Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldberechtigung bei einem Visum
Leitsatz (amtlich)
1. Weder das Visum selbst, noch die Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG sind Aufenthaltstitel im Sinne des § 62 Abs. 2 EStG. Auch ein Visum "D" (nationales Visum) berechtigt nicht zu einem dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik, sondern nur zur Einreise zum Zwecke eines längerfristigen Aufenthalts; es ist grundsätzlich nur für bis zu drei Monate gültig.
2. Durch die Fiktionsbescheinigung gem. § 81 Abs. 4 AufenthG wird nicht bereits der beantragte Aufenthaltstitel fingiert. Vielmehr gilt gemäß § 81 Abs. 4 S. 1 AufenthG der bisherige Aufenthaltstitel - im Streitfall das Visum - vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Damit wird nur die Fortgeltung des bereits vorher bestehenden Titels fingiert, um für den Ausländer zu verhindern, dass er sich illegal in der Bundesrepublik aufhalten würde, falls die Ausländerbehörde nicht rechtzeitig vor Ablauf des Visums über den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entscheidet.
3. Die später erteilte Aufenthaltserlaubnis begründet keine Rückwirkung. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, bedeutet "im Besitz", dass der Ausländer den Aufenthaltstitel körperlich in Händen hält.
4. Die Vorschrift des § 62 Abs. 2 EStG kann auch nicht dahingehend verfassungskonform ausgelegt werden, dass nach Erteilung eines nationalen Visums eine Fiktionsbescheinigung i. S. d. § 81 Abs. 4 AufenthG einer Aufenthaltserlaubnis gleichzusetzen ist, denn der Wortlaut der Vorschrift des § 62 Abs. 2 EStG ist eindeutig und nicht auslegungsfähig. Ein Visum wird gerade nicht in § 62 Abs. 2 EStG aufgezählt. Eine verfassungskonforme Auslegung gegen den Wortlaut ist nicht möglich.
Normenkette
EStG §§ 62-63; AufenthG §§ 6-7, 81
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger das Kindergeld für seine beiden Kinder für die Monate August bis Oktober 2010 zusteht. Insbesondere stellt sich die Frage, ob der Kläger bereits in diesem Zeitraum im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 62 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) gewesen ist.
Der Kläger ist iranischer Staatsangehöriger, der vor seiner Einreise im Jahre 2010 nach Deutschland mit seiner Familie in A lebte. Er hat zwei Töchter, B und C; diese sind am ... 2007 bzw. ... 2009 geboren.
Am 11.01.2010 beantragte der Kläger einen Aufenthaltstitel in der Form eines Visums. Am 10.06.2010 wurde ihm in A ein Visum "D" für die Einreise nach Deutschland zum Zwecke der Arbeitsaufnahme als Geschäftsführer der X GmbH erteilt. Hierdurch war er berechtigt, sich vom 15.07.2010bis zum 14.10.2010 in Deutschland aufzuhalten.
Die Kinder des Klägers reisten mit gültigen Aufenthaltstiteln im Sinn des Aufenthaltsgesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (AufenthG) in Form von nationalen Visa zur Familienzusammenführung nach Deutschland ein.
Der Kläger wohnt mit seiner Ehefrau und seinen Kindern laut der vorliegenden Meldebestätigung vom ... 2011 seit dem 20.08.2010 in E.
Im August 2010 beantragte der Kläger für sich und seine Familienmitglieder eine Aufenthaltserlaubnis. Am 30.08.2010 wurden dem Kläger, seiner Ehefrau und den gemeinsamen Töchtern jeweils Fiktionsbescheinigungen gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG ausgestellt. Am 17.11.2010 wurde dem Kläger die Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit gemäß § 21 Abs. 1 AufenthG erteilt. Am 18.11.2010 erteilte die Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug gemäß § 29 in Verbindung mit § 32 Abs. 1 AufenthG.
Durch eine Aufenthaltsbescheinigung vom 18.10.2013 bestätigte die Ausländerbehörde E (...), dass sich der Kläger seit dem 30.08.2010 in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels ist.
Am 27.05.2013 beantragte der Kläger das Kindergeld für seine beiden Töchter ab August 2010. Dieser Antrag wurde zunächst am 22.07.2013 abgelehnt, da der Kläger nicht die erforderlichen Unterlagen, insbesondere eine Meldebestätigung eingereicht hatte. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein und legte die angeforderten Unterlagen vor. Mit Bescheid vom 22.08.2013 wurde das Kindergeld ab Februar 2013 festgesetzt. Für die Zeit vor Februar wurde das Kindergeld mit der Begründung abgelehnt, dass keine Aufenthaltserlaubnis vorgelegen habe. Mit Einspruchsentscheidung vom 05.11.2013 wurde der Einspruch im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 05.12.2013 Klage erhoben.
Mit Änderungsbescheid vom 10.01.2014, der gemäß § 68 Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Klageverfahrens wurde, setzte die Familienkasse für den Kläger das Kindergeld für den Zeitraum November 2010 bis Januar 2013 fest.
Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, dass er im maßgeblichen Zeitraum (August bis Oktober 2010) über eine Fiktionsbescheinigung verfügt habe, welche den Aufenthaltstiteln gemäß § 62 Abs. 2 EStG gleichzustellen sei. Diese sog. Fiktionsbescheinigung sei ausreic...