Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Gegenstand der zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden ist die sogenannte “Negativ-Liste”, mit der Arzneimittel von der Versorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung ausgenommen sind.
I.
1. Die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben gemäß § 31 Abs. 1 SGB V grundsätzlich einen Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Nach § 34 Abs. 3 SGB V in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2477) kann der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung allerdings durch Rechtsverordnung “unwirtschaftliche Arzneimittel” von der Versorgung durch die GKV ausschließen.
Von dieser Ermächtigung machte der Bundesminister mit der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 21. Februar 1990 (BGBl I S. 301; im folgenden: “Verordnung”) Gebrauch. Dort sind die von der Versorgung ausgeschlossenen Arzneimittel allerdings nicht mit ihren Präparat- oder Markennamen aufgeführt, sondern abstrakt nach Wirkstoffkombinationen bestimmt, so daß es für Ärzte und Krankenkassen jedenfalls nicht auf den ersten Blick feststellbar ist, ob ein bestimmtes Medikament von der Versorgung in der GKV ausgeschlossen ist. Der Gesetzgeber bestimmte deshalb in § 93 SGB V in der Fassung des Art. 1 GRG, daß der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen in regelmäßigen Zeitabständen die durch Rechtsverordnung aufgrund des § 34 Abs. 3 SGB V ganz oder für bestimmte Indikationsgebiete von der Versorgung durch die GKV ausgeschlossenen Arzneimittel in einer Übersicht zusammenstellen und im Bundesarbeitsblatt bekanntmachen solle.
Nachdem die Verordnung durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung veröffentlicht war, erstellte nicht der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen (im folgenden: “Bundesausschuß”), sondern das Bundesministerium für Gesundheit auf der Grundlage der Verordnung eine Übersicht über die von der Versorgung durch die GKV ausgenommenen Präparate. Die Übersicht übersandte der Bundesminister für Gesundheit dem Bundesausschuß. Dieser teilte daraufhin mit, er gehe davon aus, daß der Bundesminister für Gesundheit, nachdem er die Zusammenstellung selbst vorgenommen habe, auch die Veröffentlichung in die Wege leiten werde. Im folgenden entschloß sich der Bundesminister für Gesundheit, die Übersicht ohne Mitwirken des Bundesausschusses zu veröffentlichen. Hiergegen wandten sich – letztlich erfolglos – die Beschwerdeführerinnen in den Ausgangsverfahren. Die “Übersicht des Bundesministers für Gesundheit über die durch die Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 21. Februar 1990 aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossenen Arzneimittel” (im folgenden: “Präparatübersicht”) wurde als Anlage zum Bundesanzeiger vom 1. Oktober 1991 (Nr. 184b) veröffentlicht. In der Präparatübersicht sind mehrere hundert Arzneimittel unter ihrem jeweiligen Markennamen aufgeführt.
2. Die Beschwerdeführerinnen sind Pharmaunternehmen. Sie produzieren und vertreiben Arzneimittel, die von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV ausgeschlossen und in der Präparatübersicht enthalten sind. In den Ausgangsverfahren begehrten sie, dem Bundesminister für Gesundheit die Veröffentlichung der Präparatübersicht im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen.
Vor dem Sozialgericht hatten die Beschwerdeführerinnen Erfolg. Das Sozialgericht untersagte dem Bundesminister für Gesundheit die Veröffentlichung der Präparatübersicht, soweit diese die Präparate der Beschwerdeführerinnen enthalte. Es verletze die Beschwerdeführerinnen in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG, wenn der Bundesminister für Gesundheit die Präparatübersicht erstelle und veröffentliche, obwohl der Gesetzgeber diese Aufgabe in § 93 SGB V ausschließlich dem Bundesausschuß zugewiesen habe.
3. Das Landessozialgericht hob mit den angegriffenen – gleichlautenden – Beschlüssen die sozialgerichtlichen Entscheidungen auf und lehnte die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf Erlaß einstweiliger Anordnungen mit im wesentlichen folgender Begründung ab:
Die Veröffentlichung der Präparatübersicht verletze die Beschwerdeführerinnen nicht in eigenen Rechten. Verordnung und Präparatübersicht richteten sich an Krankenkassen, Versicherte und Vertragsärzte, nicht aber an Pharmaunternehmen. Die Beschwerdeführerinnen seien nur mittelbar von dem Ausschluß bestimmter Arzneimittel aus der Versorgung der GKV betroffen. Grundrechte der Beschwerdeführerinnen seien dadurch nicht verletzt. Weder die Verordnung noch die Präparatübersicht berührten den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG. Die Negativ-Liste diene allein der Durchführung der Aufgaben der GKV. Der Verordnungsgeber sei nicht verpflichtet, die in der Präparatübersicht aufgeführten Arzneimittel in den Kreis der verordnungsfähigen Medikamente aufzunehmen. Ob ein bestimmtes Präparat verordnungsfähig sei, sei keine Frage der Berufsausübung, sondern des unternehmerischen Risikos. Kein Arzneimittelhersteller habe einen Anspruch auf den Verkauf seiner Erzeugnisse.
Den angeblichen Kompetenzverstoß des Bundesministers für Gesundheit könnten die Beschwerdeführerinnen nicht rügen. Dazu fehle ihnen die Betroffenheit in eigenen Rechten. Ein offensichtlich willkürlicher Kompetenzverstoß liege jedenfalls nicht vor. Unabhängig von der Rechtsnatur der Präparatübersicht müsse der Bundesminister für Gesundheit die Möglichkeit haben, die Präparatübersicht gemäß § 93 SGB V zu erstellen und zu veröffentlichen, wenn der Bundesausschuß seiner entsprechenden Pflicht nicht nachkomme. Andernfalls liefe der Ausschluß der unwirtschaftlichen Arzneimittel in der Praxis leer. Es spreche viel dafür, dem Bundesminister die Befugnis zur Veröffentlichung der Präparatübersicht im Wege der Ersatzvornahme oder jedenfalls entsprechend § 94 Abs. 1 Satz 3 SGB V zuzubilligen.
4. Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführerinnen in erster Linie dagegen, daß das Landessozialgericht bereits die Möglichkeit einer Grundrechtsbeeinträchtigung verneint hat. Tatsächlich würden die von ihnen produzierten Arzneimittel durch § 34 Abs. 3 SGB V in Verbindung mit der Verordnung und der Präparatübersicht vollständig vom Markt verschwinden. Kein Arzt verschreibe ein Medikament, das nicht von der GKV bezahlt werde. In einem Markt, in dem über 90 Prozent der Bevölkerung in der GKV zwangsversichert seien, verletze das Art. 12 Abs. 1 GG. Denn das Grundrecht verschaffe ihnen in einer solchen Situation einen Anspruch auf Zugang zum System der GKV. Die Negativ-Liste beeinträchtige – wenn auch nur mittelbar – diesen Anspruch erheblich. Sie solle das Verschreibungsverhalten der Ärzte lenken und habe mithin eine objektiv berufsregelnde Tendenz, so daß der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG berührt sei.
Wegen des Gesetzesvorbehalts in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG bedürfe es einer gesetzlichen Grundlage für die Veröffentlichung der Präparatübersicht. Der Gesetzgeber habe in § 93 SGB V die Befugnis zur Erstellung und Veröffentlichung der Präparatübersicht allein dem Bundesausschuß übertragen. Der Bundesminister für Gesundheit habe insoweit weder ein Recht zur Ersatzvornahme noch könne er eine Wahrnehmungskompetenz auf eine analoge Rechtsanwendung stützen. Dazu fehle es schon an einer Gesetzeslücke. Überdies dürften die Erstellung und Veröffentlichung der Präparatübersicht als typische Verwaltungsaufgabe nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes nicht der Bundesexekutive übertragen werden. Art. 80 Abs. 1 GG vermittele nur das Recht zum Erlaß der Verordnung, nicht jedoch die Befugnis zu ihrer verwaltungsmäßigen Umsetzung.
