Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 3
Die Funktion des Instituts der verdeckten Gewinnausschüttung hat sich im Laufe der Zeit mehrfach geändert. Das Institut der verdeckten Gewinnausschüttung diente bis 1976 der Sicherung der körperschaftsteuerlichen Doppelbelastung. Da nach dem vor 1977 geltenden KSt-Recht sowohl das Einkommen bei der Körperschaft als auch die Ausschüttung bei dem Anteilseigner besteuert wurde, ohne dass die Möglichkeit der Steueranrechnung bestand, führte ein Abzug der Zuwendungen an den Gesellschafter bei der Körperschaft als Betriebsausgabe zur endgültigen Vermeidung der Doppelbesteuerung und damit zu einer endgültigen Steuerentlastung. Die Hinzurechnung dieser Zuwendung bei der Einkommensermittlung der Körperschaft als verdeckte Gewinnausschüttung korrigierte den Betriebsausgabenabzug bei der Körperschaft und sicherte damit die gesetzlich gewollte Doppelbelastung.
Rz. 4
Das Anrechnungsverfahren der Jahre 1977 bis 2000 hatte die körperschaftsteuerliche Doppelbelastung durch Anrechnung der auf die Ausschüttungen entfallenden KSt auf die Steuerschuld des Anteilseigners beseitigt. Daher wurde erwartet, das Institut der verdeckten Gewinnausschüttung werde an Bedeutung verlieren. Damit wurde aber die Bedeutung der verdeckten Gewinnausschüttung unterschätzt. Zwar wurde das Institut nicht mehr zur Vermeidung der körperschaftsteuerlichen Doppelbelastung benötigt, die verdeckte Gewinnausschüttung hatte jedoch weitere Funktionen, die unverändert geblieben waren:
- Das Institut der verdeckten Gewinnausschüttung bestimmt, ob überhaupt ein steuerpflichtiger Einkommensteil bei der Körperschaft besteht.
- Nicht abgeflossene verdeckte Gewinnausschüttungen können beim Gesellschafter noch nicht erfasst werden. Die verdeckte Gewinnausschüttung sichert hier die zeitgerechte steuerliche Erfassung der Einkommensteile.
- Verdeckte Gewinnausschüttungen über die Grenze führen zu endgültigen Steuerausfällen.
- Die verdeckte Gewinnausschüttung wird auch von GewSt erfasst.
Diese Wirkungen haben dazu geführt, dass die verdeckte Gewinnausschüttung auch unter dem Anrechnungsverfahren im Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen Finanzverwaltung und Stpfl. stand.
Rz. 4a
Ab 2001 gilt mit dem Halbeinkünfteverfahren bzw. ab 2009 mit dem Teileinkünfteverfahren wieder ein klassisches System der Doppelbesteuerung bei Körperschaft und Anteilseigner. Damit hat die verdeckte Gewinnausschüttung wieder die Funktion, die Doppelbelastung des Einkommens bei der Körperschaft und der Dividende beim Anteilseigner zu sichern. Hinzu kommen die Funktionen, die in Rz. 4 aufgezählt worden sind.
Rz. 4b
Die verdeckte Gewinnausschüttung wird im Teileinkünfteverfahren grundsätzlich ebenso behandelt wie die offene Gewinnausschüttung. Das bedeutet, dass die verdeckte Gewinnausschüttung bei der Körperschaft dem Tarifsteuersatz von 15 % unterliegt. Bei dem Anteilseigner unterliegt sie entweder nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 32d Abs. 1 S. 1 EStG der Abgeltungsteuer von 25 % oder nach § 3 Nr. 40 Buchst. d EStG zu 60 % der ESt. Ist der Anteilseigner eine Körperschaft, ist die verdeckte Gewinnausschüttung bei ihm nach § 8b Abs. 1 KStG aus dem Einkommen auszuscheiden. Aufgrund des Korrespondenzprinzips gilt dies jedoch nur, wenn die Ausschüttung bei der auskehrenden Gesellschaft das Einkommen nicht gemindert hat. Nach Ausdehnung des Korrespondenzprinzips auf alle Gewinnausschüttungen besteht auch insoweit eine Gleichbehandlung von verdeckten und anderen Gewinnausschüttungen. Außerdem ist die verdeckte Gewinnausschüttung bei einer Körperschaft als Anteilseigner nach § 8b Abs. 4 KStG ebenso wie andere Gewinnausschüttungen zu versteuern, wenn die Beteiligung weniger als 10 % beträgt.
Rz. 4c
Trotz aller Änderungen des KSt-Systems hat die verdeckte Gewinnausschüttung ihre große Bedeutung für die Steuerbelastung von Körperschaft und Anteilseigner behalten. Dem entspricht die Vielzahl der finanzgerichtlichen und höchstrichterlichen Entscheidungen. Die verdeckte Gewinnausschüttung ist zweifellos das körperschaftsteuerliche Institut mit der höchsten Entscheidungsdichte.
Rz. 4d
Die Korrektur der verdeckten Gewinnausschüttung ändert nicht den Steuerbilanzgewinn, da die Steuerbilanz auf Grund der Maßgeblichkeit an die Handelsbilanz gebunden ist und eine Korrektur in der Handelsbilanz regelmäßig nicht erfolgen kann. Die verdeckte Gewinnausschüttung ist daher außerbilanziell bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns und damit der Einkünfte der Körperschaft aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigen. Sie erhöht somit den Gewinn aus Gewerbebetrieb und ist in dem Ausgangsbetrag nach § 7 S. 1 GewStG für die Ermittlung des Gewerbeertrags enthalten. Sie unterliegt daher bei der ausschüttenden Körperschaft der GewSt. Bei dem Gesellschafter stellt die verdeckte Gewinnausschüttung Bezüge i. S. d. § 20 EStG bzw. nach § 8b Abs. 1, 4 KStG dar und unterliegt bei ihm daher der Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG bzw. der Kürzung nach § 9 Nr. 2a, 7, 8 GewStG.