteinkommen der Klägerin.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 24. November 1992 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Kinder beigeladen (Beigeladene zu 1 bis 5). In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG hat die Beklagte die Familienversicherung der Beigeladenen noch für die Zeit vom 1. bis 31. Oktober 1990 anerkannt; die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen. Das LSG hat die Berufung mit Urteil vom 20. März 1996 zurückgewiesen. Über den 31. Oktober 1990 hinaus seien die Kinder nicht familienversichert. Daß einem Anspruch der Beigeladenen auf Familienversicherung die Regelung des § 10 Abs. 3 SGB V entgegenstehe, sei zwischen den Beteiligten nicht streitig. Diese Vorschrift sei nicht verfassungswidrig.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Art 3 Abs. 1 und des Art 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
Die Klägerin beantragt, das Urteil des LSG vom 20. März 1996, das Urteil des SG vom 24. November 1992 sowie die Bescheide der Beklagten vom 23. Oktober und 5. Dezember 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 1991 aufzuheben und festzustellen, daß die Beigeladenen zu 1 bis 5 über den 31. Oktober 1990 hinaus familienversichert sind.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Auffassung des LSG für zutreffend.
Die Beigeladenen haben weder Anträge gestellt noch sich sonst geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist i.S. einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung an das LSG begründet.
Mit Recht hat das LSG die Befugnis der Klägerin bejaht, im eigenen Namen die Familienversicherung ihrer beigeladenen Kinder feststellen zu lassen (vgl. BSGE 72, 292 = SozR 3-2500 § 10 Nr. 2). Aufgrund der wenigen vom LSG festgestellten Tatsachen kann der Senat jedoch nicht entscheiden, ob die angefochtenen Bescheide einfachrechtlich rechtmäßig sind.
Zunächst ist unklar, ob die angefochtenen Bescheide das Bestehen der Familienversicherung bis zum 31. Oktober 1990 und deren anschließenden Wegfall erstmals feststellen oder ob sie mit Wirkung vom 1. November 1990 einen oder mehrere unbefristete Bescheide abgeändert haben, mit denen das Bestehen der Familienversicherung festgestellt worden war. Letzteres wäre, zumal es sich bei derartigen Bescheiden um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung handelt (vgl. zum Befreiungsbescheid: BSGE 69, 255, 257, 258 = SozR 3-1300 § 48 Nr. 13 S. 20), nur unter den Voraussetzungen der §§ 45, 48 des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren (SGB X) zulässig.
Des weiteren kann mangels ausreichender Feststellungen nicht geprüft werden, ob die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB V, auf den die Beklagte ihre angefochtenen Bescheide gestützt hat, erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift sind Kinder nicht versichert, wenn der mit den Kindern verwandte Ehegatte des Mitglieds nicht Mitglied einer Krankenkasse ist und sein Gesamteinkommen regelmäßig im Monat ein Zwölftel der Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigt und regelmäßig höher als das Gesamteinkommen des Mitglieds ist. Ein dieser Vorschrift im wesentlichen gleicher Ausschlußtatbestand wurde bereits durch Art 1 § 1 Nr. 18 des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes vom 27. Juni 1977 (BGBl. I 1069) mit Wirkung vom 1. Juli 1977 in die damalige Regelung der Familienhilfe (§ 205 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung RVO ) eingefügt. Ebenfalls am 1. Juli 1977 trat das Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) in Kraft, dessen § 16 eine Begriffsbestimmung des Gesamteinkommens enthält. Danach ist Gesamteinkommen die Summe der Einkünfte i.S. des Einkommensteuerrechts; es umfaßt insbesondere das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen. Im Fraktionsentwurf eines Gesundheits-Reformgesetzes war zu Art 1 (SGB V) § 10 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 "Gesamteinkommen" jeweils durch "Einnahmen zum Lebensunterhalt" ersetzt worden (BT-Drucks. 11/2237 S. 13). Damit sollte "der durch steuerrechtliche Besonderheiten geprägte Begriff des Gesamteinkommens (§ 16 SGB IV) durch den hier sinnvolleren und am Bruttoprinzip orientierten Begriff 'Einnahmen zum Lebensunterhalt' ersetzt" werden (vgl. Begründung zu Art 1 § 10 Abs. 1 bis 4, BT-Drucks. 11/2237 S. 161). Dieser Vorschlag ist nicht Gesetz geworden. Vielmehr wurden die im Fraktionsentwurf vorgesehenen "Einnahmen zum Lebensunterhalt" durch "Gesamteinkommen" ersetzt. Dies sollte bewirken, daß insbesondere der Bezug steuerfreier Sozialleistungen nicht zum Ausscheiden aus der Familienversicherung führen kann (so der Ausschußbericht zu Art 1 § 10 Abs. 1 Nr. 5). Somit bestehen keine Zweifel, daß sich das "Gesamteinkommen" i.S. des § 10 Abs. 3 SGB V nach § 16 SGB IV bestimmt, daß es sich mithin nicht vom "Gesamteinkommen" in § 205 Abs. 1 Satz 2 RVO unterscheidet und daß daher auch für seine Auslegung die bisherige Rechtsprechung § 16 SGB IV und § 205 Abs. 1 Satz 2 RVO herangezogen werden kann.
