Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. Juli 2000 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 30. Juni 1999 zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob die Beklagte einen in der ehemaligen DDR erlittenen Unfall des Klägers als Arbeitsunfall zu entschädigen hat.
Der im Jahre 1960 geborene Kläger war im Jahre 1975 Schüler an der polytechnischen Oberschule „Karl Liebknecht” in S. (Thüringen) und Mitglied der „Turn- und Sportgemeinschaft R. – Sektion Ski – Deutscher Turn- und Sportbund (DTSB)”. Am 4. Mai 1975 stürzte er nach Beendigung des Skirollertrainings seiner Sportorganisation beim Abtransport der Sportgeräte vor seinem Schulgebäude auf die Knie und verletzte sich dabei erheblich. Nach Operation des linken Knies im Jahre 1975 und des rechten Knies in den Jahren 1977 und 1989 beantragte der Kläger am 13. Juni 1989 bei der zuständigen staatlichen Versicherung der DDR eine Unfallrente. Der Unfall wurde daraufhin nachträglich als „GT – erweiterter Unfallversicherungsschutz” anerkannt und dies am 4. Juli 1989 vom FGDB – Kreisvorstand, Verwaltung der Sozialversicherung, in den „Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung” des Klägers eingetragen. Des weiteren wurde im Frühjahr 1990 ein sportmedizinisches Gutachten über die Unfallfolgen erstellt. Eine Unfallrente ist dem Kläger nicht zuerkannt worden.
Zu Beginn des Jahres 1990 nahm der Kläger seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland und war vom 1. März 1990 bis zum 31. Dezember 1996 bei der Techniker Krankenkasse (TKK) krankenversichert. Im Mai 1993 beantragte er beim Versorgungsamt Frankfurt am Main ua wegen Behinderung an den Knien die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft. Dabei bezeichnete er die Ursache seiner geltend gemachten Behinderungen nicht durch die im Antragsformular vorgesehene Schlüsselzahl für „Arbeitsunfall (einschl Wege- und Betriebswegeunfall), Berufskrankheit”, sondern hinsichtlich seiner Behinderung „Kapselplastik nach Patellaluxation, links und rechts” durch die Schlüsselzahl für „sonstiger oder nicht näher bezeichneter Unfall”, für die übrigen Behinderungen durch die Schlüsselzahl für „sonstige Ursache oder mehrere Ursachen”.
Im Juli 1997 zeigte er unter Vorlage entsprechender Unterlagen den Unfall vom 4. Mai 1975 der Beklagten an. Er habe erst durch ein Schreiben vom 23. April 1997 des Dr. H., Universitätsklinik H., erfahren, daß für eine Unfallrente die Beklagte zuständig sei. Von diesem sei ihm auch mitgeteilt worden, daß die Beklagte sämtliche Gutachten, die bei Leistungssportlern aufgrund von Unfällen aus sportlichen Tätigkeiten an Kinder- und Jugendsportschulen der ehemaligen DDR bis Ende 1993 erstellt worden seien, übernommen habe, und davon auszugehen sei, daß auch das in seinem Fall 1990 erstellte Gutachten an die Beklagte gesandt worden sei.
Mit Bescheid vom 20. Oktober 1997 und Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1998 lehnte die Beklagte die Entschädigung des Unfalls vom 4. Mai 1975 ab. Da der Kläger den Antrag auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung erst im Jahre 1997 gestellt habe, gelte der Unfall vom 4. Mai 1975 trotz der Anerkennung als Arbeitsunfall durch die zuständige Stelle der DDR wegen § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht als Arbeitsunfall. Auch bei einer der in § 16 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB l) genannten Stellen habe der Kläger nicht vor dem Stichtag „31. Dezember 1993” fristwahrend einen Antrag gestellt. Weder gehe aus den Unterlagen des Versorgungsamtes Frankfurt am Main hervor, daß die dort geltend gemachten Behinderungen auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen seien, noch sei dies der TKK bis zum 31. Dezember 1993 bekannt gewesen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 30. Juni 1999). Das Landessozialgericht (LSG) hat den Gerichtsbescheid des SG sowie den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, den Sportunfall des Klägers vom 4. Mai 1975 als Arbeitsunfall in gesetzlichem Umfang zu entschädigen (Urteil vom 19. Juli 2000). Die Beklagte könne die Entschädigung dieses Unfalls nicht unter Berufung auf § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO verweigern. Dieser nach dem Recht der DDR als Arbeitsunfall anerkannte Unfall wäre zwar nach den Vorschriften der RVO bzw dem allein in Betracht kommenden § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO nicht zu entschädigen. Er sei jedoch von der für die Feststellung von Arbeitsunfällen zuständigen Stelle der DDR als „GT-erweiterter Unfallversicherungsschutz” aufgrund der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher Tätigkeiten vom 11. April 1973 (GBl I Nr 22 S 199) anerkannt und dies gegenüber dem Kläger durch entsprechenden Eintrag in seinen „Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung” am 4. Juli 1989 bekanntgegeben worden. Insoweit liege ein wirksamer, den Anforderungen der §§ 31, 33, 35, 37, 39 Abs 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) genügender Verwaltungsakt des zuständigen Sozialversicherungsträgers der ehemaligen DDR über die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall vor. Für derartige bereits anerkannte Unfälle könne § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO nicht eingreifen.
Nach Art 19 Satz 1 bis 3 des Einigungsvertrages (EinigVtr) sei der dem Kläger erteilte Anerkennungsbescheid über den 2. Oktober 1990 hinaus wirksam und iS von § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zwischen ihm und der Beklagten als der nach Anl I Kap VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr l Buchst c Abs 8 Nr 2 EinigVtr zuständigen „Rechtsnachfolgerin” bindend geblieben. Durch die mit dem Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) erfolgte und am 1. Januar 1992 in Kraft getretene Regelung der Einzelheiten der Überleitung des Unfallversicherungsrechts auf das Beitrittsgebiet in den §§ 1148 ff RVO, insbesondere die gesetzliche Fiktion des § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO, habe daran nichts geändert. § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO sei eine Sonderregelung für spezielle Fälle gegenüber den vom RÜG erfaßten „allgemeinen” Überleitungsfällen, für welche die Überleitung erst durch das RÜG endgültig geregelt worden und für die ein Vertrauensschutz nicht erforderlich sei.
Soweit die Beklagte meine, fehlende Kenntnis von dem Unfall bis zum 31. Dezember 1993 sei nur dann unschädlich, wenn bereits eine Rente gewährt worden sei, finde dies im Gesetz und nach Sinn und Zweck der Besitzstandsregelung keine Grundlage. Das ergebe sich auch aus § 1154 Abs 3 RVO. Schon gar nicht könne die Rentengewährung bereits durch die Sozialversicherung der DDR Voraussetzung für die Überleitung eines erst nach dem 31. Dezember 1993 einem Träger der Unfallversicherung bekannt gewordenen anerkannten Arbeitsunfalls sein, wie ua auch § 1154 Abs 1 Satz 2 Nr 1, § 1154 Abs 2 und § 1155 Abs 4 RVO zeigten. Erlange ein Träger der Unfallversicherung von einem in der DDR anerkannten Arbeitsunfall, für den eine Rente von der Sozialversicherung der DDR abgelehnt oder für den ein Rentenfeststellungsverfahren nicht eingeleitet oder nicht zu Ende geführt worden sei, erst nach dem 31. Dezember 1993 Kenntnis, könne dies allenfalls Folgen für den Leistungsbeginn haben.