Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer „Gegenvorstellung” als Anhörungsrüge gegen Kostenentscheidung
Leitsatz (redaktionell)
Da sich das erkennbare Rechtsschutzziel der „Gegenvorstellung” als Anhörungsrüge durch Auslegung eindeutig erschließt, stellt sich hier nicht die – in der Rechtsprechung der Fachgerichte verneinte – Frage nach der Möglichkeit einer Umdeutung der Prozesserklärung eines rechtskundigen Beraters. Zwar ist der vor dem Bundesfinanzhof postulationsfähige Personenkreis (vgl. § 62 Abs. 4 FGO) grundsätzlich beim Wort zu nehmen. Ungeachtet dessen kann jedoch dann, wenn ein Rechtsbehelf ausschließlich auf die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestützt wird, schon im Wege der Auslegung von einer Anhörungsrüge gemäß § 133a FGO ausgegangen werden.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO §§ 133a, 128 Abs. 4 S. 1, § 138 Abs. 2
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Beschluss vom 18.03.2011; Aktenzeichen 11 V 498/10) |
Niedersächsisches FG (Beschluss vom 07.02.2011; Aktenzeichen 11 V 498/10) |
Tenor
1. Der Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 7. Februar 2011 – 11 V 498/10 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache an das Niedersächsische Finanzgericht zurückverwiesen.
Damit wird der Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 18. März 2011 – 11 V 498/10 – gegenstandslos.
2. Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
3. Der Gegenstandswert wird auf 10.000 EUR (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft zwei Beschlüsse des Niedersächsischen Finanzgerichts. Der Kostenbeschluss und der Beschluss über die hiergegen erhobene Anhörungsrüge sind in einem Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids ergangen, nachdem beide Seiten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hatten.
I.
Das Finanzamt H. nahm den Beschwerdeführer als ehemaligen Geschäftsführer einer Limited-Gesellschaft für Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag in Anspruch. Der Beschwerdeführer legte fristgemäß Einspruch ein und begründete diesen.
Am 16. November 2010 kündigte das Finanzamt gegenüber dem Beschwerdeführer die Vollstreckung des Haftungsbescheids an. Der Beschwerdeführer beantragte beim Finanzamt mit Anwaltsschriftsatz vom 22. November 2010 die Aussetzung der Vollziehung. Nach Ablauf der von ihm gesetzten Frist stellte der Rechtsanwalt und Bevollmächtigte des Beschwerdeführers am 8. Dezember 2010 einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim Finanzgericht.
In einem Schreiben, das dem Bevollmächtigten am 9. Dezember 2010 zuging, verwies das Finanzamt darauf, dass über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung noch nicht entschieden worden sei und die mit dem Haftungsbescheid festgesetzten Beträge bis zur Entscheidung fällig und vollstreckbar blieben.
Mit Bescheid vom 10. Dezember 2010 hob das Finanzamt den Haftungsbescheid auf. Vor diesem Hintergrund erklärten der Beschwerdeführer und das Finanzamt die Hauptsache schließlich für erledigt. Sie beantragten, die Kosten des Verfahrens dem jeweils anderen Beteiligten aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
II.
1. In dem angegriffenen Beschluss des Finanzgerichts vom 7. Februar 2011 entschied die Berichterstatterin, dass der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens zu tragen habe. Dies entspreche billigem Ermessen, denn der Antragsteller habe, ohne vorher beim Finanzamt die Aussetzung der Vollziehung zu beantragen, unmittelbar einen Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO gestellt. Es entspreche allgemeinem Gerechtigkeitsempfinden, bei der Entscheidung über die Kostenlast insbesondere den Umstand zu berücksichtigen, dass die Gerichtskosten vermeidbar gewesen wären, wenn der Antragsteller sich rechtzeitig an das Finanzamt gewandt hätte.
