Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat sich erledigt, soweit dem Bundespräsidenten bis zur Entscheidung in der Hauptsache untersagt werden sollte, das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (Bundesratsdrucksache 291/10, Bundestagsdrucksache 17/1685) zu verkünden.
2. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Tatbestand
A.
Der Beschwerdeführer begehrt mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wesentlichen die Untersagung endgültiger deutscher Garantieerklärungen im Zusammenhang mit dem „Euro-Rettungsschirm”.
I.
1. Im Zuge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten Jahre hat sich die Lage der öffentlichen Haushalte in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) erheblich verschlechtert. Insbesondere die Hellenische Republik geriet in finanzielle Schwierigkeiten und muss für das Jahr 2010 mit einem Anstieg der Staatsverschuldung auf 125 % des Bruttoinlandprodukts (BIP) und damit mehr als das Doppelte des Referenzwerts von 60 % des BIP rechnen. Im Interesse der finanziellen Stabilität der gesamten Eurozone erklärten sich daher die Staaten der Euro-Gruppe auf Antrag Griechenlands im Mai 2010 bereit, im Zusammenhang mit einem dreijährigen Programm des Internationalen Währungsfonds (IWF) erhebliche Finanzhilfen bereitzustellen (vgl. hierzu im Einzelnen BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 7. Mai 2010 – 2 BvR 987/10 –, NJW 2010, S. 1586).
2. In der Folge kamen die Staats- und Regierungschefs der Euro-Gruppe am 7. Mai 2010 in Brüssel zusammen und sprachen sich unter anderem dafür aus, die Wirtschaftsaufsicht im Euro-Währungsgebiet zu verstärken sowie die Finanzmärkte intensiver zu regulieren und die Spekulation zu bekämpfen. Vor allem aber bekräftigten sie ihre Entschlossenheit, alle Mittel auszuschöpfen, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets zu wahren. Dazu vereinbarten sie unter anderem, dass die EU-Kommission einen europäischen Stabilisierungsmechanismus zur Wahrung der Finanzmarktstabilität in Europa vorschlagen sollte („Euro-Rettungsschirm”). Daraufhin beschloss am 9. Mai 2010 der Rat für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN-Rat) die Schaffung eines europäischen Stabilisierungsmechanismus, der sich aus zwei Komponenten zusammensetzt: aus dem auf eine EU-Verordnung gestützten europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) einerseits und aus der europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), einer auf zwischenstaatlicher Vereinbarung der Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe beruhenden Zweckgesellschaft zur Gewährung von Darlehen und Kreditlinien, andererseits. Mit diesen Instrumenten sollen Mitgliedstaaten, die aufgrund von außergewöhnlichen Ereignissen, die sich ihrer Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen sind, finanziell unterstützt werden (vgl. die „Konditionsvereinbarung” über die „zentralen Strukturelemente der EFSF”). Auch die Europäische Zentralbank (EZB) beteiligte sich am 10. Mai 2010 an dem neuen Schutzprogramm, indem sie beschloss, Staatsanleihen zu kaufen.
3. Die Verordnung (EU) Nr. 407/2010 des Rates vom 11. Mai 2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (ABl Nr. L 118/1) stützt sich auf Art. 122 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Danach kann einem Mitgliedstaat, der aufgrund außergewöhnlicher Ereignisse, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht ist, ein finanzieller Beistand der EU gewährt werden. Der Rat ist der Ansicht, dass die außergewöhnliche Situation darin liege, dass die Verschärfung der weltweiten Finanzkrise für mehrere Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe zu einer gravierenden Verschlechterung der Kreditkonditionen geführt habe, die über das hinausgehe, was sich durch wirtschaftliche Fundamentaldaten erklären lasse. Der europäische Finanzstabilisierungsmechanismus soll so lange in Kraft bleiben, wie es zur Wahrung der Finanzmarktstabilität erforderlich ist, und ein Finanzmittelvolumen von bis zu 60 Milliarden Euro umfassen, was eine Kreditaufnahme der EU notwendig macht. Die Verordnung regelt im Einzelnen die Bedingungen und Verfahren, nach denen einem Mitgliedstaat ein finanzieller Beistand der EU gewährt werden kann. Über die Gewährung finanziellen Beistands entscheidet der Rat auf Vorschlag der EU-Kommission mit qualifizierter Mehrheit.
4. Neben der Einführung des EFSM haben sich die Staats- und Regierungschefs der Euro-Gruppe verpflichtet, über eine Zweckgesellschaft, die EFSF, finanziellen Beistand zu leisten. Eine Zweckgesellschaft („special purpose vehicle”) ist in der Regel eine juristische Person oder eine einer juristischen Person gleichstehende Einrichtung ausländischen Rechts, die gewöhnlich für einen ganz bestimmten Zweck gegründet und nach Erreichen dieses Zwecks wieder aufgelöst wird. Für die hier vereinbarte Zweckgesellschaft bürgen die teilnehmenden Mitgliedstaaten unter Beachtung ihrer verfassungsrechtlichen Vorschriften entsprechend ihrem Anteil an dem eingezahlten Kapital der EZB (vgl. Beschluss der im Rat der Europäischen Union vereinigten Vertreter der Regierungen der dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten vom 9. Mai 2010, Rat-Dok. 9614/10). Die EU-Kommission kann im Rahmen der EFSF von den Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe für die Erledigung von Aufträgen in Anspruch genommen werden (vgl. Beschluss der Vertreter der Regierungen der 27 EU-Mitgliedstaaten vom 9. Mai 2010, Rat-Dok. 9614/10).
Hinsichtlich dieser Zweckgesellschaft, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegründet war, wurden zunächst folgende Rahmenbedingungen vereinbart („Konditionsvereinbarung”): Anteilseigner sind alle Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe, jeder Mitgliedstaat der Euro-Gruppe entsendet einen Direktor in den Vorstand der Gesellschaft, in den zudem die EU-Kommission einen Beobachter entsendet. Die Gründung der Zweckgesellschaft soll nach luxemburgischem Recht erfolgen. Ihr Zweck ist die Emission von Anleihen sowie die Gewährung von Darlehen und Kreditlinien zur Deckung des Finanzierungsbedarfs von in Schwierigkeiten befindlichen Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe unter Auflagen. Die Garantien für die Zweckgesellschaft in Höhe von 440 Milliarden Euro werden anteilig unter den Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe entsprechend ihrer Beteiligung am Kapital der EZB aufgeteilt, wobei die Verbindlichkeiten im Rahmen der Garantien der Mitgliedstaaten auf ihren Anteil plus 20 % je Anleiheemission begrenzt sind. Die Erhöhung um bis zu 20 % ergibt sich daraus, dass nicht alle Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe an allen Anleiheemissionen beteiligt sein werden. Die Entscheidungen werden einstimmig getroffen, die Laufzeit der Zweckgesellschaft ist begrenzt auf drei Jahre ab Gründung unbeschadet der Fälligkeit von durch die Zweckgesellschaft gewährten Darlehen oder emittierten Anleihen sowie von durch Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe übernommenen Garantien.
Zwischen den teilnehmenden Staaten der Euro-Gruppe und der geplanten Zweckgesellschaft sollte zudem noch eine Rahmenvereinbarung geschlossen werden, die das Nähere zur Emission von Anleihen durch die Zweckgesellschaft am Kapitalmarkt, zur Garantieerklärung der Staaten der Euro-Gruppe sowie die Einzelheiten der Kreditausreichung regelt (vgl. EFSF Framework Agreement, Entwurf vom 20. Mai 2010). Infolge des Anteils Deutschlands am Kapital der EZB soll sich der deutsche Anteil an dem Garantievolumen auf 123 Milliarden Euro belaufen; im Falle unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedarfs kann der Betrag um weitere 20 % überschritten werden (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BTDrucks 17/1685, S. 1), so dass sich ein maximales Volumen von rund 148 Milliarden Euro ergibt. Das Gesamtvolumen der Stabilisierungsinstrumente in Höhe von 750 Milliarden Euro errechnet sich aus dem Volumen des EFSM in Höhe von 60 Milliarden Euro, dem Volumen des EFSF in Höhe von 440 Milliarden Euro sowie einer (bisher nur erwarteten) Beteiligung des IWF in Höhe der Hälfte der genannten Summen, also weitere 250 Milliarden Euro (vgl. Schlussfolgerungen des ECOFIN-Rates vom 9. Mai 2010, Rat-Dok. SN 2564/1/10 REV 1).
5. Um auf nationaler Ebene die Voraussetzungen für die Leistung finanziellen Beistands über die Zweckgesellschaft (EFSF) zu schaffen, verabschiedete der Deutsche Bundestag am 21. Mai 2010 das angegriffene Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (im Folgenden: Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetz, BGBl I S. 627), das vom Bundesrat noch am gleichen Tag gebilligt und am 22. Mai 2010 verkündet wurde. Die Vorschriften des Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetzes lauten:
§ 1
Gewährleistungsermächtigung
(1) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, für Kredite, die eine von den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes gegründete oder beauftragte Zweckgesellschaft zur Finanzierung von Notmaßnahmen zum Erhalt der Zahlungsfähigkeit eines Mitgliedstaates des Euro-Währungsgebietes aufnimmt, Gewährleistungen bis zur Höhe von insgesamt 123 Milliarden Euro zu übernehmen, sofern diese Notmaßnahmen zum Erhalt der Zahlungsfähigkeit des betroffenen Mitgliedstaates erforderlich sind, um die Finanzstabilität in der Währungsunion sicherzustellen. Voraussetzung ist, dass der betroffene Mitgliedstaat mit dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Kommission unter Mitwirkung der Europäischen Zentralbank ein wirtschafts- und finanzpolitisches Programm vereinbart hat und dass dies von den Staaten des Euro-Währungsgebietes einvernehmlich gebilligt wird. Die Gefährdung der Zahlungsfähigkeit eines Mitgliedstaates des Euro-Währungsgebietes ist zuvor durch die Staaten des Euro-Währungsgebietes unter Ausschluss des betroffenen Mitgliedstaates gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank einvernehmlich festzustellen. Gewährleistungen nach Satz 1 können nur bis zum 30. Juni 2013 übernommen werden.
(2) Die Übernahme von Gewährleistungen nach Absatz 1 setzt voraus, dass die Staaten des Euro-Währungsgebietes unter Ausschluss des betroffenen Mitgliedstaates und unter Mitwirkung der Europäischen Zentralbank und im Benehmen mit dem Internationalen Währungsfonds einvernehmlich übereinkommen, dass Notmaßnahmen nach der Verordnung des Rates der EU zur Errichtung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus nicht oder nicht in vollem Umfang ausreichen, um die Gefährdung der Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaates des Euro-Währungsgebietes abzuwenden.
(3) Eine Gewährleistung ist auf den Höchstbetrag dieser Ermächtigung in der Höhe anzurechnen, in der der Bund daraus in Anspruch genommen werden kann. Zinsen und Kosten sind auf den Ermächtigungsrahmen nicht anzurechnen.
(4) Vor Übernahme von Gewährleistungen nach Absatz 1 bemüht sich die Bundesregierung, Einvernehmen mit dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages herzustellen. Der Haushaltsausschuss hat das Recht zur Stellungnahme. Sofern aus zwingenden Gründen eine Gewährleistung bereits vor Herstellung eines Einvernehmens übernommen werden muss, ist der Haushaltsausschuss unverzüglich nachträglich zu unterrichten; die Unabweisbarkeit der Übernahme der Gewährleistung vor Herstellung des Einvernehmens ist eingehend zu begründen. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages ist darüber hinaus vierteljährlich über die übernommenen Gewährleistungen und die ordnungsgemäße Verwendung zu unterrichten.
(5) Vor Übernahme von Gewährleistungen durch das Bundesministerium der Finanzen muss dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages der Vertrag über die Zweckgesellschaft vorgelegt werden.
(6) Der Gewährleistungsrahmen nach Absatz 1 kann unter den Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 2 der Bundeshaushaltsordnung mit Einwilligung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages um bis zu 20 Prozent der in Absatz 1 genannten Summe überschritten werden.
§ 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
6. Unter dem 7. Juni 2010 gründete das Großherzogtum Luxemburg die Zweckgesellschaft zunächst alleine. Am selben Tag nahmen dann die Finanzminister der Euro-Gruppe sowie ein Vertreter der Zweckgesellschaft die Rahmenvereinbarung an. Gemäß Art. 13 Absatz 8 dieser Rahmenvereinbarung können die weiteren Mitgliedstaaten ihre Anteile an der Zweckgesellschaft übernehmen.
II.
Nach Billigung des Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetzes durch den Bundesrat hat der Beschwerdeführer am 21. Mai 2010 Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.
1. Mit der Verfassungsbeschwerde beantragt der Beschwerdeführer festzustellen, dass die im Rubrum bezeichneten Handlungen und Unterlassungen auf deutscher und europäischer Ebene ihn in seinen Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten aus Art. 38 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG verletzen. Der Euro-Stabilisierungsmechanismus verstoße gegen Art. 125 Abs. 1 AEUV; dies stelle keine punktuelle Vertragsverletzung dar, sondern zerstöre die vertraglich vorgesehene Stabilitätsunion dauerhaft und ersetze sie durch eine Haftungs- und Transferunion. An dieser faktischen Vertragsänderung außerhalb der förmlichen Vertragsänderungsverfahren sei nicht nur die Bundesregierung beteiligt, sondern – durch die Verabschiedung des Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetzes – auch der Deutsche Bundestag und der Bundesrat. Die an der Gesetzgebung beteiligten Organe unterlägen aber bei einer derartig weit reichenden Vertragsänderung der Ratifikationspflicht nach Art. 23 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 79 GG, die sie nicht beachtet hätten. Die übernommenen Verpflichtungen ließen sich parlamentarisch schon deshalb nicht verantworten, weil unklar sei, unter welchen näheren Voraussetzungen Gewährleistungen in dieser eklatanten Höhe überhaupt übernommen würden. Die in § 1 des Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetzes ausgesprochene Gewährleistungsermächtigung in Höhe von 147,6 Milliarden Euro lasse sich auch sachlich nicht mehr parlamentarisch-demokratisch verantworten. Der Gesetzgeber begebe sich seiner Verantwortung für den Haushalt und das Gemeinwohl, wenn er sich für künftige Haushaltsjahre in dieser Größenordnung im Voraus festlege. Das Grundrecht auf Eigentum sei verletzt, weil die Maßnahmen gerade auch unter Berücksichtigung des Ankaufs von Staatsanleihen durch die EZB die Stabilität der europäischen Währung untergraben würden, wobei gegen die die Geldwertstabilität schützenden Inhalts- und Schrankenbestimmungen verstoßen werde, wie sie Art. 88 GG und die Stabilitätsvorschriften der europäischen Verträge ausgestaltet hätten.
2. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Beschwerdeführer, dem Bundespräsidenten bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, das Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetz zu verkünden. Hilfsweise beantragt er, dem Bundesfinanzministerium bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, von der im Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetz vorgesehenen Gewährleistungsermächtigung Gebrauch zu machen. Weiter hilfsweise begehrt er, dem Bundesfinanzministerium aufzugeben, von der Gewährleistungsermächtigung bis zur Entscheidung in der Hauptsache nur in der Weise Gebrauch zu machen, dass Bürgschaften oder andere Formen der Gewährleistung unter der auflösenden Bedingung übernommen werden, dass die Bürgschaft oder sonstige Gewährleistung von Anfang an nichtig ist, sofern das Bundesverfassungsgericht in der Hauptsache die Verfassungswidrigkeit des Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetzes feststellt.
Eine Verzögerung der Gewährleistungsübernahme werde mangels einer akuten Notstandslage zu keinen wesentlichen Nachteilen für das Gemeinwohl führen. Der Schaden, der für das Euro-Währungssystem aus der Umsetzung der rechtswidrigen Beschlüsse über den Euro-Stabilisierungsmechanismus vom 9. Mai 2010 entstehe, sei demgegenüber unermesslich groß. Für die Bundesrepublik Deutschland könne zudem angesichts des Volumens der vorgesehenen Bürgschaften (mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts) immenser Schaden entstehen, wenn die einmal eingegangenen Bürgschaften eingelöst werden müssten.
III.
Der Deutsche Bundestag, die Bundesregierung und die Europäische Zentralbank haben zu dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
B.
I.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat sich mit Verkündung des Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetzes am 22. Mai 2010 erledigt, soweit dem Bundespräsidenten bis zur Entscheidung in der Hauptsache untersagt werden sollte, dieses Gesetz zu verkünden. Im Übrigen ist der Antrag jedenfalls unbegründet.
II.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer verfassungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 ≪3≫; 82, 310 ≪312≫; 94, 166 ≪216 f.≫; 104, 23 ≪27≫; 106, 51 ≪58≫), der noch weiter verschärft wird, sobald eine Maßnahme mit völkerrechtlichen oder außenpolitischen Auswirkungen betroffen ist (vgl. auch BVerfGE 83, 162 ≪171 f.≫; 88, 173 ≪179≫; 89, 38 ≪43≫; 108, 34 ≪41≫; 118, 111 ≪122≫).
Dabei müssen die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 89, 38 ≪44≫; 118, 111 ≪122≫). Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 ≪371≫; 106, 351 ≪355≫; 108, 238 ≪246≫; stRspr).
2. Der Antrag auf Erlass der begehrten Anordnung bleibt ungeachtet der Frage, ob der Antrag im Hinblick darauf, dass er vor Verkündung des mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Gesetzes gestellt worden ist, unzulässig sein könnte (vgl. BVerfGE 11, 339 ≪342≫), sowie offener Fragen der Zulässigkeit und Begründetheit der Verfassungsbeschwerde (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 7. Mai 2010, a.a.O., S. 1587) jedenfalls aufgrund der gebotenen Folgenabwägung ohne Erfolg.
a) Ergeht die einstweilige Anordnung, erweist sich aber ein Gebrauchmachen von der Gewährleistungsermächtigung später als verfassungsrechtlich zulässig, drohen der Allgemeinheit schwere Nachteile.
Der „Euro-Rettungsschirm” und der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB sollen einem Vertrauensverlust in die Zahlungsfähigkeit einzelner Staaten der Euro-Gruppe entgegenwirken. Die Bundesrepublik Deutschland trägt im Rahmen dieser Sicherungsmaßnahmen gemäß ihrer wirtschaftlichen Leistungskraft einen erheblichen Anteil. Würde die Bundesrepublik Deutschland, die an den Finanzmärkten als uneingeschränkt solvent gilt, durch den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ihre Zusagen auch nur vorübergehend aussetzen müssen, könnte dies nach Einschätzung der Bundesregierung bereits zu einer Vertrauensminderung an den Märkten führen, deren Folgewirkungen nicht absehbar sind.
Diese Einschätzung der Bundesregierung wird zwar von dem Beschwerdeführer nicht geteilt, der in den Maßnahmen gerade für die Stabilität der europäischen Währung eher zusätzliche Risiken sieht. Das Bundesverfassungsgericht kann aber im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes diese Frage nicht aufklären und muss dies auch nicht tun, weil die auf eine Prognose von Marktreaktionen gerichtete Einschätzung der Bundesregierung jedenfalls nicht eindeutig widerlegt ist. Bei der Beurteilung außenpolitischer Situationen, zu der hier auch die Lage der internationalen Finanzmärkte zu rechnen ist, kommt der Bundesregierung im gewaltenteiligen System aufgrund ihrer fachlichen Zuständigkeit, ihrer besonderen Sachnähe und ihrer politischen Verantwortlichkeit ein Einschätzungsvorrang zu, der vorbehaltlich eindeutiger Widerlegung vom Bundesverfassungsgericht zu respektieren ist (vgl. BVerfGE 97, 350 ≪376≫; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 7. Mai 2010, a.a.O., S. 1587).
Ein auch nur vorübergehender Rückzug Deutschlands aus den Rettungsmaßnahmen würde nicht nur das Volumen des „Euro-Rettungsschirms” anteilig vermindern, sondern könnte nach Auffassung der Bundesregierung die Realisierbarkeit des Rettungspaketes jedenfalls aus Sicht der Finanzmärkte insgesamt in Frage stellen. Damit entstünden der Allgemeinheit voraussichtlich schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile. Sollte das mit dem Euro-Stabilisierungsmechanismus verfolgte Ziel verfehlt werden, mithin eine möglicherweise drohende Illiquidität an wichtigen Handelsplätzen europäischer Staatsanleihen nicht abgewendet werden können, wäre nach Auffassung der Bundesregierung die Stabilität der gesamten Europäischen Währungsunion gefährdet. Das Bundesverfassungsgericht hat keine hinreichenden Anhaltspunkte, die zu der Annahme zwingen, dass die währungs- und finanzpolitische Einschätzung der Bundesregierung fehlerhaft ist (vgl. BVerfGE 26, 259 ≪264≫; 29, 179 ≪182≫; 88, 173 ≪181≫). Vielmehr wird deren Einschätzung durch den Präsidenten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in seiner dienstlichen Erklärung vom 28. Mai 2010 und vom Präsidenten der Deutschen Bundesbank im Rahmen einer Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages vom 19. Mai 2010 (vgl. Protokoll Nr. 17/21, S. 10 f.) bestätigt. Anhaltspunkte für eine Überschreitung der Grenzen des Einschätzungsermessens durch offensichtlich nicht haltbare Annahmen und Schlussfolgerungen ergeben sich danach nicht.
b) Demgegenüber wiegen die Nachteile weniger schwer, die entstehen, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, das Gebrauchmachen von der Gewährleistungsermächtigung sich später aber als unzulässig erweist.
Ein wesentlicher Schaden erwächst dem Gemeinwohl nicht aus der bloßen Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Bundes im Eintrittsfall, also der drohenden Notlage eines Staates der Euro-Gruppe, deren Wahrscheinlichkeit die Bundesregierung für gering hält. Der Beschwerdeführer hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass demgegenüber seine Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte, insbesondere aus Art. 14 GG, unmittelbar gerade in Folge einer etwaigen Übernahme von Kreditgarantien oder des Aufkaufs von Staatsanleihen durch die EZB bereits schwer und irreversibel beeinträchtigt sein könnten. Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, die Enttäuschung des Rechtsvertrauens durch die von ihm behauptete Verletzung der europäischen Verträge führe zu einer irreversiblen Schädigung der Gemeinschaftswährung, setzt er sich damit in Widerspruch zur Einschätzung der Bundesregierung, die das Bundesverfassungsgericht aus den genannten Gründen zu respektieren hat.
Unterschriften
, Voßkuhle, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 2368765 |
BVerfGE 2011, 158 |
BB 2010, 1456 |