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO. Der Unfall des Klägers habe sich im Rahmen eigenwirtschaftlicher Tätigkeit ereignet und sei ihr iS der genannten Vorschrift verspätet bekannt geworden, nämlich erst am 11. Juli 1997, als das Antragsschreiben des Klägers vom 7. Juli 1997 bei ihr eingegangen sei. Einem anderen seit dem 1. Juli 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung sei der Sportunfall des Klägers vor Fristablauf auch nicht bekannt geworden. Das LSG habe seine Entscheidung zu Unrecht auf Art 19 EinigVtr gestützt, weil die dort getroffene Regelung für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung im wesentlichen in § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO ihren Ausdruck gefunden habe. Mit dieser Norm werde klargestellt, daß auch für Unfälle Vertrauensschutz gelte, die nach dem Recht der RVO keine Arbeitsunfälle seien. Der Gesetzgeber habe jedoch den Gedanken des Vertrauensschutzes unter zweierlei Aspekten durchbrochen und dieses in § 1150 Abs 2 Satz 2 RVO geregelt. Für nicht schutzwürdig habe er das Vertrauen desjenigen gehalten, dessen Arbeitsunfall bereits nach dem Fremdrentengesetz anerkannt, und für denjenigen, dessen Unfall nach dem Recht der RVO kein Arbeitsunfall gewesen sei und der sich bis zum Ende der Übergangsfrist am 31. Dezember 1993 nicht bei einem Unfallversicherungsträger gemeldet habe. In beiden Fällen sei Vertrauensschutz nicht notwendig. Daß der Gesetzgeber die Regelungen des Art 19 EinigVtr nicht übersehen habe, habe er durch die Formulierung im § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO bewiesen. Es handele sich bei der Festlegung in § 1150 Abs 2 Satz 2 RVO um eine spezielle Regelung. Die von ihr, der Beklagten, vertretene Auslegung dieser Vorschrift entspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Beschluß vom 27. Mai 1997 (2 BU 69/97).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG vom 19. Juli 2000 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 30. Juni 1999 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aufgrund der Folgen des in der ehemaligen DDR erlittenen Unfalls, weil es sich dabei nicht um einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall handelte. Wie das SG zu Recht entschieden hat, ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Anspruch des Klägers richtet sich noch nach den vor Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) geltenden Vorschriften, da der geltend gemachte Unfall bereits vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1. Januar 1997 eingetreten war (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes ≪UVEG≫, §§ 212 ff SGB VII).
Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt deren Träger nach Maßgabe der §§ 548 ff RVO nach Eintritt des Arbeitsunfalls (§ 547 RVO). Einen Arbeitsunfall iS dieser Vorschrift hat der Kläger jedoch nicht erlitten. Sein Unfall hat sich nach den gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG am 4. Mai 1975 in der ehemaligen DDR ereignet. Nach § 215 Abs 1 SGB VII ist für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 (in der ehemaligen DDR) eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung § 1150 Abs 2 und 3 RVO weiter, also über das Inkrafttreten des SGB VII am 1. Januar 1997 hinaus, anzuwenden.
Nach § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO gelten Unfälle und Krankheiten, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten iS des Dritten Buches (der RVO). Dies gilt nicht für Unfälle und Krankheiten, die einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekanntwerden und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären (§ 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO). Der Unfall des Klägers ist zwar vor dem 1. Januar 1992 eingetreten. Er ist jedoch der Beklagten als einem ab dem 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Unfallversicherungsträger erst im Juli 1997, also nach dem 31. Dezember 1993, durch ein Schreiben des Klägers bekanntgeworden.
Ein vor dem 1. Januar 1994 liegendes Bekanntwerden iS des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO kann nicht darin gesehen werden, daß – worüber Feststellungen des LSG nicht vorliegen – ein im Frühjahr 1990 erstelltes sportmedizinisches Gutachten über die Unfallfolgen beim Kläger im Zusammenhang mit der Übernahme des Daten- und Aktenbestandes der früheren Sozialversicherung der DDR an die Beklagte oder einen sonstigen Träger der bundesdeutschen Unfallversicherung gelangt sind. Selbst wenn das genannte Gutachten auf diesem Wege vor dem 1. Januar 1994 zusammen mit dem übrigen Daten- und Aktenbestand in das Archiv der Beklagten aufgenommen worden sein sollte und sich aus ihm ergäbe, daß der Unfall vom 4. Mai 1975 von der zuständigen Stelle der DDR als Arbeitsunfall anerkannt worden wäre, läge darin kein Bekanntwerden iS des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO. Wie der Senat zuletzt in seinem Urteil vom 20. Februar 2001 (– B 2 U 11/00 R – HVBG-Info 2001, 1086 mwN) entschieden hat, bezeichnet dieses Bekanntwerden ein rein tatsächlichen Geschehen. In entsprechender Weise hat das BSG den Begriff des Bekanntwerdens auch in § 60 Abs 3 Satz 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ausgelegt (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 60 BVG). Dieser Begriff ist somit gleichbedeutend mit der ua in § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X und in § 48 Abs 4 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes verwendeten Formulierung, in der auf die Kenntnis von Tatsachen durch die Behörde abgestellt wird. In erster Linie muß daher der mit der Sache befaßte oder für sie zuständige Amtsträger der betreffenden Behörde oder jedenfalls der in der dafür zuständigen Organisationseinheit tätige und mit Aufgaben der in Frage stehenden Art befaßte Bedienstete die Kenntnis erhalten; daß irgend jemand in der Behörde Kenntnis hat oder erlangt, genügt nicht (vgl BSGE 60, 239, 241 = SozR 1300 § 45 Nr 26; BVerwGE 70, 356, 364; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl, § 48 RdNr 144 mwN). Die Feststellungen des LSG enthalten jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß ein für die gesetzliche Unfallversicherung zuständiger Bediensteter der Beklagten vor dem 1. Januar 1994 Kenntnis von dem genannten sportmedizinischen Gutachten erhalten hat.
Ein nach § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO erforderliches Bekanntwerden ist hier auch nicht dadurch herbeigeführt worden, daß der zuständige Amtsträger der Beklagten zwar keine Kenntnis von dem betreffenden Gutachten hatte, die Beklagte aber so zu behandeln wäre, als ob dieser Kenntnis gehabt hätte. Eine Behörde nämlich ist nur dann daran gehindert, sich auf die Unkenntnis ihres Amtsträgers zu berufen, wenn dieser trotz Aktenkundigkeit der betreffenden Tatsache keine Kenntnis von ihr hatte (vgl Schroeder-Printzen/Wiesner, SGB X, 3. Aufl, § 45 RdNr 33) oder wenn ihr unter dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens vorzuwerfen ist, daß bei ordnungsgemäßer Regelung des Geschäftsgangs der Amtsträger rechtzeitig Kenntnis erlangt hätte (vgl BFHE 138, 313, 315; 143, 520, 522; Kopp/Ramsauer, aaO § 48 RdNr 145). Keine dieser Voraussetzungen ist im vorliegenden Fall erfüllt. Weder befindet sich das fragliche sportmedizinische Gutachten bei den den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten, noch war diese verpflichtet, die bei ihr archivierten umfangreichen Unterlagen aus der Unfallversicherung der DDR ohne konkreten Anlaß darauf zu untersuchen, ob sich darunter Gutachten befinden, die – wie hier – nicht zu einer Unfallrente geführt haben, und diese dann der Sachbearbeitung zuzuführen.
Der Unfall des Klägers vom 4. Mai 1975 ist auch nicht dadurch der Beklagten vor dem 1. Januar 1994 bekanntgeworden, daß der Kläger die TKK als seine Krankenkasse oder das Versorgungsamt Frankfurt am Main vor diesem Zeitpunkt hiervon möglicherweise unterrichtet hat. Unabhängig davon, daß nach den Feststellungen des LSG und den in Bezug genommenen Verwaltungsakten der Beklagten eine solche Unterrichtung der beiden Stellen als sehr fraglich erscheint, kann durch sie ein Bekanntwerden iS des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO über § 16 Abs 2 Satz 2 SGB I aus rechtlichen Gründen nicht erreicht worden sein.