2. Der Beschwerdeführer erhob durch seinen Bevollmächtigten „Gegenvorstellungen gegen den Beschluss vom 07.02.2011 mit Rücksicht auf Artikel 103 Absatz 1 GG”. Das Gericht habe Vortrag des Beschwerdeführers übersehen. Mit Schreiben vom 22. November 2011 sei bereits gegenüber dem Finanzamt die Aussetzung der Vollziehung beantragt und die Antragstellung bei Gericht angekündigt worden. Da ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG natürlich nur auf einem Versehen des Gerichts beruhen könne, rechne man „mit der Abänderung der Entscheidung vom 07.02.2011 allein aufgrund dieser Gegenvorstellungen”.
In einem Hinweisschreiben vom 28. Februar 2011 wies die Berichterstatterin unter anderem darauf hin, ihres Erachtens sei der außerordentliche Rechtsbehelf der „Gegenvorstellung” gegen die rechtskräftige Kostenentscheidung des Gerichts mit der Begründung eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG unzulässig. Ein möglicher Verstoß des Gerichts gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) hätte allenfalls in Form der Anhörungsrüge gemäß § 133a FGO geltend gemacht werden können. Eine Umdeutung scheide nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs aus (Hinweis auf Beschluss des BFH vom 21. Dezember 2006 – V S 33/06 –, BFH/NV 2007, S. 747).
In dem angegriffenen Beschluss vom 18. März 2011 verwarf das Finanzgericht die Gegenvorstellung als unzulässig. Im Tatbestand des Beschlusses wird erwähnt, der Beschwerdeführer habe am 22. November 2010 beim Finanzamt und am 9. Dezember 2010 beim Finanzgericht die Aussetzung der Vollziehung beantragt. Die „Gegenvorstellung” habe keinen Erfolg. Seit dem 1. Januar 2005 könne, um eine Gehörsverletzung zu rügen, nur noch die fristgebundene Anhörungsrüge (§ 133a FGO) erhoben werden. Die Statthaftigkeit der Gegenvorstellung neben der Anhörungsrüge könne der Senat offenlassen. Die Gegenvorstellung komme allenfalls bei schwerwiegenden Grundrechtsverstößen oder Fehlen jeglicher gesetzlicher Grundlage in Betracht. Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, das Gericht sei in seiner Kostenentscheidung von einem falschen Sachverhalt ausgegangen, weil er bereits vor seinem gerichtlichen Antrag auch beim Finanzamt einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt habe, könne er damit im Verfahren der Gegenvorstellung nicht gehört werden. Denn es handle sich um Einwendungen, die das rechtliche Gehör beträfen und damit nach der gesetzgeberischen Entscheidung nur im Rahmen einer Anhörungsrüge gemäß § 133a FGO gewürdigt werden könnten.
Eine Umdeutung der von fachkundigen Prozessvertretern ausdrücklich als solche erhobenen Gegenvorstellung in eine Anhörungsrüge scheide aus (Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 21. Dezember 2006 – V S 33/06 – sowie auf die dort zitierten weiteren BFH-Beschlüsse vom 30. Juni 2005 – III B 63/05 –, vom 6. Juli 2005 – VII S 30/05 – und vom 10. August 2005 – XI S 2/05 –). Es sei ein Gebot der Rechtssicherheit, Rechtskundige mit ihrer Prozesserklärung beim Wort zu nehmen (Hinweis auf BFH-Beschluss vom 4. November 2008 – V B 114/08 –, BFH/NV 2009, S. 400).
III.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer Verstöße gegen das Willkürverbot und gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
Aufgrund der mit Verstößen gegen Art. 103 GG begründeten Gegenvorstellungen sei der Rechtsweg erschöpft. Die Gegenvorstellungen hätten als ein Rechtsmittel gemäß § 133a FGO umgedeutet oder ausgelegt werden müssen.
