Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch nicht des in Deutschland wohnenden, Leistungen nach SGB II beziehenden Kindesvaters, sondern der in Polen lebenden Kindesmutter für das in Polen im Haushalt der Kindesmutter aufgenommene Kind bei Nichterhalt von polnischen Familienleistungen und Nichtbestehen eines gemeinsamen Haushaltes in Polen
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Pole mit Wohnsitz im Inland ist für sein in Polen im Haushalt der Mutter lebendes Kind grundsätzlich auch dann kindergeldanspruchsberechtigt, wenn er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezieht. Dieser Kindergeldanspruch wird aber durch den vorrangigen Kindergeldanspruch der in Polen lebenden Kindesmutter ausgeschlossen, wenn ein Anspruch der den polnischen Rechtsvorschriften unterliegenden Kindesmutter auf Familienleistungen in Polen für das Kind wegen der Höhe des Familieneinkommens im streitigen Zeitraum nicht bestanden hat, Familienleistungen in Polen auch nicht gezahlt worden sind und es keinen gemeinsamen Haushalt der Eltern in Polen gab.
2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 883/2004 gelten die in dieser Vorschrift niedergelegten Prioritätsregeln nur, wenn „für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren sind.” Daher ist mangels Anspruchskonkurrenz zwischen Ansprüchen auf Familienleistungen für dasselbe Kind in zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Anwendungsbereich der Prioritätsregeln nicht eröffnet, wenn Leistungen nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates z. B. wegen der Höhe des Einkommens oder des Alters des Kindes nicht zu gewähren sind.
3. Wird in dem vorrangig zuständigen Mitgliedstaat (im Streitfall: Polen gem. Art. 68 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii VO (EG) Nr. 883/2004 i. V. m. Art. 11 Abs. 3 Buchst. e VO (EG) Nr. 883/2004) für ein Kind keine dem Kindergeld vergleichbare Leistung erbracht, weil Einkommens- oder Altersgrenzen überschritten oder andere Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, müssen die – hier: in Deutschland gem. Art. 11 Abs. 3 Buchst. e VO (EG) Nr. 883/2004 – allein durch den Wohnort der berechtigten Person ausgelösten Ansprüche auf Familienleistungen für das in dem vorrangig zuständigen Mitgliedstaat lebende Kind erfüllt werden. Vorrangig anspruchsberechtigt ist aber der Elternteil, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat.
4. Ein gemeinsamer Haushalt der Eltern mit dem Kind in Polen kann nicht aufgrund der pauschalen Behauptung des Klägers angenommen werden, er fahre, allerdings unregelmäßig, soweit er die Reisekosten tragen könne, meistens am Wochenende in den gemeinsamen Haushalt seiner Familie in Polen und verbringe dort seinen Jahresurlaub.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3, § 64 Abs. 2 Sätze 1-2; EGV 883/2004 Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Buchst. c, Art. 11 Abs. 1, 3 Buchst. a, e; EGV 883/2004 Art. 68 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii; EGV 883/2004 Art. 67 S. 1; DVO (EG) Nr. 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2; DVO (EG) Nr. 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 3
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Festsetzung von Kindergeld für seine Tochter A, geboren am … (nachfolgend abgekürzt: A.), für den Zeitraum Oktober 2014 bis August 2015.
Mutter des Kindes A. ist Frau K., mit der der Kläger seit dem 31. Dezember 1998 verheiratet ist.
Der Kläger hat, ebenso wie seine Ehefrau, die polnische Staatsangehörigkeit. Er hat den Beruf des Elektrotechnikers erlernt.
Im Dezember 2013 kam der Kläger nach Deutschland. Vom 11. Dezember 2013 bis zum 16. Mai 2014 war er bei der Firma … mit einer monatlichen Arbeitszeit von 151,67 Stunden als Arbeitnehmer beschäftigt.
Seit dem 6. Januar 2014 war der Kläger bei der … krankenversichert.
Vom 15. Mai 2014 bis zum 30. Juni 2014 war der Kläger aufgrund eines Bandscheibenvorfalls (Diagnose auf den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen M53.1 G) arbeitsunfähig erkrankt. Vom 26. Mai 2014 bis zum 30. Mai 2014 bezog der Kläger Krankengeld.
Ab dem 1. Juli 2014 bis zum 30. September 2015 – also im Streitzeitraum – erhielt der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Jobcenter. Der Bewilligungsbescheid für den Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 31. Dezember 2014 datiert vom 28. Juli 2014. Die Bewilligungsbescheide für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 30. September 2015 wurden mit Bescheid vom 17. Februar 2016 zurückgenommen. Gegen die Rücknahme legte der Kläger Widerspruch ein.
Im Zeitraum vom 9. November 2015 bis zum 23. Dezember 2016 war der Kläger in seinem Beruf als Elektrotechniker bei der Firma … beschäftigt.
In der ersten Hälfte des Jahres 2014 wohnte der Kläger in einer Unterkunft in …, die ihm sein Arbeitgeber, die Firma …, gestellt hatte. Dort war er ausweislich der von ihm vorgelegten Meldebestätigung des Bürgerbü...