Verfahrensgang
LG Würzburg (Beschluss vom 03.01.2006; Aktenzeichen 6 Qs 338/2005) |
AG Würzburg (Beschluss vom 07.12.2005; Aktenzeichen 1 Gs 3708/05) |
Tenor
- Der Beschluss des Landgerichts Würzburg vom 3. Januar 2006 – 6 Qs 338/2005 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben, und die Sache wird an das Landgericht Würzburg zurückverwiesen.
- Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht angenommen, weil sie unzulässig ist.
- Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu drei Vierteln zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Prüfungsmaßstab des Beschwerdegerichts bei der Überprüfung der Anordnung einer Blutentnahme aufgrund von Gefahr im Verzug.
I.
1. Das Amtsgericht hatte die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers wegen des Verdachts der Hehlerei angeordnet. Den mit der Durchsuchung beauftragten Polizeibeamten verwehrte der Beschwerdeführer zunächst den Zutritt zu seiner Wohnung. Bei der anschließenden Wohnungsnachschau wurden Tabakreste in der Toilettenschüssel und eine Plastikdose mit vermeintlichen Cannabis-Anhaftungen aufgefunden, die jedoch nicht sichergestellt wurde. Nachdem der Beschwerdeführer die freiwillige Abgabe einer Urinprobe zur Überprüfung etwaigen Cannabis-Konsums verweigert hatte, wurde durch die Staatsanwaltschaft um 9:00 Uhr eine Blutentnahme angeordnet und von einem Arzt durchgeführt.
2. Auf den Antrag des Beschwerdeführers entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO bestätigte das Amtsgericht mit Beschluss vom 7. Dezember 2005 die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Blutentnahme. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Landgericht mit Beschluss vom 3. Januar 2006. Die mit der Beschwerde unter anderem angesprochene Frage der Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft erörterten beide Gerichte nicht.
3. Mit seiner fristgerecht eingelegten Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Landgerichts vom 3. Januar 2006, den Beschluss des Amtsgerichts vom 7. Dezember 2005 und die staatsanwaltliche Anordnung der Blutentnahme vom 28. Oktober 2005. Er rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 20 Abs. 3, Art. 101 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG. Er trägt vor, die Voraussetzungen für eine staatsanwaltliche Anordnung der Blutentnahme nach § 81a Abs. 2 StPO hätten nicht vorgelegen. Außerdem habe die Blutentnahme kein geeignetes und erforderliches Mittel zum Nachweis des Besitzes von Betäubungsmitteln dargestellt. Da ihm auf der Dienststelle von Polizeibeamten verweigert wurde, die Toilette aufzusuchen, sei Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden.
II.
1. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hatte Gelegenheit zur Äußerung. Es hat eine Stellungnahme nicht abgegeben.
2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 862 Js 22814/05 der Staatsanwaltschaft Würzburg vorgelegen.
III.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen die staatsanwaltliche Anordnung vom 28. Oktober 2005 und gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 7. Dezember 2005 wendet; diese Akte öffentlicher Gewalt sind durch den Beschluss des Landgerichts vom 3. Januar 2006 prozessual überholt. Es fehlt insoweit an einer Beschwer.
2. Soweit sich der Beschwerdeführer dagegen wendet, ihm sei von Polizeibeamten der Gang zur Toilette verweigert worden, ist der Rechtsweg nicht erschöpft (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Der Beschwerdeführer hätte hiergegen zunächst mit dem Antrag nach § 23 EGGVG vorgehen müssen.
IV.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die insoweit zulässige Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer ergebenden Weise offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung notwendigen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪39 ff.≫; 96, 44 ≪51 ff.≫; 103, 142 ≪150 ff.≫).
Der Beschluss des Landgerichts vom 3. Januar 2006 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG.
1. Das Recht auf effektiven Rechtsschutz garantiert bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung. Art. 19 Abs. 4 GG umfasst zwar nicht das Recht auf Überprüfung der richterlichen Entscheidung; sehen die Prozessordnungen allerdings eine weitere gerichtliche Instanz vor, so sichert Art. 19 Abs. 4 GG die Effektivität des Rechtsschutzes auch insoweit (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪401 ff.≫ m.w.N.). Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ist nur dann gegeben, wenn das zur nachträglichen Überprüfung berufene Gericht die Voraussetzungen des Exekutivakts vollständig eigenverantwortlich nachprüft.
Die Erledigung eines Eingriffs steht einem Rechtsschutzbedürfnis nicht von vornherein entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Notwendigkeit eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes auch in Fällen anerkannt, in denen gegen schwer wiegende Grundrechtseingriffe durch die Exekutive – z.B. Wohnungsdurchsuchungen und freiheitsentziehende Maßnahmen – oder nahe liegende Willkür eines Hoheitsträgers vor Erledigung der Maßnahme kein gerichtlicher Rechtsschutz erlangt werden kann (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪40≫; 104, 220 ≪233≫; Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2002 – 2 BvR 553/01 –, NJW 2002, S. 2699 ≪2700≫, vom 13. März 2002 – 2 BvR 261/01 –, NJW 2002, S. 2700 ≪2701≫ und vom 8. April 2004 – 2 BvR 1811/03 –, NStZ-RR 2004, S. 252 ≪253≫).
Jedenfalls soweit das Handeln der Exekutive auf der Inanspruchnahme einer originär gerichtlichen Eingriffsbefugnis beruht, erstreckt sich das Gebot effektiven Rechtsschutzes in diesen Fällen auch auf Dokumentations- und Begründungspflichten der anordnenden Stelle, die eine umfassende und eigenständige nachträgliche gerichtliche Überprüfung der Anordnungsvoraussetzungen ermöglichen sollen. Kommt die anordnende Stelle diesen Pflichten nicht nach oder lässt das überprüfende Gericht den gerichtlichen Rechtsschutz “leer laufen”, indem es dem Betroffenen eine eigene Sachprüfung versagt, kann dies eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG begründen (vgl. BVerfGE 103, 142 ≪156 ff.≫; BVerfGK 2, 310 ≪315 f.≫; Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Januar 2002 – 2 BvR 1473/01 –, StV 2002, S. 348 und vom 3. Dezember 2002 – 2 BvR 1845/00 –, NJW 2003, S. 2303 f.). Diese Maßstäbe gelten grundsätzlich auch für Maßnahmen, die nicht – wie die Wohnungsdurchsuchung – einem verfassungsrechtlichen, sondern nur einem einfachgesetzlichen Richtervorbehalt unterliegen (vgl. BVerfGK 5, 74 ≪81≫), sind aber auf Maßnahmen, die noch vor ihrer Erledigung gerichtlich überprüft werden können, wie z.B. Beschlagnahmeanordnungen, nicht ohne weiteres übertragbar (vgl. BVerfGK 1, 65; Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Oktober 2004 – 2 BvR 1714/04 –, juris und vom 12. Februar 2004 – 2 BvR 2009/03 –, juris).
2. Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG, weil das Landgericht die Voraussetzungen der staatsanwaltlichen Eilkompetenz nicht geprüft hat. Dabei bedarf es hier keiner Entscheidung, ob die zur Wohnungsdurchsuchung entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäbe auf die Maßnahme der körperlichen Untersuchung des Beschuldigten nach § 81a StPO in vollem Umfang übertragbar sind.
a) Auch im Falle einer Blutentnahme nach § 81a StPO muss jedenfalls eine effektive nachträgliche gerichtliche Kontrolle staatsanwaltschaftlicher Eilanordnungen gewährleistet sein, die dem Beschwerdeführer versagt geblieben ist.
Die Blutentnahme nach § 81a StPO ist insoweit mit der Durchsuchung von Wohnräumen vergleichbar, als es sich regelmäßig um eine Maßnahme handelt, deren direkte Belastung sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. Die Frage, ob es sich bei der Anordnung einer Blutentnahme um einen schwer wiegenden Grundrechtseingriff handelt, kann dahinstehen, da die Inanspruchnahme der staatsanwaltlichen Eilkompetenz hier jedenfalls ein objektiv willkürliches Vorgehen nahe legt.
Nach § 81a Abs. 2 StPO steht die Anordnung der Blutentnahme grundsätzlich dem Richter zu. Der Richtervorbehalt – auch der einfachgesetzliche – zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten gegenwärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl. BVerfGE 96, 44 ≪51 ff.≫; 103, 142 ≪151≫ m.w.N.). Nur bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung besteht auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen (vgl. BVerfGE 103, 142 ≪155 f.≫; BVerfGK 2, 254 ≪257≫). Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (vgl. BVerfGE 103, 142 ≪160≫; BVerfGK 2, 310 ≪315 f.≫; 5, 74 ≪79≫). Das Vorliegen einer solchen Gefährdung unterliegt der vollständigen, eine Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen ausschließenden gerichtlichen Überprüfung (vgl. BVerfGE 103, 142 ≪156 f.≫).
b) Hier haben sich die Fachgerichte zur Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft nicht geäußert, obwohl der Beschwerdeführer diesen Gesichtspunkt mit seiner Beschwerde ausdrücklich gerügt hat. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs begründende einzelfallbezogene Tatsachen wurden von der die Blutentnahme anordnenden Staatsanwaltschaft nicht in den Ermittlungsakten vermerkt. Da der Zweck der Maßnahme – die Überprüfung, ob der Beschwerdeführer Umgang mit Betäubungsmitteln hatte, was für das gegen ihn eingeleitete Verfahren wegen unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes mittelbar von Bedeutung sein konnte – auch nach Einholung einer richterlichen Anordnung noch erreichbar war und im Übrigen durch nichts belegt ist, dass diese – um 9:00 Uhr morgens – nicht hätte erlangt werden können, lagen die Voraussetzungen einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs objektiv nicht vor. Dies hat das Landgericht in nicht vertretbarer Weise missachtet, indem es die Frage der Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft nicht erörtert und die Anordnung als rechtmäßig erachtet hat. Damit hat es dem Beschwerdeführer effektiven Rechtsschutz durch eine eigene Sachprüfung versagt.
3. Da die angegriffene Entscheidung somit schon wegen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG aufzuheben ist, kann dahinstehen, ob das Landgericht die Bedeutung anderer Grundrechte, namentlich von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, verkannt hat, in denen der Beschwerdeführer durch die Blutentnahme verletzt sein könnte, zumal in erster Linie die dafür zuständigen Strafgerichte zu entscheiden haben, ob die Voraussetzungen des § 81a StPO im Einzelfall vorliegen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. August 1996 – 2 BvR 1511/96 –, NJW 1996, S. 3071 ≪3072≫).
4. Die Entscheidung ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen.
5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 1705207 |
NJW 2007, 1345 |
JR 2007, 516 |
DVP 2007, 481 |
NZV 2007, 581 |
Kriminalistik 2007, 406 |
Kriminalistik 2007, 434 |
NJW-Spezial 2007, 281 |
NPA 2008 |
PA 2007, 91 |
RÜ 2007, 375 |
StRR 2007, 103 |
StV 2007, 281 |
VRA 2007, 109 |
VRR 2007, 150 |
BA 2008, 71 |
www.judicialis.de 2007 |