Die Kostenentscheidung verstoße gegen das Willkürverbot, weil sie jeder gesetzlichen Grundlage entbehre. Entgegen seiner ursprünglichen Position habe das Finanzamt nachgegeben, indem es die Grundlage für die Vollstreckungsankündigung, den Haftungsbescheid, aufgehoben habe. Es sei kein Argument denkbar, welches bei der Kostenentscheidung zu seinen Lasten eingesetzt werden könnte. Das Gericht habe ein solches Argument auch nicht vorgebracht.
IV.
Das Niedersächsische Justizministerium und das Finanzamt H. hatten Gelegenheit zur Äußerung. Dem Bundesverfassungsgericht liegt die Akte des Ausgangsverfahrens vor.
V.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und gemäß der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in einer die Kammerzuständigkeit begründenden Weise offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere steht der Grundsatz der Rechtswegerschöpfung ihrer Zulässigkeit nicht entgegen.
a) Wird mit der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend gemacht, so gehört eine Anhörungsrüge an das Fachgericht zu dem Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG im Regelfall abhängig ist (vgl. BVerfGE 122, 190 ≪198≫; 126, 1 ≪17≫; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 16. Juli 2013 – 1 BvR 3057/11 –, NJW 2013, S. 3506 ≪3507 Rn. 22≫).
Die Frage der ordnungsgemäßen Rechtswegerschöpfung betrifft die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, deren Voraussetzungen das Bundesverfassungsgericht in eigener Zuständigkeit zu prüfen und über die es allein zu entscheiden hat. Aus der fachgerichtlichen Verwerfung eines Rechtsbehelfs als unzulässig kann daher nicht automatisch geschlossen werden, der Rechtsweg sei nicht ordnungsgemäß erschöpft worden (vgl. BVerfGE 128, 90 ≪99 f.≫; BVerfGK 11, 203 ≪205 f.≫; Lenz/Hansel, BVerfGG, 1. Auflage 2013, § 90 Rn. 428 ff.).
b) Hiervon ausgehend hat der Beschwerdeführer trotz der Bezeichnung seines Rechtsbehelfs als „Gegenvorstellungen” dem Erfordernis der Anhörungsrüge genügt und den Rechtsweg gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG in ordnungsgemäßer Weise erschöpft.
aa) Die Anhörungsrüge gemäß § 133a FGO war zur Geltendmachung des gerügten Gehörsverstoßes notwendig, da es sich bei einer Kostenentscheidung im Anschluss an übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten um eine Endentscheidung im Sinne des § 133a Abs. 1 FGO handelt, gegen die ein Rechtsbehelf zum Bundesfinanzhof nicht eröffnet ist (vgl. § 128 Abs. 4 Satz 1 FGO). Die Anhörungsrüge war, wie sich aus den nachfolgenden Beschlussgründen ergibt, auch nicht offensichtlich aussichtslos.
Der entsprechende Schriftsatz des Bevollmächtigten ging innerhalb der Zweiwochenfrist des § 133a Abs. 2 Satz 1 FGO beim Finanzgericht ein.
bb) Der in dem Schreiben des Bevollmächtigten vom 23. Februar 2011 als Gegenvorstellung bezeichnete Rechtsbehelf erweist sich bei der gebotenen wohlwollenden Auslegung als Anhörungsrüge.
Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO, der in allen Verfahren zu beachten ist, darf das Finanzgericht über das Klage- oder Antragsbegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden (vgl. Stapperfend, in: Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 96 Rn. 5). Maßgeblich ist das aus dem Gesamtvorbringen durch Auslegung zu ermittelnde Rechtsschutzziel (vgl. zu dem § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO entsprechenden § 88 VwGO den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. März 2013 – BVerwG 5 B 9/13 –, juris). Geleitet durch Art. 19 Abs. 4 GG ist die Auslegung grundsätzlich wohlwollend am erkennbaren Rechtsschutzanliegen zu orientieren (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 16. Juli 2013 – 1 BvR 3057/11 –, NJW 2013, S. 3506 ≪3507 Rn. 25≫).
Bei einer Gegenvorstellung, mit der eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG gerügt wird, spricht schon auf den ersten Blick sehr viel für das Vorliegen einer Anhörungsrüge. Dass der Beschwerdeführer trotz fehlender Bezeichnung eine Anhörungsrüge erhoben hat, ist bereits daraus ersichtlich, dass das Finanzgericht die das rechtliche Gehör betreffenden Einwendungen als solche erkannt und benannt hat. Die Auslegung des Schriftsatzes vom 23. Februar 2011 als Anhörungsrüge entspricht hier dem klar erkennbaren Willen des Beschwerdeführers. Dessen „Gegenvorstellungen” dienten allein der Geltendmachung einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die diesbezügliche Rüge kommt in der zweimaligen ausdrücklichen Bezugnahme auf Art. 103 Abs. 1 GG eindeutig zum Ausdruck.
Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung des Finanzgerichts, es liege ein Verfahren der Gegenvorstellung vor, die das rechtliche Gehör betreffenden Einwendungen des Beschwerdeführers könnten jedoch nur im Rahmen der nicht erhobenen Anhörungsrüge gewürdigt werden, zu eng (vgl. Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 133a FGO, Rn. 6; Ruban, in: Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 133a Rn. 12 a.E.; Lenz/Hansel, BVerfGG, 1. Aufl. 2013, § 90 Rn. 424; vgl. auch BVerfGK 13, 480 ≪481≫ und Beschluss des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg vom 28. September 2006 – VfGBbg 17/06 –, juris); sie wird dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Grundsatz wohlwollender Auslegung prozessualer Anträge im Sinne des erkennbaren Rechtsschutzanliegens nicht gerecht.
Da sich das erkennbare Rechtsschutzziel der „Gegenvorstellungen” als Anhörungsrüge durch Auslegung eindeutig erschließt, stellt sich hier nicht die – in der Rechtsprechung der Fachgerichte verneinte – Frage nach der Möglichkeit einer Umdeutung der Prozesserklärung eines rechtskundigen Beraters. Zwar ist der vor dem Bundesfinanzhof postulationsfähige Personenkreis (vgl. § 62 Abs. 4 FGO) grundsätzlich beim Wort zu nehmen (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 21. Dezember 2006 – V S 33/06 –, BFH/NV 2007, S. 747, vom 21. August 2007 – X B 160/07 –, juris, vom 4. November 2008 – V B 114/08 –, BFH/NV 2009, S. 400, vom 11. März 2009 – VI S 11/08 –, juris, vom 22. März 2011 – X B 198/10 –, BFH/NV 2011, S. 1166 und vom 14. Februar 2012 – IV S 1/12 –, BFH/NV 2012, S. 967), ungeachtet dessen kann jedoch dann, wenn ein Rechtsbehelf ausschließlich auf die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestützt wird, schon im Wege der Auslegung von einer Anhörungsrüge gemäß § 133a FGO ausgegangen werden (so zur Auslegung einer „sofortigen Beschwerde” als Anhörungsrüge Bundesfinanzhof, Beschluss vom 2. Oktober 2012 – I S 12/12 –, BFH/NV 2013, S. 733 unter Bezugnahme auf das Gebot der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Prozesserklärungen).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, da das Finanzgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt hat. Die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG erfolgte bereits durch den ursprünglichen Kostenbeschluss vom 7. Februar 2011; der Beschluss des Finanzgerichts vom 18. März 2011 hat sie nicht beseitigt.
a) Der Kostenbeschluss der Berichterstatterin vom 7. Februar 2011 verletzt Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Gericht entscheidungserheblichen Vortrag des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen hat.
aa) Die Garantie rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 11, 218 ≪220≫; 72, 119 ≪121≫; 86, 133 ≪145≫; 96, 205 ≪216≫; BVerfGK 10, 41 ≪45≫; stRspr). Hingegen gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (vgl. BVerfGE 21, 191 ≪194≫; 70, 288 ≪294≫; 96, 205 ≪216≫; stRspr). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Das Bundesverfassungsgericht kann nur dann feststellen, dass ein Gericht seine Pflicht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, verletzt hat, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (vgl. BVerfGE 22, 267 ≪274≫; 96, 205 ≪216 f.≫; stRspr).
