Entscheidungsstichwort (Thema)
Klageerhebung durch fremdsprachige Klageschrift – Übersetzung nach Ablauf der Klagefrist
Leitsatz (redaktionell)
- Die Rechtsschutzgarantie des Artikel 19 Abs. 4 GG schließt auch die Befugnis des dem deutschen Erbschaftsteuerrecht unterworfenen ausländischen Pflichtigen ein, sich in seiner Muttersprache mit einem Rechtsschutzbegehren an das zuständige inländische Finanzgericht zu wenden.
- Durch eine in englischer Sprache abgefasste Klageschrift, die das Finanzgericht durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in die deutsche Sprache hat übersetzen lassen, wird wirksam Klage erhoben.
- Hat das Finanzgericht den Kläger nicht aufgefordert, von sich aus innerhalb einer bestimmten Frist eine Übersetzung der Klageschrift vorzulegen, ist ihm für den Fall, dass die Übersetzung der Klageschrift in die deutsche Sprache erst nach Ablauf der Klagefrist erstellt wird, von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
- Ein Einspruch kann auch vor der Bekanntgabe des Verwaltungsakts wirksam erhoben werden, wenn der Steuerpflichtige mit der Möglichkeit einer bereits bewirkten ordnungsgemäßen Bekanntgabe (hier: gegenüber seinen früheren Bevollmächtigten) rechnen musste (vgl. BFH-Rspr.).
- Die Steuervergünstigung aufgrund der Behaltensregelung für Betriebsvermögen entfällt auch dann rückwirkend, wenn der Steuerpflichtige auf dessen Veräußerung durch einen Miterben nach der Erbauseinandersetzung keinen Einfluss nehmen konnte.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; FGO § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 56; GVG §§ 184, 190 Abs. 1; AO § 87 Abs. 2 S. 1, Abs. 4, § 124 Abs. 1, § 355; ErbStG § 10 Abs. 5 Nrn. 1, 3, § 13 a Abs. 5 Nr. 1
Streitjahr(e)
2009
Tatbestand
Der Kläger, der im Jahre 1960 in Deutschland geboren wurde, ist australischer Staatsbürger. Nach seinen eigenen Angaben versteht er die deutsche Sprache weder in Schrift noch in Wort.
Der Kläger ist der Neffe des Erblassers A, der am..... April 2006 verstarb. Der Erblasser wurde von dem Kläger und seinem Bruder B ausweislich des Erbscheins des Amtsgerichts X vom 29. Januar 2007 zu je ½ beerbt. Zum Nachlass gehörte neben Wald- und Forstbesitz und Kapitalvermögen das Grundstück ......-straße…in X, auf dem der Erblasser bis zu seinem Tode eine Gaststätte betrieb.
Der Kläger beauftragte die Rechtsanwälte und Steuerberater M aus Y mit seiner erbrechtlichen Vertretung. Er schloss mit den Rechtsanwälten M unter dem 19. Oktober 2006 / 5. Oktober 2006 einen Beratungsvertrag ab, der die rechtliche Beratung in der Erbangelegenheit A beinhaltete. Hierzu waren die Rechtsanwälte unter anderem beauftragt, Ermittlungen in der Erbschaftsangelegenheit zu betreiben, Informationen über die rechtliche Situation anzustellen und sämtliche Nachlasswerte zu ermitteln. Außerdem sollte der Bevollmächtigte einen Vorschlag über die gesetzlichen Möglichkeiten ausarbeiten, wie die Gaststätte betrieben und erhalten werden könnte. Außerdem schloss der Kläger mit seinen Bevollmächtigten unter dem gleichen Datum für seine Vertretung eine Honorarvereinbarung ab (remuneration agreement), die eine Vergütung der Leistungen der Rechtsanwälte nach Stundensätzen von 150 bis 200 EUR je Stunde vorsah. Wegen der weiteren Einzelheiten des Beratungsvertrages und der Honorarvereinbarung wird auf die zu den Gerichtsakten in englischer Sprache eingereichten Ablichtungen vom 5. Oktober 2006 / 19. Oktober 2006 (Blatt 28 R – 33 der Gerichtsakten) Bezug genommen.
Außerdem unterzeichnete der Kläger unter dem 8. Mai 2007 für die Rechtsanwälte M eine Vertretungsvollmacht, mit der diese berechtigt waren, ihn in steuerlichen Angelegenheiten vor dem Finanzamt zu vertreten. Diese Vollmacht übersandten die Rechtsanwälte M im Mai 2007 dem Beklagten.
Die Erbschaftsteuererklärung wurde dem Beklagten zusammen mit der Anlage Betriebsvermögen (Vermögensaufstellung zur Ermittlung des Werts des Betriebsvermögens) am 5. April 2007 eingereicht. Die Erbengemeinschaft beauftragte den Sachverständigen D mit der Anfertigung eines Verkehrswertgutachtens für das Gaststättengrundstück in X, ...-straße .... In dem Gutachten vom 31. Mai 2007 gelangte der Sachverständige für das erwähnte Grundstück zu einem Verkehrswert von 170.000 EUR. Unter dem 28. Juni 2007 teilte das Finanzamt U dem Beklagten die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwertes für das Grundstück.....-straße…in X unter Übernahme des Wertansatzes gemäß dem Verkehrswertgutachten des Sachverständigen D mit 170.000 EUR mit und stellte außerdem fest, dass das Grundstück als Betriebsgrundstück zu dem Gewerbebetrieb Gaststätte gehört.
Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 28. Juni 2007, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) erging, die Erbschaftsteuer auf 2.556 EUR fest. Den reinen Nachlass ermittelte er hierbei mit 215.553 EUR, wovon auf den Kläger 107.776 EUR entfielen. Bei der Ermittlung des Reinnachlasses zog der Beklagte Schulden lediglich in Höhe von 724 EUR (Steuerschulden Einkommensteuer) und den Pauschbet...