Das Urteil des LSG enthält keine hinreichenden Feststellungen darüber, wie hoch das Gesamteinkommen des Ehemannes der Klägerin ist. Insbesondere hat das LSG eigene Feststellungen hierzu nicht getroffen. Es hat in diesem Zusammenhang in seinem Urteil lediglich ausgeführt, zwischen den Beteiligten sei nicht streitig, daß dem Anspruch der Beigeladenen auf Familienversicherung die Regelung des § 10 Abs. 3 SGB V entgegenstehe. Die übereinstimmende Auffassung der Beteiligten ersetzt aber die nach § 103 SGG vom Gericht vorzunehmende Erforschung des Sachverhalts nicht. Die erforderlichen Feststellungen können dem Urteil des LSG auch nicht unter Hinzuziehung der Verwaltungsakten der Beklagten entnommen werden. Diese enthalten zwar einen von der Klägerin ausgefüllten Fragebogen, in dem sie angibt, ihr Ehemann habe monatliche Bruttoeinkünfte von 6.500 DM. In einer Fußnote zu den Bruttoeinkünften heißt es in dem Fragebogen: "Nicht regelmäßige Einkünfte (Weihnachts- und Urlaubsgeld oä) zählen anteilig zu den monatlichen Bruttoeinkünften. Bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit - hierzu zählen alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung - sind die Werbungskosten (Pauschbetrag jährlich 2.000 DM; falls höher, die nachgewiesenen Werbungskosten) bei der Ermittlung der monatlichen Einkünfte mit 1/12 in Abzug zu bringen. " Daraus aber kann nicht entnommen werden, daß die Summe der Einkünfte i.S. des Einkommensteuerrechts, d.h. des § 2 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gemeint sind, nämlich die Summe der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit, aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung sowie aus sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG. Kann aber dem Fragebogen nicht entnommen werden, daß das Gesamteinkommen anzugeben ist, bestehen auch erhebliche Zweifel daran, daß die Klägerin das Gesamteinkommen ihres Ehemannes zutreffend angeben konnte. Soweit ansonsten in den Akten Ausführungen über das Einkommen des Ehemannes der Klägerin gemacht werden, beziehen sie sich auf die Angaben im Fragebogen und sind für die Ermittlung des Gesamteinkommens nicht ausreichend.
Feststellungen über das Gesamteinkommen der Klägerin, das bei einer Ausschließung der Beigeladenen aus der Familienversicherung nach § 10 Abs. 3 SGB V regelmäßig niedriger liegen muß als das Gesamteinkommen des Ehemannes, fehlen gänzlich.
Da das Urteil des LSG keine ausreichende tatsächliche Grundlage für eine höchstrichterliche Entscheidung bildet, sieht der Senat von Ausführungen zu nur möglicherweise auftretenden materiell-rechtlichen Fragen einfachrechtlicher oder verfassungsrechtlicher Art ab. Vielmehr war auf die Revision der Klägerin das Urteil des LSG aufzuheben, damit zunächst der Sachverhalt aufgeklärt werden kann.
Um die Sache einfachrechtlich entscheiden zu können, hat das LSG Feststellungen über das Gesamteinkommen der Klägerin und das ihres Ehemannes zu treffen. Hierzu empfiehlt es sich, für das Jahr 1990 und die Folgejahre die Einkommensteuerbescheide, bei gemeinsamer Veranlagung die gemeinsamen Einkommensteuerbescheide, oder gegebenenfalls Gewinn- und Verlustrechnungen heranzuziehen. Ergibt sich, daß die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 SGB V nicht erfüllt sind, ist wegen § 10 Abs. 1 Nr. 5 (seit 1995: § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5) SGB V auch das Gesamteinkommen der Beigeladenen festzustellen.
Nur wenn die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 SGB V erfüllt sind, ist zu prüfen, ob die Klägerin durch die Anwendung dieser Vorschrift in ihren Grundrechten verletzt ist und inwiefern die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift zweifelhaft ist, nachdem zu der früheren Regelung höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt. Das LSG hat Verfassungswidrigkeit zwar verneint, jedoch wegen der verfassungsrechtlichen Frage die Revision zugelassen. Unter diesen Umständen mußte es alle Feststellungen treffen, die erforderlich sind, um unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin die Entscheidungserheblichkeit einer verfassungsrechtlichen Frage aufzuzeigen und die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit vorzunehmen. Hierzu ist festzustellen, ob die Familienversicherung nicht auch noch aus anderen Gründen zu versagen ist. Denn die Klägerin kann - wenn überhaupt - durch § 10 Abs. 3 SGB V nur dann in ihren Grundrechten verletzt sein, wenn allein die Anwendung dieser Vorschrift die Familienversicherung ausschließt. Da die verfassungsrechtliche Prüfung unter Berücksichtigung der Verhältnisse des vorliegenden Sachverhalts erfolgen muß, sind die Tatsachen, die etwaige verfassungsrechtliche Bedenken rechtfertigen sollen, festzustellen, bevor aus diesen Gründen eine Revision zugelassen wird. In diesem Fall sollten auch die versicherungsrechtlichen Verhältnisse näher dargelegt und festgestellt werden. Hierzu kann von Bedeutung sein, ob die Klägerin bei der Beklagten als freiwilliges Mitglied oder als Pflichtmitglied versichert ist, wie hoch ihre monatlichen Beiträge sind und ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Einkünfte ihres Ehemannes bei der Beitragsbemessung herangezogen werden. Schließlich ist festzustellen, wie hoch die freiwilligen Beiträge der Beigeladenen sind und ob im Falle einer freiwilligen Versicherung der Klägerin die unter Heranziehung des Ehegatteneinkommens bestimmte Beitragsbemessungsgrundlage nach § 15 Abs. 6 Buchst d Satz 4 der Satzung der Beklagten um einen Betrag für die Beigeladenen gekürzt wird.
Das LSG wird bei seiner Entscheidung auch über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten, einschließlich des Revisionsverfahrens, zu befinden haben.
Fundstellen