Derartige besondere Umstände liegen hier vor. Die Berichterstatterin nahm im Kostenbeschluss vom 7. Februar 2011 irrtümlich an, der Beschwerdeführer habe vor seinem Antrag beim Finanzgericht keinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim Finanzamt gestellt. Ausgehend von dieser nach Lage der Akte des Finanzgerichts unzutreffenden Annahme stützte die Berichterstatterin die Kostentragung des Beschwerdeführers auf die Vermeidbarkeit der Kostenentstehung.
bb) Der angegriffene Kostenbeschluss beruht auf der Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beachtung des rechtlichen Gehörs zu einer anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung geführt hätte (vgl. BVerfGE 7, 239 ≪241≫; 18, 147 ≪150≫; 112, 185 ≪206≫).
Gemäß § 138 Abs. 2 FGO sind die Kosten grundsätzlich der Behörde aufzuerlegen, soweit ein Rechtsstreit dadurch erledigt wird, dass einem Antrag durch Rücknahme oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts stattgegeben wird. Es spricht sehr viel dafür, dass das Finanzgericht, wenn es eine Anhörungsrüge als gegeben und als zulässig erhoben angesehen hätte, diese auch für begründet erachtet hätte und auf diese Weise zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Kostenentscheidung gelangt wäre. Insbesondere dürften beide – jeweils für sich genommen hinreichenden – Varianten des § 69 Abs. 4 Satz 2 FGO (vgl. Koch, in: Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 69 Rn. 76 ff.) erfüllt gewesen sein.
b) Die Gehörsverletzung ist durch den zweiten Beschluss des Finanzgerichts vom 18. März 2011 nicht geheilt worden. Zwar wurde der ursprüngliche Beschluss durch den Beschluss des Senats auf der Tatbestandsebene dahin korrigiert, dass nunmehr der beim Finanzamt gestellte Antrag des Beschwerdeführers auf Aussetzung der Vollziehung vom 22. November 2010 ausdrücklich festgestellt wurde. Eine sachliche Würdigung nahm das Finanzgericht hiervon ausgehend jedoch nicht vor. In den Gründen des Beschlusses führte es vielmehr aus, der Beschwerdeführer könne im Verfahren der Gegenvorstellung nicht mit dem Einwand gehört werden, das Gericht sei im Kostenbeschluss von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Es handle sich bei den Einwendungen um solche, die das rechtliche Gehör beträfen, und damit nach der gesetzgeberischen Entscheidung nur im Rahmen einer Anhörungsrüge gemäß § 133a FGO gewürdigt werden könnten.
3. Gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG ist der angegriffene Kostenbeschluss der Berichterstatterin vom 7. Februar 2011 aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das Niedersächsische Finanzgericht zurückzuverweisen. Der die Gehörsverletzung nicht heilende Beschluss vom 18. März 2011 wird dadurch gegenstandslos, so dass es keiner Entscheidung bedarf, ob das Finanzgericht mit seinem Festhalten an der Auslegung des ursprünglichen Rechtsbehelfs als Gegenvorstellung Art. 19 Abs. 4 GG oder Art. 103 Abs. 1 GG verletzt hat. Ebenso kann hier offen bleiben, ob die angegriffenen Entscheidungen gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.
VI.
Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫).
Unterschriften
Kirchhof, Eichberger, Britz
Fundstellen
BFH/NV 2014, 813 |
HFR 2014, 441 |
NJW 2014, 991 |