Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 22
Unbestimmter Rechtsbegriff der vGA. Der Begriff "vGA" wird sowohl in § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG als auch in § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG verwendet. Er wird jedoch in beiden Vorschriften nicht definiert. Die Verwendung desselben Begriffes in den beiden Vorschriften ist deshalb kritisch zu beurteilen, weil § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG eine Form der Einkommensverwendung durch eine Körperschaft regelt, während der Regelungsgegenstand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG eine Einnahme des Gesellschafters ist, die an den Tatbestandsmerkmalen des § 8 Abs. 1 EStG gemessen werden muss. Auch wenn beides eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis voraussetzt und insoweit ein Sachzusammenhang besteht, handelt es sich doch um zwei grundverschiedene Tatbestände, die richtigerweise mit unterschiedlichen Begriffen hätten umschrieben werden sollen. Dies wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ein sonstiger Bezug ist, was man von der vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nicht behaupten kann.
Rz. 22.1
Gebot einer differenzierten Auslegung. Die verfehlte Vorgehensweise des Gesetzgebers birgt die Gefahr in sich, dass man versucht ist, die Begriffe einheitlich auszulegen, was zwangsläufig zu Fehleinschätzungen führt. Es ist die Aufgabe vor allem der Rechtsprechung, unbestimmte Rechtsbegriffe orientiert am Gesetzeszweck fallgruppenbildend und fallvergleichend zu konkretisieren. Seit seinem Urteil v. 1.2.1989 versteht der BFH unter einer vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG bei einer Kapitalgesellschaft die Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist und sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG auswirkt. Die Unterschiedsbetragsminderung muss die Eignung haben, beim Gesellschafter einen sonstigen Bezug i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auszulösen. Anders ausgedrückt versteht § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG die vGA primär als eine Form der Einkommensverwendung, die zwar gleichzeitig alle Voraussetzungen einer Betriebsausgabe bzw. einer verhinderten Betriebseinnahme erfüllt, jedoch wegen ihres daneben bestehenden Einkommensverwendungscharakters den Gewinn einer Körperschaft nicht mindern soll.
Rz. 22.2
Nichtanerkennung zivilrechtlicher Verträge. Will man die vGA in ihrer Zielsetzung zutreffend einordnen, so muss man sie von den Möglichkeiten abgrenzen, abgeschlossene Verträge steuerrechtlich nicht anzuerkennen. Insoweit gilt als Grundsatz, dass Verträge zwischen fremden Dritten steuerrechtlich anerkannt werden müssen, wenn sie nur tatsächlich durchgeführt wurden. Grundsätzlich ist also auf das tatsächlich Durchgeführte und nicht auf das zivilrechtlich (formal) Vereinbarte abzustellen. Die Rechtsprechung verlangt allerdings bei Verträgen zwischen einem beherrschenden Gesellschafter und der von ihm beherrschten Gesellschaft, dass dieselben von vornherein, klar, zivilrechtlich wirksam vereinbart und tatsächlich durchgeführt werden (formale Angemessenheit). Hier handelt es sich jedoch genau genommen um eine Durchmischung zwischen wirtschaftlicher Betrachtungsweise und Beweislastverteilung. Gerade weil der beherrschende Gesellschafter die freie Wahl hat, seiner Gesellschaft entweder auf gesellschaftsrechtlicher oder auf schuldrechtliche Ebene gegenüberzutreten, soll er sich rechtzeitig entscheiden und dies aus Gründen der Beweislast nach außen hin kundtun. Dies steht im Abkommensfall in einem gewissen Gegensatz zur Sperrwirkung von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nachgebildeten DBA-Regelungen bei rein formaler Unangemessenheit (vgl. hierzu Rz. 40.9).
Rz. 22.3
Korrespondenzprinzip. Zwischen einer vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und einer solchen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG besteht ein formelles Korrespondenzprinzip, wie es in § 8b Abs. 1 Satz 2 und § 32a KStG gesetzlich verankert wurde. Beide Formen der vGA setzen im Kern bei demselben Sachverhalt an; sie müssen deshalb jedoch tatbestandsmäßig nicht deckungsgleich sein. Die vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG hat nur die Rechtsfolgen bei der ausschüttenden Gesellschaft und die vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG nur die bei dem durch die Ausschüttung begünstigten Gesellschafter im Auge. Die vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG setzt eine sog. Unterschiedsbetragsminderung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG) bei der ausschüttenden Kapitalgesellschaft und die vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG im Regelfall den Zufluss (§ 11 Abs. 1 EStG) eines Beteiligungsertrages (= Einnahme i.S.d. § 8 Abs. 1 EStG) beim Gesellschafter voraus. Ist der Gesellschafter ein bilanzierender Kaufmann und hält er seine Beteiligung in einem Betriebsvermögen, so kann etwas anderes gelten.
Rz. 22.4
(Abweichende) Zeitpunkte der Rechtsfolgen. In vielen Sachverhalten treten die Rechtsfolgen der beiden Vorschriften mehr oder weniger zeitgleich ein. Dies gilt immer dann, wenn der Zeitpunkt des Abflusses der vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 ...