Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerungsrückfall bei teilweiser Nichtbesteuerung niederländischen Arbeitslohns. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VI R 29/22)
Leitsatz (redaktionell)
- Die Anwendung der „30 %-Spezialistenregelung in den Niederlanden”, aufgrund deren unter der Voraussetzung einer speziellen Sachkunde in bestimmten Branchen u.a. der niederländische Arbeitslohn von Grenzpendlern zum Ausgleich sog. extraterritorialer Kosten zu einem Anteil von 30 % steuerfrei ausgezahlt werden kann, führt zu einer den Besteuerungsrückfall gemäß § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG auslösenden teilweisen Nichtbesteuerung des Arbeitslohns durch die Niederlande.
- Die regelmäßig eine deutliche Überkompensation der anfallenden Kosten bewirkende 30 %-Regelung hat nicht den Charakter eines pauschalen Werbungskostenabzugs.
Normenkette
DBA-Niederlande Art. 14 Abs. 1, Art. 22 Abs. 1 Buchst. a; EStG § 50d Abs. 9 S. 4
Streitjahr(e)
2019
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die einkommensteuerrechtliche und abkommensrechtliche Behandlung von Arbeitslohn, die der ausschließlich in Deutschland wohnhafte Kläger als Ingenieur von seinem niederländischen Arbeitgeber im Jahr 2019 (Streitjahr) erhalten hat.
Mit Bescheid vom 01.04.2011 wurde dem niederländischen Arbeitgeber für den Kläger durch das niederländische Finanzamt A-Stadt die Anwendung der sog. 30 %-Regelung auf Antrag für fünf Jahre gewährt. Die Anwendbarkeit wurde mit Bescheid vom 22.12.2016 für weitere 60 Monate verlängert.
Dies erfolgte vor dem Hintergrund, dass nach Art. 31a Nr. 2 Buchst. e des niederländischen Lohnsteuergesetzes ( Wet op den loonbelasting 1964 ) i.V.m. Art. 10ea der niederländischen Lohnsteuer-Durchführungsverordnung ( Uitvoeringsbesluit loonbelasting 1965 ) i.V.m. Paragraf 17.4 des niederländischen Lohnsteuerhandbuchs 2019 ( Handboek Loonheffingen 2019 )) Arbeitnehmer, die eine Tätigkeit bei einem niederländischen Arbeitgeber aufnehmen und zwecks Ausübung ihrer Tätigkeit in die Niederlande umziehen oder - wie vorliegend - täglich vom Ausland in die Niederlande reisen unter bestimmten weiteren Voraussetzungen - wie etwa eine spezielle Sachkunde in bestimmten Branchen - eine Erstattung der ihnen durch den Aufenthalt in den Niederlanden entstehenden Mehrkosten, der sog. extraterritorialen Kosten, erhalten.
Unter extraterritorialen Kosten waren damals wie heute gemäß Paragraf 17.4.3 des Lohnsteuerhandbuchs u.a. Mehrkosten aufgrund eines höheren Preisniveaus in den Niederlanden, Kosten für eine Erkundungsreise durch die Niederlande, z.B. zur Wohnungs- oder Schulsuche, sowie Verwaltungskosten durch Ummeldungen oder die Beantragung eines Visums oder einer Aufenthaltsgenehmigung zu verstehen. Ebenso Kosten für Sprachkurse, für eine doppelte Haushaltsführung oder für Familienheimfahrten.
Der Arbeitgeber des Klägers entschied sich, nicht von der Möglichkeit nach Paragraf 17.4 des Lohnsteuerhandbuchs Gebrauch zu machen und eine steuerfreie Erstattung nachweislich entstandener Kosten vorzunehmen. Vielmehr wählte er die Möglichkeit, die 30 %-Regelung zu beantragen und nach entsprechender Bescheidung seitens der niederländischen Finanzverwaltung anzuwenden. Hiernach kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, ohne Nachweis tatsächlich entstandener Kosten, 30 % seines Arbeitslohns (inklusive etwaiger steuerfrei ausgezahlter Erstattungen) steuerfrei auszahlen.
Mit seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärte der Kläger gegenüber dem Beklagten (Finanzamt - FA -) Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit i.H.v…€ sowie ausländische Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit i.H.v.…€, die nach dem Abkommen vom 12.04.2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 11.01.2016 (DBA-NL) in Deutschland steuerfrei seien. Im Streitjahr habe er an 157 Tagen in den Niederlanden und an 80 Tagen in anderen Ländern seine Arbeit verrichtet. Der Arbeitslohn laut niederländischer Lohnsteuerbescheinigung ( Jaaropgaaf ) i.H.v.…€ sei für deutsche Besteuerungszwecke nach deutschem Steuerrecht umgerechnet worden. U.a. seien die von den Niederlanden von der Besteuerung freigestellten 30 % dem Arbeitslohn vor seiner Aufteilung auf Deutschland und die Niederlande hinzuzurechnen.
Mit Bescheid vom 25.08.2020 setzte das FA die Einkommensteuer auf…€ fest. Abweichend von den Angaben in der Steuererklärung legte es der Besteuerung Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit i.H.v.…€ zugrunde. In den Progressionsvorbehalt nach § 32b des Einkommensteuergesetzes (EStG) bezog es ausländische Einkünfte i.H.v.…€ ein. Bei der Ermittlung der Einkünfte folgte es weitgehend den Berechnungen des Klägers, wobei es insoweit abwich, als dass es die von den Niederlanden von der Besteuerung freigestellten 30 % des Arbeitslohns ausschließlich dem auf Deutschland entfallenden Arbeitslohn hinzurechnete. Diese seien ...