Entscheidungsstichwort (Thema)
Datenschutzrechtliche Rechte des Steuerpflichtigen in Bezug auf die Verarbeitung von den Steuerpflichtigen betreffenden personenbezogenen Daten durch das Finanzamt im Rahmen der Durchführung der Besteuerung von Dritten, an deren Besteuerungsverfahren der Steuerpflichtige selbst nicht beteiligt ist. Abgrenzung einer Feststellungsklage von einer Fortsetzungsfeststellungsklage. Unzulässigkeit einer Zwischenfeststellungsklage im Finanzprozess. Sachentscheidungsvoraussetzungen für allgemeine Feststellungsklagen. keine Geltung der ärztlichen Schweigepflicht für das Finanzamt. Verfahren über Aktenvorlage nach § 86 Abs. 3 FGO. Vereinbarkeit der Datenschutzbestimmungen der AO mit höherrangigem Recht. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: IX R 19/22)
Leitsatz (redaktionell)
1. Die VO (EU) Nr. 679/2016 (Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO –) ist ist im Bereich der Steuerverwaltung auch bei der Verwaltung der direkten Steuern anwendbar (vgl. FG München, Gerichtsbescheid v. 23.7.2021,15 K 81/20, EFG 2021 S. 1789; Abgrenzung zu FG Niedersachsen, Urteil v. 28.1.2020, 12 K 213/19, EFG 2020 S. 665); das gilt auch, soweit es um die Speicherung von personenbezogenen Daten des Steuerpflichtigen im Rahmen der Besteuerung Dritter (hier: Ehefrau) geht.
2. Die in Art. 15 Abs. 1 DSGVO verankerten Betroffenenrechte verleihen dem Steuerpflichtigen bei Behörden, die große Mengen an Informationen verarbeiten, keinen Anspruch auf Auskunftserteilung, wenn das Auskunftsverlangen nicht spezifiziert und weder in gegenständlicher noch zeitlicher Hinsicht limitiert ist. Die Behörde kann vor einer Auskunftserteilung verlangen, dass die auskunftsersuchende Person präzisiert, auf welche Information oder welche Verarbeitungsvorgänge sich ihr Auskunftsersuchen konkret bezieht.
3. Ein nahezu allumfassendes, jegliche Daten in einem Zeitraum von mehreren Jahrzehnten betreffendes Auskunftsbegehren ist als exzessiv im Sinne von Art. 12 Abs. 5 DSGVO anzusehen, damit unzulässig und kann von der Behörde abgelehnt werden. Insoweit kommt auch eine anspruchserhaltende inhaltliche oder zeitliche Reduktion auf einen zulässigen Antrag nicht in Betracht.
4. Die in Art. 15 Abs. 3 DSGVO verankerten Betroffenenrechte verleihen dem Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf Zurverfügungstellung von Kopien personenbezogener Daten in Gestalt von (elektronischen) Doppeln ganzer Akten durch das Finanzamt (restriktive Auslegung von Art. 15 Abs. 3 DSGVO auf der Basis der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 12 der Datenschutzrichtlinie als einer unmittelbaren Vorgängerregelung zu Art. 15 DSGVO; Anschluss an FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 27.10.2021, 16 K 5148/20).
5. Versucht der Steuerpflichtige, den Auskunftsanspruch zweckwidrig zu nutzen, um Zugang zu ganzen Beständen ihn betreffender Verwaltungsdokumente zu erlangen, kann er sich insoweit nicht erfolgreich auf Art. 15 DSGVO stützen bzw. steht dem Anspruchsgegner für diese Fälle ein Leistungsverweigerungsrecht nach Art. 12 Abs. 5 Satz 2 DSGVO zu.
6. Die bei der Besteuerung der Ehefrau vom Finanzamt verarbeiteten Daten des Steuerpflichtigen (persönliche Daten wie Name, Anschrift, Geburtsdatum; Personenstand verheiratet; Verwandtschaftsverhältnisse z. B. als Elternteil; Erfassung von Anrufen beim Finanzamt in Funktion als Auskunftsperson in der Verwaltungsakte der Ehefrau; wirtschaftliche Aktivitäten wie der Erwerb von Fachbücher, die bei der freiberuflich tätigen Ehefrau nicht zum Betriebsausgabenabzug zugelassen worden sind) sind nicht unter Verstoß gegen gesetzliche Befugnisse des Steuerpflichtigen im Sinne der DSGVO verarbeitet worden. Insoweit hat der Steuerpflichtige keinen Anspruch darauf, dass diese Daten inklusive aller Archive und Datensicherungen im Sinne des Art. 4 DSGVO vollständig und sicher gelöscht werden.
7. Soweit der Steuerpflichtige beantragt, die Finanzbehörde zu verurteilen, allen Dritten, an die Daten des Steuerpflichtigen weitergeleitet wurden, mitzuteilen, dass diese Daten rechtswidrig erlangt und rechtswidrig weitergegeben wurden, ist die Klage unzulässig.
8. Die Vorschriften des BDSG sind im Bereich der Steuerverwaltungen im Wesentlichen nicht anwendbar. So besteht kein Anspruch des Steuerpflichtigen nach § 76 BDSG auf Auskunft darüber, wer auf Seiten des Finanzamts Zugang zu Daten des Steuerpflichtigen hatte und warum dieser Zugang gewährt wurde.
9. Es besteht kein Anspruch des Steuerpflichtigen auf Information darüber, von wem die Finanzbehörde Daten des Steuerpflichtigen erhalten hat.
10. Die geringeren Anforderungen an das Vorliegen eines Feststellungsinteresses bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO sind nicht auf allgemeine Feststellungsklagen im Sinne des § 41 Abs. 1 FGO zu übertragen.
11. Die Zulässigkeit einer Zwischenfeststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO ist im Anwendungsbereich der FGO zu verneinen, da unter anderem § 41 FGO eine eigenständige und in sich abgeschlossene Regelung zur Feststellungsklage enthält; eine Lücke...