Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnsteuer-Haftungsbescheid 1990
Nachgehend
Tenor
Der Lohnsteuer-Haftungsbescheid vom 8. Dezember 1992 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 5. April 1994 werden ersatzlos aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung jedoch gegen Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in Höhe des zu erstattenden Betrages leistet.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 69.769 DM festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Lohnsteuerpflicht von im zweiten Kalenderhalbjahr 1990 gezahlten Abfindungen.
Die Klägerin sah sich im zweiten Kalenderhalbjahr 1990 gezwungen, mehrere – darunter auch langjährige – Mitarbeiter zu entlassen. Im Tarifvertrag zur Regelung arbeitsrechtlicher Fragen der Beschäftigten in Unternehmen der Bauindustrie im Zusammenhang mit Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen vom 28. Mai 1990 zwischen dem Verband der Bauindustrie der DDR e.V. und dem Zentralvorstand der Industriegewerkschaft Bau-Holz war hierzu vorgesehen, daß zur „weitgehenden Einschränkung sozialer Belastungen und Härten” bei Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen von der Unternehmensleitung ein den betrieblichen Bedingungen angemessener Sozialplan zu erarbeiten und mit dem Vertretungsorgan der Belegschaft zu vereinbaren sei Weiterhin war festgelegt, daß in einem solchen Sozialplan Beschäftigten, „mit denen im eigenen Unternehmen oder in einem anderen Unternehmen keine andere Arbeit vereinbart werden” könne und die „in die Arbeitsvermittlung eintreten” müßten, eine Abfindung vom bisherigen Unternehmen bzw. dessen Rechtsnachfolger zu zahlen sei. Die Höhe der Abfindung sollte hiernach abhängig von der ununterbrochenen Beschäftigungsdauer im Unternehmen zwei bis maximal acht Monatsnettodurchschnittslöhne betragen. Die Abfindung sollte nicht zum Durchschnittslohn gehören und nicht der Lohnsteuer und der Beitragspflicht zur Sozialversicherung unterliegen.
Diese Vorgaben aus dem Tarifvertrag wurden in einem Sozialplan der Klägerin vom 21. Juni 1990 übernommen.
Entsprechend dieser Vereinbarung hat die Klägerin in der Zeit vom 1. Juli 1990 bis 31. Oktober 1990 an insgesamt 80 ausgeschiedene Arbeitnehmer Abfindungen für den Verlust des Arbeitsplatzes in Höhe von insgesamt 465.126,86 DM gezahlt.
Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung, die den Prüfungszeitraum 1. Juli 1990 bis 30. April 1992 umfaßte, vertrat das beklagte Finanzamt die Auffassung, daß bei der Auszahlung der Abfindungen Lohnsteuer einzubehalten gewesen wäre, da es sich insoweit um lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn gehandelt habe.
In ihrem Bericht über die Lohnsteuer-Außenprüfung vom 16. Oktober 1992 gab die Lohnsteuer-Außenprüferin als Haftungsgrundlage einerseits § 20 Abs. 4 der Verordnung über die Besteuerung des Arbeitseinkommens – AStVO – an, soweit die Zahlung der Abfindungen den Zeitraum 1. Juli 1990 bis 2. Oktober 1990 betrag andererseits § 42 d des Einkommensteuergesetzes – EStG – für die in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis 31. Dezember 1990 geleisteten Zahlungen.
Die Entschädigungen für entgangene oder entgehende Lohneinkünfte oder für die Aufgabe oder Nichtausführung einer Arbeit wurde gemäß § 4 AStVO i.V.m. Ziffer 19 der Richtlinie über die Besteuerung des Arbeitseinkommens – AStR –, in der Fassung des Steueranpassungsgesetzes vom 22. Juni 1990 – StAnpG – zu den steuerpflichtigen Lohneinkünften gerechnet. Hierbei wurde für die Nachversteuerung einvernehmlich ein geschätzter Bruttosteuersatz in Höhe von 15 v.H. zugrunde gelegt.
Mit Haftungsbescheid über Lohnsteuer vom 8. Dezember 1992 nahm der Beklagte die Klägerin als Haftende in Höhe der aufgrund der Abfindungszahlungen festgestellten Lohnsteuern in Höhe von 69.769 DM in Anspruch. Als Rechtsgrundlage für die Haftung zog er hierbei allein § 42 d EStG heran. Im übrigen wurde auf den Prüfungsbericht vom 16. Oktober 1992 hingewiesen, der dem Haftungsbescheid beigefügt war.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, der damit begründet wurde, daß vor Durchführung der Personalabbaumaßnahme die lohnsteuerlichen Konsequenzen der Abfindungszahlungen untersucht worden seien. In diesem Zusammenhang habe man sich zwecks Klärung der lohnsteuerlichen Behandlung von Abfindungszahlungen an das Ministerium der Finanzen der DDR gewandt. Das Ministerium habe auf die damals bevorstehende und später im Bundessteuerblatt – BStBl – Teil I 1990, S. 546 veröffentlichte Regelung vom 22. August 1990 hingewiesen, wonach auf Nettolohnbasis gezahlte Abfindungszahlungen lohnsteuerfrei seien. Die im BStBl veröffentlichten Arbeitshinweise für die Finanzämter zur Änderung steuerlicher Rechtsvorschriften ab dem 1. Juli 1990 seien auch mit Wirkung ab dem 1. Juli 1990 zu berücksichtigen. Dies ergäbe sich bereits aus ihrer Überschrift und dem Einleitungssatz, wonach es sic...