Entscheidungsstichwort (Thema)
Bloßes Betreten einer Wohnung als Realakt
Leitsatz (redaktionell)
1) Das Betreten einer Wohnung zu Ermittlungsmaßnahmen erfüllt nicht die Voraussetzungen eines Verwaltungsakts, da der Steuerpflichtige den Zutritt verweigern kann.
2) Ohne weitere besondere Umstände besteht kein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ortsbesichtigung.
Normenkette
AO § 99 Abs. 1 S. 1; FGO § 41 Abs. 1-2; GG Art. 13; EMRK Art. 8; AO § 118 S. 1
Nachgehend
Tatbestand
Zu entscheiden ist über die Rechtmäßigkeit einer in der Wohnung der Klägerin durchgeführten Ortsbesichtigung.
Die Klägerin leitete im Streitjahr 2015 eine A-Filiale in B und war daneben als Unternehmensberaterin tätig. Im Rahmen der Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit machte sie für 2015 erstmals Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer geltend. Auf Nachfrage des Beklagten (des Finanzamts –FA–) reichte die jetzige Prozessbevollmächtigte für die Klägerin u.a. eine Skizze der Wohnung ein. Zu dieser gehörte ein Zimmer, das maschinenschriftlich mit „Schlafen” bezeichnet wurde. Diese Benennung war allerdings durchgestrichen und handschriftlich durch „ARBEIT” ersetzt worden. Keiner der übrigen Räume war als Schlafzimmer bezeichnet. Auf die in der Bilanzakte Band 2015 befindliche Skizze wird i.Ü. Bezug genommen.
Der Beklagte veranlagte die Klägerin erklärungsgemäß mit der Erläuterung „Die Kosten für das Arbeitszimmer bei den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit wurden lt. der eingereichten Aufstellung berücksichtigt.” Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung –AO–). Da ihm die Skizze klärungsbedürftig erschien, schaltete der Sachbearbeiter (Herr C) mit Schreiben vom 2.5.2017 den hausinternen Flankenschutz zur Überprüfung ein.
Der Mitarbeiter des Flankenschutzes (Herr D), ein Beamter der Steuerfahndung, erschien am 11.5.2017 unangekündigt bei der Klägerin, um sich ein Bild über das Vorhandensein und den Zustand des häuslichen Arbeitszimmers zu machen. Der Beamte traf die Klägerin an, wies sich durch Vorlage seines Dienstausweises aus und betrat, da die Klägerin unstreitig der Besichtigung unter Hinweis auf die Überprüfung im Besteuerungsverfahren nicht widersprach, die Wohnung. Dort stellte er fest, dass ein häusliches Arbeitszimmer tatsächlich vorhanden war. Abweichend von dem Wohnungsgrundriss laut Bauzeichnung verfügte die von der Klägerin angemietete Wohnung tatsächlich über zwei weitere Räume (Bad und Küche). Der im Plan als Küche bezeichnete Raum –so der Flankenschützer– werde nach den Angaben der Klägerin als Schlafzimmer genutzt. Der Flankenschützer führte ausdrücklich an, dass sich die Klägerin nicht erklären könne, warum die steuerliche Beratung eine unrichtige Bezeichnung der Wohnung vorgenommen habe.
Der Vermerk des Flankenschützers vom 15.5.2017 endet mit dem Hinweis an den Veranlagungsbezirk, dass die Klägerin demnächst in die gegenüberliegende Wohnung ziehen werde und abzuwarten sei, welche Raumaufteilung sich dann ergebe. Diese Absicht ist von dem Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt worden, ohne dass er allerdings hat angeben können, wann der Umzug genau erfolgt ist.
Gegen die Ortsbesichtigung legte die Klägerin am 19.5.2017 (durch ihre Prozessbevollmächtigte) Einspruch ein, der durch Einspruchsentscheidung vom 4.7.2017 als unzulässig verworfen wurde. Zur Begründung führte das FA aus, die Ortsbesichtigung sei abgeschlossen und erledigt. Dagegen eingelegten Rechtsmitteln fehle es an einer fortbestehenden Beschwer; sie seien ebenfalls erledigt.
Mit der daraufhin erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ortsbesichtigung.
Sie trägt vor, die Ortsbesichtigung stelle einen Verwaltungsakt dar, der sich mit der Beendigung der Besichtigung und damit vor Klageerhebung erledigt habe. Gleichwohl sei eine Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, weil ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ortsbesichtigung bestehe. Die Klägerin meint, eine solche Wiederholungsgefahr sei jedenfalls deshalb gegeben, weil sie im Rahmen der jährlich abzugebenden Einkommensteuererklärung erneut Kosten für das Arbeitszimmer geltend machen werde und dann eine erneute Ortsbesichtigung zu befürchten sei (Hinweis auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 11.4.2006, BFH/NV 2006, 1534). Dies gelte erst recht wegen des bereits damals beabsichtigten Umzugs in eine andere Wohnung.
Die unangekündigte Ortsbesichtigung sei rechtswidrig, weil sie unverhältnismäßig gewesen sei. Hierzu trägt die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte vor, zwar werde die Richtigkeit des Besichtigungsprotokolls nicht bestritten. Durch das Auftreten als Steuerfahndung (Vorstellung mit dem Dienstausweis) werde jedoch eine Drucksituation aufgebaut, und zwar selbst dann wenn der Steuerfahnder erläutere, dass er im Veranlagungsverfahren tätig sei. Für einen Laien sei...