Unter die "sonstigen Gründe" fällt zunächst die Konstellation, dass kein Disziplinarverfahren eingeleitet wird, weil zu erwarten ist, dass eine Disziplinarmaßnahme wegen § 35 LDG BW nicht ausgesprochen werden darf. § 35 LDG BW enthält ein Maßnahmenverbot wegen Zeitablaufs (untechnisch gesprochen ist das Dienstvergehen hier also bereits "verjährt").
Nach § 35 Abs. 1 LDG BW darf
- ein Verweis zwei Jahre,
- eine Geldbuße drei Jahre,
- eine Kürzung der Bezüge oder des Ruhegehalts fünf Jahre
- und eine Zurückstufung sieben Jahre
nach der Vollendung eines Dienstvergehens nicht mehr ausgesprochen werden.
Grund für dieses Maßnahmenverbot durch Zeitablauf: Der wesentliche Zweck des Disziplinarrechts besteht darin, den Beamten künftig zu einem dienstpflichtgemäßen Verhalten anzuhalten; nach Ablauf einer längeren Frist besteht aber für eine Disziplinarmaßnahme regelmäßig kein Bedürfnis mehr.
Kein Zeitablauf, wenn Disziplinarmaßnahme nicht der Pflichtenmahnung dient
Anders ist das bei den Disziplinarmaßnahmen der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und
der Aberkennung des Ruhegehalts. Sie dienen nicht der Pflichtenmahnung. Für sie gibt es daher kein Maßnahmeverbot. Sie können folglich auch nach längerer Zeit noch ausgesprochen werden.
Der Fristlauf beginnt mit der "Vollendung" des Dienstvergehens (§ 35 Abs. 1 LDG BW). Im Strafrecht bezeichnet der Begriff der Vollendung denjenigen Zeitpunkt, in dem alle Merkmale des Straftatbestandes erfüllt sind. Das ist im Disziplinarrecht anders: Hier gilt der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens. Danach wird nicht jede einzelne Verfehlung in einem gesonderten Disziplinarverfahren verfolgt und dann mit einer jeweils eigenen, isolierten Disziplinarmaßnahme belegt. Vielmehr werden mehrere Verfehlungen des Beamten einheitlich gewürdigt und mit einer einheitlichen Disziplinarmaßnahme belegt.
Für den Begriff der Vollendung des Dienstvergehens gilt daher: Das Dienstvergehen ist nicht bereits vollendet, wenn die erste von mehreren Pflichtverletzungen verwirklicht ist – sondern erst dann, wenn die letzte Pflichtverletzung begangen wurde. Begeht ein Beamter also fortgesetzte Pflichtverletzungen, so sind diese erst vollendet zum Zeitpunkt des letzten Pflichtenverstoßes. Begeht der Beamte ein Dauerdelikt (Bsp: unbefugtes Führen eines Titels) tritt Vollendung erst ein im Zeitpunkt der Beendigung (also, wenn der Beamte mit der Dienstpflichtverletzung wieder aufhört).
Bei der genauen Berechnung der Frist müssen die Hemmungs- und Unterbrechungstatbestände in § 35 Abs. 2 und 3 LDG BW beachtet werden:
- wird die "Verjährungsfrist" unterbrochen, wenn das Disziplinarverfahren eingeleitet, ausgedehnt oder vorläufig nicht eingeleitet wird (§ 35 Abs. 2 LDG BW). Gleiches gilt, wenn Ermittlungen gegen Beamte auf Probe oder auf Widerruf nach § 13 Abs. 3 LBG BW (also zum Zwecke der Entlassung) angeordnet oder ausgedehnt werden. Achtung! Die Unterbrechung tritt nur ein, wenn die vorgenannten Maßnahmen (Einleitung des Disziplinarverfahrens usw.) jeweils aktenkundig gemacht wird, § 35 Abs. 2 a.E. LDG BW.
Die "Verjährungsfrist" ist gehemmt, solange das Disziplinarverfahren vorläufig nicht eingeleitet oder ausgesetzt wird – und dies jeweils aktenkundig gemacht ist (§ 35 Abs. 3 Satz 1 LDG BW). Die Fristen sind auch gehemmt, solange der Personalrat beim Erlass der Disziplinarverfügung mitwirkt (vgl. § 81 Abs. 2 Nr. 1 LPVG BW – die Mitwirkung findet hier aber nur auf Antrag des Beamten statt), solange wegen desselben Sachverhalts ein Straf- oder Bußgeldverfahren geführt wird oder solange eine Klage aus dem Beamtenverhältnis rechtshängig ist (hierzu das nachfolgende Praxisbeispiel) (§ 35 Abs. 3 Satz 2 LDG BW).
Hemmung des Zeitablaufs bei Rechtsstreit
Landesbeamter B hat mehrfach Privatgespräche über seinen Dienstapparat geführt, diese aber bewusst als Dienstgespräche deklariert. Der eingetretene Schaden ist indes gering (insgesamt 14 EUR), so dass die Disziplinarbehörde nur einen Verweis erlässt. Hiergegen erhebt der B Anfechtungsklage. Erst zweieinhalb Jahre nach den letzten Telefonat wird rechtskräftig über die Anfechtungsklage entschieden: Das Gericht hebt die Disziplinarverfügung wegen eines Formfehlers auf: Die Disziplinarbehörde hat es entgegen § 11 Abs. 2 Satz 2 LDG BW versäumt, den Beamten zugleich mit der Unterrichtung über die Verfahrenseinleitung auch über sein Schweigerecht zu belehren. Dennoch hat sie (ohne Zustimmung des Beamten) seine nachfolgenden Aussagen im Disziplinarverfahren zu seinem Nachteil verwertet – und damit gegen das Verwertungsverbot des § 11 Abs. 4 Satz 2 LDG BW verstoßen. Nach der Aufhebung der Disziplinarverfügung kann ggf. ein erneutes Disziplinarverfahren eingeleitet werden, um die Dienstpflichtverletzung (jetzt verfahrensfehlerfrei) zu ahnden, weil die Frist für den Eintritt eines Maßnahmeverbots nach § 35 LDG BW während der gesamten Dauer des Rechtsstreits gehemmt war.