Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderungsansprüche aufgrund der Anfechtung von Zahlungen des Steuerschuldners durch den Insolvenzverwalter sind keine Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Drei-Personen-Verhältnis bei Insolvenz einer Organgesellschaft
Leitsatz (redaktionell)
Im Falle einer insolvenzrechtlichen Anfechtung von Zahlungen, die ein Schuldner auf Steuerforderungen geleistet hat, durch den Insolvenzverwalter kann über Rückgewähransprüche des Insolvenzverwalters aus § 143 InsO sowie über Ansprüche des Finanzamts auf Rückzahlung (vermeintlich) zu Unrecht an den Insolvenzverwalter ausgekehrter Geldbeträge nicht durch Erlass eines Abrechnungsbescheids im Sinne von § 218 Abs. 2 AO (und nachfolgend ggf. in einem finanzgerichtlichen Verfahren) entschieden werden. Nichts anderes gilt in dem sich infolge der Insolvenz einer Organgesellschaft ergebenden Drei-Personen-Verhältnis zwischen Finanzamt, Insolvenzverwalter und Organträger.
Normenkette
AO § 218 Abs. 2, § 37 Abs. 2; InsO §§ 129, 143 Abs. 1, § 144; UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2
Nachgehend
Tenor
Der Abrechnungsbescheid vom 29. Oktober 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Juni 2016 wird dahingehend geändert, dass die bisherigen Positionen Nrn. 2 – 7 ersatzlos entfallen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin zu 30 v. H. und dem Beklagten zu 70 v. H. auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Beschluss:
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war notwendig.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines vom Beklagten gegenüber der Klägerin erlassenen Abrechnungsbescheids im Sinne von § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO).
Die Klägerin war Inhaberin eines einzelunternehmerisch geführten Gewerbebetriebs mit Sitz in B.. Unternehmensgegenstand war die Vermietung von Grundstücken an eine C.GmbH mit Sitz in D. (künftig: GmbH). Es handelte sich ertragsteuerrechtlich um eine sog. Betriebsaufspaltung. Zwischen dem Einzelunternehmen der Klägerin als sog. Besitzunternehmen und der GmbH als Betriebsgesellschaft bestand eine Organschaft im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Die Klägerin war die Organträgerin. Sie war gleichzeitig die alleinige Geschäftsführerin der GmbH.
Die Klägerin hatte hinsichtlich ihrer Vermietungseinkünfte nicht zur Umsatzsteuer optiert.
Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 2. Juni 2009 wurde die Klägerin als Geschäftsführerin der GmbH abberufen und Herr E. zum neuen Geschäftsführer bestellt.
Über das Vermögen der GmbH wurde auf deren Eigenantrag vom 30. Dezember 2009 hin vom Amtsgericht F. am 18. März 2010 ein Insolvenzverfahren eröffnet. Rechtsanwalt G. aus H. wurde zum Insolvenzverwalter bestellt.
Die Klägerin gab beim Beklagten bis einschließlich November 2009 Umsatzsteuervoranmeldungen für das Gesamtunternehmen ab. Die Überweisung der Umsatzsteuervorauszahlungen erfolgte durch die GmbH unter Angabe der Steuernummer der Klägerin und des Verwendungszweckes.
Am 12. Mai 2010 erließ der Beklagte Schätzbescheide betr. die Umsatzsteuervorauszahlungen für die Monate Dezember 2009 sowie Januar bis März 2010. Die Klägerin legte hiergegen jeweils fristgerecht Einsprüche ein und reichte die ausstehenden Umsatzsteuervoranmeldungen beim Beklagten ein.
Darüber hinaus äußerte der steuerliche Berater der Klägerin im Hinblick auf die Abberufung der Klägerin als GmbH-Geschäftsführerin Bedenken hinsichtlich des Fortbestands der Organschaft im streitbefangenen Zeitraum.
Der Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 16. November 2010 das Ende der umsatzsteuerlichen Organschaft rückwirkend zum 30. Juni 2009 und bat gleichzeitig um Einreichung geänderter Umsatzsteuervoranmeldungen für die Klägerin bzw. um Einreichung erstmaliger Umsatzsteuervoranmeldungen seitens der GmbH für die Zeit ab 1. Juli 2009.
Laut den geänderten Umsatzsteuervoranmeldungen vom 14. Januar 2011 für die Monate Juli bis November 2009 und Februar 2010 sowie den geänderten Umsatzsteuervorauszahlungs-Festsetzungen vom 18. Februar 2009 für den Monat Dezember 2009 und vom 17. Februar 2011 für den Monat Januar 2010 waren der Klägerin für die vorgenannten Zeiträume keine Umsätze und Vorsteuern zuzurechnen, sodass die festgesetzte Umsatzsteuervorauszahlung jeweils 0,00 EUR und für den Monat Dezember 2009 (unter Anrechnung der Sondervorauszahlung) ./. 1 694,00 EUR betrug.
Mittels Änderungsbescheiden vom 14. März 2011 setzte der Beklagte die Umsatzsteuervorauszahlungen für die Monate November und Dezember 2010 sowie die damit zusammenhängenden Verspätungszuschläge jeweils auf 0,00 EUR fest.
Für die GmbH wurden für die Zeit ab 1. Juli 2009 keine Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht...