Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Begründungszwang für BFH-Entscheidung trotz vorheriger Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat der Bundesfinanzhof die Revision nach einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen und weist er die Revision sodann nach vorheriger Anhörung und Unterrichtung der Beteiligten einstimmig ohne weitere Begründung als unbegründet zurück, verstößt er hiermit nicht gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG ableitbare Willkürverbot.
2. Eine Begründung wäre jedoch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG erforderlich, wenn von dem eindeutigen Wortlaut einer Rechtsnorm abgewichen werden soll und sich der Grund hierfür nicht schon eindeutig aus der den Betroffenen bekannten und für sie ohne weiteres erkennbaren Besonderheit des Falles ergibt. (Leitsätze nicht amtlich)
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1; BFHEntlG Art. 1 Nr. 7
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor (§ 93a BVerfGG). Durch eine Entscheidung wäre die Klärung einer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten. Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsähnlichen Rechten angezeigt.
Grundsätzlich bedürfen mit ordentlichen Rechtsbehelfen nicht mehr anfechtbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidungen von Verfassungs wegen keiner Begründung (vgl. BVerfGE 50, 287 ≪289≫; 71, 122 ≪135≫; 81, 97 ≪106≫). Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Kammerrechtsprechung verfassungsrechtliche Bedenken gegen Art. 1 Nr. 6 und 7 BFH-EntlG als unbegründet erachtet (vgl. z.B. Beschluß vom 13. April 1992 – 2 BvR 355/92 –, HFR 1993, S. 90; Beschluß vom 4. Dezember 1992 – 1 BvR 1411/89 –, HFR 1993, S. 202). Es verletzt weder rechtsstaatliche Grundsätze noch den Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Willkürverbot, daß der Bundesfinanzhof nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch nicht begründeten Beschluß entscheiden kann, wenn er einstimmig die Revision für unbegründet erachtet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Durch diese Verfahrensvereinfachung sollen die Richter in einfacher gelagerten Fällen von häufig recht zeitraubenden Arbeiten entlastet werden, die weder für die Rechtsfindung im Einzelfall noch für die Wahrung der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung wesentlich sind (vgl. BTDrucks V/2849, S. 3; VII/3654, S. 3, 5). Diese Erwägung, die auf eine Beschleunigung und Effektivierung des Rechtsschutzes in der Revisionsinstanz abzielt, ist im Hinblick auf die besonderen Aufgaben der obersten Gerichtshöfe des Bundes sachgerecht.
Der Sachverhalt weist hier keine Besonderheiten auf, die eine Begründung letztinstanzlicher Entscheidungen ausnahmsweise erfordern. Eine derartige Pflicht hat das Bundesverfassungsgericht mit Rücksicht auf Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot und der Bindung des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) dann bejaht, wenn von dem eindeutigen Wortlaut einer Rechtenorm abgewichen werden soll und sich der Grund hierfür nicht schon eindeutig aus den den Betroffenen bekannten und für sie ohne weiteres erkennbaren Besonderheiten des Falles ergibt (BVerfGE 71, 122 ≪135 f.≫; 81, 97 ≪106≫).
Hiernach bestand im Ausgangsverfahren für den Bundesfinanzhof keine Veranlassung zu einer näheren Begründung der Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision; er wich weder von dem eindeutigen Wortlaut einer Rechtsnorm ab noch änderte er seine bisherige Rechtsprechung, denn die hier aufgeworfene Rechtsfrage hatte er noch nicht entschieden.
Der Bundesfinanzhof war auch von Verfassungs wegen nicht deshalb gehalten, seine Revisionsentscheidung zu begründen, weil er zunächst auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin die Revision zugelassen hat. Diese Verfahrensweise ist weder willkürlich noch begründet sie die Annahme, der Bundesfinanzhof habe den Vortrag des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen.
Bei Berücksichtigung aller Umstände des Falles ist davon auszugehen, daß der Bundesfinanzhof die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat. Der Beschwerdeführer hat zwar seine Nichtzulassungsbeschwerde auch auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützt, insoweit ist aber davon auszugehen, daß die Rüge keinen Erfolg gehabt hat.
Hat der Bundesfinanzhof die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen und weist er die Revision sodann einstimmig als unbegründet zurück, verstößt er hiermit nicht gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG ableitbare Willkürverbot. Der Grund hierfür liegt nämlich erkennbar darin, daß er bei näherer Prüfung zu der Auffassung gelangt ist, der – im Ergebnis aussichtslose – Streitfall eigne sich nicht, allgemeine Grundsätze zu der zunächst als klärungsbedürftig angesehenen Rechtsfrage zu entwickeln. Dies erfordert von Verfassungs wegen keine Begründung. Vielmehr entspricht es Sinn und Zweck der Entlastungsvorschriften, die obersten Bundesgerichte auch in diesen Fällen von der Pflicht, ihre Entscheidungen zu begründen, zu entheben. Art. 103 Abs. l GG gebietet auch keinen vorherigen Hinweis den Gerichts auf seine Rechtsansicht (BVerfGE 74, 1 ≪5≫).
Im übrigen wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Seidl, Grimm, Haas
Fundstellen
NJW 1997, 1693 |
NVwZ 1997, 781 |