Nach letzterer Vorschrift gilt ein Antrag als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er ua bei einem unzuständigen Leistungsträger eingeht. Ein Unfall kann dem Unfallversicherungsträger zwar auch durch einen Antrag bekannt werden, jedoch ist der Eingang eines Antrags für das Bekanntwerden iS des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO nicht erforderlich; die Kenntnis von dem Unfall kann auch auf jede andere Weise eintreten. Das Bekanntwerden iS dieser Vorschrift bezeichnet – wie bereits erwähnt – ein rein tatsächliches Geschehen. Dementsprechend hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 26. Oktober 1998 – B 2 U 26/97 R – (HVBG-Info 1998, 3381) entschieden, daß § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO keine Antrags-, sondern eine gesetzliche Ausschlußfrist enthält. Da § 16 Abs 2 Satz 2 SGB I lediglich die Einhaltung eines Zeitablaufs für den Eingang eines Antrags fingiert, nicht jedoch andere Voraussetzungen für Sozialleistungen wie etwa das – hier geforderte – tatsächliche Bekanntwerden eines Vorfalls bei einem Sozialleistungsträger (vgl BSG SozR 2200 § 216 Nr 5), kann dieser Umstand aufgrund des § 16 Abs 2 Satz 2 SGB I einem anderen Sozialleistungsträger nicht zugerechnet werden (vgl BSG Urteil vom 20. Februar 2001 – B 2 U 11/00 R –).
§ 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO findet auch auf Unfälle Anwendung, die – wie hier – bereits in der ehemaligen DDR als Arbeitsunfälle anerkannt waren, so daß hierdurch bei Vorliegen der Voraussetzungen dieser Rechtsnorm eine Überprüfung daraufhin, ob sie nach den Vorschriften des Dritten Buches der RVO als Arbeitsunfälle zu entschädigen wären, nicht ausgeschlossen ist. Wie der Senat bereits in seinem Beschluß vom 27. Mai 1997 – 2 BU 69/97 – (HVBG-Info 1997, 1952) und in seinem Urteil vom 19. Dezember 2000 – B 2 U 8/00 R – (HVBG-Info 2001, 308; Veröffentlichung in SozR vorgesehen) entschieden hat, gilt die Fiktion des § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO nicht für Unfälle und Krankheiten, die einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären; irgendwelche Einschränkungen – etwa hinsichtlich einer Ausnahme für bereits in der DDR anerkannte Arbeitsunfälle – sind dieser Vorschrift nicht zu entnehmen. Die Würdigung des Wortlauts einer Vorschrift ist die Grundlage jeder Auslegung; ist der Wortlaut einer Vorschrift eindeutig und nach ihm sprachlich und begrifflich das klar zum Ausdruck gebracht, was dem vom Gesetzgeber gewollten Sinn der Vorschrift entspricht, so ist grundsätzlich hiernach auszulegen. Die Auslegung einer Rechtsnorm gegen ihren Wortlaut ist nur dann angezeigt, wenn sie Fälle umfaßt oder Folgen herbeiführt, die vom Gesetzgeber überhaupt nicht erkannt oder bedacht sind und die er, falls er sie erkannt oder bedacht hätte, vernünftigerweise nicht so geregelt hätte. Dabei sind im Interesse der Rechtssicherheit besonders strenge Maßstäbe anzulegen. Es muß klar erkennbar sein, daß der im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommende Gedanke dem wirklichen Sinn und Zweck des Gesetzes nicht entspricht (vgl BSG Urteil vom 13. Juni 1989 – 2 RU 49/88 – = HV-Info 1989, 1873 mwN).
