Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug bei unberechtigt ausgewiesener Umsatzsteuer
Leitsatz (redaktionell)
Nach dem Urteil erstreckt sich das Recht auf Vorsteuerabzug nicht auf eine Umsatzsteuer, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist. Das Recht auf Vorsteuerabzug ist ausgeschlossen für eine Steuer, die – entweder weil sie höher ist als die gesetzlich geschuldete Steuer oder weil der betreffende Umsatz nicht der Umsatzsteuer unterliegt – in keinem Zusammenhang mit einem bestimmten Umsatz steht. Die Entscheidung steht im Widerspruch zum geltenden deutschen Umsatzsteuerrecht, nach dem ein Vorsteuerabzug grundsätzlich auch aus Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis zulässig ist, denen nichtsteuerbare Leistungen im Ausland, steuerfreie Leistungen, steuerpflichtige Leistungen mit zu hoch ausgewiesener Steuer oder Leistungen zugrunde liegen, die von Kleinunternehmern im Sinne des § 19 UStG ausgeführt werden.
Beteiligte
Staatssecretaris van Financiën |
Gründe
Urteil des Gerichtshofes
(Fünfte Kammer)
vom 13. Dezember 1989
„Sechste Mehrwertsteuer-Richtlinie (77/388/EWG) – Recht auf Vorsteuerabzug”
In der Rechtssache C-342/87
betreffend ein dem Gerichtshof gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag vom Hoge Raad der Nederlanden in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Genius Holding B. V.
gegen
Staatssecretaris van Financiën
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung mehrerer Bestimmungen der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388/EWG; Abl. L 145, S. 1)
erläßt
Der Gerichtshof
(Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten Sir Gordon Slynn, der Richter M. Zuleeg, R. Joliet, J. C. Moitinho de Almeida und G. C. Rodríguez Iglesias,
Generalanwalt: J. Mischo,
Kanzler: J. A. Pompe, Hilfskanzler,
Beteiligte, die Erklärungen abgegeben haben:
die steuerliche Einheit Genius Holding B. V., Klägerin des Ausgangsverfahrens, vertreten durch P. A. Dijkman Dulkes und J. A. F. van Haaster,
die niederländsiche Regierung, vertreten durch den stellvertretenden Generalsekretär des Außenministeriums H. J. Heinemann als Bevollmächtigten,
die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch M. Seidel und H.-J. Horn als Bevollmächtigte,
die spanische Regierung, vertreten durch J. Conde de Saro und R. García-Valdecasas Fernández als Bevollmächtigte,
die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. F. Buhl, Juristischer Dienst der Kommission, als Bevollmächtigten, Beistand: Rechtsanwalt M. Mees, Den Haag,
aufgrund des Sitzungsberichts und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Februar 1989
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. März 1989
folgendes
Urteil
1 Der Hoge Raad der Nederlanden hat mit Urteil vom 28. Oktober 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 4. November 1987, zwei Fragen nach der Auslegung mehrerer Bestimmungen der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Abl. L 145, S. 1; nachstehend: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Frage stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der in Ijmuiden ansässigen steuerlichen Einheit Genius Holding B.V. (seinerzeit: Genius B. V.), deren Tätigkeit in der Verrichtung von Montage- und Fertigungsarbeiten besteht, und dem Staatssecretaris van Financiën.
3 Gegen die Genius Holding, die für die Ausführung ihrer Aufträge Subunternehmer beschäftigt, erging für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 1982 ein Nacherhebungsbescheid mit der Begründung, daß sie entgegen den geltenden Rechtsvorschriften von der von ihr geschuldeten Umsatzsteuer die Mehrwertsteuer abgezogen habe, die der Genicon Montage B.V. von zwei Subunternehmern, der Vissers Pijpleiding en Montage B.V. und des Montagebedrijf J. Van Mierlo, in Rechnung gestellt worden sei.
4 Der Inspecteur der Omzetbelasting wies die Beschwerde der Genius Holding gegen den Nacherhebungsbescheid zurück. Daraufhin erhob sie Klage beim Gerichtshof Amsterdam, der den angefochtenen Bescheid bestätigte.
5 Der mit der Kassationsbeschwerde befaßte Hoge Raad ist der Ansicht, nach niederländischem Recht sei der Vorsteuerabzug nur zulässig, wenn die in der Rechnung ausgewiesene Steuer auch tatsächlich geschuldet werde. Nach der sogenannten Verlagerungsregelung, die in den Niederlanden aufgrund der vom Rat gemäß Artikel 27 der Sechsten Richtlnie erteilten Ermächtigung für die fraglichen Tätigkeiten gilt, schuldet der Subunternehmer nicht die Mehrwertsteuer für die dem Unternehmer erbrachten Leistungen, da dieser Steuer ausschließlich vom Unternehmer auf den Betrag zu entrichten ist, den er dem Auftraggeber in Rechnung stellt. Daraus folgt, daß die Klägerin de...