Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbarkeit, Leistungsaustausch, Auktion, Ausgabe von Guthabenpunkten zur Abgabe von Geboten bei Online-Auktionen
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass die Ausgabe von „Guthabenpunkten“ wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die es den Kunden eines Wirtschaftsteilnehmers ermöglichen, in den von ihm veranstalteten Auktionen Gebote abzugeben, eine Dienstleistung gegen Entgelt darstellt, deren Gegenleistung der für die „Guthabenpunkte“ gezahlte Betrag ist.
2. Art. 73 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens der Wert der für die Abgabe von Geboten eingelösten „Guthabenpunkte“ nicht in der Gegenleistung enthalten ist, die der Steuerpflichtige als Entgelt für die Lieferungen von Gegenständen erhält, die er für die Nutzer, die bei einer von ihm veranstalteten Auktion den Zuschlag erhalten haben oder die ihren Kauf mittels der „Buy-Now“- oder der „Earned-Discount“-Funktion getätigt haben, bewirkt.
3. Stellen die Gerichte eines Mitgliedstaats bei der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts und des nationalen Rechts fest, dass ein und derselbe Umsatz in einem anderen Mitgliedstaat mehrwertsteuerrechtlich anders behandelt wird, sind sie in Abhängigkeit davon, ob ihre Entscheidungen selbst noch mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können oder nicht, berechtigt oder gar verpflichtet, den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung zu ersuchen.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 2 Abs. 1, Art. 73
Beteiligte
Commissioners for HM Revenue & Customs |
Verfahrensgang
First-Tier Tribunal (Vereinigtes Königreich) (Beschluss vom 17.10.2016; ABl. EU 2017, Nr. C 14/26) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 2 Nr. 1 Buchst. c ‐ Ausgabe von ‚Guthabenpunkten‘, die zur Abgabe von Geboten bei Online-Auktionen verwendet werden können ‐ Dienstleistung gegen Entgelt ‐ Zwischenschritt ‐ Art.73 ‐ Besteuerungsgrundlage“
In der Rechtssache C-544/16
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom First-tier Tribunal (Tax Chamber) (Gericht erster Instanz [Kammer für Steuersachen], Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 17. Oktober 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Oktober 2016, in dem Verfahren
Marcandi Ltd, handelnd unter der Firma Madbid,
gegen
Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, der Richter E. Levits und A. Borg Barthet (Berichterstatter), der Richterin M. Berger und des Richters F. Biltgen,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2017,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Marcandi Ltd, vertreten durch J. Brinsmead-Stockham, Barrister, C. Van Zyl, Solicitor, und Rechtsanwältin A. Brown,
‐ des Vereinigten Königreichs, vertreten durch D. Robertson und Z. Lavery als Bevollmächtigte, im Beistand von P. Mantle, Barrister,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. März 2018
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1, der Art. 14, 24, 62, 63, 65 und 73 sowie von Art. 79 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Marcandi Ltd, handelnd unter der Firma Madbid, und den Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs (Steuer- und Zollverwaltung, Vereinigtes Königreich, im Folgenden: Steuerverwaltung) über die Mehrwertsteuerregelung, die auf den Verkauf von „Guthabenpunkten“ für die Teilnahme an Online-Auktionen zur Anwendung kommt.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
In Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;
…
c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt;
… “
Rz. 4
Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie definiert die Lieferung von Gegenständen als „die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“.
Rz. 5
Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie lautet:
„Als ‚Dienstleistung‘ gilt jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist. “
Rz. 6
Art. 62 der Richtlinie bestimmt:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie gilt
(1) als ‚Steuertatbesta...