Offensichtlich sind Einschränkungen, wie sie das LSG der betreffenden Rechtsvorschrift trotz des dergleichen nicht umfassenden Wortlauts entnimmt, auch vom Gesetzgeber nicht gewollt. Dementsprechend heißt es in der amtlichen Begründung zum RÜG, durch dessen Art 8 Nr 14 ua die hier strittige Vorschrift des § 1150 RVO in die RVO eingefügt worden ist, zu § 1150 RVO (BT-Drucks 12/405, S 154): „Absatz 2 gewährleistet die Übernahme aller bereits eingetretenen Unfälle und Krankheiten, die nach dem Sozialversicherungsrecht des Beitrittsgebiets versichert waren, in die gesetzliche Unfallversicherung nach dem Dritten Buch der Reichsversicherungsordnung, und zwar grundsätzlich auch dann, wenn es sich nach der Reichsversicherungsordnung nicht um einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit gehandelt hätte. Die Regelung gewährleistet den erforderlichen Vertrauensschutz. – Ist der Versicherungsfall zwar vor dem 1. Januar 1992 eingetreten, wird er dem Versicherungsträger aber erst später bekannt – zB bei Berufskrankheiten –, soll ein Vertrauensschutz nur noch bis zum 31. September 1993 gelten (Abs 2 Satz 2 Nr 1)”. Daraus werden Sinn und Zweck der Vorschrift deutlich, Versicherten aus dem Beitrittsgebiet für eine Übergangszeit umfassenden Vertrauensschutz hinsichtlich der Anerkennung von nach dem Recht der ehemaligen DDR als Arbeitsunfälle bzw Berufskrankheiten geltenden Unfällen bzw Krankheiten zu gewähren, diesen Vertrauensschutz aber an dem genannten Stichtag enden zu lassen und nunmehr im Interesse der Gleichbehandlung und Rechtseinheit nur noch das Recht der RVO unterschieds- und ausnahmslos anzuwenden (vgl Sächsisches LSG Urteil vom 27. Oktober 1999 – L 2 U 96/97 – HVBG-Info 2000, 967, rechtskräftig nach Verwerfung der Revision durch BSG Beschluß vom 28. November 2000 – B 2 U 5/00 R –). Die Zulassung von Ausnahmen von dieser Stichtagsregelung – etwa für in der DDR anerkannte Arbeitsunfälle – würde demnach Sinn und Zweck dieser Regelung widersprechen.
Der Ansicht des LSG, der die Anerkennung als Arbeitsunfall aussprechende Verwaltungsakt der DDR sei nach Art 19 Satz 1 EinigVtr über den 2. Oktober 1990 hinaus (zeitlich unbegrenzt) wirksam geblieben und könne demnach nur aufgehoben werden, wenn er mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen des EinigVtr unvereinbar wäre, woran § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO mangels einer ausdrücklichen Bestimmung über die Aufhebung solcher Verwaltungsakte nichts geändert habe, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Sie übersieht, daß die Geltendmachung von Rechten aus Verwaltungsakten auch durch gesetzliche Regelungen ausgeschlossen werden kann. Bei der Regelung des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO handelt es sich nicht um eine Vorschrift, durch die etwa bindende Verwaltungsakte aufgehoben würden, sondern – wie der Senat bereits entschieden hat – um eine Ausschlußfrist (BSG Urteil vom 26. Oktober 1998 – B 2 U 26/97 R – HVBG-Info 1998, 3381). Dies bedeutet hier, daß Ansprüche aus nach dem Recht der DDR als Arbeitsunfälle geltenden Unfällen nach ihrem Ablauf nicht mehr bzw nur noch unter der Voraussetzung ihrer Entschädigungsfähigkeit nach dem Dritten Buch der RVO geltend gemacht werden können, unabhängig davon, ob diese durch Verwaltungsakt anerkannt sind oder nicht. Hätte der Gesetzgeber eine Ausnahme für durch Verwaltungsakte der ehemaligen DDR anerkannte Arbeitsunfälle vorsehen wollen, hätte er dies deutlich zum Ausdruck gebracht (vgl zum ganzen Urteil des Senats vom 19. Dezember 2000 – B 2 U 8/00 R – HVBG-Info 2001, 308; Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Auch kann nicht – wie das LSG meint – aus § 1154 Abs 3 RVO geschlossen werden, daß bei einem in der DDR anerkannten, eine Unfallrente jedoch nicht begründenden Arbeitsunfall die Ausschlußfrist des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO nicht anzuwenden sei. § 