Im übrigen sehen sich die Beschwerdeführerinnen durch die Regelungen des § 34 Abs. 3 SGB V, der Verordnung und der Präparatübersicht in ihren Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Unter anderem verstoße es gegen den Gleichheitssatz, daß bestimmte Arzneimittel gemäß § 4 der Verordnung im Fall einer neuen oder erneuten Zulassung von dem Ausschluß aus der Versorgung durch die GKV ausgenommen seien, es aber angesichts eines rechtsstaatswidrigen Antragsstaus beim Bundesgesundheitsamt allein vom Zufall abhänge, welches Arzneimittel in den Genuß der Ausnahmeregelung komme.
5. Durch Art. 1 Nr. 50 des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266) fügte der Gesetzgeber § 93 SGB V einen zweiten Absatz an, wonach der Bundesminister für Gesundheit die Präparatübersicht zusammenstellen und im Bundesanzeiger bekannt machen kann, wenn der Bundesausschuß seiner Pflicht zur Erstellung und Veröffentlichung der Übersicht nicht in einer vom Bundesminister für Gesundheit gesetzten Frist nachkommt. § 93 Abs. 2 SGB V trat am 1. Januar 1993 in Kraft.
II.
Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 2. August 1993 (BGBl I S. 1442) – ÄndG –, die gemäß Art. 8 ÄndG auch für dieses Verfahren gelten, liegen nicht vor.
1. Den Verfassungsbeschwerden kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Sie werfen in erster Linie Fragen des Schutzbereichs und der Eingriffsvoraussetzungen von Art. 12 Abs. 1 GG auf, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärt sind (vgl. etwa BVerfGE 95, 267 ≪302≫).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist auch nicht zur Durchsetzung von Verfassungsrechten angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Es ist nicht ersichtlich, daß die Beschwerdeführerinnen durch die angegriffenen Entscheidungen einen besonders schweren Nachteil erlitten haben (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
a) Die Beschlüsse des Landessozialgerichts stehen allerdings mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht in Einklang.
aa) Die Veröffentlichung der Präparatübersicht berührte den Schutzbereich der Berufsfreiheit. Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit der beruflichen Betätigung. Der Schutz des Grundrechts ist einerseits umfassend angelegt, schützt andererseits aber nur vor solchen Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind. Es genügt also nicht, daß eine Rechtsnorm oder ihre Anwendung unter bestimmten Umständen Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit entfaltet. Das ist bei vielen Normen der Fall. Ein Eingriff in die Berufsfreiheit liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vielmehr erst dann vor, wenn die Norm selbst oder eine darauf gestützte Maßnahme berufsregelnde Tendenz hat (vgl. BVerfGE 70, 191 ≪214≫; 95, 267 ≪302≫). Die Berufstätigkeit muß freilich nicht unmittelbar betroffen sein. Vielfach lassen Normen die Berufstätigkeit selbst unberührt, verändern aber deren Rahmenbedingungen. In einem solchen Fall ist der Berufsbezug ebenfalls gegeben, wenn die Norm oder auf ihrer Grundlage ergangene Maßnahmen in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben (vgl. BVerfGE 95, 267 ≪302≫).
Im Zusammenhang mit der Negativ-Liste hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluß vom 20. September 1991 festgestellt, § 34 Abs. 3 SGB V sei eine Regelung mit einer die Berufsausübung objektiv regelnden Tendenz und deshalb an Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG zu messen (vgl. BVerfG, NJW 1992, S. 735 ≪736≫). Auch in bezug auf die Verordnung ist sie davon ausgegangen, daß diese die Grundrechte der betroffenen Pharmaunternehmen tangiere (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 735 f.). Dieser Auffassung hat sich später auch das Landessozialgericht angeschlossen (vgl. LSG NRW, MedR 1994, S. 456 ≪458≫).
Für die Präparatübersicht kann nichts anderes gelten. Sie berührt die Berufstätigkeit der Beschwerdeführerinnen zwar nicht unmittelbar. Sie steht aber – ebenso wie § 34 Abs. 3 SGB V und die Verordnung – in einem engen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit der betroffenen Pharmaunternehmen und ist eine Maßnahme mit objektiv berufsregelnder Tendenz. Aus der Sicht der betroffenen Ärzte, Krankenkassen und Pharmaunternehmen stellen sich die gesetzliche Grundlage des § 34 Abs. 3 SGB V, die darauf ergangene Verordnung sowie die daraus abgeleitete Präparatübersicht als Teile einer einheitlichen Regelung der “Negativ-Liste” dar. Auch wenn der Ausschluß der entsprechenden Arzneimittel rechtlich konstitutiv bereits mit dem Inkrafttreten der Verordnung bewirkt war (vgl. BVerfG, NJW 1992, S. 735), trat die mittelbare Beeinträchtigung der beruflichen Betätigung der Beschwerdeführerinnen, welche allein die Grundrechtsrelevanz auch von § 34 Abs. 3 SGB V und der Verordnung bewirkte, faktisch erst mit der Veröffentlichung der Präparatübersicht ein. Insoweit nimmt die Präparatübersicht an dem berufsregelnden Gehalt von Gesetz und Verordnung teil und verstärkt diesen in tatsächlicher Hinsicht, auch wenn ihr eine eigene normative Wirkung nicht zukommt. Deshalb kann die Erwägung des Landessozialgerichts aus seiner Entscheidung vom 6. Oktober 1993, die Erstellung der Präparatübersicht sei “schlichtes Verwaltungshandeln” und beeinträchtige als “Verwaltungshilfe” keine Rechte der Beschwerdeführerinnen (vgl. LSG NRW, MedR 1994, S. 456 ≪458 f.≫), die Grundrechtsrelevanz der Präparatübersicht nicht in Frage stellen. Die Präparatübersicht ist an Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG zu messen.
bb) Die Berufsausübung kann gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. Der Gesetzgeber hat in § 34 Abs. 3 SGB V eine verfassungskonforme gesetzliche Grundlage für den Ausschluß unwirtschaftlicher Arzneimittel aus der Versorgung durch die GKV geschaffen (vgl. BVerfG, NJW 1992, S. 735 ≪736 f.≫).
Die Erstellung und Veröffentlichung der Präparatübersicht finden in § 93 SGB V allerdings eine eigene Gesetzesgrundlage. Nach der ursprünglichen Gesetzesfassung war allein der Bundesausschuß mit der Aufgabe betraut, auf der Grundlage der Verordnung diejenigen Präparate zu bestimmen und in einer Übersicht zusammenzufassen, die von der Versorgung durch die GKV als “unwirtschaftlich” ausgeschlossen waren. Wenn der Gesetzgeber sich entscheidet, den Bundesausschuß, in dem die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, die Bundesverbände der Krankenkassen, die Bundesknappschaft und die Verbände der Ersatzkassen vertreten sind (§ 91 Abs. 1 SGB V), mit einer konkreten Aufgabe zu betrauen, die Grundrechtsrelevanz hat, steht es staatlichen Stellen nicht frei, von sich aus diese Aufgabe an sich zu ziehen. Das gilt auch im vorliegenden Fall. Zwar ergibt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht eindeutig, warum gerade dem Bundesausschuß und nicht etwa einem Ministerium die Zusammenstellung und Veröffentlichung der Präparatübersicht übertragen wurden. Doch ist davon auszugehen, daß die Betrauung des Bundesauschusses den Zweck hatte, in das gestufte Normgebungsverfahren dessen besonderen Sachverstand einzubeziehen. Diese Entscheidung des Gesetzgebers hat die Exekutive zu respektieren.
Die Verfassungsbeschwerden geben keinen Anlaß zu grundsätzlicher Klärung, unter welchen Voraussetzungen eine an sich nicht zuständige staatliche Stelle eine berufsregelnde Maßnahme im Wege der Ersatzvornahme oder unter Berufung auf eine analoge Gesetzesanwendung ergreifen kann, wenn die zuständige Stelle – aus welchen Gründen auch immer – ihren Aufgaben nicht nachkommt. Denn eine Ersatzvornahme ohne eine ausdrückliche Befugnis kann immer nur dann in Betracht kommen, wenn keine andere Möglichkeit besteht, die eigentlich verantwortliche Stelle zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu bewegen. Eine solche Situation lag hier aber nicht vor. Der Bundesminister für Gesundheit hätte zumindest versuchen müssen, vermöge seines Aufsichtsrechts gemäß § 91 Abs. 4 in Verbindung mit § 78 Abs. 3 Satz 1 SGB V den Bundesausschuß zur Erstellung und Veröffentlichung der Präparatübersicht zu bewegen, bevor er diese selbst veröffentlichte.
Ebensowenig kam dem Bundesminister für Gesundheit eine Kompetenz zur Veröffentlichung der Präparatübersicht aufgrund einer analogen Rechtsanwendung zu. Zwar ist das Bundessozialgericht in einem ähnlichen Verfahren – ebenso wie das Landessozialgericht in den angegriffenen Beschlüssen – davon ausgegangen, der Bundesminister für Gesundheit habe die Präparatübersicht im Wege der Ersatzvornahme analog § 94 Abs. 1 Satz 3 SGB V veröffentlicht (vgl. BSGE 79, 41 ≪48≫). Diese Rechtsauffassung nachzuprüfen, ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. Im vorliegenden Fall lagen die Voraussetzungen für eine Veröffentlichung der Präparatübersicht durch den Bundesminister für Gesundheit in entsprechender Anwendung des § 94 Abs. 1 Satz 3 SGB V aber offensichtlich nicht vor. Denn nach der im Oktober 1991 geltenden Gesetzesfassung war es Sache des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, nicht des Bundesministers für Gesundheit, die Richtlinien gemäß § 92 SGB V im Weg der Ersatzvornahme zu erlassen, falls der Bundesausschuß dies versäumte (§ 94 Abs. 1 Satz 3 SGB V in der Fassung des GRG vom 20. Dezember 1988). Erst mit Art. 1 Nr. 25 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vom 20. Dezember 1991 (BGBl I S. 2325), das am 1. Januar 1992 in Kraft trat, wurde die Befugnis zur Ersatzvornahme gemäß § 94 Abs. 1 Satz 3 SGB V dem Bundesminister für Gesundheit übertragen. Im Oktober 1991 hätte sich mithin allenfalls der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, nicht aber der Bundesminister für Gesundheit auf ein Recht zur Ersatzvornahme analog § 94 Abs. 1 Satz 3 SGB V berufen können. Außerdem hätte der Bundesminister für Gesundheit, wenn er tatsächlich im Wege der Ersatzvornahme für den Bundesausschuß hätte handeln wollen, die Präparatübersicht nicht als Anlage zum Bundesanzeiger veröffentlichen dürfen, weil nach der damaligen Gesetzeslage die Übersicht im Bundesarbeitsblatt zu veröffentlichen war (geändert durch Art. 1 Nr. 24 des Zweiten Änderungsgesetzes SGB V vom 20. Dezember 1991).
Der Kompetenzverstoß, der in der Veröffentlichung der Präparatübersicht durch den Bundesminister für Gesundheit lag, bleibt von der späteren Änderung des § 93 SGB V durch das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. Dezember 1992 unberührt. § 93 Abs. 2 SGB V trat erst am 1. Januar 1993 in Kraft. Eine rückwirkende Heilung kompetenzrechtlicher Verstöße ist nicht möglich, weil die ermächtigende Norm in Kraft gesetzt sein muß, bevor die darauf gestützte Norm oder Maßnahme ergehen kann (vgl. BVerfGE 34, 9 ≪21≫). Für die verfassungsrechtliche Prüfung der landessozialgerichtlichen Entscheidungen, welche den Gegenstand der vorliegenden Verfassungsbeschwerden bilden, war die Gesetzesänderung mithin irrelevant.
b) Die verfassungswidrige Veröffentlichung der Präparatübersicht und deren gerichtliche Ermöglichung durch die angegriffenen Entscheidungen zwingen indessen nicht zur Annahme der Verfassungsbeschwerde. Zum einen ist die Belastung der Beschwerdeführerinnen durch den gerügten Kompetenzverstoß aufgrund des besonderen Regelungsmechanismus der Negativ-Liste nur eine beschränkte. Zum anderen ist es abzusehen, daß die Beschwerdeführerinnen im Fall einer Zurückverweisung an das Landessozialgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würden. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist deshalb nicht angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
aa) Die Beschwerdeführerinnen haben vorgetragen, durch den Ausschluß ihrer Arzneimittel aus der Versorgung durch die GKV einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil erlitten zu haben. Dieser Nachteil beruht rechtlich aber nicht auf der kompetenzwidrigen Veröffentlichung der Präparatübersicht. Schon in dem Beschluß vom 20. September 1991 hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts festgestellt, daß die entsprechenden Arzneimittel rechtlich konstitutiv bereits durch § 34 Abs. 3 SGB V und die Verordnung aus der Versorgung durch die GKV ausgeschlossen werden (vgl. BVerfG, NJW 1992, S. 735). Dieser Auffassung hat sich das Bundessozialgericht angeschlossen (vgl. BSGE 79, 41 ≪44 f.≫). Schon von daher brachte die Veröffentlichung der Präparatübersicht im Oktober 1991 für die Beschwerdeführerinnen in rechtlicher Hinsicht keinen eigenständigen Nachteil mit sich.
Schließlich haben die Beschwerdeführerinnen nicht vorgetragen, daß sich der gerügte Kompetenzverstoß in irgendeiner Weise materiell negativ ausgewirkt habe. Es ist auch nicht ersichtlich, daß die von den Beschwerdeführerinnen hergestellten und vertriebenen Arzneimittel auf der Grundlage der Verordnung zu Unrecht in die Präparatübersicht aufgenommen worden waren. Soweit die Beschwerdeführerinnen in ihren Verfassungsbeschwerden im übrigen § 34 Abs. 3 SGB V und die Verordnung selber angreifen, haben sich ihre Rügen durch die bundesverfassungsgerichtliche Kammerentscheidung vom 20. September 1991 (NJW 1992, S. 735) und das Urteil des Bundessozialgerichts vom 16. Juli 1996 (BSGE 79, 41) weitgehend erledigt. Das gilt insbesondere für die Rüge, die Verordnung verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil nach § 4 der Verordnung neu zugelassene Arzneimittel von der Ausschlußwirkung nicht erfaßt seien und die Beschwerdeführerinnen allein wegen eines rechtsstaatswidrigen Antragsstaus beim Bundesgesundheitsamt noch auf eine Nachzulassung warten müßten. Das Bundessozialgericht hat einen Gleichheitsverstoß mit dem Hinweis, es gehöre zu dem vom Unternehmer zu tragenden Risiko, daß eine Genehmigung nicht sofort erreichbar sei, sowie der Erwägung, selbst eine willkürliche Behandlung von Anträgen durch die Genehmigungsbehörde könne nur Anlaß zu Beanstandungen des behördlichen Verhaltens geben, nicht aber die Verfassungsmäßigkeit der Verordnung in Frage stellen, verneint (vgl. BSGE 79, 41 ≪51≫). Dagegen ist von Verfassungs wegen nichts einzuwenden.
bb) Unabhängig davon ist deutlich abzusehen, daß das Landessozialgericht im Fall einer Zurückverweisung den Anträgen auf Erlaß einstweiliger Anordnungen nicht mehr stattgeben könnte. Mit der Veröffentlichung der Präparatübersicht im Oktober 1991 hatte sich zwar nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerinnen an einer verfassungsgerichtlichen Prüfung der angegriffenen Entscheidungen erledigt, wohl aber die Notwendigkeit, einstweiligen Rechtsschutz gegen die geplante Veröffentlichung zu erhalten. Selbst unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe müßte das Landessozialgericht die Anträge auf Erlaß einstweiliger Anordnungen abermals zurückweisen.
3. Eine Verletzung der übrigen gerügten Grund- und Verfassungsrechte, die zu einer Annahme der Verfassungsbeschwerde Anlaß gäbe, ist nicht ersichtlich. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Grimm, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 1276124 |
NZS 1999, 338 |
PharmaR 2000, 373 |