Rz. 541
Nach § 185 Abs. 3 S. 1 BewG ist der Gebäudereinertrag mit dem sich aus der Anlage 21 zum BewG ergebenden Vervielfältiger zu kapitalisieren. Maßgebend für den Vervielfältiger sind der Liegenschaftszinssatz und die Restnutzungsdauer des Gebäudes. Der Vervielfältiger ist umso größer, je höher die Restnutzungsdauer und je geringer der Liegenschaftszinssatz ist.
Rz. 542
Die Restnutzungsdauer wird grundsätzlich aus dem Unterschiedsbetrag zwischen der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer und dem Alter des Gebäudes zum Bewertungsstichtag ermittelt. Die maßgebliche Gesamtnutzungsdauer wird in Anlage 22 zum BewG in Abhängigkeit von der jeweiligen Nutzung typisierend festgelegt. Sie reicht von 40 Jahren (z. B. bei Einkaufsmärkten, Großmärkten und Läden) bis zu 80 Jahren (z. B. bei Mietwohngrundstücken). Das Alter des Gebäudes ist durch Abzug des Jahres der Bezugsfertigkeit des Gebäudes vom Jahr des Bewertungsstichtags zu bestimmen.
Sind nach Bezugsfertigkeit des Gebäudes Veränderungen eingetreten, die die wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes verlängert haben, ist von einer entsprechend verlängerten Restnutzungsdauer auszugehen. Eine Verlängerung der Restnutzungsdauer kann sich insbesondere aus durchgreifenden Instandsetzungs- oder Modernisierungsmaßnahmen ergeben. Nach R B 185.3 Abs. 4 ErbStR 2019 ist eine Verlängerung der Restnutzungsdauer nur anzunehmen, wenn in den letzten 10 Jahren durchgreifende Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt wurden, die nach einem Punktesystem (Tabelle 1) eine überwiegende oder umfassende Modernisierung ergeben. Die sich daraus ergebende Verlängerung der Restnutzungsdauer ist von dem Modernisierungsgrad, der Gesamtnutzungsdauer und dem Alter des Gebäudes abhängig. Eine Verkürzung der Restnutzungsdauer ist für Bewertungsstichtage nach dem 31.12.2022 nicht mehr zu berücksichtigen. Lediglich bei einer bestehenden Abbruchverpflichtung für das Gebäude ist die nach § 185 Abs. 3 S. 3–6 BewG ermittelte Restnutzungsdauer auf den Unterschiedsbetrag zwischen der tatsächlichen Gesamtnutzungsdauer und dem Alter des Gebäudes am Bewertungsstichtag begrenzt. Auch für die Zeit davor kam eine Verkürzung der Restnutzungsdauer nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht, wie z. B. bei bestehender Abbruchverpflichtung für das Gebäude. Baumängel und Bauschäden oder wirtschaftliche Gegebenheiten konnten hingegen im typisierenden Bewertungsverfahren zu keiner Verkürzung der Restnutzungsdauer führen. Besteht eine wirtschaftliche Einheit aus mehreren Gebäuden oder Gebäudeteilen mit einer gewissen Selbstständigkeit, die eine verschiedene Bauart aufweisen, unterschiedlich genutzt werden oder die in verschiedenen Jahren bezugsfertig geworden sind, können sich unterschiedliche Restnutzungsdauern ergeben (z. B. Gebäudemix aus einer Fertigungshalle mit 50 Jahren und einem Verwaltungsgebäude mit 60 Jahren typisierter wirtschaftlicher Gesamtnutzungsdauer); in diesen Fällen ist eine gewogene Restnutzungsdauer unter Berücksichtigung der jeweiligen Roherträge zu ermitteln. Können die Roherträge nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand den einzelnen Gebäuden bzw. Gebäudeteilen zugeordnet werden (z. B. bei Vermietung sämtlicher Gebäude zu einem Gesamtentgelt), kann von einer nach Wohn- bzw. Nutzflächen gewichteten Restnutzungsdauer ausgegangen werden.
Rz. 543
Nach § 185 Abs. 3 S. 6 BewG beträgt die Restnutzungsdauer eines noch genutzten Gebäudes mindestens 30 % der Gesamtnutzungsdauer. Die Mindestrestnutzungsdauer soll dem Umstand Rechnung tragen, dass auch ein älteres Gebäude, das laufend instand gehalten wird, nicht wertlos ist. Zugleich soll sie in vielen Fällen – gerade bei älteren Gebäuden – die Prüfung entbehrlich machen, ob die restliche Lebensdauer durch bauliche Maßnahmen verlängert wurde. Die Annahme einer Mindestrestnutzungsdauer dürfte bei Mietwohngrundstücken im Allgemeinen den tatsächlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten entsprechen. Bei Geschäftsgrundstücken kann sie hingegen zu Überbewertungen führen, weil die an diese gestellten Anforderungen einem größeren Wandel unterliegen und bei diesen schon die in der Anlage 22 zum BewG zugrunde gelegten Gesamtnutzungsdauern zum Teil sehr großzügig bemessen sind.
Beim Ansatz der Mindestrestnutzungsdauer ist regelmäßig ein Verkehrswertnachweis nach § 198 BewG in Betracht zu ziehen.