1154 Abs 3 RVO enthält eine Sondervorschrift für den Rentenbeginn und trägt dem Umstand Rechnung, daß nach § 4 der noch bis zum 31. Dezember 1991 geltenden „Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher Tätigkeiten” vom 11. April 1973 (GBl I Nr 22 S 199) bei nicht sozialpflichtversicherten Bürgern, bei denen dem Grunde nach ein Anspruch auf Unfallrente bestand, der Rentenbeginn erheblich später eintrat, bei Schülern zB erst ab Vollendung des 16. Lebensjahres, bei früherem Schulabschluß frühestens 26 Wochen nach dem Unfall (vgl amtliche Begründung zu § 1154 Abs 3 RVO – BT-Drucks 12/405 S 156). Diese in § 1154 Abs 3 RVO geregelten Fälle, bei denen es bei amtlich anerkannter Rentenberechtigung lediglich um den Rentenbeginn geht, unterscheiden sich so erheblich von dem hier vorliegenden Fall, in dem eine Rentenberechtigung von der zuständigen DDR-Stelle verneint worden ist, daß aus § 1154 Abs 3 RVO keine Schlüsse zur Auslegung des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO gezogen werden können.
Der Unfall des Klägers wäre auch nicht als Arbeitsunfall nach dem Dritten Buch der RVO zu entschädigen. Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Dazu ist es in der Regel erforderlich, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und daß die Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat (BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr 92). Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der sog innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr 70; 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84).
Der Kläger hätte als Schüler einer allgemeinbildenden Schule nach Maßgabe des § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO zwar zu den gegen Unfall versicherten Personen gehört. Der Unfall ereignete sich indes nach den bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG nicht während des Schulbesuchs oder während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen. Dabei richtet sich der Schutzbereich der „Schülerunfallversicherung”, wie sich sowohl aus dem Wortlaut der Vorschrift als auch ihrer Entstehungsgeschichte (s BSGE 35, 207, 210 = SozR Nr 37 zu § 539 RVO) ergibt, nach dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule. Außerhalb dieses Verantwortungsbereichs besteht in der Regel auch kein Versicherungsschutz bei Verrichtungen, die wesentlich durch den Schulbesuch bedingt sind und ihm deshalb an sich nach dem Recht der gewerblichen Unfallversicherung zuzuordnen wären (BSGE 51, 257, 259 = SozR 2200 § 548 Nr 55; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 34).
Nach den Feststellungen des LSG ereignete sich der Unfall des Klägers zwar vor seinem Schulgebäude. Dies reicht jedoch nicht zur Bejahung des erforderlichen inneren Zusammenhanges aus. Entscheidend hierfür ist vielmehr, daß das am Unfalltag durchgeführte Sporttraining nicht im Verantwortungsbereich der Schule, sondern im dem der Sportorganisation lag, deren Mitglied der Kläger war. Denn nach den bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG nahm der Kläger an diesem Training als Mitglied der „Turn- und Sportgemeinschaft R. – Sektion Ski – Deutscher Turn- und Sportbund (DTSB)” teil. Nach den in der DDR damals bestehenden Verhältnissen war der DTSB mit seinen Unterorganisationen eine eigenständige Organisation (vgl A bis Z, Nachschlagebuch über den anderen Teil Deutschlands, 11. Aufl, S 589) und demnach unabhängig vom Schulwesen der DDR. Soweit die Revision vorbringt, die Teilnahme am Sport sei in der DDR eine gesellschaftliche Verpflichtung gewesen, stellt dies keinen Sachverhalt dar, der die Voraussetzungen des § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO oder einen anderen Versicherungstatbestand des Dritten Buches der RVO erfüllen würde.
Nach alledem ist die Revision der Beklagten begründet, war das Urteil des LSG mithin aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen